Gesundheitsberufe Dokumentationskritik Gemperle/Pfeuffer

© Michael Gemperle (ProLitteris), Andreas Pfeuffer
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Die Ökonomien der Dokumentationskritik

Abstract

Der Artikel untersucht auf Grundlage qualitativer Interviews die Möglichkeitsbe­dingungen der seit einigen Jahren zunehmenden Kritik von ÄrztInnen und Pfle­gekräften an den Dokumentationsverpflichtungen. Ausgehend von zentralen The­sen in der Literatur wird gezeigt, dass die Zunahme der Dokumentationskritik seitens medizinisch-pflegerisch Beschäftigter nicht allein durch die möglicher Weise gestiegene Belastung durch Dokumentationsaufgaben oder mangelnde Ressourcen zu deren Bewältigung bedingt ist, sondern in hohem Maße durch den strukturellen Wandel, dem die stationäre Gesundheitsversorgung gegenwärtig ausgesetzt ist. Die Dokumentationskritik eignet sich dafür, das Unbehagen an der gegenwärtigen Umgestaltung des Krankenhausbereichs zum Ausdruck zu brin­gen, weil sie es Ärzten und Pflegekräften erlaubt, die sich durchsetzenden betriebswirtschaftlichen Funktionsmechanismen, die ihre Autonomie zunehmend einschränken, zu problematisieren, ohne ihre Ablehnung des Thematisierens der materiellen Seite ihrer Tätigkeit aufgeben zu müssen.

1. Einleitung

In Schilderungen von ÄrztInnen und Pflegekräften über ihre Arbeitssituation ist heute vermehrt Kritik an „der Dokumentation“ zu vernehmen. Meist wird ein er­hebliches Anwachsen, ja ein Überhandnehmen von Dokumentationsaufgaben in den letzten Jahren beklagt.1 „Die Dokumentation“ sei heute eine Belastung, weil sie die Arbeitszeit für die „eigentliche“ Aufgabe, die Betreuung von PatientIn­nen, verringern würde, heißt es typischerweise. Im selben Atemzug wird nicht selten eine Aufweichung des Kernbereichs der eigenen Tätigkeit konstatiert. Die­ser Diskurs nimmt in den Äußerungen von ÄrztInnen und Pflegekräften einen derart prominenten Platz ein, dass der Eindruck entsteht, als sei „die Dokumenta­tion“ zu einer Hauptquelle des Unbehagens avanciert. Zu korporatistischen Mobilisierungen bot die Dokumentationskritik jedenfalls bereits verschiedentlich Anlass.2

Dieser Beitrag interessiert sich dafür, wie es möglich ist, dass heute Ärzte und Pflegekräfte gerade an „der Dokumentation“ nicht unwesentliche Teile ihres Unbehagens an der eigenen Arbeitssituation zum Ausdruck und zur Geltung bringen. Zu Dokumentationsaufgaben besteht nicht nur bereits seit vielen Jahren eine gesetzliche Pflicht,3 auch sind sie seit geraumer Zeit unentbehrlicher Bestandteil der medizinisch-pflegerischen Arbeit.4 Im Kontext des Umbaus öffentlicher Krankenhäuser zu profitorientierten Dienstleistungsunternehmen scheinen Themen wie die Beschäftigungssicherheit, die Tarifstruktur, das Ar­beitszeitregime oder die Arbeitsintensität (vgl. Keller 2007, Kühn/Klinke 2006) eine mindestens ebenso große Relevanz zu besitzen. Erstaunlich ist zudem, dass in diesem Punkt zwischen den Angehörigen von zwei zwar stark arbeitsteilig tätigen und auf einander bezogenen, hinsichtlich der sozialen Her­kunft, der Aus­bildungsgänge und der Berufsposition aber relativ unterschiedli­chen Beschäftig­tengruppen eine große Übereinstimmung besteht, sich die beiden in der Doku­mentationskritik geradezu wechselseitig zu bestätigen scheinen.

Auch in der Fachliteratur zieht das Thema „Dokumentation“ seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zunehmend Aufmerksamkeit auf sich. Im Zentrum des Interesses vieler Studien steht allerdings meist das gut bekannte Phänomen, dass das Erfassen von Arbeitsprozessen oder Patientenzuständen durch ÄrztInnen und Pflegekräfte häufig nicht fehlerfrei und vollständig vonstatten geht.5 Hervorzu­heben gilt es zum einen Untersuchungen, die Arbeitsweltbedingungen oder dis­positionale Gründe für die Dokumentationskritik ermitteln.6 Andere Arbeiten betrachten (Eigen-)Logiken der Praxis des Aufzeichnens (z.B. Berg 2008, Frank-Stromborg et al. 2001, Hyde et al. 2005, Weeks/Darrah 1985). Eine dritte Gruppe von Arbeiten beleuchtet besonders die wirtschaftlichen Folgen der lückenhaften Dokumentation (z.B. Duszak et al. 2012). All diese Arbeiten gehen von der mehr oder weniger ausgesprochenen Prämisse aus, dass – wie Jefferies et al. (2010: 113) zur Pflegarbeit bemerken – „documentation defines the performance of nur­sing practice“.

Der vorliegende Beitrag betrachtet die Dokumentationskritik aus einer ande­ren Perspektive. Er schreibt sich ein in den Versuch von Arbeitssoziologen, die gesellschaftlichen Bedingungen der Arbeitsorientierung von Beschäftigten öffentlicher Dienste zu untersuchen, die in Zeiten der Privatisierung, Liberalisie­rung und Deregulierung einem strukturellen Wandel unterliegen. Zwei Grundan­nahmen daraus sind für die Herangehensweise in diesem Artikel zentral: Betrie­be sind Beziehungsräume, in denen individuelle und kollektive Akteure sich in einem Kräfteverhältnis gegenüber stehen, in dem Kämpfe um die Vorherrschaft stattfinden (vgl. Bourdieu 1997, 2000). Zweitens sind Beschäftigte öffentlicher Institutionen mit einer spezifischen „Ehre“ ausgestattet, die daher rührt, dass ihre Leistungen idealiter im Gegensatz zur Ökonomie und zum Profitstreben stehen (vgl. Bourdieu 2012).

