Weiterlesen: Kapitel 4.1
© ProLitteris, Josef Estermann
3 Analyse biographischer Daten
3.1 Einleitung
Die meisten Studien über Drogenkonsumierende, ob epidemiologisch orientiert oder bestimmte spezifische Untersuchungsfelder anvisierend, sind dadurch eingeschränkt, daß sie ihre Informationen lediglich über verschiedene, zum Teil problemspezifisch ausgerichtete Institutionen beziehen oder über sozialstatistische Befragungen, durch die eine gleichmäßige Erreichbarkeit der Konsumierenden nicht gewährleistet ist.1 Die Art des Feldzugangs beeinflußt die Resultate jedoch nachhaltig und muß im Hinblick auf eine Generalisierbarkeit der Ergebnisse berücksichtigt werden.
Um diesem Problem zu begegnen, ergänzen hier Informationen über schwer zugängliche Bereiche des Feldes die Analyse quantitativer, institutionell erfaßter Massendaten zu drogenkonsumierenden Personen. Als Datenbasis dienen themenzentrierte biographische Interviews2 mit Konsumierenden harter, illegaler Drogen, die sozial nicht auffällig, das heißt nicht aufgrund ihres Drogenkonsums polizeilich registriert oder medizinalisiert sind. Im Vordergrund steht dabei das Interesse, subjektive Einschätzungen der Konsumierenden zur Wahrscheinlichkeit der institutionellen Erfassung zu erheben. Idealerweise ließen sich aus diesen Erkenntnissen numerische Schätzungen bisher wenig bekannter Teile der untersuchten Population herleiten. Auch wenn dies nur ansatzweise gelingt, bietet das Material die Grundlage für das Generieren von Hypothesen über mögliche oder typische protektive Faktoren, welche einen verdeckten unauffälligen Konsum harter, illegaler Drogen ermöglichen, sowie für Aussagen über den erhöhten Immunisierungsgrad gewisser drogenkonsumierender Gruppen gegenüber repressiven oder medizinischen Institutionen. Außerdem zeigt sich die zentrale Bedeutung der Merkmale Alter und Geschlecht.
3.2 Methodologie
Keine Person, die fortgesetzt harte, illegale Drogen einnimmt, wird unmittelbar in eine spezifische Statistik aufgenommen und somit zur «offiziell gezählten» Population der Drogenkonsumierenden gerechnet. Vom Zeitpunkt der Aufnahme des Konsums bis zu einer Erfassung durch die Polizei oder dem Eintritt in eine medizinische Behandlung aufgrund des Drogenkonsums verstreicht eine Weile. Die unterschiedliche Dauer dieser Zeitspanne hängt nicht bloß von den Konsumierenden selbst, sondern auch von institutionellen Bedingungen wie Therapieangeboten und Repressionsintensität sowie von der Marktlage ab. Wäre sie für alle Konsumierenden gleich, so würde sich das Problem einer Schätzung der Gesamtpopulation im Untersuchungsfeld lediglich auf die Frage nach dem Ausmaß der jährlichen Inzidenz (Neueintritte in die Population) und der jährlichen Remission (Austritte durch dauerhafte Abstinenz) beziehungsweise Auswanderung oder Ableben reduzieren. Doch die zur Verfügung stehenden Massendaten zeigen bereits eindeutig, daß Drogenkonsumierende über die Zeit unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten in bezug auf eine institutionelle Erfassung aufweisen, und es muß angenommen werden, daß einzelne Gruppen relativ immun gegenüber dem Zugriff bestimmter Institutionen sind.
Um Anhaltspunkte zur Schätzung der Zahl derjenigen zu gewinnen, denen es gelingt, ihren Konsum harter, illegaler Drogen gesellschaftlich verdeckt zu praktizieren, sind gezielt Zugänge in dieses Feld zu suchen und biographische Informationen zu sammeln. Dabei stehen folgende, grundlegende Fragestellungen im Vordergrund: Auf welche Art und in welchen Lebenszusammenhängen werden harte, illegale Drogen (Kokain, Heroin und andere Opiate) konsumiert, ohne daß die Konsumierenden durch dieses Handeln sozial auffällig werden und ohne daß sie vom repressiven polizeilich-judikativen Apparat entdeckt oder medizinalisiert werden? Auf welche sozialen, ökonomischen oder persönlichen Ressourcen stützen sich integrierte Konsumierende harter, illegaler Drogen, um trotz oder mit ihrem Drogenkonsum den funktionalen Alltagsanforderungen zu genügen? Welches sind die entscheidenden Unterschiede, die eine Immunisierung gegenüber den erwähnten gesellschaftlichen Kontrollmechanismen erklären können?
Unterschiede sind zu erwarten in bezug auf die Einstiegs , die Unterbrechungs und die Ausstiegsmotivation, die Dauer des Drogenkonsums, das Konsummuster (Konsumhäufigkeit, Konsumintensität), das Konsumsetting (regelgeleitete Ritualisierung des Konsums, Bedeutungszuschreibung des Konsums, der Droge und des Lebensstils), die Drogenbeschaffung sowie auf zentrale sozioökonomische und demographische Merkmale.
Um diesen Fragen nachzugehen, werden biographische themenzentrierte Interviews mit integrierten Drogenkonsumierenden und mit einer Kontrollgruppe von repressiv erfaßten und medizinalisierten Konsumierenden analysiert. Es sollen einerseits Erkenntnisse über verschiedene individuelle Handlungsstrategien bezüglich der Organisation des Drogenkonsums und der Alltagsbewältigung sowie über die zur Verfügung stehenden protektiven Ressourcen gewonnen werden. Andererseits werden subjektive Einschätzungen zu Befürchtungen oder Erwartungen hinsichtlich Erfassung und Repression im Laufe der Drogenkarriere sowie einer freiwilligen Inanspruchnahme von Angeboten im medizinischen Sektor generiert.
Die Wahl biographischer Interviews als Methode begründet sich in der Annahme, daß Konsumierende harter, illegaler Drogen durch die Rekonstruktion ihrer Biographie subjektive Wahrscheinlichkeitsschätzungen reflektierter und somit valider abgeben können als durch unmittelbare Antworten auf direkte diesbezügliche Fragen. Gleichzeitig liefern die biographischen Kontexte Informationen darüber, welche Beziehungen zwischen individuellen Handlungspraktiken, sozialen Situationen und konsumierten Drogen den Lebenslauf begleiten und bestimmen.
Die Gestaltung von Biographierekonstruktionen
Karriereverläufe können als konkrete Ausprägung der Strukturen sozialen Lebens nur partiell vom Individuum selbst beeinflußt werden. Dabei ist es unbedeutend, ob die objektiv gegebenen, äußeren gesellschaftlichen Einflüsse bewußt wahrgenommen werden oder nicht. Entscheidend ist hingegen, wie der einzelne Mensch seinen Lebenslauf deutet. Er benötigt eine kohärente, selbstverständliche Vergangenheit, damit er in der Interaktion mit seiner sozialen Umwelt handlungsfähig ist. Das Produkt dieses fortwährenden Prozesses ist sein Selbstbild, das heißt seine Ich-Identität sowie seine soziale Identität.
Menschen neigen dazu, eine möglichst apologetische Selbstdarstellung ihres Lebenslaufs zu konstruieren.3 Wird ein Individuum aufgefordert, seine Lebensgeschichte oder auch nur Ausschnitte davon zu erzählen, besteht der Zwang des Wählens und Abstrahierens. Der Gestaltungsraum des Rekonstruktionsprozesses ist dabei nicht völlig offen, sondern in eine bestimmte Richtung gelenkt und durch eine bestimmte Grenze eingeschränkt. Soll eine möglichst vorteilhafte Geschichte entstehen, können zentrale Werte relevanter Gruppen oder der Gesellschaft und öffentlich bekannte Gegebenheiten nicht ignoriert werden.
Methodische Probleme der qualitativen Erhebung durch Biographierekonstruktionen entstehen insbesondere durch Verzerrung, Umdeutung und selektive Wahrnehmung der geschilderten Ereignisse durch die Befragten. Dabei spielen das aktuelle Selbstbild und die Situation, in der sich die Befragten befinden, aber auch der Wunsch, den Erwartungen des Gesprächspartners zu entsprechen, eine entscheidende Rolle. Biographie als Thematisierung des eigenen Lebenslaufes, welcher als «Insgesamt von Ereignissen, Erfahrungen, Empfindungen usw. mit unendlicher Zahl von Elementen»4 verstanden wird, ist also nicht bloße Spiegelung vorhandener Ablaufmuster. Biographische Selbstthematisierungen geben Realitätsmodelle wieder, die sich als «hypothetische Vergegenwärtigungen des Vergangenen» auffassen lassen.5 Wer seinen Lebenslauf rekonstruiert, verfügt einerseits über ein beschränktes Maß an Gestaltungsfreiheit, andererseits aber auch über einen großen Interpretationsspielraum. Jede realitätsbezogene Interpretation muß jedoch in ihrer Subjektivität als «wahr» akzeptiert werden
Während der Erhebung haben beispielsweise Interviewende, welche die Interviewten gut kannten oder kennengelernt haben, im Verlaufe der Biographierekonstruktionen aufgrund des gemeinsamen Hintergrundwissens Widersprüchlichkeiten in der Kausalität oder in der Chronologie der Fakten bemerkt. In der Folge haben sie die Befragten während des Interviews diesbezüglich angesprochen, was zu einer Reinterpretation der Vergangenheit geführt hat, oder aber die Interviewenden haben anschließend an die Interviews zusätzliche Informationen über die Interviewten protokolliert. Illustrativ dazu das Protokoll einer Interviewerin: «Eindrücklich scheint mir die Tatsache, daß die Schwierigkeiten, sowohl den faktischen Ablauf als auch die eigene damalige Befindlichkeit zu rekonstruieren, nicht auf den ersten Blick sichtbar zu werden brauchen. Die vier Interviewten, die ich persönlich kenne, bekundeten alle Mühe mit ihrer Biographierekonstruktion. Die einzige Person, die mir eine zusammenhängende, in sich stimmige Geschichte ihres Drogenkonsums lieferte, war ausgerechnet jene, die ich bis zum Interview nicht gekannt habe. Ich gehe daher davon aus, daß deren Geschichte, so wie sie sie mir erzählt hat, eine zurechtgelegte, den Fakten aber nicht mehr oder weniger entsprechende Geschichte ist, wie diejenigen der anderen vier auch.»
Das Interview
Die Interviews sollten inhaltlich offen verlaufen, so daß die Befragten selbst auf die ihnen wichtig erscheinenden Ereignisse zu sprechen kommen konnten, die während ihrer für ihren Drogenkonsum relevanten Biographie stattgefunden hatten. Die Interviews folgten insofern einem Leitfaden, als hauptsächlich Phasen beschrieben wurden, in denen sich Brüche im Lebenslauf ereignet hatten und die alltägliche Handlungspraxis sich nicht wie gewohnt reproduzieren ließ. Als Brüche können etwa der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Wohnung bezeichnet werden, das Verfehlen eines sich selbst gesetzten Ziels, die Auflösung einer sozialen Beziehung, eine Krankheit, aber auch positiv besetzte Ereignisse wie Heirat oder die Geburt eines Kindes.6 Solche Ereignisse sind deshalb von zentralem Interesse, weil anhand dieser Beispiele der Zugriff auf vorhandene materielle, soziale und persönliche Ressourcen zu analysieren ist. Das objektive Verhalten in Krisensituationen läßt sich in der Datenanalyse zur Validierung der subjektiven Einschätzungen zu Erfassungswahrscheinlichkeiten und einer Inanspruchnahme der Angebote des medizinischen Systems heranziehen.
Die Zielpopulation
Nach folgenden Kriterien wurde eine Person als integrierte Drogenkonsumentin oder integrierter Drogenkonsument definiert:
– mindestens zwanzigmaliger Konsum harter, illegaler Drogen (Kokain, Heroin, andere Opiate)
– mindestens ein Konsum im letzten Jahr
– keine Erfassung durch polizeilich-judikative Institutionen infolge des Konsums
Auf das Kriterium einer Erfassung durch medizinisch-therapeutische Institutionen wurde verzichtet, da nicht ausreichend geklärt ist, welche Art einer medizinischen Registrierung als Indikator für soziale Desintegration dienen kann. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß diese gegeben ist, wenn staatliche Programme oder therapeutische Maßnahmen in Anspruch genommen wurden, die eine offizielle Registrierung als Drogenkonsumierende mit sich bringen. Ob jedoch bei einer freiwilligen Konsultation von Ärzten oder Krankenhäusern soziale Desintegration vorliegt, hängt unter anderem von der Selbstdefinition der Individuen ab.
Das Kriterium «mindestens zwanzigmaliger Konsum harter, illegaler Drogen (Kokain, Heroin, aber auch andere Opiate)» dient dazu, Personen, die in verschiedenen Studien bloß als «Probierer» definiert werden, auszuschließen. Zudem kann davon ausgegangen werden, daß die Frage nach der Wahrscheinlichkeit, polizeilich erfaßt oder medizinisch betreut zu werden, bei weniger als 20 Konsumereignissen kaum relevant ist.
Das Kriterium «mindestenseinKonsumereignisimletztenJahr» dient dem Ausschluß von Personen, die den Konsum zumindest vorübergehend aufgegeben haben.
Das dritte Kriterium, die institutionelle Erfassung, trennt die Kontrollgruppe von den integrierten Konsumierenden.
Die Interviewenden
Die Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter hatten die Aufgabe, Zugang zu einem sehr sensiblen Feld zu finden. Sie sollten über mindestens einen privaten Kontakt zu integrierten Drogenkonsumierenden, der über maximal eine Zwischenbeziehung vermittelt war und über Erfahrungen im Durchführen nichtstandardisierter Interviews verfügen. Darüber hinaus mußten sie in der Lage sein, vertrauensbildende Beziehungen zu den potentiellen Interviewpartnern aufzubauen und gleichzeitig ein Gleichgewicht zwischen Identifikation und Distanz zu wahren. Die Errichtung einer Vertrauensbasis war die Voraussetzung für größtmögliche Validität der Daten und auch für die Erlaubnis zur Aufnahme der Interviews auf Tonband.7
Drei Frauen und fünf Männer haben Interviews durchgeführt. Alle Interviewenden hatten bereits Erfahrungen in der Durchführung offener, nicht-standardisierter Interviews. Schwerpunkt einer zusätzlichen Schulung war die Sensibilisierung für die Schilderung biographisch relevanter Ereignisse und einer damit verbundenen Gefährdung des gewohnten, selbstverständlichen Handelns. Die Interviewenden sollten in der Lage sein, diese Situationen zu erkennen und gegebenenfalls explizit zu erfragen, ohne der Gefahr einer Suggestion zu erliegen.
