Vera Rothamel: Bilder und Lithografien

Text von Katrin Bettina Müller

Weiterlesen: Farbkraft
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Website von Vera Rothamel

Zur Künstlerin auf Wikipedia

Galerie Graf & Schelble, Basel
Steindruckerei Thomi Wolfensberger, Zürich
Galerie Grashey, Konstanz
Art Forum Ute Barth, Zürich
Galerie Marianne Grob, Berlin und Basel

Das neueste Buch von und über Vera Rothamel
buero146.ch
Benteli-Verlag

Permutationen und Kombinationen, 24 Lithografien
je 40 cm x 50 cm auf Rives Bütten 250g
Auflage: je 6, nummeriert und handsigniert
Gedruckt in der Steindruckwerkstatt Thomi Wolfensberger Zürich, 2007
Preis pro Block (4 Lithografien): Fr. 1600.-
Preis für 24 Lithografien (Gesamtwerk): Fr. 9000.-
Link zur Publikation „Permutationen und Kombinationen“

Lithoblumen1

Lithoblumen2

je 70 cm x 100 cm auf Rives Bütten
Auflage: je 25, nummeriert und handsigniert
Gedruckt in der Steindruckwerkstatt Thomi Wolfensberger Zürich, 2009
Preis für eine Lithografie: Fr. 800.-
Preis für beide Lithografien: Fr. 1500.-

Das Atmen des Raumes

Katrin Bettina Müller

Ich möchte Ihnen heute die Malerei von Vera Rothamel wie eine Bewegung vorstellen: als ein ständiges Pendeln zwischen Fläche und Raum, zwischen Benennen und Auflösen, zwischen Bezeichnen und Verwischen, zwischen der malerischen Entscheidung und einem analysierenden, untersuchenden Blick. Alle diese Bewegungen finden gleich auf mehreren Ebenen statt: In jedem einzelnen Bild sind es die deutlich erkennbaren Schichtungen, die dieses vor und zurück, zwischen der Tiefe und der Fläche, zwischen dem Zeitraum der Werkentstehung und der Dauer seiner Gegenwart, zulassen und auslösen. Dieses Verhältnis erweitert sich von Bild zu Bild und wird schließlich in den Raum hineingetragen von den transparenten Licht- und Farbatmosphären, die durch das grün bewegte Wandbild, die gemusterten Folien im Raum und das farbige Glas im Fenster gebildet werden. Mit ihnen wird das, was sonst schon im Bild und in den imaginären Bild- und Denkräumen geschieht, ausgedehnt in den Realraum und damit in den gleichen Raum, den auch wir als Betrachter mit unseren Körpern einnehmen. Der Raum selbst beginnt zu atmen und zu pulsieren, sich auszudehnen und zusammenzuziehen. Die Farbe, das Werk, sie greifen auf uns über und drängen, Teil unserer Wirklichkeit zu werden.

In diesen Bewegungen gerät das Sehen selbst in Unruhe. Es wird sich selbst seiner Möglichkeiten bewußt, wie das Auge der Kamera den Focus auswählen, die Schärfentiefe einstellen zu können, über Nähe und Entfernung zu entscheiden und den unendlich Prozess von Erscheinen und Verschwinden in Gang zu setzen. Das ist ein Prozess wie das Kommen und Gehen von Ebbe und Flut, wie das Pulsieren des Blutes in den Adern, und wie der kaum merkliche Fluss der Luft im Ein- und Ausatmen. Es ist dieser Rhythmus, der die Bilder ins Verhältnis zum Lebendigen setzt und zur Zeitlichkeit organischer Körper. In diesem Verhältnis, in dieser Stimulierung des Sehens, appelliert die Malerei von Vera Rothamel an den ganzen Körper des Betrachters mit allen Sinnen und sie bilden ein Gegenüber, das nicht mehr und nichts mehr repräsentiert sondern ist.