Der vorliegende Beitrag greift diese beiden Grundannahmen auf, indem er den Versuch unternimmt, die gesellschaftlichen Möglichkeitsbedingungen der Dokumentationskritik zu untersuchen. Dieser Artikel stützt sich auf die Tran­skriptionen von 51 teilstandardisierten Interviews mit Beschäftigten von drei öffentlichen Krankenhäusern in Deutschland, Österreich und der Schweiz.7 Die­se leitfadengestützten qualitativen Interviews mit ÄrztInnen, Pflegekräften und Verwaltungsangestellten, die hinsichtlich des Alters, des Geschlechts und der Position relativ heterogen sind, enthalten Informationen zu den (differenziellen) praktischen Erfahrungen der Beschäftigten mit dem strukturellen Wandel dieser Institutionen einerseits und zu den grundsätzlichen Einstellungen, mit denen sie dieser Veränderung begegnen andererseits. Diese Daten werden im Lichte der Eigenschaften und der aktuellen Entwicklung der drei Krankenhäuser betrachtet, zwischen denen neben einer Reihe nicht unwesentlicher (nationaler) Unterschie­de, vor allem was die Figuration zwischen den Beschäftigtengruppen betrifft, wichtige strukturelle Gemeinsamkeiten bestehen (z.B. die relative starke Stel­lung der Ärzteschaft, die in Deutschland am stärksten ausgeprägt ist; vgl. Döhler 1997). Die Befunde werden mit Ergebnissen zum Thema aus der Fachliteratur diskutiert. Im Zentrum stehen also weniger die Arbeitsbedingungen (vgl. Böhlke et al. 2009) oder bestimmte Akteursgruppen (vgl. Vogd 2006) als strukturelle Merkmale des betrachteten Phänomens. Aus diesem Grund wird die Dokumenta­tionskritik von ÄrztInnen und Pflegekräften einer gemeinsamen Betrachtung unterzogen.

Die hier eingeschlagene Herangehensweise zielt darauf ab, ausgehend von den Aussagen der Beschäftigten zu einer zeitdiagnostischen Interpretation ihrer Lage zu gelangen. Anstoß dazu, die Dokumentationskritik zunächst einmal als Diskurs anzusehen, gab uns die Beobachtung, dass die Befragten den Begriff „Dokumentation“ bemerkenswert unscharf verwenden.8 Zudem verweist sein Gebrauch nicht selten auf das Arbeitsumfeld. Bei der Dokumentationskritik scheint es folglich weniger oder nicht nur um die kritisierte Sache zu gehen. Vielmehr scheint ihr auch eine Bedeutung in Kämpfen zwischen individuellen oder kollektiven Akteuren zuzukommen.

Indem wir die Kritik an den Verhältnissen zum Ausgangspunkt für die Analy­se der sozialen Logiken nehmen, denen sie folgt, bewegen wir uns im Bereich der „Soziologie der Kritik“, die im Anschluss an Le nouvel esprit du capitalisme (1999) von Luc Boltanski und Ève Chiapello (s. auch Boltanski 2010) eine gewisse Beachtung gefunden hat (vgl. Wuggenig 2008). Auch wir nehmen die Kritik der Akteure ernst. Anders als die „Soziologie der Kritik“ gehen wir aller­dings davon aus, dass die Bedeutung der Dokumentationskritik für die gesell­schaftlichen Verhältnisse über das Wort der Akteure hinaus geht und sich insbe­sondere ohne Berücksichtigung der Kräfteverhältnisse zwischen den relevanten Akteursgruppen nicht adäquat verstehen und erklären lässt. Die Kritik ist weder eine von der sozialen Wirklichkeit losgelöste Erscheinung noch deren mechani­scher Ausdruck, sondern stellt vor allem eine Stellungnahme innerhalb eines bestimmten Beziehungsgeflechts dar. Zudem hängt es von der Qualität der Kritik ab, in welcher Form sie auf eine Veränderung der Verhältnisse hinwirkt.9

Der Aufbau dieses Beitrags orientiert sich an Thesen zu den Möglichkeitsbe­dingungen der Dokumentationskritik. Von ihnen ausgehend werden zentrale Bestimmungsfaktoren diskutiert. Im ersten Teil steht die These der Zunahme „der Dokumentation“ als Ursache für die Kritik im Zentrum. Der zweite Teil erörtert die in der Literatur viel diskutierte Frage, ob und wie das kritische Verhältnis zu administrativen Aufgaben auf einen Mangel an Kompetenzen und Res­sourcen zu ihrer Erledigung zurückgeführt werden kann. In Teil 3 wird auf­gezeigt, inwiefern in der Dokumentationskritik Veränderungen der Handlungs­spielräume von ÄrztInnen und Pflegekräften zum Ausdruck kommen, die im Zu­sammenhang mit dem strukturellen Wandel des Gesundheitsbereichs insgesamt ste­hen. Teil 4 bleibt dieser Optik verpflichtet und analysiert die symbolische Be­deutung des Phänomens im Kontext des Niedergangs des medizinisch-pflegeri­schen Nimbus, bevor im Schlussteil eine synthetische Gesamtbetrachtung vorge­nommen wird.

2. Nicht nur eine Frage der Menge

Als Erklärungsfaktor für das Anwachsen der Dokumentationskritik von ÄrztIn­nen und Pflegekräften scheint sich die Zunahme von Dokumentationsaufgaben geradezu anzubieten. Von den Befragten, die gegenüber „der Dokumentation“ ein Unbehagen äußeren, ist fast durchwegs zu hören, dass diese angewachsen sei und einen unverhältnismäßigen Umfang angenommen habe. Sie suggerieren da­mit, dass die Dokumentationskritik eine mehr oder weniger zwangsläufige Folge dieses „Überflüssigen und Ärgerlichen“ (Flintrop/Korzilius 2012: 634) darstellt. Gerade die langjährig im Krankenhausbereich Beschäftigten, die früher unter anderen Bedingungen tätig waren, scheinen in ihrer Dokumentationskritik mehr oder weniger implizit davon auszugehen. Sie sind es auch, welche die Zunahme von Arbeiten des Registrierens von Arbeitsabläufen oder Patienteneigenschaften am deutlichsten mit einer Intensivierung der Arbeit und Verringerung der Mög­lichkeiten für das Ausüben der eigentlichen Aufgabe, der PatientInnen-Arbeit, einhergehen sehen. Stellvertretend dafür stehen die Aussagen von drei langjährig Beschäftigten aus unterschiedlichen Fachgebieten und nationalen Kontexten:

Es ist schon alles verbürokratisiert. Und wie man die Pflegenden hört, die sagen, was wir alles schreiben müssen, also wir sind zu Schreibtischtäterinnen geworden. Das ist so, man muss alles dokumentieren und beweisen und Quali­tät beweisen. […] Die Administration ist schon wahnsinnig. Pflegefachfrau, Leiterin Ausbildung Pflege, Schweiz

Man muss natürlich alles dokumentieren, was man macht. Aber es ist eben wirklich inzwischen so, dass die Dokumentation dessen, was man machen soll­te oder gemacht hat, viel mehr Raum einnimmt, als wirklich die Arbeit an sich. Also, natürlich muss man das, mir ist das auch klar. Aber es wäre für mich ein­facher, wenn ich jetzt meine zehn Patienten waschen, lagern, füttern, versorgen kann. Und dann schön alles so in Ruhe machen kann und dann heimgehen kann. Das wäre toll. Aber, ich muss das alles in stundenlanger Arbeit dokumen­tieren, ankreuzen, abhaken, und es ist das, was mich dann in Stress versetzt. […] Ich will eigentlich Zeit für die Pflege des Patienten, und nicht für die Do­kumentation dessen, was ich an ihm gemacht habe. Pflegefachfrau, Stationslei­terin, Deutschland