Die Feldphase
Vom Spätsommer 1993 bis Herbst 1995 sind insgesamt 25 Interviews durchgeführt worden. Davon liegen 19 in kompletter Abschrift (Transkription), vier in schriftlicher Kurzversion und zwei lediglich auf Tonband vor. Zudem haben die Interviewenden typische fehlgeschlagene Zugänge protokolliert.
Mit integrierten Drogenkonsumierenden sind 17 Interviews (vier mit Frauen und 13 mit Männern) und mit Personen in einer therapeutischen Institution acht Interviews realisiert worden (drei mit Frauen, fünf mit Männern). Bis auf einen Mann gaben alle auch Erfahrungen mit repressiven Institutionen an. Die institutionell erfaßten Drogenkonsumierenden dienten als Kontrastgruppe, um Aussagen über Differenzen und Gemeinsamkeiten zweier unterschiedlich charakterisierter Populationen zu ermöglichen.
Der Beginn der Feldphase erwies sich als schwierig. Diverse Versuche der Interviewenden, persönlich oder durch Bekannte vermittelte Personen für ein Gespräch zu gewinnen, mußten relativ früh oder aber im Verlaufe der Kontaktsuche und aufnahme abgebrochen werden. Dazu die Schilderung zweier typischer fehlgeschlagener Zugänge:
• Ein an der Untersuchung interessierter 28jähriger Mann hat schließlich seine vorerst bekundete Teilnahmebereitschaft mit der Begründung zurückgezogen, daß er zwar seit mehr als zehn Jahren in der Schweiz lebe und hier auch seine Ausbildung absolviert habe, daß er aber eben Ausländer sei. Zudem sei er in guter beruflicher Stellung mit klaren Karrierevorstellungen und -chancen.
• Einer Interviewerin erzählte eine Freundin, sie habe mit einer Frau ein vertrauliches Gespräch geführt, worin ihr diese mitgeteilt habe, daß sie seit längerer Zeit Opiate konsumiere und inzwischen eine Abhängigkeit perzipiere, mit der sie schwer umgehen könne. Die Frau stehe vor dem Problem, ohne Bekanntgabe ihres Opiatkonsums sich und die Situation in den Griff zu bekommen beziehungsweise von der wahrgenommenen Abhängigkeit wegzukommen. Als nun die Interviewerin ihre Freundin darauf ansprach, diese Frau um eine Teilnahme am Projekt anzufragen, verweigerte jene nach langem Abwägen diese Bitte mit der Begründung, durch eine solche Anfrage das Vertrauen der Konsumentin zu verletzen, zumal diese von ihr das Versprechen strengster Diskretion eingefordert habe.
Die gescheiterten Zugänge zeigen deutlich die Angst der Angefragten vor dem Verlust ihrer Anonymität und der Gefährdung ihrer Identität als integrierte, unauffällige Konsumierende. Diese sind eine direkte Folge der Kriminalisierung des Heroin- und Kokainkonsums.
Es hat sich gezeigt, daß bei Erfolg eines ersten Feldzugangs die Aufwendungen für ein weiteres Gespräch mit einer dem oder der Interviewten bekannten Person (nach dem Schneeball-Prinzip) merklich geringer wurden. Das Konzept war jedoch von Beginn an darauf ausgerichtet, die beschränkten Ressourcen eher breit gestreut einzusetzen. Es sollten primär mehrere verschiedene, also unabhängige Zugänge realisiert werden, statt einen einmal erreichten Zugang zu einem Netzwerk möglichst auszuschöpfen, da vermutet wurde, daß sich die Erfassungswahrscheinlichkeiten innerhalb eines relativ homogenen Netzwerkes nicht nennenswert unterscheiden.
Die Darlegung des Forschungsvorhabens und dessen Ziel trug in der Regel zur Motivation der zu Untersuchenden bei, ihre persönliche Geschichte zu erzählen. Gegenüber den potentiellen Interviewpartnern wurde das Forschungsinteresse an der Frage, wie es möglich sei, auch mit dem Konsum harter, illegaler Drogen den gesellschaftlichen und persönlichen Anforderungen des Alltags gerecht zu werden, in den Vordergrund gestellt. Wir erwarteten, daß dies ihren eigenen Interessen eher entspräche als das Ziel der Gruppengrößenschätzung. Tatsächlich hielt die Erwähnung der Gruppengrößenschätzung sogar einen Teil der Kontaktierten von der Teilnahme ab. Vorgebrachte Bedenken gegenüber einer Beteiligung an den Interviews wurden jedoch häufig durch die Erklärung zerstreut, daß die Untersuchung auch Informationen über die zur Verfügung stehenden Ressourcen liefern könnte, die es erlaubten, den Drogenkonsum in funktionale Alltagsanforderungen zu integrieren, ohne persönlich und gesellschaftlich belastende Folgeerscheinungen nach sich zu ziehen. Damit könnten nicht zuletzt die gängigen und auch medial vermittelten Vorurteile über Drogenkonsumierende relativiert werden.
Auch die Bitte, die Interviews auf Tonband festhalten zu dürfen, weckte anfangs öfters Mißtrauen. Die Zusicherung von Anonymität8 und Hinweise auf methodische Notwendigkeiten konnten jedoch einen Teil der Befürchtungen zerstreuen.
Alle Interviews wurden in einer für die Interviewten vertrauten Umgebung realisiert. Der Großteil wurde zu Hause bei den Befragten durchgeführt, die übrigen in der Wohnung der Interviewenden, wobei es sich für die Interviewten nie um einen erstmaligen Besuch dieser Räumlichkeiten handelte.
3.3 Ergebnisse der Erhebungen von Erfassungswahrscheinlichkeiten
Neben der Aufnahme ihrer Biographien sind die Interviewten, meist im Anschluß an das eigentliche Gespräch, gebeten worden, Einschätzungen der Eintreffenswahrscheinlichkeiten bestimmter Ereignisse abzugeben, die eine Statusänderung in dem hier definierten Sinne mit sich gebracht hätten. Dazu wurde eine Darstellung verwendet (vgl. Abbildung 3.3), die unterschiedliche Zustände repressiver Registrierung auflistet. Die Interviewten sollten in drei Spalten numerische Werte zu den Wahrscheinlichkeiten angeben, durch das Repressionssystem erfaßt zu werden. Zuerst wurde in der Spalte Selbst zu jedem Ereignis mittels einer dichotomen Variablen erhoben, ob dieses eingetroffen ist oder nicht. Danach sollten die Interviewten beurteilen (Spalte Perzeption), wie erwartbar das Eintreffen oder Nichteintreffen durchschnittlich in bezug auf ihr Verhalten und ihre Lebenspraxis während des gesamten Konsumzeitraums war. Zuletzt sollten sie die Wahrscheinlichkeiten einschätzen, mit denen die Mitglieder ihres damaligen Netzwerkes, das heißt diejenigen Personen, mit denen sie regelmäßig oder üblicherweise konsumierten, in die jeweiligen Zustände institutioneller Registrierung eingetreten sind oder hätten eintreten können (Spalte Peers).
Abbildung 3.3: Instrument zur Einschätzung subjektiver Erfassungswahrscheinlichkeiten.
Status | Selbst | Perzeption | Peers |
Polizeiliche Verhaftung /Anzeige | |||
Gefängnis | |||
Arzt oder Spital | |||
Entzug (institutionell gestützt) | |||
Drogenberatung / Sozial-Psychiatrische Dienste |
Legende:
– Selbst (dichotome Variable):
Angabe, ob der entsprechende Status erreicht wurde oder das Angebot in Anspruch genommen wurde.
– Perzeption (Wahrscheinlichkeitsangabe zwischen 0 und 1):
Angabe der Wahrscheinlichkeit des Eintreffens des jeweiligen Ereignisses für den befragten Konsumierenden durchschnittlich für den ganzen Zeitraum des Konsums.
– Peers (Wahrscheinlichkeitsangabe zwischen 0 und 1):
Angabe der durchschnittlichen Wahrscheinlichkeit für den Kreis der Konsumierenden, mit dem der oder die Befragte regelmäßig in Beziehung steht, den jeweiligen Status zu erreichen oder das betreffende Angebot in Anspruch zu nehmen.
Die geschätzten Erfassungswahrscheinlichkeiten im repressiven Bereich werden in Kapitel 4 in Bezug gesetzt zu den Ergebnissen der Gruppengrößenschätzung anhand der Repressionsdaten (vgl. Kap. 4.2.3). Dadurch wird ansatzweise auch die Gruppe der repressionsimmunen Konsumierenden in die Schätzungen einbezogen. Außerdem geben die generierten Werte Aufschluß darüber, wie die integrierten Konsumierenden ihre Situation selbst definieren.
Die nicht erfaßten Konsumierenden wurden darüber hinaus nach einer freiwilligen, nicht mit einer amtlichen Registrierung verbundenen Inanspruchnahme des medizinischen Systems gefragt, um einen Überblick darüber zu erhalten, wie weit diese Angebote zur Unterstützung eines integrierten Konsums genutzt werden.
T3.3A: Numerische Resultate der Angabe der Wahrscheinlichkeit der integrierten Konsumierenden, repressiv erfaßt zu werden.
Status | Selbst Anzahl Wert | Perzeption Anzahl Wert | Peers Anzahl Wert | ||||
Polizeilich verhaftet/angezeigt /angezeigt | 14 | 0 | 2 | .00 | 1 | .03 | |
0 | 1 | 7 | .01 | 3 | .05 | ||
1 | .10 | 2 | .15 | ||||
1 | .15 | 2 | .20 | ||||
1 | .25 | 2 | .50 | ||||
1 | .40 | 1 | .60 | ||||
1 | .50 | 1 | .70 | ||||
n, Mittelwert | 14 | .00 | 14 | .11 | 12 | .27 | |
n, Median | 14 | .00 | 14 | .01 | 12 | .18 | |
Gefängnis | 16 | 0 | 15 | .00 | 5 | .00 | |
0 | 1 | 1 | .20 | 1 | .01 | ||
1 | .03 | ||||||
1 | .05 | ||||||
2 | .10 | ||||||
1 | .20 | ||||||
1 | .50 | ||||||
1 | .60 | ||||||
1 | .90 | ||||||
n, Mittelwert | 16 | .00 | 16 | .01 | 14 | .18 | |
n, Median | 16 | .00 | 16 | .00 | 14 | .04 | |
Die integrierten Konsumierenden schätzen die Wahrscheinlichkeit, selbst repressiv erfaßt zu werden, als sehr gering ein. Insbesondere die Möglichkeit eines Gefängnisaufenthaltes schließen sie fast völlig aus. Von 16 dazu befragten Personen schätzen 15 dieses Risiko als nicht existent ein. Dies gilt jedoch nicht für die Mitglieder der Bezugsgruppe. Die Werte für die Peers bezüglich eines Gefängnisaufenthaltes streuen breit, wenngleich der Median mit 0.04 ebenfalls eher im unteren Bereich angesiedelt ist. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, daß sich zumindest einige der integrierten Personen in Netzwerken bewegen, denen auch tendenziell suszeptible Konsumierende angehören.
T3.3B: Numerische Resultate der Angabe der Wahrscheinlichkeit der integrierten Konsumierenden, Angebote im medizinischen Sektor in Anspruch zu nehmen.
Status | Selbst Anzahl Wert | Perzeption Anzahl Wert | Peers Anzahl Wert | ||||
Arzt oder Spital | 12 | 0 | 7 | .00 | 1 | .00 | |
5 | 1 | 2 | .01 | 1 | .01 | ||
2 | .10 | 2 | .10 | ||||
1 | .30 | 2 | .30 | ||||
1 | .50 | 1 | .40 | ||||
1 | .70 | 1 | .50 | ||||
1 | .80 | 1 | .80 | ||||
1 | .90 | ||||||
1 | 1.00 | ||||||
n, Mittelwert | 17 | .29 | 17 | .26 | 9 | .28 | |
n, Median | 17 | .00 | 17 | .01 | 9 | .30 | |
Entzug (institutionell gestützt) | 15 | 0 | 11 | .00 | 1 | .00 | |
1 | 1 | 1 | .01 | 3 | .10 | ||
1 | .05 | 1 | .20 | ||||
1 | .10 | 2 | .30 | ||||
1 | .30 | 1 | .40 | ||||
1 | .40 | ||||||
n, Mittelwert | 16 | .06 | 16 | .05 | 8 | .19 | |
n, Median | 16 | .00 | 16 | .00 | 8 | .15 | |
Drogenberatung | 11 | 0 | 8 | .00 | 2 | .00 | |
6 | 1 | 1 | .01 | 2 | .10 | ||
1 | .05 | 2 | .20 | ||||
3 | .10 | 1 | .30 | ||||
1 | .50 | 2 | .40 | ||||
1 | .60 | ||||||
1 | .80 | ||||||
1 | .90 | ||||||
n, Mittelwert | 17 | .35 | 17 | .19 | 9 | .19 | |
n, Median | 17 | .00 | 17 | .01 | 9 | .20 | |
Ein relativ großer Teil der Integrierten greift durchaus auf Angebote im medizinischen Sektor zurück, um die eigene soziale Integration zu stützen. So haben fünf von 17 Personen bereits im Zusammenhang mit ihrem Drogenkonsum einen Arzt oder ein Spital besucht. Eine Drogenberatung wurde von sechs Konsumierenden in Anspruch genommen. Für diese Angebote liegt der Mittelwert für die Selbstperzeption relativ hoch, allerdings schließen jeweils die Hälfte der Befragten die Möglichkeit ihrer Inanspruchnahme nahezu völlig aus. Einen institutionell gestützten Entzug, der die Abhängigkeit von einer Substanz voraussetzt und das Risiko eines Anonymitätsverlustes birgt, halten zwei Drittel für gänzlich unwahrscheinlich.