“alles nur Farbe” ist der Titel der Ausstellung und fast hört sich das an wie ein Rückzug auf das pure Material, ein Abstreifen aller Belegungen mit Symbolen und Bedeutungen, ein Verzicht auf Illusion und Darstellung ebenso wie auf Ausdruck und Selbstentäußerung. Eine Formel des Rückzugs? Keineswegs. “alles nur Farbe” kann auch als viel umfassendere Behauptung begriffen werden, unsere ganze Wahrnehmung und Welterfahrung betreffend. Denn wie sortieren wir, was wir sehen und ordnen es der Kenntlichkeit zu, wenn nicht auch nach den Farben. So findet sich selbst im titel der Ausstellung jene dialektische Schwingung wieder, die dem Werk von Vera Rothamel seine spezifische Spannung verleiht.

Ich habe die Schweizer Malerin Vera Rothamel Anfang der neunziger Jahre in Berlin kennengelernt. Dorthin war sie 10 Jahre zuvor, wie damals übrigens viele Künstlerinnen aus der Schweiz gekommen, um nach einem Studiengang für Gestaltung in Luzern, in Berlin Kunst zu studieren. Als die Malerin 1995 nach Zürich zurückkehrte, nahm sie ein ausgedehntes malerisches Werk mit, das sich seitdem in verschiedenen Medien weiter entfaltet und verästelt hat. 

Die Arbeit mit der Fotografie und der Vergrößerung von Bildausschnitten und der Weg, mit Folien und bemalten Fenstern farbige Atmosphären in den Raum zu streuen, erscheinen mir dabei als zwei spiegelbildliche Prozesse, die beide von der Oberfläche des Bildes ausgehend in verschiedene Richtungen zielen. Der eine Weg, der der Makrofotografie, will ins Innere, dringt in den Körper der Malerei ein, wie es das blosse Auge niemals vermöchte und entdeckt uns dort einen Kosmos, der immer schon da war, in der Farbe, aber für uns nicht sichtbar. Der andere Weg, der Rauminszenierung, die nur für die Dauer einer Ausstellung den Raum selbst transformiert, begann Mitte der neunziger Jahre im Rentsch-Haus, in Olten (siehe den schönen Katalog) und der Kornschütte Luzern: Er geht nach außen, und dehnt die Malerei aus, löst ihre Schichten und Farbschleier, ihre Flächen aus dichter und poröser Textur, aus scheinbar absichtslos fließender Farbe und mit Schablonen gedruckten Mustern von einander ab, als ob die Malerei sich plötzlich vom Bildkörper schälen und häuten könnte. Diese Form erlaubt uns, zwischen die Schichten zu treten. Zwischen diesen beiden Prozessen liegt ein Maßstabssprung, sie spielen virtuos mit Nähe und Distanz und unserem Verhältnis zum Bild. So lassen beide Arbeitsweisen, die in dieser Ausstellung erstmals zusammen kommen, sichtbar werden, dass die Bilder, die wir sehen, auch immer Ergebnis unseres Verhältnisses zum Bild sind.

Im Jahr 2000 begann Vera Rothamel mit der Makrofotografie, vergrößerten Detailaufnahmen bestehender Bilder, die im Inkjetdruck-Verfahren auf Leinwand übertragen wurden. Das Verblüffende ist, dass in ihnen, was im gemalten Bild als Struktur auf einer Ebene erscheint, sich zu einer brodelnden Tiefe weitet. Schmale Zonen der Schärfe und breite Zonen der Unschärfe bringen in die Farbe, die sich doch schon verfestigt hat, die Anmutung des Fließens und Kochens, von Blubbern und Hitze zurück. Man denkt an chemische Reaktionen, an elementare Kräfte wie Magma und Lava, Wasser und Eis und an die Entstehung der Erde.