Die Dokumentation hat massiv zugenommen. Man muss wirklich – für wenn später Fragestellungen sind – viel mehr dokumentieren und das braucht einfach Ressourcen. […] Nein, also die ureigenste ärztliche Tätigkeit, die Zeit den Pati­enten [zu behandeln], um mit ihm zu reden, ein Gespräch führen, Kontakt hal­ten, ihn untersuchen, das wird immer knapper und kürzer. Immer mehr Leitlini­en, Vorgaben nach denen man sich richten muss, vor allem retrospektiv. Wenn was nicht optimal gelaufen ist, kommt von irgendwo jemand her und sagt: „Es gab Richtlinien.“ Das geht in keinen Kopf mehr. Leitender Arzt, Österreich

Der Zusammenhang zwischen verstärkter Inanspruchnahme durch Dokumen­tationsaufgaben in der Arbeitszeit und der Dokumentationskritik scheint von ver­schiedenen Studien bestätigt zu werden, die deutlich machen, dass der Doku­mentationsaufwand in den vergangenen Jahren angewachsen ist.10 In der Regel beruhen diese Untersuchungen allerdings auf Angaben der medizinisch-pflege­risch Tätigen selber, sie erfassen also vor allem die Einschätzung des Dokumen­tationsaufwandes seitens derjenigen, von denen die Kritik ausgeht,11 weshalb sie weniger den Zusammenhang als tautologische Erklärungen der Dokumentations­kritik stützen. Zwar scheinen Dokumentationsarbeiten unzweifelhaft wichtiger geworden zu sein. Über den Umfang, in dem stationäre ÄrztInnen und Pflegende durch Dokumentationsaufgaben in Anspruch genommen werden und in welcher Form über die Zeit eine Veränderung festzustellen ist, bestehen aber nur wenig systematische und zuweilen gar konträre Befunde.12 Zudem stellen Dokumenta­tionsaufgaben nicht erst seit den vergangenen Jahren einen Gegenstand der Kri­tik von Pflegekräften und ÄrztInnen dar.13 Vieles deutet folglich darauf hin, dass die Dokumentationskritik für sie weniger eine unmittelbare Folge des (arbeits­zeitabsorbierenden) Anwachsens des Dokumentationsaufwandes als dass dieses vielmehr einen Bestimmungsfaktor unter anderen darstellt.

Gestützt wird diese Einschätzung durch den Umstand, dass – wie unser empi­risches Material zeigt – die Kritik an „der Dokumentation“ nicht bei denjenigen am stärksten ausfällt, die in ihrer Arbeit am meisten durch bürokratische Aufga­ben in Anspruch genommen werden. Sowohl in der Pflege als auch in der Ärzte­schaft ist festzustellen, dass die gegenwärtige Frontstellung gegenüber „der Dokumentation“ gerade auf leitender Ebene besonders ausgeprägte Formen annimmt, obwohl die zeitliche Absorbierung durch Dokumentationsaufgaben vor allem bei subalternen Beschäftigtengruppen besonders groß ist, d.h. bei regulä­ren Pflegekräften ohne Leitungsfunktion sowie OberärztInnen und besonders AssistenzärztInnen.14 Zudem ist aus der Politischen Soziologie bekannt, dass die Möglichkeiten, einem Unbehagen durch explizite Kritik Ausdruck zu verleihen, durch die faktische Betroffenheit vom Kritisierten weniger als durch die Verfüg­barkeit über symbolische und vor allem kulturelle Ressourcen bedingt sind (s. zuletzt Matonti/Poupeau 2004).

3. Die Folge eines Mangels?

Ein weiterer möglicher Bestimmungsfaktor für das massive Unbehagen an „der Dokumentation“ könnte im Fehlen von Kompetenzen und Ressourcen zur Erledigung der administrativen Aufgaben bestehen. ÄrztInnen und Pflegekräfte stünden in einem kritischen Verhältnis zu Dokumentationsaufgaben, weil ihnen dazu die Kompetenzen, die Motivation oder die Arbeitsmittel fehlen. Diese Annahme liegt zumindest einer Reihe von Studien zugrunde, welche sich für die Gründe der bereits erwähnten Unvollständigkeit und Fehlerhaftigkeit „der Doku­mentation“ interessieren. Von diesen Untersuchungen wurden in der Fachlitera­tur wohl die meisten empirischen Befunde zu Dokumentationspraktiken hervor­gebracht.

Zahlreiche deutschsprachige und internationale Arbeiten weisen auf verschie­dene Faktoren hin, die das kritische Verhältnis von ÄrztInnen und Pflegekräften zu Dokumentationsarbeiten begünstigen.15 Studien, die das Arbeitsumfeld be­trachten, zeigen, dass mangelnde Zeit, fehlender Raum oder Überlastung verhin­dern, dass zwischen den medizinisch-pflegerisch Tätigen und administrativen Aufgaben ein ungebrochenes Verhältnis besteht (vgl. bereits Tapp 1990).16 Die fehlende Unterstützung durch die Leitung und die Arbeitskollegen sowie arbeits­organisatorische Schwierigkeiten sind weitere Gründe (vgl. Ehrenberg et al. 2001, Kärkkäinen/Eriksson 2005), ebenso die fehlende Anerkennung für die Dokumentationsarbeit durch das Arbeitsumfeld (vgl. Tapp 1990). Ein zweiter großer Bereich, der gegenwärtig in der Fachliteratur die größte Aufmerksamkeit genießt, sind die Dispositionen der Beschäftigten. Hervorzuheben gilt es hier vor allem zwei Faktoren, die letztlich beide damit zusammen hängen, dass die Arbeitswelt von medizinisch-pflegerisch Tätigen von einer medizinisch-natur­wissenschaftlichen Kultur beherrscht wird. Diese beiden Faktoren werden meist bezogen auf die Pflegekräfte diskutiert, die gegenüber dieser Kultur die größte Distanz aufweisen (vgl. Friesacher 2008).17 Zum einen wird die Diskrepanz zwi­schen den an medizinisch-technischen Maßstäben orientierten Dokumentationen und der praktischen Realität betont: Die Arbeitspraxis spielt sich jenseits von Pflegeprozess und Pflegeplan ab (vgl. Allen 1998), die Kategorien der Pflegedo­kumentation sind zu nahe an der medizinische Diagnose (vgl. Turkoski 1988). Aufgezeichnet werden vor allem Routine-Aufgaben und weniger außergewöhnli­che Sachverhalte (vgl. Allen 1998) sowie eher Belange, die mit der medizini­schen Behandlung zusammenhängen, als solche, die die Pflege betreffen (vgl. Griffiths 1998, Webb/Pontin 1997), wie beispielsweise die psychosozialen Aspekte der Arbeit (vgl. Briggs/Dean 1998). Arbeiten von geringerer Wertigkeit wie beispielsweise die Grundpflege werden weniger festgehalten als solche, die mit medizinischer Pflege verbunden sind (vgl. Adamsen/Tewes 2000). Der zwei­te Faktor, der mit der Vorherrschaft der medizinisch-naturwissenschaftlichen Kultur zusammenhängt, ist auf Ebene der beim Dokumentieren zur Geltung kommenden Kompetenzen und Einstellungen der Pflegekräfte anzusiedeln. Pfle­gerisch Tätige scheinen bei der Dokumentationsarbeit Schwierigkeiten zu bekun­den (vgl. Frank-Stromborg et al. 2001), darin weniger einen Nutzen als eine Belastung zu sehen (vgl. Mason 1999) und mit der eigenen Dokumentationspra­xis unzufrieden zu sein (vgl. Törnkvist et al. 1997). Als Gründe dafür werden mangelndes Selbstvertrauens zum Schreiben (vgl. Howse/Bailey 1992) sowie das Fehlen einer eignen Sprache und von Fachkenntnissen genannt (vgl. Abt-Ze­gelin et al. 2003, Davis et al. 1994). Pflegekräfte ziehen verbale Kommuni­kation und orale Übermittlung schriftlichen Medien vor (vgl. Gunningberg/Ehrenberg 2004, Heartfield 1996). Auch tendieren sie dazu, elektronische Aufzeichnungen als Entlastung wahrzunehmen (vgl. Moody et al. 2004), selbst wenn sich der Arbeitsaufwand mit ihrer Einführung kaum wesentlich verringert (vgl. Munyisia et al. 2011). Innerhalb der Ärzteschaft ist die Fehlerrate beim Dokumentieren nicht selten höher als in der Pflege18 und nimmt teilweise beträchliche Höhen an (vgl. Hsia et al. 1988, Püschmann et al. 2006). Die „Dokumentationsproblema­tik“ (Grimm 2010: 19) scheint aber auch hier einem analogen Muster zu folgen, dokumentieren doch beispielsweise Notfallärzte Daten von Patienten mit neuro­logischen oder psychiatrischen Beschwerden weniger (vgl. Sarko 2009) oder werden bei Neuaufnahmen insgesamt weniger Angaben festgehalten. Insgesamt scheinen diese Befunde darauf hinzuweisen, dass das Verhältnis der Beschäftig­ten in Krankenhäusern zur „Dokumentation“ im Kontext der in der Arbeitswelt vorherrschenden Kultur und dem Kräfteverhältnis zwischen den beteiligten Akteursgruppen verstanden werden muss (vgl. Heartfield 1996) und sich darin besonders Unterschiede in den kulturellen Kompetenzen zeigen, die durch die soziale Herkunft oder die Bildungslaufbahn vermittelt werden.