Die Wahrscheinlichkeit einer freiwilligen Inanspruchnahme von Ärzten, Spitälern und Drogenberatungsstellen schätzen die integrierten Konsumierenden für ihre Bezugsgruppen im Durchschnitt zwar ähnlich ein wie für sich selbst, die Werte in beiden Fällen ergeben jedoch für die Peers erheblich höhere Mediane als für die Selbstperzeption. Anscheinend werden die Konsummuster der Mitglieder der Bezugsgruppe häufiger als riskanter eingeschätzt als die eigenen. Dies wird auch von den Ergebnissen bezüglich eines institutionell gestützten Entzugs bestätigt. In diesem Fall liegt der Mittelwert ebenso wie der Median für die Peers um einiges höher als für die Selbstperzeption.
Die befragten integrierten Drogenkonsumentinnen und -konsumenten zeichnen sich durch Heterogenität aus, was sich im Ausmaß der Streuung der Angaben widerspiegelt.9 Neben der im folgenden Kapitel beschriebenen Problematik, subjektive Wahrscheinlichkeitseinschätzungen abzugeben, mag auch die von unseren Interviewerinnen und Interviewern oft geäußerte Vermutung zutreffen, daß in die Angaben immer auch Vorsicht oder Risikofreude der Interviewten einfließen. Jemand, der glaubt, immer alles im Griff zu haben, schließt die Möglichkeit einfach aus, verhaftet zu werden. Ein anderer, der sich schon immer vor gerichtlichen Folgen gefürchtet hat, gibt an, daß immer mit einer Verhaftung zu rechnen sei.
3.4 Zur subjektiven Einschätzung von Erfassungswahrscheinlichkeiten
Die integrierten Konsumierenden harter, illegaler Drogen taten sich allgemein schwer, subjektive Einschätzungen der Wahrscheinlichkeiten abzugeben, in repressiv erfaßte Subpopulationen einzutreten oder Angebote im medizinischen Sektor in Anspruch zu nehmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich dabei um ein nicht erwartetes oder nicht eingetretenes Ereignis handelte. Zu viele Faktoren spielen aus der Sicht der Befragten eine Rolle, vor allem in bezug auf eine polizeiliche Erfassung. Auch wenn eine Mehrheit der befragten Personen sich ganz klar als immun gegen Registrierungen im repressiven Sektor im Zusammenhang mit Drogenkonsum und Drogenbeschaffung sieht, schließt dennoch kaum jemand aus, daß sich ein solches Ereignis hätte einstellen können. Die Interviewten haben teilweise die Erfahrung gemacht, daß Mitglieder der ebenfalls konsumierenden Bezugsgruppe scheinbar zufällig, also unabhängig von einem ersichtlichen Zusammenhang zwischen Konsumverhalten, Konsumkontrolle und Risikoverhalten durch das Repressionssystem erfaßt wurden. Auch ergaben sich Probleme im Zusammenhang mit Wahrscheinlichkeitsschätzungen über die Zeit. Einen Zeitraum von zehn Jahren oder mehr im Hinblick auf den persönlichen Drogenkonsum zu rekonstruieren, erwies sich als sehr schwierig. Die Interviewten hatten Mühe, einzelne Phasen, an die sie sich noch erinnerten, in eine Chronologie zu bringen. Sie wiesen darauf hin, daß sie sich außerstande fühlten, sich an damalige Befindlichkeiten oder ihr Risikoverhalten zu erinnern. Ebenfalls als schwierig erachteten sie das Schildern von Phasen, die sich stark von derjenigen unterschieden, in der sich die Interviewten zum Zeitpunkt des Interviews gerade befanden. So konnten sich Konsumierende angesichts der typischen Population offener Szenen gar nicht mehr vorstellen, wie es war, als sie sich selbst über einen gewissen Zeitraum darin bewegten. Dazu ein Zitat aus einem Interview: «Wenn ich das heute mir so überlege und das erzähle, weißt du, und wenn ich heute auf die Gasse gehe, schauen gehe und die Leute so sehe, … dann muß ich sagen, dann staune ich, ob ich überhaupt auch einmal so gewesen bin. Also weißt du, das fährt mir dann sehr ein und ich habe das gar nicht so in Erinnerung» (#15, 10/5-10).10
Die erwähnten Probleme haben teilweise dazu geführt, daß die Interviewten Zusammenhänge zwischen biographischen Phasen und Erfassungswahrscheinlichkeiten als unbegründbar betrachteten. Dies erklärt sich daraus, daß die erwähnten Zufallsfaktoren vorwiegend im sozialen oder drogenpolitischen Kontext lokalisiert werden, was aus der Perspektive der Konsumierenden denn auch den Hauptteil potentiell fehlender Kontrollierbarkeit der eigenen Drogenkarriere ausmacht.
Durch die methodische Vorgehensweise hat sich gezeigt, wie hochgradig komplex und dynamisch Drogenbiographien verlaufen, denn biographischer Wandel sowie sozialpolitische Entwicklungen sind sich fortlaufend verändernde Größen. Dies schlägt sich nicht nur in den Problemen bei der Selbst Rekonstruktion von Lebensläufen nieder, sondern auch dementsprechend in den methodischen Schwierigkeiten, Veränderungen von Erfassungs- und Medizinalisierungswahrscheinlichkeiten im Zeitverlauf zu erfassen.
3.5 Die Dynamik des Drogengebrauchs
Im öffentlichen, zum Teil aber auch im wissenschaftlichen Diskurs herrscht nach wie vor die Meinung, Drogenkarrieren seien durch einen fatalistischen Determinismus11 geprägt, der sich in einem quasi-automatischen, unilinearen Verlaufsmodell beschreiben ließe. Die unterstellten Analogien zu «abwärtsgerichteten» Entwicklungsverläufen physisch oder psychisch degenerativer Krankheitsbilder schlagen sich denn auch in den Deszendenz- oder Verelendungstheorien nieder, in denen ein Bild der Unaufhebbarkeit von Drogenabhängigkeit gezeichnet wird, zumindest bezüglich Prognosen zu selbstinduzierten Ausstiegsversuchen oder erfolgreichen Ausstiegen aus Drogenkonsumkarrieren.
Die im Rahmen dieser Untersuchung erfaßten Biographien hingegen zeigen sowohl große Variationen über das gesamte Sample der interviewten Personen wie auch eine beachtliche Dynamik innerhalb der einzelnen Konsumverläufe. Zur Illustration sind hier sechs Konsumverlaufskurven graphisch dargestellt. Die Fälle 1 und 2 beschreiben die Konsumkarrieren institutionell erfaßter Drogenkonsumierender. Die Fälle 3 und 4 beschreiben die Konsumverläufe solcher Personen, die sich lediglich an den Hausarzt gewandt haben, um Unterstützung zu erhalten, beispielsweise in Form von Substitution mit verschriebenen Opiaten. Es handelt sich also gemäß unserer Definition nicht um institutionell erfaßte Drogenkonsumierende. Die Fälle 5 und 6 schließlich sind Konsumverlaufskurven von Personen, die sich über die gesamte bisherige Drogenbiographie höchstens auf die Unterstützung privater, nicht professionalisierter Sozialkontakte bezogen haben.
Die Konsumverläufe integrierter Drogenkonsumierender weisen zum Teil ebenso kompulsive Phasen auf wie diejenigen institutionell erfaßter Konsumierender, vor allem was die Konsumintensität anbelangt, aber auch bezüglich der zeitlichen Dauer solcher Phasen. Umgekehrt haben auch institutionell erfaßte Drogenkonsumierende mehr oder weniger lange Phasen durchlebt, in denen sie kontrolliert konsumierten oder in denen sie praktisch abstinent lebten.
Konsumverläufe institutionell erfaßter Konsumierender, Fall 1 und Fall 2
Konsumverläufe integrierter, aber medizinalisierter Konsumierender,
Fall 3 und Fall 4
Konsumverläufe integrierter Konsumierender, Fall 5 und Fall 6
Es kann nicht als gesichert betrachtet werden, daß Konsumhäufigkeiten und physische oder psychische Verfassung miteinander korrelieren. Gängige Therapie- und Präventionstheorien setzen diesen Zusammenhang in der Regel zumindest implizit voraus. Aus der vorliegenden Untersuchung ergibt sich jedoch, daß Drogenkonsum und soziale oder gesundheitliche Verelendung nicht zusammenfallen müssen. Dies weist darauf hin, daß die bis heute in der Drogenforschung dominierenden drogenspezifischen Modelle über Suchtverläufe dem eigentlichen Problem, gefährdende und protektive Faktoren im Prozeß des Umgangs mit Drogen zu bestimmen, nicht gerecht werden, da sie kaum erklärenden Charakter aufweisen. Der Nutzen solcher Modelle ist bestenfalls klassifikatorisch. Zur Erklärung von Suchtverläufen und zur Beantwortung der Frage nach den Ressourcen, die sozial unauffällige Suchtverläufe ermöglichen, sind sie ungeeignet. Hierzu müssen die wechselseitigen Beziehungen von sozialem Kontext, individuellen Persönlichkeitsmerkmalen und Eigenschaften der Droge gleichwertig berücksichtigt werden.
Da Drogenkonsumverläufe sowohl von zum Teil seit Jahren integrierten als auch von institutionell erfaßten Drogenkonsumierenden dynamisch und in ihrer Entwicklung komplex und grundsätzlich offen sind, stellen sich folgende Fragen:
• Weshalb kann eine drogenkonsumierende Person ihren Drogenkonsum komplementär zu den gesellschaftlich geforderten Alltagshandlungen aufrechterhalten, während eine andere dies nicht mehr leisten will oder kann?
• Welches sind die soziologisch erklärbaren Gegebenheiten, die die Reproduktions- oder Transformationsprozesse innerhalb eines Konsumverlaufs begleiten und beeinflussen?
• Welche subjektiv wahrgenommenen und objektiv gegebenen sozialen, ideellen und materiellen Ressourcen und Problemlagen liegen jeweils im Verlaufe einer Lebensgeschichte vor? Auf welche Ressourcen wird bei einer Verlaufsänderung zurückgegriffen?
• Welche subjektiven Bedeutungen messen Individuen ihrem Drogenkonsum bei, und wie schlägt sich dies in den Umständen ihres Konsums, in ihrem Risikobewußtsein, in dem praktizierten, drogenorientierten Lebensstil und in drogenspezifischen Identitätsarrangements nieder?
Zur Beantwortung dieser Fragen sind die zentralen soziodemographischen Merkmale (Alter, Geschlecht, Konsumdauer, Alter bei Konsumbeginn) beschrieben. Sodann sind einzelne Phasen (Einstiegs-, Unterbrechungs-, Ausstiegs- und Abstinenzphasen) der qualitativ analysierten Konsumkarrieren kommentiert. Danach wird auf der Grundlage theoretischer Überlegungen zum Begriff der Karriere der Handlungs- und Kontrollspielraum drogenkonsumierender Individuen diskutiert. Die deskriptiv-interpretative Analyse des qualitativen Datenmaterials zeigt potentiell protektive Faktoren, die für ein Aufrechterhalten der Immunität gegenüber Sanktions- und Kontrollinstitutionen von entscheidender Bedeutung sind.
3.6 Beschreibung der mittels qualitativer Methoden untersuchten Population
Die Analyse des Datenmaterials dient dazu, Thesen zu entwickeln, die zur Erklärung von Differenzen zwischen typischen Lebensläufen institutionell erfaßter beziehungsweise integrierter Drogenkonsumierender herangezogen werden können. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf jenen Faktoren und Zusammenhängen, die für einzelne Drogenkonsumierende protektive Wirkungen gegenüber dem Zugriff gesellschaftlicher Institutionen im repressiven und medizinischen Bereich haben und damit Indikatoren für einen gesellschaftlich integrierten Gebrauch harter, illegaler Drogen darstellen.
3.6.1 Soziodemographische Merkmale
Das Alter aller interviewten Personen, der 17 integrierten und der acht institutionell erfaßten Drogenkonsumierenden, lag zum Interviewzeitpunkt zwischen 21 und 42 Jahren bei einem Durchschnittsalter von 30,5 Jahren. Die integrierten Drogenkonsumierenden sind durchschnittlich 31 Jahre alt. Die institutionell erfaßten Drogenkonsumierenden sind zwischen 22 und 31 Jahre alt, durchschnittlich 28,5. Das Durchschnittsalter aller interviewten Personen ist höher als dasjenige der zwischen 1990 und 1994 angezeigten und dasjenige der an den Folgen des Drogenkonsums verstorbenen Personen.12 Die Interviewenden, die zwischen 25 und 40 Jahre alt waren, haben wohl eher Zugang zu gleichaltrigen Konsumierenden harter, illegaler Drogen gefunden als zu jüngeren Konsumentinnen und Konsumenten. Die Varianz des Alters in immunen Netzwerken ist relativ klein, was uns auch Befragte bestätigten, so daß durch den Kontakt zu einer Person in der Regel keine weiteren gefunden werden konnten, die wesentlich älter oder jünger sind. Bei der Auswahl der institutionell erfaßten Konsumierenden wurde darauf geachtet, daß die Alterszusammensetzung innerhalb der Gruppe derjenigen der integrierten Drogenkonsumierenden entspricht.
Von den insgesamt 17 Interviews mit integrierten Konsumierenden wurden vier mit Frauen geführt und 13 mit Männern. Die Gruppe der institutionell Erfaßten setzt sich aus drei Frauen und fünf Männern zusammen.Die Schichtzugehörigkeit variiert von der Unterschicht bis zur Oberschicht, alle herkömmlichen Klassen sind vertreten.
3.6.2 Konsum- und karrierespezifische Merkmale
Einstiegsalter und Dauer des Drogenkonsums
Die Gruppe der integrierten Drogenkonsumierenden weist eine mittlere Dauer des Drogenkonsums von 10 Jahren auf, gemessen vom Erstkonsum harter, illegaler Drogen bis zum Interviewzeitpunkt. Dies entsprich den in anderen Datenbeständen gefundenen Werten, die in Kapitel 4.3.6 vorgestellt werden. Der kürzeste Konsumzeitraum ist 3 Jahre, der längste 17 Jahre. Für die institutionell erfaßten Personen betragen die entsprechenden Werte 7 Jahre, 3 Jahre und 15 Jahre. Die mittlere Dauer des bisherigen Konsums hängt in erster Linie vom Alter der befragten Personen ab.