Ganz nebenbei übrigens hat Vera Rothamel in diesen Makros einen entspannten Kommentar zum Streit um Fotografie und Malerei abgegeben, der Ende der neunziger Jahre zwar nicht gerade in der Kunst, wohl aber in ihrem Betrieb, in Galerien und auf Messen sehr beschäftigte: Da wurden Malerei und Fotografie sehr oft als zwei konkurrierende Medien gegeneinander ausgespielt. Vera Rothamel dagegen setzt beide Medien, Technologie und Tradition, als Mittel gegenseitiger Beobachtung ein: Was die neuen Techniken an Machbarem zur Verfügung stellen, stimuliert auf diese Weise die alten Medien zu einer genaueren Konturierung ihrer eigenen Qualität.

Die Makros, die aus der Malerei hervorgegangen sind, sind inzwischen zum Teil, wie man oben auf der Galerie sieht, wieder zum Grund neuer Bilder geworden, die die Bewegungen aufnehmen und fortsetzen und neu interpretieren. So findet immer wieder eine Relektüre statt, ein neues Verknüpfen der verschiedenen Zeiten und verschiedenen Zustände.

Die größte Arbeit, die für diese Ausstellung entstanden ist, umgibt uns hier unten. Zwischen der grünen Bemalung einer Wand und der roten Bemalung der Fenster entstehen – je nach Licht – verschiedene Räume der Reflektion, aus rot gefiltertem Licht und grünem Widerschein, die je nach Standort, – da sei besonders die Galerie empfohlen, – durch den Blick durch die Folien mit Strukturen und Mustern überlagert werden können. In den Folien ist sozusagen ein Vorrat an malerischen Formen angelegt, an Spuren von unterschiedlichen Techniken mit dem Pinsel und dem Rakel, mit Schablonen und Sprayfarbe, die man in Vera Rothamels Bildern wiederfindet. So kann man sich, hin und hergehend, diesen Bildraum unterschiedlich zusammensetzen. Nur eines geht nicht – alle Ebenen von einem Punkt aus vollständig zu sehen. Denn weder kann man hinter die grüne Wand treten noch durch das rote Fenster von außen hineinsehen.

Wendet man sich mit diesem Wissen den Bildern auf einer Leinwand wieder zu, ist plötzlich soviel deutlicher, dass wir von ihnen immer nur eine Seite sehen – aber dass dies nicht alles ist, was das Bild ausmacht. Das, was präsent ist, lässt auf ebensoviel schließen, was schon vorüber gegangen ist, vorherige Bildzustände, schon wieder verschwunden, aufgelöst, verflossen. Das Bild hat nicht nur eine Zeit, für Ewigkeit, Amen. Es hält nicht nur fest, es hat auch wieder gehen lassen.

Vera Rothamel hat den klassischen Grund der Malerei, Farbe im Geviert der Leinwand, trotz all dieser Überschreitungen, dennoch fast nie verlassen. Dort, wo sie sich anderer technischer Mittel bedient, geschieht das nie, um mal was anderes zu machen, sondern immer, um das, was die Malerei selbst ausmacht, neu zu entdecken, zur Disposition zu stellen und verhandelbar zu machen. Sie ändert dabei den Zugriff auf den Stoff, öffnet andere Wege, in seine Organisationsformen einzudringen und mit solchen Perspektivwechseln werden andere Fragen möglich, verliert das Selbstverständliche seine Fixierung, wird das Gewordene als ebensolches erkennbar. 

So nimmt auf der einen Seite die Transparenz des Arbeitsprozesses ständig zu, während auf der anderen Seite der Stoff, der in die Schichtungen einfließt, ständig mehr wird und neue Generationen hervorbringt. Auch dies sind wieder gegenläufige und in beide Richtungen symmetrisch ansteigende Figuren, die das Werk der Malerin in seiner Gesamtheit zusammenhalten. In diesem Rhythmus setzt sich etwas fort, was in den einzelnen Bildern selbst begann, eine Renaturierung der Abstraktion, ein mimentischer Prozess des Lebendigen. So sind sie der Wahrnehmung der Natur in vielem verbunden, auch wenn sie sie selbst nie darstellen.

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