4. Gegen die Beschränkung der Autonomie

Eine wichtige Voraussetzung für die aktuelle Konjunktur der Dokumentationskri­tik ist sicherlich die strukturelle Umgestaltung des Gesundheitswesens in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren. Besonders mit der Umstellung von einer retrospektiven zu einer prospektiven Finanzierung, die unter dem politisch ver­ordneten Spardiktat erfolgte, sind an öffentlichen Krankenhäusern betriebswirt­schaftliche Kosten- und Gewinnkalküle wichtiger geworden und hat die Verwal­tung erheblich an Gewicht gewonnen. Moderne kapitalistische Wirtschaftslogi­ken, die auf die systematische und dauerhafte Generierung von Profiten abzielen, setzen, wie seit Max Weber (1922) bekannt ist, einen „zweckrational“ orientier­ten Verwaltungsstab und entsprechend funktionierende administrative Techniken voraus.

In den Schilderungen der interviewten ÄrztInnen und Pflegekräften wird im­mer wieder angeführt, dass die Dokumentationsaufgaben nicht nur wertvolle Ar­beitszeit absorbieren, sondern den beruflichen Handlungsspielraum einschränken würden – im obigen Statement spricht der leitende Arzt aus Österreich von sei­nes Erachtens unsinnigen „Richtlinien“ und „Vorgaben“, denen er zunehmend unterworfen sei. Betont wird dabei nicht allein, dass das neue Regime der Arbeitskontrolle der zweckmäßigen Realisierung der „eigentlichen Arbeit“ im Wege steht, es wird auch hervorgehoben, dass die Arbeit und ihre Qualität von diesem System (im Vergleich zu früher) weniger nach den Prinzipien der „ver­antwortlichen Autonomie“ der Beschäftigten als auf der Basis des betriebswirt­schaftlichen Ergebnisses ihrer Tätigkeit wahrgenommen und beurteilt wird. Wie an nachfolgenden Aussagen stellvertretend für zahlreiche Äußerungen deutlich wird, nimmt darin das Dokumentierte eine zentrale Funktion ein, da es letztlich die Grundlage einer solchen Bewertung darstellt – eine Basis, die allerdings schon beim Stellen der Patientendiagnose von Relevanz ist.19

Wir sind mittlerweile so, dass wir einfach schauen: ‚Okay, welche Punkte müs­sen unbedingt abgecheckt werden?’ Wir klären das mit dem Arzt, was für eine Meinung er hat. Klären das mit der verantwortlichen Pflegenden, das ist dann nachher meistens die Stationsleitung. Tun es entsprechend dokumentieren, was wir festgehalten haben und diskutiert.. also diskutiert ist. […] Wir sagen ein­fach, was wir alles gemacht haben und der Rest ist ein.. ist am Schluss ein Dokument […]. Manchmal ist es eine Beruhigungs… das Gewissen beruhigen, dass man alles gemacht hat, gell. Gewissen beruhigen: ich habe nachgefragt, ich habe… – wirklich, um sich selber, persönlich abzusichern. Ich denke, mit Zufriedenheit im Berufsalltag, hat das nicht unbedingt etwas zu tun. Pflege­fachfrau, Ausbildnerin, Schweiz

Man muss natürlich alles dokumentieren, was man macht. […] Also die müs­sen einfach bestimmte Sachen, die gemacht wurden, nachweisen, dass die auch gemacht wurden. […] Da müssen einfach bestimmte Minuten erbracht sein, da­mit man da eben den Zuschlag für diese Diagnose noch kriegt. Pflegefachkraft, stellvertretende Stationsleiterin, Deutschland

Ich muss natürlich dokumentieren. Und ich dokumentiere das auch. Und die Dokumentation ist mühsam, weil ich manchmal glaube, das wird nicht gelesen. Es wird auch manchmal nicht gelesen, und trotzdem muss es dokumentiert werden, weil sonst haben wir nicht gearbeitet. Pflegefachfrau, Leiterin Sozial­dienst, Österreich

Die Imperative, welche das neuartige System der Arbeitskontrolle an die medizinisch-pflegerisch Tätigen heranträgt, scheinen mit der Position und Auf­gabe zu variieren. Von den KaderärztInnen wird erwartet, dass sie ihre Abteilung „managen“, das heißt, dafür sorgen, dass sie rentiert und keine Verluste ein­bringt, etwa durch die Unter- oder Überschreitung der Patientenliegezeiten. Die leitenden ÄrztInnen sollten zudem im Rahmen der Abrechnung nach Fallpau­schalen den durch ihre Abteilung erwirtschafteten Erlös im Auge behalten und hierzu dafür sorgen, dass die erbrachten Leistungen und Diagnosen betriebswirt­schaftlich ‚zweckmäßig‘ erfasst werden. An die Pflegekräfte stellen die neuen Spielregeln vor allem den Anspruch des (in diesem Handlungshorizont) „korrek­ten“ Dokumentierens, wofür auf einer Station durchaus leitende Pflegekräfte die Verantwortung tragen können. Für alle Beschäftigten soll nach der neuen betriebswirtschaftlichen Logik nur das der letztendlich relevante Orientierungs- und Referenzpunkt sein, was abrechnungsrelevant ist – auch wenn sich in der konkreten Behandlungspraxis „eine Reihe von Prozeduren als bedeutsam erwei­sen, die in dem Kodiersystem nicht abgebildet werden können“ und damit nicht erlösrelevant sind (vgl. Vogd 2006: 102).