Bei den integrierten Drogenkonsumierenden liegt das Alter zu Konsumbeginn zwischen 15 und 36 Jahren13 bei einem Durchschnittsalter von 21 Jahren. Das Einstiegsalter der institutionell erfaßten Drogenkonsumierenden liegt mit 15 bis 24 Jahren mit einem Durchschnittsalter von 20 Jahren etwas niedriger.14
Wegen der regelmäßig auftretenden Zeiten der Abstinenz zwischen den Konsumphasen ist nicht nur der Abschluß einer Drogenkarriere schwer zu definieren, sondern auch die Konsumdauer. Retrospektiv werden in der Regel auch Abstinenzphasen zur gesamten Konsumdauer gerechnet. Dies ist ein zentrales Problem bei der Bestimmung der Inzidenz und der Remission, das heißt der Einstiegs- und Ausstiegsraten, wie sie in Kapitel 4.4.2 dargestellt sind.
Erstkonsum und Einstiegsphasen
Die in den Rekonstruktionen der Drogenbiographien geschilderten Einstiegsphasen weisen sowohl auf Gemeinsamkeiten als auch auf markante Unterschiede zwischen den untersuchten Gruppen hin.
Sowohl die integrierten als auch die institutionell erfaßten Drogenkonsumierenden nennen Neugierde und Interesse als die entscheidenden Motive zum erstmaligen Konsum harter, illegaler Drogen. Auch daß der erste Konsum harter, illegaler Drogen gemeinsam mit einer oder mit mehreren nahestehenden Personen stattfand, unterscheidet die Gruppen nicht.15
Tendenzielle Unterschiede zeigen sich jedoch in den rekonstruktiv geschilderten Einstiegsphasen bezüglich der psychosozialen Kontexte und der Instrumentalisierung des Drogenkonsums sowie in den subjektiven Theorien über den Drogengebrauch. Die in Institutionen interviewten Drogenkonsumierenden stellen den situativen Kontext, in den der Erstkonsum harter, illegaler Drogen eingebettet war, als eine problembeladene Zeit dar. Sie thematisieren überwiegend Adoleszenzprobleme, aber auch Konflikte im Zusammenhang mit beruflicher Ausbildung, mit beruflicher Identität, mit sozialen und emotionalen Beziehungen und Bindungen, aber auch generelle Fragestellungen der Sinnfindung. Sie ziehen Neugierde und Interesse in diesem Kontext als Rechtfertigungsmotiv heran, um den Drogenkonsum als subjektive Problemlösungs- oder Verdrängungsstrategie zu erklären. Dies zeigt sich klar in den Interviewsequenzen, in denen der Konsumeinstieg begründet wird. Hier richtet sich der Fokus auf die Beschreibung einer konfliktbeladenen Lebenssituation: der prügelnde, alkoholkranke Vater (#F) oder die Mutter, die dem Lehrling keine abendlichen Ausgänge erlaubt (#G). Ein emotional belastendes Zusammentreffen mit der Mutter benennt eine Konsumentin ganz direkt als Anlaß für den ersten Drogenkonsum: «Die Polizei hat mich dann in diesem Café aufgegriffen, und meine Mutter hat draußen gewartet. Ich weinte: ich will nach Hause, ich will nach Hause, nur nach Hause. Aber meine Mutter sagte: Das kommt nicht in Frage, zurück dorthin! [ins Lehrlingsheim]. (…) Also ich fand, nicht einmal eine Nacht nimmt sie mich heim. Dann habe ich den [Bekannten] eben getroffen und er sagte zu mir: Willst du es jetzt mal? Ich hatte den ein paar Monate nicht mehr gesehen und ich sagte: ja, warte mal. Das war für mich das erste Mal» (#C, 3/24-31). Daß institutionell erfaßte Drogenkonsumentinnen und -konsumenten ihren Erstkonsum als in eine problembeladene Phase eingebettet darstellen, kann auch als Folge von Therapieerfahrungen gesehen werden, die diese Personen in der Regel gemacht haben. Nicht integrierte Drogenkonsumierende berichten über für sie negative Erfahrungen, wenn die Therapeuten, anstatt praktische Lebenshilfe zu vermitteln, persönliche Grundkonflikte auszuloten versuchen, die ihrer Ansicht nach die Ursache des Drogenkonsums darstellen.16
Integrierte Drogenkonsumierende weisen demgegenüber darauf hin, daß der Beginn ihrer Drogenkarriere im Zusammenhang mit tendenziell hedonistischen, aktiv-freizeitlichen Kontexten gestanden habe: «Das allererste Mal? Hm. Ja, Motivation? Eben, es ist angeboten worden, wir sind in einem Freundeskreis gesessen, haben irgend so ein Spielchen gemacht, und es hat gerade so gut dazugepaßt, um so ein bißchen aus sich heraus zu kommen» (#8, 1/41-45). Der Einstieg wird auch als bewußt gewählte Möglichkeit betrachtet, bereits mit anderen Substanzen gemachte Erfahrungen zu erweitern: «Als wir angefangen haben, Drogen zu nehmen, waren Bewußtseinserweiterung und so wichtige Wörter. (…) Statt zusammen eins zu rauchen, haben wir halt eins gesnifft oder gedrückt. Gesellschaftlich war das eine entspannte Sache» (#3, 1/27-33). In den Begründungen erhält die Beschreibung der Erwartungen vor dem Erstkonsum einen zentralen Stellenwert: «Ich bin mir sehr gut bewußt gewesen, was es ist, oder was du zu erwarten hast. (…) Und das hat mich schlichtweg interessiert» (#11, 2/8-11). Sie betonen den Reiz des Neuen, Unbekannten, Verbotenen, das Abenteuerliche des veränderten Zustandes. Der Drogenkonsum sei in Aktivitäten integriert, denen man sich auch vor der Konsumaufnahme bereits lustgewinnend gewidmet hatte: «Auf Koks bist du … du fühlst dich sehr klar und sehr wach, und du bist auch sehr sozial aufgelegt und kannst es viel mehr sozial genießen» (#4, 2/52-54).
Ein anderer Weg zum Erstkonsum harter, illegaler Drogen besteht darin, allgemein bekannte Drogenumschlagplätze erfolglos aufzusuchen, um andere Drogen, zum Beispiel Haschisch, zu kaufen: «Keiner hat einen Bollen gehabt, und alle haben dir irgendwie Sugar oder Cola anbieten wollen und irgendwie … ja, wir sind einfach spitz gewesen auf irgend etwas zu nehmen und … und dann ist es eigentlich das erste Mal passiert, daß ich … das Pulver genommen habe, weil es einfach kein Hasch gehabt hat» (#14, 3/6-10).
Der Erstkonsum kann aber auch in Phasen stattfinden, die sich durch räumliche oder kulturelle Distanz zur gewohnten Umgebung auszeichnen. Ausgedehnte Reisen nach Südamerika oder Asien beispielsweise sind Lebenszusammenhänge, in denen zum Teil sehr kompulsiv harte Drogen konsumiert werden. Die kulturelle Einbettung dieser Drogen, verbunden mit der notwendig gewordenen Neudefinition von Raum und Zeit, bauen bisher aufrechterhaltene Urteile und Vorurteile gegenüber diesen Drogen und die dazugehörenden konsumhemmenden Ängste ab.17
Informiertheit und Kontrollüberzeugung
Alle interviewten Drogenkonsumierenden weisen darauf hin, daß sie zumindest «vom Hörensagen» eine mehr oder weniger konkrete Vorstellung über die Drogen und deren Wirkung hatten, bevor sie diese zum ersten Mal konsumierten. Die integrierten Konsumierenden sind jedoch überzeugt, daß es möglich sei, harte Drogen zu nehmen und dabei die Kontrolle über den Konsum zu behalten, und zwar sowohl bezüglich Kokain als auch Heroin. Mehr als die Hälfte der institutionell erfaßten Konsumierenden hingegen berichtet explizit von einem Angstgefühl vor dem Erstkonsum von Heroin:18 «Ich habe eigentlich genau gewußt, wenn ich mich jetzt entscheide, dann ist es eine Entscheidung, die bleibt. (…) Ich habe so eine panische Angst vor dem gehabt, grauenhafte Angst, oder. (…) Weil ich eben genau gewußt habe, daß ich mich für den Untergang entscheide, irgendwie» (#C, 3/32-33, 42-43, 46-47).
Die internale Kontrollüberzeugung einer Person hat einen erheblichen Einfluß auf die Einschätzung einer Situation und deren Bewältigung.19 Zwar lassen sich keine grundsätzlichen Aussagen hinsichtlich der Persönlichkeitsdisposition erfaßter Konsumierender machen, ihre Schilderungen der Einstiegsphase weisen aber zumindest auf eine geringe internale Kontrollüberzeugung im Zusammenspiel mit objektiven Faktoren externaler Kontrolle hin. Im Gegensatz dazu vermitteln die Berichte der integrierten Konsumierenden den Eindruck hoher internaler Kontrollüberzeugung, die es ihnen immer wieder ermöglicht, selbständig Strategien zur Bewältigung kritischer Situationen zu entwickeln. Ein integrierter Kokainkonsument stellt sich, sollte ihm sein Konsum einmal entgleiten, seine Reaktion folgendermaßen vor: «Also ich habe das Gefühl, das muß irgendwie … ja … der Selbstschutz dann irgendwie spielen oder … also ich denke, du kannst dich nicht darauf verlassen, daß wenn du es nicht mehr im Griff hast, daß dann jemand kommt und sagt, du hast es nicht mehr im Griff. Ich denke, daß … du mußt so wach sein, daß du selber spürst … ich meine, sonst könnte es dann plötzlich zu spät sein» (#13, 20/44-49).
Konsummuster, Konsumkontrolle, Konsumhäufigkeit und -intensität
Wie bereits die Betrachtungen der Einstiegsphasen und -motivationen integrierter Drogenkonsumierender gezeigt haben, spielt für die Mitglieder dieser Population das Konsumieren von Drogen in der Gemeinschaft mit Freunden und in der Freizeit eine zentrale Rolle. Sie halten dieses Konsummuster tendenziell auch im weiteren Verlauf der Konsumkarriere aufrecht: «Alleine habe ich noch nie konsumiert, höchstens, wenn ich genau gewußt habe, daß ich innerhalb der nächsten halben Stunde zu Kollegen gehe, mit denen ich es fortsetzen werde» (#8, 2/19-22). «Also, was mir vor allem gefällt, ist die Entspannung, das Abschalten können. Also jetzt, wo ich weiß, was es bedeutet, schätze ich vor allem diesen Aspekt, die Sorgen vergessen zu können. Mich um nichts mehr kümmern zu müssen» (#3, 3/2-5).
Bei institutionell erfaßten Drogenkonsumierenden wird der Drogenkonsum oder die Versorgung mit Drogen, zumindest in der letzten Phase vor dem selbst- oder fremdinitiierten Schritt in die Institution beziehungsweise in die Therapie, zur lebensdominierenden Handlungspraxis: «Kaum habe ich jeweils das Haus verlassen, bin ich sofort abgestürzt» (#F, 4/12-13). Die Strukturierung des Alltags folgt den mit dem Drogenkonsum verbundenen Erfordernissen.
Integrierte Drogenkonsumierende hingegen scheinen über fast alle Phasen ihrer Drogenkarriere keine primär an den Konsum gebundene Alltagsorientierung aufzuweisen. Beziehungen zu nicht drogenkonsumierenden Bezugspersonen und legale Erwerbsquellen, in der Regel Lohnarbeit, halten sie über die ganze Zeit aufrecht, was nicht heißen soll, daß sie gelegentlich nicht auch zusätzlich illegale Einkünfte, etwa durch den Handel mit Haschisch, erzielen. Der Drogenkonsum beeinflußt die Alltagsstrukturierung nicht oder nur geringfügig. Nicht erfaßte Konsumierende integrieren den Konsum in die bestehenden Strukturen und praktizieren ihn unter deren Aufrechterhaltung und Berücksichtigung: «Ich schaffe mir Freiräume. Das kollidiert dann auch nicht mit meiner Arbeit. (…) Und das ist für mich etwas Grundsätzliches, das man eben trennt: hier die Arbeit und da in dem Sinne eine andere Arbeit: Bewußtseinserweiterung, Erholung oder ‚Flashen‘. Ich halte das auseinander, weil … das ist für mich wichtig» (#7, 2/22-27). In einigen Fällen instrumentalisieren sie die Einnahme harter, illegaler Drogen jedoch gerade für die Arbeit. Kokain und Heroin dienen dazu, Unlust zu bekämpfen. Ein integrierter Konsument berichtet, daß er morgens früher zur Baustelle gekommen sei, um gemeinsam mit einem Kollegen Heroin von der Folie zu rauchen (#10, 14/28). Ein anderer, der im Gastgewerbe tätig ist, beschreibt seinen Umgang mit Kokain, besonders in Zeiten der Überforderung, mit folgenden Worten: «… also es nervt nicht, ich bin einfach etwas distanzierter, es nervt mich dann nicht mehr. Weil mehr als drei mal [Tage hintereinander] arbeiten im Gastgewerbe, dann fängt es an zu nerven. Und dann bist du müde und gereizt und hast das Gefühl gehabt, eine Linie rauf und dann ‚ptt‘ geht’s einfacher» (#13, 9/39-42).