Inwiefern die berufliche Autonomie der medizinisch-pflegerisch Tätigen gera­de auch durch „die Dokumentation“ eingeschränkt wird, kommt paradigmatisch in der Beziehung zwischen der Ärzteschaft und dem Medizincontrolling zum Ausdruck. Formal unterstehen die Medizincontroller zwar den Ärzten, diese sind von ihnen jedoch wegen ihren besonderen Fähigkeiten und Kompetenzen in ‚er­lösrelevanten Fragen‘ zugleich abhängig. Nachfolgende Schilderungen von zwei Kodierfachkräften im Bereich des Medizincontrollings und einer Assistenzärztin geben Einblick, welcher „sanktionierenden“ Macht seitens der Verwaltung die Ärzteschaft und Pflege in diesem Beispiel ausgesetzt sind.20

Ja, miteinander reden ist sehr wichtig. Den Kontakt zu den Ärzten halten, zu den Schwestern halten, ist, finde ich, für uns sehr wichtig, weil man doch da schon einige Informationen rauskriegt. Ja, um da einfach im Gespräch zu blei­ben, ob man dann auch irgendeine Dokumentation noch mal verändern muss. Ob man da noch mal irgendwo einwirken sollte. […] Also man wird ja beäugt. Erfasst man alles richtig? Dokumentiert man richtig und so was? Kodierfach­kraft im Medizincontrolling, Deutschland

Die Leute [=Ärzte] müssen wissen, wann ist die Grenze. Und bei der mittleren Verweildauer, da fängt das Medizin-Controlling an. Also wenn die Leute gera­de in der Mitte entlassen werden, da können wir eben noch ein bisschen Geld mit dem Fall verdienen. Das müssen sie eben wissen, die Ärzte. Und sonst müssen sie, wenn sie falsch dokumentieren, und dann wird eben falsch kodiert, das sind Stellen, die sie dann selber verlieren auf der Station. Deshalb haben sie auch Interesse, dass richtig alles genau dokumentiert wird. Kodierfachkraft im Medizincontrolling, Deutschland

Und man hat das halt am Anfang auch gelernt, also wenn das tatsächlich alles sogar begründet und alles in Ordnung war, aber das im Brief nicht so hundert­prozentig dokumentiert hat, da kam auf jeden Fall eine Anfrage. Da muss man dann halt die Akten hinschicken und das ist dann immer aufwendig und vor al­lem kriegt man das Geld dann halt immer erst 100 Jahre später, keine Ahnung. Das ist was, was man sich am Anfang nicht so bewusst ist und das wird man sich bewusst, weil es halt wieder mehr Dokumentationsaufwand ist und so wei­ter und so fort. Assistenzärztin, Deutschland

Es sind aber nicht nur die oben genannten „Richtlinien“ und „Vorschriften“, welche die ÄrztInnen dazu anhalten, sich verstärkt an betriebswirtschaftlichen Messgrößen auszurichten. Wohl noch wirksamer im Hinblick auf die Durchset­zung neuer Kriterien der Selbst- und Fremdbewertung ärztlicher Arbeit dürfte der indirekte Einfluss der Verwaltung über speziell installierte Informations- und Kontrolldispositive sein. Der folgende Auszug aus einem Interview mit dem Lei­ter des Finanz- und Medizincontrollings – der sich als stets „im intensiven Dia­log“ mit den Ärzteschaft stehend bezeichnet – zeigt, wie sich eine Abteilung der Verwaltung darum bemüht, die Ärzteschaft untereinander durch permanenten Vergleich in eine Situation verschärfter Konkurrenz zu bringen. Die Passage zeigt zugleich, dass die Einschränkung der Autonomie der medizinisch-pflege­risch Tätigen weniger einem allgemeinen Generalplan „der Verwaltung“ folgt als dem im Kontext der Finanzknappheit wohl durchaus von Ernsthaftigkeit und En­gagement getragenen Wirken eines leitenden Verwaltungsmitarbeiters, der den Geist der Zeit (und die Krankenhausleitung) in seinem Rücken weiß:

Bei uns ist es so, dass das Controlling schon seit mehreren Jahren täglich ak­tualisiert [wird], mehrmals, also mindestens zweimal. Wir arbeiten gerade an einer Automatisierung des Berichtswesens, dann wird das nicht mehr händisch aktualisiert, sondern dann wird es stündlich vom System gemacht. […] Jeder Arzt kann sehen, was der andere Fachbereich macht. Also da stehen keine Pati­entennamen mehr, sondern da stehen nur noch Case Mix, Schweregrad, Fall­zahl insgesamt, da stehen die DRGs dort. […] Und es gibt auch eine Gesamt­statistik und da kommen Zahlen rot oder blau raus je nachdem ob man …

I: … Und man kann dann auch die anderen Kliniken und Abteilungen sehen.

Ja, möchte ich auch, dass die das sehen, damit die motiviert sind.

Die Dokumentationskritik kann vor diesem Hintergrund als ein Mittel begrif­fen werden, mit dem die medizinisch-pflegerisch Beschäftigten sich der Kontrol­le ihrer Arbeit durch die Verwaltung widersetzen, von der sie sich in einer Aus­übung ihrer Tätigkeit nach eigenen Maßstäben zunehmend beeinträchtigt fühlen. Damit richtet sich die Kritik auch gegen die Vorherrschaft betriebswirtschaftli­cher Funktionsprinzipien, die mit „der Dokumentation“ im Gesundheitswesen verstärkt Einzug erhielten und den genuinen Zweck der Organisation Kranken­haus zunehmend unterlaufen. Ihre eigentliche Bedeutung gewinnt die Dokumen­tationskritik folglich erst im Rahmen des vorherrschenden politisch-ökonomi­schen Regimes im relevanten Bezugsfeld und seiner Entwicklung, für die der Rückgang der staatlichen Finanzierung und der Machtzuwachs der Kranken­kas­sen kennzeichnen sind (vgl. Hermann 2007).21 Als das Mittel, durch das sie be­vorzugt wahrnehmen, dass ihre Arbeit nach einer Logik beurteilt wird, von der sie sich seit jeher abgrenzten, scheint sich „die Dokumentation“ als Projektions­fläche für das Unbehagen von Ärzten und Pflegekräften über ihre Arbeitssituati­on geradezu anzubieten.

5. Den Niedergang des Ansehens aufhalten

Ärzte und Pflegekräfte an öffentlichen Krankenhäusern würden ihr Unbehagen wohl kaum derart stark ausgeprägt die Kritik an der Dokumentation zum Aus­druck und zur Geltung bringen, wenn das Durchsetzen betriebswirtschaftlicher Maßstäbe nicht auch ihr Ansehen betreffen würde. Die Einschränkung des Hand­lungs- und Einflussbereichs, den medizinisch-pflegerisch Beschäftigte durch sie erfahren haben, ist gewiss erheblich. Für die Betroffenen ebenfalls von Bedeu­tung zu sein scheint, dass die Zunahme „der Dokumentation“ ihren Nimbus un­terminiert hat, der darauf beruhte, dass die ökonomische Seite ihrer Tätigkeit verleugnet und tabuisiert wurde. Bekanntlich ist es ein zentraler Wesenszug „der Dokumentation“, wirtschaftliche Sachverhalte fass- und sichtbar zu machen.22

Max Weber (1922) hat am Beispiel religiöser Würdenträger und politischer Akteure gezeigt, dass die Verleugnung jeder Art bürokratischer Organisation und jedes „Betriebs“ bei Vertretern von Institutionen, welche über ein Monopol sym­bolischer Güter verfügen, für ihr Berufsethos und ihr berufliches Ansehen konsti­tutiv ist. Pierre Bourdieu (2012: bes. 139-142) zufolge liegt die kategorische Ablehnung der Vulgarität wirtschaftlicher Kalkulation der „Ehre“ öffentlich Bediensteter und dem Zauber öffentlicher Güter zugrunde (vgl. Schultheis 2012). Auch das Ansehen von ÄrztInnen und Pflegekräften beruht nicht unwesentlich auf der Verneinung des „planvollen rationalen Geldgewinn(s), überhaupt alle(n) (…) rationale(n) Wirtschaften(s)“ (Weber 1922: 654).

Interessanterweise wurde dem strukturellen Charakter dieses Sachverhalts in den ersten soziologischen Arbeiten zum Krankenhausbereich Rechnung getra­gen, wenn auch vor allem anhand der Ärzteschaft.23 So tabuisiert das ärztliche Berufsideal24, wie es von Talcott Parsons (1951: 428-479) vor sechs Jahrzehnten am Beispiel niedergelassener ÄrztInnen festgehalten wurde, die materielle Seite der ärztlichen Tätigkeit. Expliziter weisen jedoch Arbeiten von Eliot Freidson, Everett Hughes sowie Harvey Smith und Gartley Jaco darauf hin, inwiefern dies mit einer Abgrenzung von bürokratisch-legalen Mitteln und Legitimationsformen einher geht: ÄrztInnen würden ihre Arbeit „im wesentlichen […] als außeror­dentlich komplex und routinefrei“ auffassen, „so dass sie, um angemessen erfüllt werden zu können, eines ausgedehnten Trainings, großer Intelligenz und Fertig­keit sowie höchst komplexer Urteilskraft bedarf, welche sämtlich nicht aufgrund von einfachen und festgelegten Regeln her beurteilt werden können“ (Freidson 1975: 110). ÄrztInnen suchten jenseits bürokratischer Vorgaben Geltung, die der bürokratisch-legalen Macht gegenüber mit Widerstand geladen ist (vgl. Smith/Jaco 1958: 469f.). Sie hielten die Arbeitsabläufe jenseits von Routine und Regelhaftigkeit hoch, was sich besonders in der Idealisierung einer Notstands­haltung zeige (vgl. Hughes 1958a:54f., 58 und 88, 1958b:169f.). Smith und Jaco (1958) sprechen gar davon, dass Krankenhäuser von „two lines of authority“ be­herrscht seien, welche die „basic duality of hospitals“ seien und sich durch den Widerspruch zwischen der Verwaltungsmacht und der ärztlichen Macht kenn­zeichne. Das Verhältnis von ÄrztInnen und Pflegekräften zur „Dokumentation“ ist folglich strukturell bzw. grundsätzlich problematisch (vgl. Howse/Bailey 1992), was an öffentlichen Krankenhäusern umso stärker sein dürfte als dort das anti-ökonomische Berufsethos von der institutionell zur Verwaltung gegensätzli­chen Position der medizinisch-pflegerisch Tätigen abgestützt wird.25

Durch die gegenwärtige Dokumentationskritik scheint die Ablehnung der bürokratisch-legalen Macht vor allem die Form eines Abwehrgefechts gegen die Verwaltung darzustellen. Zwar wird sie auf Grundlage eines beruflichen Selbst­verständnisses vorgebracht, welches administrative Aufgaben rundum zurück­weist.26 Alle befragten ÄrztInnen und Pflegekräfte qualifizieren die im Arbeit­salltag nicht wegzudenkenden administrativen Arbeiten in den Schilderungen als minderwertig, unerfreulich und wenig dankbar und letztlich nicht zur eigenen Aufgabe gehörend; als „tätigkeitsfremde“ Arbeit ohne hohe Wertigkeit.27 Ange­sichts der aktuellen Dynamik an öffentlichen Krankenhäusern, die der Verwal­tung mehr und den medizinisch-pflegerisch Tätigen weniger Macht zukommen lässt, kann die Dokumentationskritik allerdings nicht mehr als ein Rückzugsfeuer sein. Umso mehr, als durch das bereits erfolgte Sichtbarwerden des Ökonomi­schen das Ansehen von ÄrztInnen und Pflegekräften bereits verringert hat, d.h. das Ansehen, dass beim Kritisieren der Dokumentation heute noch ins Feld ge­führt werden kann.

Die Bedeutung der Dokumentationskritik ist also im Kräfteverhältnis zwi­schen den relevanten Akteursgruppen am Krankenhaus und im Gesundheitswe­sen insgesamt zu verstehen. Die medizinisch-pflegerisch Tätigen sind keine genug große Kraft und stehen auch mit keiner in einer Allianz, um den politi­schen Mainstream aufzuhalten. In Zeiten knapper Staatskassen wird die staatli­che Finanzierung weiter reduziert und es florierenden Modelle auf Grundlage von betriebswirtschaftlichen Kategorien, auch wenn sie das Gesundheitswesen teurer machen. So erstaunt es nicht, dass sich in den Schilderungen der Befragten auch weitere Formen der Verneinung bürokratisch-legaler Mittel meist in zurück­haltender Form zeigen. Die Äußerungen bündeln sich für die einzelnen Akteurs­gruppen in bestimmten Bildern. Auch hier gewinnt man den Eindruck, dass es darum geht, den weiteren Niedergang des kollektiven Ansehens der Beschäftig­tengruppe zu verhindern.