Relativ einheitlich sind auch die Handlungsstrategien integrierter Konsumierender, den fortgesetzten Konsum harter illegaler Drogen derart unter Kontrolle zu halten, daß die Immunität gegenüber der Polizei möglichst gewährleistet bleibt und auch die Inanspruchnahme professioneller, öffentlich-institutioneller Hilfe vermieden werden kann. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Berücksichtigung ökonomischer Aspekte, verbunden mit der Ablehnung illegaler Mittelbeschaffung, zu erwähnen. Integrierte Drogenkonsumierende unterwerfen Konsummenge und muster relativ streng der jeweiligen Budgetrestriktion. Der Droge schreiben sie dabei meist die Bedeutung eines Luxusgutes, also eines superioren Gutes im neoklassischen Sinne, zu: «Erstens ist es viel zu teuer und zweitens hätte ich wohl viel zuviel Zeit darauf verwendet, mich einfach nur noch zuzuputzen und dem nachzurennen» (#5, 2/17-19). Oder: «Und was ich nie gemacht habe, was viele machen: so zwischendurch einfach zwei, drei oder gar vier Tage nonstop; das ist bei mir schon rein vom Geld her nicht möglich» (#7, 2/5-7). Im Gegensatz dazu berichten die Mitglieder der Kontrollgruppe allesamt von Konsumverhalten, das eine Budgeterweiterung nötig machte, die sie oft durch illegale Einkünfte deckten.
Die Interviewten der Kontrollgruppe begründen den Wechsel von Rauchen oder Sniffen zu intravenösem Konsum fast alle ökonomisch im Sinne einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Einer der befragten Konsumenten kommentiert seinen Wechsel zu intravenöser Applikation mit folgenden Worten: «… habe ich ziemlich bald mal gefunden, ja, du weißt ja eigentlich, wie du dir die Pumpe setzen kannst und das kommt viel billiger» (#6, 4/27-28). Ein integrierter Konsument, über den ökonomischen Nutzen des intravenösen Heroinkonsums reflektierend, kommt zum entgegengesetzten Schluß: «Am Anfang ist es billiger, ja. Nein, aber auch dort (…) dann reichen vielleicht am Tag drei Schüsse und das wird sich einfach summieren bis … bis äh pro Stunde ein Schuß» (#10, 24/35-37). Integrierte Konsumierende geben im Falle einer Aufnahme intravenösen Gebrauchs denn auch keine ökonomischen, sondern durch Interesse oder Neugierde geleitete Motive an. Der oft anzutreffende Verzicht auf intravenösen Konsum unter den integrierten Drogenkonsumierenden wird am häufigsten durch die Angst vor Spritzen erklärt, dem Vergewaltigen und Verletzen des Körpers oder durch die Angst, mit dem intravenösen Konsum eine Abhängigkeit heraufzubeschwören, also die Kontrolle über die Droge zu verlieren. Wenn sie die Drogen spritzen, stellen die integrierten Konsumierenden ihr Konsumverhalten auf das von ihnen erwartete erhöhte Abhängigkeitspotential ein: «Ich habe in einem guten Rhythmus gespritzt, am Anfang sehr selten. Ich habe mir Zeit gelassen, manchmal ein bißchen mehr, manchmal ein bißchen weniger, nie mit einer großen Regelmäßigkeit. Manchmal vielleicht schon drei mal die Woche, aber dann wieder einen Monat nicht mehr» (#3, 1/14-17).
Momente subjektiv wahrgenommener Abhängigkeit und Kontrollverlust können sich aber auch einstellen, wenn die Konsumierenden die Drogen nicht intravenös applizieren. Die Sorge um die körperliche Verfassung, die Feststellung, am Arbeitsplatz nicht mehr dieselbe konzentrierte Leistung erbringen zu können, oder ganz einfach die Einsicht, die letzten paar Wochenenden immer unter Einfluß von Drogen verbracht zu haben, deuten sie als warnende Signale. Typische Reaktionen auf solche Erfahrungen sind das Vorbereiten und disziplinierte Durchführen von selbstinitiierten Phasen des «Runterdosierens» oder gar von Unterbruchsphasen, die beim Heroinkonsum mit körperlichem Entzug einhergehen können. Die damit verbundenen Veränderungen betreffen nicht bloß den Konsumbereich. Die Einschätzung, die Kontrolle über den Drogenkonsum zu verlieren, kann dann als möglicher Ausdruck der gesamten Lebensführung erscheinen. Die Konsumierenden hinterfragen den Alltag kritisch und unternehmen gezielt Anstrengungen, sich von diesem zu distanzieren. Sie schalten Pausen ein, verreisen in die Ferien, führen Ersatzhandlungen oder programme ein, suchen bestimmte Personen oder Räumlichkeiten über eine gewisse Zeit nicht mehr auf und versuchen, belastende Lebensumstände zu verändern. Welche Strategie sie auch immer wählen, wichtig ist, die Situation wieder so unter Kontrolle zu bringen, daß überzeugende Veränderungen erfahrbar werden. Einige Interviewte haben diesbezüglich einen richtiggehend ritualisierten Umgang gefunden, so daß von einer Kontrolle über Kontrollverluste gesprochen werden kann. Auf die Frage, was entscheidend sei, damit sich keine Abhängigkeit einstelle, kommt beispielsweise die Antwort: «Ja, wahrscheinlich vor allem aus einer Eitelkeit heraus, weil ich mich selber angekotzt habe, wenn ich gesehen habe, daß es ’nitzi‘ geht mit mir (…) Da sage ich zu mir: so, jetzt mag ich nicht mehr, bis ich wieder ‚zwäg‘ bin» (#9, 1/28-38). Deshalb ist es auch nicht erstaunlich, daß die Strategien nicht auf eine dauerhafte Abstinenz hin ausgerichtet sind, sondern daß sie es ermöglichen sollen, den Konsum harter Drogen und funktionale Alltagsanforderungen immer wieder miteinander in Einklang zu bringen und die Lust am Konsum beizubehalten.
Eine große Bedeutung für Versuche, dem drohenden oder eingetretenen Kontrollverlust entgegenzuwirken, hat auch das jeweilige soziale Netz. Integrierte Drogenkonsumierende vertrauen Probleme, die sie als Folgen des Drogenkonsums wahrnehmen, den Mitgliedern ihrer Bezugsgruppe an, gerade auch ebenfalls konsumierenden Personen, und bekommen von diesen Verständnis und Unterstützung: «Irgend einmal ist es mir zuviel geworden. Irgendwie habe ich ja trotz allem Scheiß, der gewesen ist [Kündigung, Arbeitslosigkeit], immer noch Freude am Leben gehabt. Und zwei Kollegen haben mir dann recht geholfen, daß ich wieder ‚obenabe‘ komme … wirklich zu mir geschaut, haben mich auch recht zusammengeschissen, wenn ich wieder drauf gewesen bin. (…) Ja, und wir haben dann einfach sehr lange Gespräche geführt und … ja es ist mir bewußt geworden, entweder hörst du auf oder stürzt irgendwie voll hinein» (#14, 9/19-23, 35-36).
Drogenbeschaffung und Drogenhandel
Bestimmte Arten der Drogenbeschaffung bieten eher einen Schutz gegen den Zugriff der Polizei als andere. Von den 17 integrierten Drogenkonsumierenden beziehen zehn (#1, #2, #4, #5, #7, #8, #12, #13, #16, #17) ihre Drogen ausschließlich und seit jeher über private Kontakte, wobei drei Personen ihren Konsum regelmäßig via ausländische Kontakte decken. Ein Mann (#15) verfolgt diese Strategie seit rund fünf Jahren. Er beschaffte sich vor einer knapp zweijährigen Abstinenzphase die Drogen während rund fünf Jahren hauptsächlich in den damaligen, halb-offenen Szenen. Zwei Personen (#10, #14) verhielten sich gerade umgekehrt. Während zwei (#10, Kokain) beziehungsweise fünf Jahren (#14, Heroin) bezogen sie die Drogen regelmäßig über private Kontakte. Nach einer siebenjährigen (#10) beziehungsweise vierjährigen Abstinenzphase (#14) begannen sie mit dem Konsum von Heroin, wobei sie sich beide seit rund drei Jahren die Droge hauptsächlich in der offenen Szene beschaffen. Lediglich zwei Personen (#9, #11) decken sich seit acht Jahren unregelmäßig von privater Seite oder in der offenen Szene für ihren Drogenkonsum ein (#9, Kokain und Heroin; #11, Kokain). Nur ein Mann (#6) hat sich während drei Jahren seine Drogen, hauptsächlich Heroin, aber auch Kokain, immer in der offenen Szene besorgt.
Das erhöhte Kriminalisierungsrisiko, das durch die Drogenbeschaffung in der offenen Szene gegeben ist, bildet einen wichtigen Grund für integrierte Konsumierende, dieser fern zu bleiben. Ein gewisses Distinktionsmoment spielt dabei ebenfalls eine große Rolle. Integrierte Drogenkonsumierende betonen oft, daß sie sich mit Personen, die sich vorwiegend in den offenen Drogenszenen bewegen, nicht identifizieren können oder wollen. Sie legen Wert darauf, sich von diesen abzugrenzen. Sie meiden die offene Szene oder empfinden sie gar als abstoßend. Sie erklären sogar, daß sie nicht wüßten, wo welche Drogen zu beschaffen seien. Hingegen berichtet zumindest einer der befragten integrierten Konsumierenden explizit, daß die Szene auf der Straße ihn von Anfang an fasziniert habe und der Wunsch «dazuzugehören» sein Konsumverhalten durchaus gefördert habe: «Also das Zugehörigkeitsgefühl ist wahrscheinlich schon wichtig. Wenn du die Drogenszene von weitem betrachtest, dann braucht es halt schon einen gewissen Eintrittspreis, eben vielleicht daß du selber auch drauf bist, daß du dich zu diesen Leuten gesellen kannst. Und wenn es deine Freunde sind, und wenn du die Leute kennst, ist es eben schon ansteckend. Eine Drogenszene ist attraktiv. Für Leute, die es sonst in der Stadt langweilig finden, doch, es ist attraktiv, es läuft viel, viele Leute» (#3, 3/40-47). Ähnliches wird auch von nicht integrierten Konsumierenden berichtet. Die Szene als soziales Umfeld wird von ihnen durchaus positiv bewertet: «Etwas später ging ich ja dann auch auf die Gasse mit denen, also Platzspitz, und dort war’s so, daß du irgendwie gerade zu jedem gehen konntest und irgendwas quatschen … es war eine sehr freie Sache dort von dem her. Es haben dich auch viele Leute gleich angequatscht oder irgendwie sonst …» (#B, 1/51-54).
Von den 17 integrierten Drogenkonsumierenden treten bis auf drei Personen alle lediglich als Käuferinnen oder Käufer von harten, illegalen Drogen auf dem Schwarzmarkt auf. Als solche können sie auch dann noch bezeichnet werden, wenn sie gelegentlich oder regelmäßig größere Mengen einkaufen, um diese anschließend innerhalb ihres Netzwerkes weiterzuverkaufen. Dabei kann aber nicht von einem eigentlichen Handel gesprochen werden. Die Bezeichnung «kollektive Nach- oder Vorfinanzierung» ist hier eher angebracht. Ein Konsument umschreibt dies folgendermaßen: «Die Quelle, die ich habe, das ist ein Kollege, und der hat das von einem Kollegen, der das ab und zu holen geht (…). Das bleibt einfach untereinander, zum Einkaufspreis verteilt. Da haut niemand noch einen Fünfziger drauf oder gibt noch einen Löffel Mehl hinzu. Es ist auch von der Qualität her immer gute Ware» (#13, 16/20-27).
Die institutionell erfaßten Drogenkonsumierenden hingegen haben sich alle, mit Ausnahme einer Frau,20 zumindest im letzten Jahr vor der Befragung, regelmäßig auf der Gasse, also in der offenen Szene eingedeckt. Während dieser Phase waren alle, vorwiegend aus finanziellen Gründen, auch als Dealer in der offenen Drogenszene tätig.
Frauenspezifische Merkmale
Typischerweise verbinden Frauen die Muster ihres Drogengebrauchs eng mit ihren Beziehungen und dem Konsumverhalten des Partners. Eine integrierte Konsumentin schildert ihren Karriereverlauf als einen ständigen Wechsel zwischen zwei Männern. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, der schwer abhängig ist, konsumiert sie kompulsiv Heroin. Zwischendurch lebt sie immer wieder über längere Zeit bei ihrem Freund, der mit Drogen nichts zu tun hat und versucht, ihre Abhängigkeit unter seinem Einfluß in den Griff zu bekommen. Wenn diese Versuche scheitern, kehrt sie zu ihrem Mann zurück. Eine andere berichtet explizit, daß sie sich entsprechend ihrem Wunsch, Kokain zu konsumieren, den «passenden» Mann gesucht habe: «… ich hatte halt in meinem Ausgehtrip das Gefühl, eigentlich könnte jetzt mal Koks kommen und habe mir einen Mann dazu gesucht» (#17, 2/30-31).
Für eine nicht integrierte Frau ist ihre Beziehung zu einem nichtkonsumierenden Mann der Grund für eine achtjährige Phase der Abstinenz. Als der Mann beginnt, Drogen zu konsumieren, wird auch sie wieder abhängig: «Er läutete bei mir an der Tür, und ich bin fast zusammengebrochen, weil er, der mich quasi von allem acht Jahre bewahrt hatte in dem Sinne, kommt plötzlich selber auf Heroin (…) und irgendwann habe ich gefunden: Weißt du was, jetzt will ich es auch wieder mal wissen … Ja, und das war dann der Anfang von meinem zweiten Absturz, nach acht Jahren sauber» (#C, 6/43-45, 7/4-6).
Insbesondere in den Beziehungen der integrierten drogenkonsumierenden Frauen obliegt den Männern häufig die Beschaffung der Substanzen: «Also wie gesagt, ich mußte mir die [Drogen] nie besorgen, die waren im Prinzip immer da. Mein Mann hat sich darum gekümmert. Der hat dann dadurch, daß er damit gedealt hat, unseren Konsum finanziert. Und ich mußte da nie irgendwas machen. Es war einfach immer da» (#16, 14/15-18). Eine andere integrierte Frau antwortet auf die Frage, ob sie jemals selbst Heroin gekauft hat: «Nein, niemals. (…) Es wäre ziemlich unmöglich (…) ich habe die Leute der H-Szene nicht gekannt» (#2, 3/35-44, 4/1-2).