Bei den leitenden ÄrztInnen eine wichtige Referenzfigur zu sein scheint, von der die Befragten sich gerne abgrenzen und abheben, ist diejenige des „Mana­gers“, der für seine Abteilung wirtschaftlich selbst verantwortlich ist und dessen Entlohnung nach seinem ‚Ertrag‘ für das Krankenhaus bemessen wird (in unse­rer Untersuchung zeigt sich dies insbesondere für D und CH). Auch zum Besitz eines Master of Business Administration, der mittlerweile erforderlich sei, geht das „Ressentiment der Entmachteten“ (Bär 2011) auf Abstand. Im Unterschied dazu scheint die Ablehnung der bürokratisch-legalen Macht bei den Pflegekräfte in der Form der exemplarischen Prophetie zusammen zu kommen: dem Bild der Stationsleiterin, die von sich aus ins Stationsteam zurückkehrt, um „mit sich im Reinen“ zu sein; eine Figur, welche sich die weltlichen Gratifikationen ihrer Lei­tungspositionen aus der Einsicht heraus versagt, dass die Bestimmung der Pfle­gearbeit im „Dienst am Patienten“ liegt.

In den Unterschieden zwischen diesen Leitmotiven scheinen Differenzen in den Positionen und Dispositionen, aber auch den Erfahrungen zum Ausdruck zu kommen. Die Schilderungen der befragten ÄrztInnen und Pflegekräfte vereint jedoch ein großes Missfallen gegenüber der Wahrnehmung und Bewertung ihrer Arbeit in betriebswirtschaftlichen Kategorien, auch wenn nicht selten in der Logik der Realpolitik ernüchtert und „entzaubert“ zu verstehen gegeben wird, dass die Möglichkeiten, die Arbeit entsprechend den eigenen „Idealen“ zu reali­sieren, einfach kleiner geworden seien und weiter werden. Als Werkzeug, mit dem die Distanz zur Verwaltung unmissverständlich bekräftigt wird und zugleich die tiefgreifende Infragestellung der eigenen beruflichen Autonomie, die nicht unwesentlich durch „die Dokumentation“ verursacht ist, ihrerseits in Frage gestellt werden kann, scheint die Dokumentationskritik für die medizinisch-pfle­gerisch Tätigen ein privilegiertes Instrument darzustellen, um dem geteilten Bedürfnis nachzukommen, – wie es Weber (1922: 659) ausdrückt – „mit allen Mit­teln […] dieser Zerstörung Schranken zu ziehen“, wie sie der Niedergang des „genui­nen Charisma“ darstellt.

6. Schluss

In diesem Artikel wurden die Möglichkeitsbedingungen der Zunahme der Do­kumentationskritik untersucht, wie sie in den vergangenen Jahren festzustellen ist. Die empirische Grundlage stellen qualitative Interviews mit ÄrztInnen, Pfle­gekräften und Verwaltungsangestellten von drei öffentlichen Krankenhäusern in Deutschland, Österreich und der Schweiz dar, die vor dem Hintergrund des For­schungsstandes zum Thema diskutiert wurden. Auf einer allgemeinen Ebene wurde deutlich, dass die Dokumentationskritik einerseits als Resultat des Ver­hältnisses zwischen den Kategorien des Denkens, Wahrnehmens und Handelns, welche die Akteure inkorporiert haben, und andererseits den Möglichkeiten, die ihnen ihre Position bietet, zu verstehen ist. Zudem erhöhen sich die Chancen, dass auf sie zurückgegriffen wird, mit zunehmenden symbolischen und kulturel­len Ressourcen. Die Analyse hat gezeigt, dass die Zunahme der Dokumentations­kritik seitens medizinisch-pflegerisch Tätiger nicht allein durch die mengenmäßi­ge Betroffenheit bzw. das quantitativ zu messende Absorbiert-Werden durch Do­kumentationsaufgaben bedingt ist, sondern vor allem mit zwei Aspekten, die mit dem gegenwärtig stattfindenden strukturellen Wandel der stationären Gesund­heitsversorgung und besonders der Durchsetzung betriebswirtschaftlicher Funkti­onsmechanismen zusammenhängen: Zum einen der Abnahme der Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten von ÄrztInnen und Pflegekräften auf das Geschehen an Krankenhäusern, die nicht unwesentlich durch „die Dokumentation“ verur­sacht ist; zum anderen und vor allem das zunehmende Sichtbarwerden der öko­nomische Seite der Arbeit von medizinisch-pflegerisch Tätigen, welche „die Dokumentation“ bewirkt; dies untergräbt deren herkömmliche berufliche „Ehre“, für die just die Verleugnung dieser Seite konstitutiv ist, nachhaltig. In einem Kontext, in dem sich medizinisch-pflegerische und betriebswirtschaftliche An­sprüche zunehmend weniger gut miteinander vereinbaren lassen, scheint ist die Dokumentationskritik eines der wenigen Einsatzmittel von Ärztinnen und Pfle­gekräften darzustellen, mit dem sie ihr Unbehagen an der Verringerung ihrer beruflichen Autonomie durch die sich durchsetzenden betriebswirtschaftlichen Funktionslogiken zum Ausdruck bringen können, ohne ihre Ablehnung der Be­schäftigung mit materiellen Fragen aufgeben zu müssen.

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1 In offiziellen Organen der Ärzteschaft beispielsweise wird von „Dokumentationswut“ (AEKWL 2012), von „unsinniger Kontrollbürokratie“ (Flintrop/Korzilius 2012: 635), von „Bürokratie-Wahnsinn“ (AEKWL 2012) oder von einem „Bürokratie-Monster“ (Flintrop/ Korzilius 2012: 634) gesprochen.

2 Ende 2011 verabschiedete eine Gruppe von Kaderärzten am Universitätsspital Zürich das Manifest „Medizin gegen Spitalbürokratie“, in dem ein „radikaler Bürokratie-Abbau“ gefor­dert wird (ZKFS 2011). In Deutschland, wo nicht nur der Umfang der Dokumentation mehr angewachsen, sondern auch die Diskussion darüber weiter gediehen zu sein scheint, kam es zu analogen Mobilisierungen. Aufsehen erregte zuletzt die Petition „Gesundheitswesen – Kontrolle der Verwaltungs- und Bürokratiekosten der Krankenkassen“, die im März 2012 beim Deutschen Bundestag mit 4000 Unterschriften eingereicht wurde und verlangt, die Bürokratiekosten transparent zu machen und den Bundesrechnungshof mit der Kontrolle der Verwaltungs- und Bürokratiekosten der Krankenkassen zu beauftragen. Auch Pflegekräfte äußern immer deutlicher ihre Unzufriedenheit über die in den vergangenen Jahren ange­wachsenen Dokumentationsaufgaben; eine Folge davon ist zum Beispiel, dass im deut­schen Bundesministerium für Gesundheit im Juni 2011 die Funktion einer Ombudsfrau zur „Ent­bürokratisierung in der Pflege“ geschaffen wurde. Von der American Nurses Associati­on, die ihren 1950 erstellten Ethikkodex zuletzt im Jahr 2001 aktualisiert hatte, erschien im Jahr 2010 bereits eine Aktualisierung des 2005 erstmals herausgegebenen des Verhaltenskodexes zur Dokumentation.