Eine integrierte Frau, die auch selbst mit Kokain gehandelt hat, schildert diese Tätigkeit als ein Geschäft, das sie gemeinsam mit ihrem Partner betrieb: «Ich hatte halt meine Connection und der Mann hatte auch seine Leute, an die er das weiterreichen konnte und ich hatte meine Leute, und wir haben dann irgendwie das beide gemacht» (#17, 3/18-20). Angefangen hat sie damit, um ihn zu beeindrucken: «… ich wußte ja, wo’s nun zu kriegen war (…) hab‘ dann … daß ich dann ein Gramm mitgebracht habe, auch um ihm zu imponieren und er auch tierisch darauf abgefahren ist, weil’s ne sehr gute Qualität war …» (#17, 2/36-38). Die Beziehung wird von der Frau als eine Phase exzessiven Konsums erlebt. Als die Zeit des kompulsiven Kokaingebrauchs zu Ende geht, bedeutet dies auch das Ende der Partnerschaft und der geschäftlichen Aktivitäten.
Eine nicht integrierte Frau berichtet hingegen, auch unabhängig von einem Mann an Drogengeschäften beteiligt gewesen zu sein: «Ich war dann den ganzen Tag auf der Gasse, zum Vermitteln. (…) Und das hat geheißen, von morgens bis abends für den Deal Kundschaft zu suchen. Oder für den Kunden einen Dealer zu suchen. Und dann kriegst du ein bißchen etwas davon ab, oder so» (#C, 4/17-23). Doch auch sie erhält die Drogen später für eine gewisse Zeit durch ihren Mann.
Integrierte Frauen beschreiben, daß Applikationsformen, die besondere Kenntnisse in der Aufbereitung und Durchführung voraussetzen, vom Partner ausgeführt werden. Wenn die Frauen intravenös konsumieren, setzen ihnen häufig die Männer die Spritzen, oft auch noch nach Jahren des Konsums: «… das Fixen war nicht schlecht, aber ich hab‘ das nicht selber gemacht, und das hat immer mein Mann gemacht bei mir …» (#16, 5/29-30). Von den erfaßten Frauen hingegen fixen alle selbst, außer in der Einstiegsphase.
An neue Applikationsformen werden die integrierten Frauen ebenfalls durch ihre Partner herangeführt: «Also er kam dann an mit dem Zeug und halt Spritzen, und das war irgendwie so ein Punkt, denn ich hatte gedacht, daß wir ‘Lines’ ziehen, und irgendwie hatte ich schon das Gefühl, daß es etwas gefährlicher ist und auch unangenehm» (#17, 4/11-14). Trotz ihres Unbehagens siegt ihre Neugier. Wie selbstverständlich konsumiert sie in dieser Situation ebenfalls intravenös, da die Spritzen und der Partner als Vertrauensperson mit dem notwendigen Fachwissen nun einmal da sind.
Die Partner der integrierten Frauen dienen diesen als Mittler zur Droge, erleichtern ihnen in unterschiedlicher Weise den Konsum oder ermöglichen diesen sogar erst. Eine Frau berichtet darüber hinaus, daß sie ein Stück weit die Verantwortung für die Häufigkeit und Intensität ihres Konsums an ihren Partner abgibt: «Also wir haben eine Vereinbarung, daß ich nicht alleine Heroin nehme. Das heißt, er hat die Kontrolle über meinen Konsum mit. Er hat nämlich auch ein großes Interesse daran, daß ich nicht abhängig werde und (…) daß er dann was sagt, wenn er das Gefühl hat, das könnte ausufern» (#17, 7/14-18). Über Phasen, in denen diese Frau konsumierte, ohne in einer festen Beziehung zu leben, berichtet sie jedoch auch, daß sie den Konsum sehr gut hätte allein kontrollieren können: «Also ich hatte auch das Gefühl, so wie ich es da genommen habe, sowohl Speed als auch Aitsch [Heroin], daß ich das durchaus auch mit allem anderen vereinbaren konnte» (#17, 5/7-9). Während dieser Zeit hat sie studiert und nebenher gearbeitet und unternahm auch längere Urlaubsreisen.
Nach den Darstellungen der integrierten Frauen sind ihre Partner «süchtiger» als sie selbst. Sie schildern nicht nur deren kompulsivere Gebrauchsmuster, sondern auch, daß diese Applikationsformen verwenden, die die Wirkung der Drogen intensivieren und die die Frauen selbst eher ablehnen. Eine Frau berichtet, wie sie mehrmals nach einer kurzen Zeit des intravenösen Konsums wieder auf «sniffen» umgestiegen ist: «Das habe ich immer problemlos geschafft. Ich war auch im Gegensatz zu meinem Mann nicht so schussgeil, daß ich unbedingt die Nadel brauchte» (#16, 6/5-6).
Den Frauen obliegt innerhalb der Beziehung häufig die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der sozialen Bedingungen, die als Voraussetzung für einen integrierten Konsum angesehen werden können. Häufig sind sie diejenigen, die konsequent ihre legale Erwerbstätigkeit aufrechterhalten und damit die finanziellen Grundlagen, wie Miete, Rechnungen und Lebenshaltung, abdecken: «Also das war so gewesen bei uns, also ich hab‘, also mein Gehalt war dazu da, die Miete, das Auto, die Versicherung und das ganze abzudecken. Und mein Freund hat sich halt um das Dope gekümmert» (#16, 3/24-26). Dieses Verhalten in Kombination mit ihren weniger kompulsiven Gebrauchsmustern erhält die protektiven Bedingungen für beide Partner und schafft ein Umfeld, in dem Kontrollverluste und unprotektives Verhalten des Mannes zu einem hohen Grad aufgefangen werden können, ohne zu einem Immunitätsverlust zu führen.
Tritt dieser Fall jedoch ein und der Mann wird verhaftet, werden die Frauen vor dem Zugriff durch die Organe des Repressionsystems geschützt: «Und wenn halt irgendwas war, dann ist auch immer gesagt worden, daß ich davon nichts weiß und wußte und nichts damit zu tun habe» (#16, 6/17-19). Die Rolle der Frau ist es, dem Mann im Fall der Verhaftung oder während des Gefängnisaufenthaltes unterstützend zur Seite zu stehen: «… daß ich den Kontakt zu meinem Mann nie abgebrochen habe. Ich habe ihn auch immer besucht, regelmäßig besucht» (#16, 9/17-19). Entsprechend der gesellschaftlichen Definition der Geschlechter bietet die Frau Fürsorge als Gegenleistung für den Schutz durch den Mann vor dem Zugriff der Instanzen repressiver Kontrolle.
Ausstiegsmotivation und Zukunftsorientierung
Ein Kriterium für die Aufnahme in die Untersuchung war, daß mindestens ein Konsumereignis innerhalb des letzten Jahres stattgefunden hat. Geht man von der Definition aus, daß von einem Ausstieg aus dem Drogenkonsum nicht gesprochen werden kann, wenn der letzte Konsum weniger als ein Jahr zurückliegt, wurden keine Aussteiger oder Aussteigerinnen interviewt. Im Datencorpus finden sich jedoch biographische Interviews mit Drogenkonsumierenden, deren letzte Konsumphase einen deutlichen Rückgang der Konsumintensität aufweist. Anhand der Schilderungen dieser Entwicklung ließen sich verschiedene Muster und Typisierungen unterscheiden, die zum Teil den in der wissenschaftlichen Literatur beschriebenen entsprechen.21
Gesellschaftliche Anforderungen, die im Verlauf eines Lebens auftreten, die Übernahme von Verantwortung für neue Aufgaben, persönliche Entwicklung oder eine Veränderung des sozialen oder räumlichen Umfeldes können mit dem gewohnten Lebensstil konkurrieren oder in Widerspruch geraten. Wenn diese Veränderungen, meistens in Form einer Wechselwirkung vieler Faktoren, eine Verminderung oder die Einstellung des Drogenkonsums zur Folge haben, so wird von einem Prozeß des Herauswachsens (maturing out) gesprochen. «Wenn du halt einmal weniger kannst, weil du noch eine Familie hast und so weiter, dann kannst du auch einmal weniger in den Wald und plötzlich hast du auch keine Lust mehr, morgens um fünf irgendwo auf die Sonne zu warten» (#11, 9/6-9).
Auch neu geknüpfte Beziehungen zu Personen außerhalb der Bezugsgruppe der Konsumierenden können neue Bedürfnis- und Interessenlagen mit sich bringen, die eine Reduzierung des Drogenkonsums bewirken. Daß persönliche Beziehungen und der Konsum harter, illegaler Drogen eng miteinander verbunden sind, zeigt sich auch dort, wo nach Verlust oder Auseinandergehen enger Kontakte, die den Rahmen für den Konsum bildeten, der Drogengebrauch über längere Zeit problemlos eingestellt werden kann.
Anlaß für die Verminderung oder Einstellung des Konsums illegaler Substanzen ist oft auch eine veränderte Wahrnehmung der Wirkung der Drogen. Die positive Einschätzung der wahrgenommenen Wirkung bedingt jedoch die Fortsetzung des Konsums.22 Andernfalls wird der Konsum nicht mehr als lustvoll erlebt: «Mir macht es heute keinen Spaß mehr. Also ich habe es gerade erst kürzlich wieder mal getestet und ich habe gefunden, bähh, das ist jetzt wirklich das Letzte, einfach nicht meine Droge. Nichts mehr, was mir entspricht» (#9, 2/44-47).
Eine positive Einschätzung der Wirkung steht oft auch im Zusammenhang mit dem Konsumsetting oder den Wirkungsdeutungen der Mitglieder der Bezugsgruppe, die in die eigenen subjektiven Theorien zum Drogenkonsum mit einfließen. Veränderte soziale Beziehungen können auf diese Entwicklung also ebenso Einfluß nehmen, wie die individuelle Veränderung zu einem Herauswachsen aus diesem Umfeld führen kann.
Erfahrungen der beschriebenen Art können für das Erlernen eines kontrollierten Konsumverhaltens oder für einen Ausstieg aus dem Drogenkonsum von großem Wert sein. «Erstens mußte ich arbeiten, und zweitens will ich nicht etwas, das Macht über mich hat, obwohl ich manchmal schon Lust hatte» (#2, 3/29-30). Auch «Rückfälle» erscheinen vor diesem Hintergrund in einem anderen Licht und können eher als Stationen auf dem Weg zu einem veränderten Konsummuster oder einem Ausstieg aus dem Konsum verstanden werden, denn als Versagen oder Wiederaufnahme überlebter Gewohnheiten.
Eine Reduktion oder Einstellung des Drogenkonsums kann auch aufgrund kognitiver Reflektion erfolgen. Anlaß für eine Neuorientierung kann eine einmalige Erfahrung oder auch ein längerer kognitiver Prozeß sein, der zu einer allmählichen Umwertung des Risikos führt: «Ich wollte einfach nicht mehr nehmen, weil ich gespürt habe, wie gefährlich es ist. (…) Ich wollte mich einfach nicht verlieren (#2, 3/8-12).
Integrierte Drogenkonsumierende beschreiben ihre ausstiegsorientierten Zukunftsvorstellungen beziehungsweise die Reduktion des Konsums als Folge des Zusammenspiels zweier Faktoren. Einerseits schildern sie eine zunehmende Isolierung, da immer mehr Bezugsgruppenmitglieder den Drogenkonsum eingestellt haben, andererseits kostet die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Drogenkonsum und dem Erfüllen gesellschaftlicher Anforderungen mehr Energie, als sie aufbringen können: »Also, im Moment habe ich das Gefühl, wenn ich es nehme, stürze ich gleich schneller ab. Also, früher konnte ich es besser ertragen, die Woche oder zwei danach. Von dem her glaube ich, es wäre Zeit aufzuhören. Es braucht immer mehr Kraft (#3, 2/16-21). Dieser Prozeß (burning out) läßt sich vor allem bei langjährigen Konsumierenden beobachten. Der hier Zitierte konsumiert seit 17 Jahren Heroin.
3.6.3 Dominante protektive Faktoren
Die Datenanalyse gibt Hinweise auf protektive Faktoren, die den kontrollierten Konsum harter, illegaler Drogen ermöglichen und einen gewissen Schutz vor einer Erfassung durch den Repressionsapparat oder das medizinische Hilfssystem bieten.
Arbeitsorientierung und soziale Netzwerke
Eine gesellschaftlich akzeptierte Arbeit und Berufstätigkeit und damit ein geregeltes Einkommen ist von entscheidender Bedeutung für einen sozial unauffälligen Drogenkonsum. Arbeit und Berufstätigkeit werden von integrierten Konsumierenden positiv beurteilt und sind in ihrer persönlichen Wertehierarchie verankert. Dementsprechend nehmen sie eine Beeinträchtigung dieses Lebensraumes durch den Drogenkonsum als negativ wahr. Für integrierte Drogenkonsumierende ist es typisch, daß sie ihren Konsum dann als kontrolliert bezeichnen, wenn sie ihn nach dem Motto «Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen» handhaben können. Die Wirkung eingenommener Drogen wird nur dann als positiv gedeutet, wenn der Konsum in Freiräumen stattfindet. Der Verlust der Arbeitsstelle und damit des sozialen Status insgesamt, in der Regel ein markanter Bruch in «typischen» Karriereverläufen, wird so vermieden.
Damit im Zusammenhang stehen die Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen, die nichts mit dem Drogenkonsum zu tun haben, und die Akzeptanz ökonomischer Restriktionen. Solange im persönlichen und beruflichen Bereich Kontakte zu nicht konsumierenden Personen bestehen, ist ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Lebenswelten gewährleistet, welches einen Kontrollverlust über den Konsum verhindern oder auffangen kann. Im Gegensatz zu Personen, die sich ausschließlich in einem drogenorientierten Umfeld mit ausschließlich drogenkonsumierenden Bezugspersonen bewegen, bleibt für die integrierten Konsumierenden die Existenz anderer Wertesysteme und Handlungspräferenzen immer relevant. Doch auch Netzwerke, die nur aus integrierten Konsumierenden bestehen, haben eine stützende Funktion in bezug auf die Integration des Konsums in die Alltagsstrukturen. Gegenseitige soziale Kontrolle ist üblich. Eine Abgrenzung zur offenen Szene erfolgt deshalb nicht nur aus Angst vor einem erhöhten Erfassungsrisiko, sondern auch, weil die Konsumierenden dadurch weiteren und häufigen Kontakt zu Personen vermeiden, die ihren Konsum nicht unter Kontrolle haben und damit eine Gefahr für die eigene Stabilität bilden können.
Die Berücksichtigung und Akzeptanz ökonomischer Restriktionen bietet einen doppelten Schutz. Ein Ausufern des Konsums und damit ein drohender Kontrollverlust wird automatisch verhindert, und illegale Mittelbeschaffung ist nicht notwendig. Typisch für integrierte Konsumierende ist es, daß sie den Drogenkonsum als Freizeitvergnügen ansehen, das sich, wie andere Hobbys auch, nach den finanziellen Möglichkeiten richten soll. Illegale Mittelbeschaffung, insbesondere der professionelle Drogenhandel, wird tendenziell abgelehnt, vor allem wegen der damit verbundenen Gefahr einer repressiven Erfassung und der Möglichkeit, daß es zu Konflikten mit anderen wichtigen Lebensbereichen kommen kann. Die meisten integrierten Drogenkonsumierenden lehnen bereits den Weiterverkauf harter, illegaler Drogen außerhalb des eigenen Kreises ab. Weshalb eine höchstens als selbstgefährdend einzustufende Handlung wie der Drogenkonsum strafbar sein soll, ist für sie jedoch nicht einsichtig und wird als eine Einmischung in den Umgang mit sich selbst empfunden. Daß der Konsum von Heroin und Kokain illegal ist, ist natürlich allen Drogenkonsumierenden bewußt. Trotzdem lehnen integrierte Konsumierende «illegales» Verhalten grundsätzlich ab. Der scheinbare Widerspruch löst sich auf der subjektiven Deutungsebene auf. Zwischen dem Konsum illegaler Drogen und dem Handel gibt es eine überzeugende qualitative Grenze. Dabei spielen jedoch die drohenden Sanktionen eine stärkere Rolle als eine perzipierte Unmoral. Deutlich zum Ausdruck kommt diese Haltung bei einem integrierten Konsumenten, als ihm auf einer Asienreise eine größere, offensichtlich zum Weiterverkauf bestimmte Menge Heroin angeboten wurde. «Dann haben wir am Abend immer unsere Opiumpfeife geraucht und irgendwann einmal ist der Besitzer am Abend ins Zimmer reingekommen da mit einem zwei Kilo Glas voll Sugar und hat gemeint, ob ich das kaufen wolle … habe ich gesagt nein jesses Gott, hat er gesagt, ich soll aber probieren, und so haben wir dann dort das Zeug gesnifft und geraucht» (#13, 4/21-26). Illegale Mittelbeschaffung wie Betrug, Diebstahl oder Raub sind demgegenüber Handlungen, die die Drogenkonsumierenden nicht so sehr wegen der Bestrafung, sondern aus innerer Überzeugung ablehnen.
Typisch für integrierte Konsumierende harter Drogen ist eine akzeptierende Haltung gegenüber den zentralen Werten der Industriegesellschaft und die Verinnerlichung einer bürgerlichen Arbeitsmoral. Daß der mehr oder weniger kontrollierte Konsum von Drogen aller Art dazu keinen Widerspruch bildet, zeigt sich am Beispiel der gesellschaftlichen Integration von Alkohol, Tabak und Psychopharmaka. Die gesellschaftliche Akzeptanz und Integration scheint sich zunehmend auch auf Cannabis auszuweiten, obwohl es sich dabei immer noch um eine illegale Droge handelt.
Körper- und Gesundheitsbewusstsein
Anstelle der gesellschaftlich definierten Begrenzung des Drogenkonsums durch die Gesetzgebung tritt für integrierte Konsumierende die individuelle Grenze des körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens. Drogenkonsum soll ein Vergnügen sein, soll Spaß machen. Dieser Anspruch wird jedoch dann bedroht, wenn das Wohlbefinden darunter zu leiden beginnt. Wie und wann dies geschieht, entscheidet die betroffene Person selbst. Die Beeinflussung des Wohlbefindens wie auch dessen Definition ist eine der subjektivsten Größen menschlichen Daseins. So haben die Befragten denn auch ihr Bewußtsein von Wohlbefinden sehr unterschiedlich beschrieben und entsprechende Kriterien für den Umgang mit harten, illegalen Drogen genannt. Die Vorstellung körperlicher Unversehrtheit kann demnach die Art der Applikation beeinflussen, so daß Drogen nicht gespritzt werden, weil dadurch die «intakte Körperhülle» verletzt wird. Einige definieren für die Intensität und Häufigkeit der Drogeneinnahme ein bestimmtes Moment, von dem an sie den Körper als «zu vergiftet» wahrnehmen. Integrierte Konsumierende schildern ihr psychisches Wohlbefinden als bedroht, wenn sie anderen als drogengebundenen Interessen und Bedürfnissen nicht mehr genügend nachgehen können. Soziales Wohlbefinden schließlich kann bereits durch das Gefühl ins Wanken geraten, andere könnten sie als ungepflegten, «verpennten» Menschen wahrnehmen. Ein sporadischer Heroinkonsument erzählt denn auch, er sei nicht abhängig geworden, weil: «vor allem aus einer Eitelkeit heraus, weil ich mich selber angekotzt habe, wenn ich gesehen habe, daß es ’nitzi‘ geht mit mir, oder wenn ich gemerkt habe, daß man mir ansieht, daß ich aussehe, wie wenn ich schlecht gepennt hätte. Ich konnte es einfach nicht haben, wenn ich gemerkt habe, daß ich vergiftet bin, deshalb sind die Abstände auch relativ groß gewesen, zwischendurch habe ich mir wieder einen Ruck gegeben» (#9, 1/29-36). In der Lebenspraxis integrierter Konsumierender haben die Kriterien subjektiven Wohlbefindens also eine bedeutende regulative Funktion für den Umgang mit dem Konsum harter, illegaler Drogen.
Autonomie
Als ein weiterer, den anderen übergeordneter protektiver Faktor kann das Bestreben angesehen werden, den Konsum harter Drogen autonom zu kontrollieren. Daß dies nicht immer über die ganze Konsumkarriere hinweg gelingt, relativiert die grundsätzliche Bedeutung dieser Einstellung nicht. Auch in Phasen, in denen den Konsumierenden die Kontrolle über den Drogenkonsum zu entgleiten droht oder sie diese als bereits verloren einstufen, sind Autonomiebestrebungen entscheidend, wenn die Unterstützung durch professionelle Institutionen vermieden werden soll. Durch jede erfolgreiche Umsetzung eigener Strategien wächst dabei die internale Kontrollüberzeugung bezüglich des Umgangs mit harten Drogen und der eigenen Lebenssituation im allgemeinen. Auch wenn das soziale Umfeld Kontroll- oder Entzugsbestrebungen unterstützt, so wird schließlich doch der Erfolg als Beweis der eigenen selbständigen Fähigkeit gedeutet.
Ein integrierter Heroin- und Kokainkonsument mit sehr kompulsiven Konsumphasen begründet seinen letzten Entzug damit, daß er wieder frei über sein Leben verfügen wollte: «Der Grund ist meine Verliebtheit gewesen, und ich habe die Frau gern gehabt und irgendwie, habe ich wieder unabhängig sein wollen. Weil … durch die Sucht vom Heroin ist man natürlich schon sehr gebunden, auch ortsgebunden, weil man hat seine Beziehungen, man hat seine Leute und … ich habe eigentlich wieder frei sein wollen und meiner Liebe Lauf lassen wollen (#15, 13/36-41).
Die zentrale Stellung autonomen Handelns verweist auf die Bedeutung individueller und sozialer Kompetenzen der Konsumierenden, die als deren Beitrag zur Erhaltung ihres sozialen Status und für ihr Selbstwertgefühl und Selbstbild von entscheidender Wichtigkeit sind.
Geschlecht
Grundsätzlich werden Frauen von der Repression erheblich weniger fokussiert als Männer. Dies gilt auch für den Drogenbereich (vgl. Kap. 4.2.2, 4.3 und 4.4) und ist das Ergebnis einer Wechselwirkung zwischen gesellschaftlich definierten Geschlechterrollen, entsprechender weiblicher Sozialisation und daraus resultierender Verhaltensweisen. Gemäß den gesellschaftlichen Rollenbildern sind Frauen weniger kriminell und gewaltbereit als Männer. Dementsprechend nehmen einerseits die vorwiegend männlichen Beamten, die im Drogenbereich eingesetzt werden, Frauen weniger als gleichwertige Gegner, möglicherweise sogar eher als schutzbedürftig wahr, was ein weniger rigides Vorgehen gegen sie zur Folge hat. Andererseits tendieren Frauen auf Grund ihrer Sozialisation tatsächlich zu anderen, weniger gewaltgeprägten Arten der Kriminalität als Männer. Dies gilt auch für die suszeptible Population der offenen Drogenszenen, innerhalb derer Beschaffungskriminalität und Handel mit Drogen weit verbreitet sind. Delikte wie Raub und Hehlerei sind dort eine Domäne der Männer. Typisch für Frauen hingegen ist Kriminalität in anderen Bereichen, beispielsweise Rezeptfälschungen, Warenhausdiebstahl, Betrügereien oder Gelddiebstahl am Arbeitsplatz. Eine erfaßte Konsumentin berichtet: «Ich arbeitete dann im Service, in einem Restaurant und machte 400-600 Trinkgeld pro Tag, also ich hinterschlug und unterschlug das. Das heißt, ich konnte das einfach abzweigen» (#C, 4/10-12).
Innerhalb der Händlerhierarchie dieser Szenen nehmen Frauen – wenn überhaupt – eher die unteren Ränge ein. Häufig sind sie lediglich als Vermittlerinnen zwischen Kunde und Dealer tätig, ohne selbst über Handelsware zu verfügen (vgl. Kap. 3.6.2). Das kriminalisierungsbedingte Zurücktreten des staatlichen Gewaltmonopols, das zumindest auf der Ebene der körperlichen Gewalt einen gewissen Schutz des Schwächeren gegenüber dem Stärkeren gewährleisten sollte, macht körperliche Überlegenheit in diesem rechtsfreien Raum zu einem Regulierungs- und Entscheidungsfaktor. Frauen haben daher, auch auf Grund ihrer sozialisationsbedingten geringeren Aggressionsbereitschaft, wesentlich schlechtere Voraussetzungen, sich in diesem Umfeld geschäftlich zu behaupten.23 Sie weichen auf Rollen aus, die ihrer Konditionierung eher entsprechen. Viele Frauen finanzieren ihren Konsum daher legal durch Prostitution. Auch wenn sie repressiv erfaßt werden, sind die sie betreffenden Maßnahmen in der Regel weniger schwerwiegend als bei Männern.24
Für die integrierten Frauen des Samples treffen ebenso wie für die Männer die bereits genannten Faktoren wie Arbeitsorientierung, Gesundheitsbewußtsein und autonome Kontrollbestrebungen zu. Darüber hinaus findet ihr Konsum häufig innerhalb von Beziehungen statt, in denen ihre Partner die Verantwortung übernehmen für den Umgang mit den Drogen (vgl. Kap. 3.6.2). Diese tragen insbesondere das Risiko einer repressiven Erfassung, weil sie vorrangig die Handlungen ausführen, die dieses Risiko bergen (Handel und Beschaffung), und weil sie die Frauen im Falle eines Zugriffs durch die Polizei schützen. In Kombination mit der Einstellung der Organe des Repressionssystems, die das kriminelle Potential von Frauen geringer einschätzen als dasjenige der Männer, verringert sich das Erfassungsrisiko für Frauen im repressiven Bereich durch dieses Rollenverhalten erheblich.25 Entsprechend geringer ist auch die Wahrscheinlichkeit, als Folge einer repressiven Erfassung medizinalisiert zu werden.
Auch weil die Männer häufiger für Beschaffung, Aufbereitung und Applikation der Drogen zuständig sind, behalten die Frauen ihre Hemmschwellen bezüglich des Umgangs mit den Substanzen. Der Konsum oder bestimmte Applikationsformen sind an die Präsenz des Partners gebunden. Dies beugt kompulsiven Gebrauchsmustern zwar nicht zwingend, aber doch tendenziell vor. Die freiwillige Inanspruchnahme der Angebote im medizinischen Sektor ist jedoch in der Regel die Folge kompulsiven, problematischen Konsums.
Alter
Fortgeschrittenes Alter wirkt vor allem im repressiven Bereich protektiv gegenüber Interventionen und ist somit für einen integrierten Gebrauch von Heroin und Kokain günstig. Anscheinend sind Personen im Alter bis zu 30 Jahren besonders prädestiniert für eine Erfassung durch die Organe der Repression, Männer noch stärker als Frauen. Dies gilt ebenso für eine Registrierung auf Grund von Drogendelikten (vgl. Kap. 4.3.4) wie für Verstöße in anderen Bereichen des Strafrechts.26
Personen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren integrieren sich normalerweise zunehmend in die Gesellschaft. Weisen sie jedoch offensichtlich nichtkonforme Verhaltensweisen und Kleidungsstile auf, die bei jüngeren Jugendlichen noch als Ausdruck pubertärer Entwicklung interpretiert werden, geraten sie dadurch automatisch in das Visier interventionistischer Organe. Verpflichtungen wie familiäre Einbindung, die Notwendigkeit zu arbeiten oder auch nur die Resignation auf Grund eines ständigen gesellschaftlichen Drucks führen dazu, daß abweichende Verhaltensweisen mit zunehmendem Alter seltener werden. Parallel dazu wird älteren Personen gesellschaftliche Integration und Normtreue zugeschrieben.
Das Leben der Drogenkonsumierenden in offenen Szenen ist eine mögliche Form der Devianz und kann als Ausdruck einer mit späten Adoleszenzproblemen verbundenen Suche nach alternativen Lebensstilen gesehen werden.27 Auch diese suszeptible Population zeichnet sich dadurch aus, daß in der Altersgruppe der über 30jährigen verstärkt Remissionen stattfinden. Drogenkonsumierende in offenen Szenen sterben häufig früher (vgl. Kap. 4.2.2), sie stellen den Konsum ein,28 oder sie entwachsen diesem Umfeld, weil sie sich, ohne unbedingt den Konsum aufzugeben, in gesellschaftskonformen Strukturen etablieren, die sich mit dem Lebensstil der offenen Szenen schlecht vereinbaren lassen. Dadurch wird bei den Organen repressiver Kontrolle das Bild eines jugendlichen Drogenkonsumierenden geprägt, das dazu beiträgt, bei älteren Personen, wenn sie nicht gerade erhebliche Auffälligkeiten aufweisen, keinen Drogenkonsum zu vermuten.
Für diejenigen, die über Jahre harte Drogen konsumiert haben, ohne erfaßt worden zu sein oder die erst spät mit dem Konsum begonnen haben, sinkt damit das Risiko einer repressiven Erfassung erheblich. Dadurch steigt wiederum die Medizinalisierungsimmunität dieser Personen. Zwangstherapeutische Maßnahmen in Folge einer Registrierung durch Institutionen der Repression werden unwahrscheinlich.
Da auch bei den integrierten Konsumierenden unserer Stichprobe das Einstiegsalter im Durchschnitt bei 21 Jahren liegt, haben diese, wenn sie dreissig sind, in der Regel eine mehrjährige Erfahrung im Umgang mit harten, illegalen Drogen. Es ist davon auszugehen, daß Personen, die ihren Konsum über lange Zeit autonom geregelt haben, sich diesbezüglich auf sich selbst und auf ihre soziale Infrastruktur verlassen können und auch weiterhin auf eine freiwillige Medizinalisierung verzichten werden.
Späteinsteiger haben gegenüber Früheinsteigern einen beträchtlichen Vorteil: Einige der protektiven Bedingungen, die Repressions- und Medizinalisierungsimmunität gewähren, sind bei ihnen zum Einstiegszeitpunkt in der Regel bereits vorhanden: Sie haben ihre Ausbildungszeit hinter sich, sind berufstätig und befinden sich in etablierten Beziehungsnetzen. Ihre größere Lebenserfahrung kann ihnen als Ressource auch im Umgang mit Drogen dienen. Personen, die sehr früh mit dem Konsum harter Drogen beginnen, befinden sich hingegen in der Situation, diese Bedingungen nicht bloß aufrechterhalten, sondern erst herstellen zu müssen. Diesen Prozeß erst mit dem oder trotz des Drogenkonsums zu vollziehen, erfordert nicht nur einen höheren Energieaufwand als dessen nachträgliche Integration in bestehende Strukturen, sondern führt bei Konsumbeginn und in der ersten Zeit der Karriere zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, sozial auffällig zu werden.
3.7 Karriere als Prozeß von Wechselwirkungen zwischen Individuum und Gesellschaft
Im Sinne Goffmans weisen Karrieren einen doppelseitigen Charakter auf. Gesellschaftliche Strukturen und individuell gestaltetes Alltagshandeln beeinflussen sich gegenseitig. Karrieren von Drogenkonsumierenden in unserer Gesellschaft sind von der Illegalität des Drogenkonsums geprägt. Jede Person, die illegale Drogen konsumiert, ist eine potentiell diskreditierbare Person.29 Für den Verlauf einer Drogenkarriere kann es entscheidend sein, ob und wann gesellschaftliche Sanktionen zur Anwendung kommen. Da die Drogenkonsumierenden diese Sanktionen und ihre Folgen als negativ beurteilen, entwickeln sie verschiedene individuell gestaltete Verhaltensmuster im Alltag, die dazu dienen, diesen zu entgehen.
Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zeigen, welche Handlungsstrategien integrierte Drogenkonsumierende bisher erfolgreich angewandt haben, um nicht diskreditiert und stigmatisiert zu werden. Daraus konnten Hypothesen über protektive Faktoren abgeleitet werden. Offenbar ist ein autonomer Umgang mit harten Drogen möglich, ohne zwangsläufig soziale Auffälligkeit und institutionelle Erfassung nach sich zu ziehen. Zwischen «Drogenkarrieren» als «Konsumkarrieren» und als «Erfassungskarrieren» muß deutlich unterschieden werden. Die Einbettung in ein funktionierendes soziales Umfeld, eine gesicherte berufliche und ökonomische Situation und eine hohe internale Kontrollüberzeugung wirken dabei begünstigend. Sollten die eigenen Kontrollressourcen nicht ausreichen, kann auf das soziale Netz zurückgegriffen werden. Dadurch erübrigt sich häufig eine professionelle medizinische oder therapeutische Betreuung, die als Medizinalisierung bezeichnet werden kann. Auch ist die Erfassung durch das Repressionssystem eher unwahrscheinlich, solange der Konsum sich in einem gesellschaftlich unauffälligen Rahmen bewegt und die sozialen und ökonomischen Möglichkeiten nicht sprengt. Jedoch läßt sich in diesem Zusammenhang ein Zufallselement nicht ausschließen. Absolute Immunität ist nicht erreichbar. Eine relative Immunität ist gegeben, wenn sich die Erfassungswahrscheinlichkeit im Bereich von wenigen Prozenten bewegt. In diesem Zusammenhang kommt der Repressionsintensität eine wichtige Bedeutung zu. Wächst sie gegenüber sozial integrierten Personen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, daß diese ihre Immunität beibehalten und damit ihre soziale Integration aufrechterhalten können. Insofern fördert sie die Desintegration der Konsumierenden und schafft sich so selber die Klientel, mittels derer sich weitere Maßnahmen legitimieren lassen.
Ob institutionell erfaßte Konsumierende über die beschriebenen Ressourcen grundsätzlich nicht verfügen oder verfügten, muß offen bleiben, denn auch die beschriebenen protektiven Faktoren bieten nicht zwangsläufig Schutz gegen die Erfassung durch den Repressionsapparat oder eine Medizinalisierung.30 Unter Umständen werden durch institutionelle Interventionen diese Ressourcen, falls sie in ausreichendem Maße vorhanden sind, gefährdet. Ohne protektive Faktoren ist ein verantwortungsbewußter, sozial integrierter Umgang mit harten Drogen erschwert, wenn nicht gar unmöglich. Sozialer Abstieg und Desintegration ist dann unter Umständen unausweichlich.
Die biographischen Materialien zeigen, daß die Differenzen zwischen Drogenkonsumierenden und der übrigen Bevölkerung so dramatisch nicht sind: Die «normalen» gesellschaftlichen Verhältnisse spiegeln sich in der Drogenszene wider. In dem oft angesprochenen «rechtsfreien Raum» sind die Rollen der Frauen und Männer nicht anders verteilt als in der «normalen» Gesellschaft. Die Rolle des Alterns als Weg zur zunehmenden Integration ist bei den Drogenkonsumierenden genauso gegeben wie in der übrigen Bevölkerung. Die Vorstellung der «Gegenwelt» des Drogenkonsums ist eine Chimäre der neueren Zeit, die nur durch Mechanismen der Ausgrenzung und der Intervention aufrecht erhalten werden kann. Daß auch Konsumierende dieser Vorstellung aufsitzen und in ihr Selbstbild integrieren, wundert überhaupt nicht. Ein Abbau dieser Mechanismen würde wohl den größten Teil des «Drogenproblems» ohne allzuviel Aufwand lösen.
119 Erreichbarkeitsprobleme haben zum Beispiel auf Haushaltsbefragungen basierende Mikrozensen oder auch sogenannte Szenenbefragungen.
2 Vgl. Hopf, C.: Qualitative Interviews in der Sozialforschung, 1991, S. 177-185.
3 Goffman, E.: Asyle, 1972, S. 149.
4 Hahn, A.: Biographie und Lebenslauf, 1988, S. 93.
5 Soeffner, H.G.: Auslegung des Alltags – Der Alltag der Auslegung, 1989, S. 139.
6 Auch ein positiv gedeuteter Bruch in der Biographie ist mit der Notwendigkeit und damit dem Streß der Reorganisation eigener Verhaltensmuster oder der sozialen Umwelt oder beidem verbunden.
7 Vgl. dazu auch Kreuzer, A. et al.: Beschaffungskriminalität Drogenabhängiger, 1991, S. 119ff.
8 Den Interviewten wurde jeweils angeboten, nach der Interviewsitzung das Gespräch gemeinsam mit den Interviewenden abzuhören und so auf Inhalte, die eine Identifikation ermöglichen könnten (Namen, Adressen u.ä.) aufmerksam zu werden und diese nachträglich in Anwesenheit der Interviewten zu löschen.
9 Das Einsetzen der Werte wq in das Schätzmodell kann somit nur heuristische Funktion haben, vgl. Kap. 4.1.1 und 4.2.3.
10 Die Interviews mit integrierten Drogenkonsumierenden sind mit den Zahlen 1 bis 17 gekennzeichnet, diejenigen mit institutionell erfaßten Drogenkonsumierenden mit den Buchstaben A bis H. Die Angaben zu den Interviewsequenzen sind wie folgt zu lesen: #Interviewte Person, Transkriptseite/Zeilen des Transkripts.
11 Keupp, H.: Psychosoziale Praxis im gesellschaftlichen Umbruch. 1987, S. 97.
12 Vgl. dazu Kap. 4.2.1.
13 36 Jahre bildet eine auffällige Ausnahme, liegt doch das zweithöchste Einstiegsalter bei 28 Jahren. Das durchschnittliche Alter bei Konsumbeginn reduziert sich auf 20 Jahre, wenn man den Fall des 36jährigen nicht berücksichtigt.
14 Skarabis und Patzak nennen 1979 in ihrer Studie über die Berliner Heroinszene ein durchschnittliches Einstiegsalter von 20 Jahren. Vgl. Skarabis, H.; Patzak, M.: Die Berliner Heroinscene. 1981, S. 125. In der Untersuchung von Grünbeck, Markert und Tiemann aus dem Jahr 1992 wird das mittlere Einstiegsalter mit 19 Jahren angegeben. Vgl. Grünbeck, P. et al.: Prävalenz des Konsums harter Drogen, 1994, S. 54.
15 Die zentrale Bedeutung von Neugier und peergroup-Einflüssen für den Erstkonsum illegaler Drogen ist z.B. auch bei Kreuzer erwähnt, der damit die Aussagekraft pathologischer Erklärungsansätze zwar nicht gänzlich verwirft, so doch zumindest stark relativiert. Vgl. Kreuzer, A. et al.: Beschaffungskriminalität Drogenabhängiger, 1991, S. 119ff.
16 Vgl. Kreuzer, A. et al.: Beschaffungskriminalität Drogenabhängiger, 1991, S.119ff. Siehe zur Bedeutung dieser These auch Kap. 3.2.
17 Die Relevanz räumlicher und kultureller Distanz für die Veränderung von Einstellungen gegenüber Drogen wird auch dadurch unterstrichen, daß alle drei Personen (#5, #12, #13) nach ihrer Rückkehr in die Schweiz sofort (#5, #13) oder nach ein paar Wochen (#12) ihren Konsum drastisch reduziert oder für eine gewisse Zeit ganz eingestellt haben.
18 Auch einige nicht integrierte Konsumierende berichten, daß sie ursprünglich der Ansicht waren, den Konsum kontrollieren zu können. Bei der Interpretation der Aussagen erfaßter Konsumierender muß deren Therapieerfahrung berücksichtigt werden, die durchaus zu Umdeutungen und Verzerrungen im nachhinein führen kann.
19 Vgl. Filipp, S.: Kritische Lebensereignisse, 1990, S. 16f.
20 Diese Frau hat sich indirekt auch via offene Szene eingedeckt. Ihr Mann, der gelegentlich auch als Dealer agierte, hat ihr die Drogen beschafft.
21 Vgl. dazu Weber, G.; Schneider, W.: Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen, 1992, S. 65ff.
22 Becker, H.S.: Außenseiter, 1981. Becker weist jedoch darauf hin, daß er seine Aussagen nur auf den Konsum von Marihuana als gesichert erachtet.
23 Theoretisch wäre es durchaus denkbar, daß Frauen sich im Bereich des Drogenhandels solidarisieren, Kartelle bilden und sich so gegen männliche Konkurrenz behaupten könnten. Ein solcher Fall ist jedoch nicht bekannt. Frauen tendieren eher dazu, sich dem Schutz eines Partners anzuvertrauen, was häufig zu einer Instrumentalisierung der Beziehung führt und ein Nährboden für Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse ist. Andere drogenkonsumierende Frauen hingegen werden als Rivalinnen wahrgenommen. Vgl.: Ernst, M.-L. et al.: Frauen, Sucht, Perspektiven, 1995, S. 59.
24 Vgl. Weber, G.; Schneider, W.: Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen, 1992, S. 520ff.
25 Sollten sie von ihrer vorgegebenen Rolle abweichen, würde sich auch das Risiko von Frauen dementsprechend erhöhen. Auch haben sie dann im Falle einer Erfassung mit besonders harten Sanktionen zu rechnen. Vgl. Estermann, J.: Strafgefangene, 1984, S. 54.
26 Vgl. Estermann, J.: Kriminelle Karrieren von Gefängnisinsassen, 1986, S. 18ff.
27 Vgl. Scheerer, S.: Die Heroinszene, 1989, S. 285f.
28 Die Einstellung des Konsums erfolgt entweder mit einer freiwillig in Anspruch genommenen Unterstützung durch das Medizinalisierungssystem oder ist bisweilen auch das Ergebnis zwangstherapeutischer Maßnahmen als Folge repressiver Erfassung. Meistens jedoch wird der Konsum ohne die Inanspruchnahme institutioneller Angebote einfach aufgegeben. Vgl. Weber, G.; Schneider, W.: Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen, 1992, S. 65ff.
29 Goffman, E.: Stigma, 1980, S. 56.
30 Bei zwei Befragungen von Besuchern des Zürcher Platzspitzes, einer höchst suszeptiblen Population, in den Jahren 1990 und 1991 befanden sich 68% beziehungsweise 49% der willkürlich ausgewählten Personen in einer geregelten Wohnsituation und gingen gleichzeitig einer regelmäßigen Arbeit nach oder besuchten eine Schule. Siehe: Künzler, H: Analyse der offenen Drogenszene «Platzspitz» in Zürich. 1990. Müller, T.; Grob, P.J: Medizinische und soziale Aspekte der offenen Drogenszene Platzspitz in Zürich 1991, 1992. ProLitteris