3 In der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise besteht die Dokumentationspflicht für ÄrztInnen seit dem Jahr 1976 und für Pflegekräfte seit 1986 (vgl. Strässner 2010).

4 Selbst innerhalb der Pflege wird das Dokumentieren spätestens seit Florence Nightingale als zentraler Bestandteil der Arbeitspraxis angesehen (vgl. Iyer/Camp 1995).

5 Daran anschließend hat sich auch im deutschsprachigen Raum eine entsprechende Ratge­ber-Literatur entwickelt. Aus dem Jahr 2010 stammt die Feststellung eines Rechtsanwalts für Krankenhaus- und Patientenrecht, wonach „mittlerweile […] die Flut an Büchern, Arti­keln und Tipps zur ‚richtigen‘ oder ‚guten‘ Pflegedokumentation kaum noch zu überblicken [ist].“ (Strässner 2010: 1).

6 Diese Literatur wird in Teil 2 eingehender diskutiert.

7 Erhoben wurde dieses Material im Rahmen des SNF/DFG/FWF-Projekts „Im Dienste öffentlicher Güter“ unter der Leitung von Franz Schultheis, Berthold Vogel und Jörg Flecker von Januar bis Dezember 2011. Aufbereitet wurden die qualitativen Interviews in der Logik der Grounded Theory und des Verstehens-Ansatzes von Pierre Bourdieu (1993). „Dokumen­tation“ ist im empirischen Material eine zentrale indigene Kategorie.

8 Der zunächst oft undifferenziert vorgebrachte Ausdruck „Dokumentation“ rekurrierte in den Interviews entweder auf das schriftliche Festhalten von Arbeitsabläufen, die Aufzeich­nung patientenbezogener Daten oder das Dokumentieren im Rahmen der so genannten „Absicherungsmedizin“.

9 Zu welchen Veränderungen beispielsweise eine von der Sozialkritik losgelöste Kulturkri­tik Anlass geben kann, zeigt gerade die Analyse von Boltanski und Chiapello (1999).

10 Einer Umfrage des deutschen Krankenhausinstituts zufolge im Jahr 2001 wenden ÄrztIn­nen in der Inneren Medizin durchschnittlich 3 Stunden und 15 Minuten für das Dokumen­tieren auf, diejenigen in der Chirurgie 2 Stunden und 42 Minuten (vgl. Blum/Müller 2003). Becker et al. (2010) ermitteln aufgrund von Arbeitsprozessbeobachtungen in der Uniklinik Freiburg einen durchschnittlichen Wert von 148 Minuten für „Dokumentation“ und Verwal­tungstätigkeiten. Die jüngste Mitgliederbefragung des Marburger Bundes zeigt, dass 54% der Kli­nikärzte täglich mehr als 2 Stunden mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt sind (vgl. IQE 2011). Bei den Pflegekräften scheint der Aufwand für Dokumentation und Administra­tion in der Chirurgie im Durchschnitt 88,2 Minuten und in der Inneren Medizin 96,5 Minu­ten pro Arbeitstag zu betragen, gesamthaft gut 28% der Arbeitszeit (vgl. Blum 2003). Aus einer kürzlich durchgeführten Befragung geht hervor, dass Spitalärzte in der Schweiz durch­schnittlich 10% ihrer Zeit für Rapporte, 16% für Dokumentationsarbeit und weitere 10% für die Codierarbeit und sonstige administrative Tätigkeiten verwenden (Golder et al. 2011).

11 Inwiefern sich diese Wahrnehmung verändert hat, zeigt z.B. die Studie von Perneger et al. (2011), in welcher Daten aus Erhebungen mit demselben Fragebogen in den Jahren 1998 und 2007 kontrastiert werden. Während im Kanton Genf im Jahr 2007 der Anteil der Ärz­tInnen, die mit ihrer „administrativen Last“ unzufrieden sind, bei 49,5% lag, waren es 1998 noch 8,9% weniger.

12 Beispielsweise stellt Sabine Bartholomeyczik (2007) in der Pflegearbeit auf Grundlage u.a. von Arbeitsprozessbeobachtungen in drei Krankenhäusern der Maximalversorgung auf jeweils zwei Stationen zwischen 2003 und 2005, d.h. zu Zeiten der Einführung der DRG in Deutschland, einen Rückgang des Anteils der Dokumentationsaufgaben an der Arbeitszeit von 8,4% auf 6,7% fest.

13 Von Anfang der 1960er Jahre beispielsweise stammt die Beobachtung von Johann Rohde (1962: 312), dass Pflegekräfte Aufgaben wie die „Schreibarbeit“ in „kaum verhohlener Af­fektivität“ ablehnen.

14 Der erwähnten Umfrage von Blum und Müller (2003) zufolge verwenden Assistenzärzte in Deutschland mehr als 50% ihrer Arbeitszeit für Dokumentationsaufgaben.

15 Für einen Überblick, siehe die qualitativen Meta-Analysen von Jefferies et al. (2010) und Kärkkäinen/Eriksson (2005).

16 Die von uns befragten Beschäftigten identifizierten in überwiegender Zahl neben der Zu­nahme von Dokumentationsaufgaben die Intensivierung der Arbeit als zweite große Verän­derung der letzten Jahre. Zur Intensivierung im Krankenhaus-Bereich, siehe Böhlke et al. (2009).

17 Weshalb gerade die Pflegekräfte (und nicht die ÄrztInnen) zu diesem Punkt verstärkt un­tersucht werden, scheint neben ihrer Position im Krankenhausgefüge nicht zuletzt mit den Erwartungen zusammenzuhängen, welche die Krankenkassen seit einigen Jahren verstärkt an sie herantragen. In Deutschland scheint die unvollständige Pflegedokumentation jeden­falls vor allem seitens des Medizinischen Diensts der Krankenkassen MDK als „‚Haupt­mangel der Pflege überhaupt“ aufgefasst zu werden, wie Günther Roth (2001: 161, Hervor­hebung des Autors) aufgrund einer Expertenbefragung im ambulanten Bereich zeigt.

18 Am Beispiel des geriatrischen Akutbereichs in zwei nordeuropäischen Ländern wird deut­lich, dass nicht nur verhältnismäßig viele funktionale Fähigkeiten der Patienten nicht doku­mentiert werden, sondern auch, dass die Pflegekräfte zuverlässiger dokumentieren als die ÄrztInnen: Bei den pflegerischen Einträge fehlten 40 bis 60% und bei den ärztlichen Berichten 80 bis 97% (vgl. Jensdóttir et al. 2008). Zu einem analogen Befund gelangen Püschmann et al. (2006), die anhand von 317 Krankenunterlagen aus unterschiedlichen me­dizinischen Fachbereichen ermitteln, dass die Verlaufsdokumentation der ÄrztInnen ledig­lich in der Hälfte aller Fälle vorhanden und frei von Mängeln ist, während dies bei den Pfle­gekräften bei 83% der Fall ist.

19 Im deutschen Krankenhaus, in dem sich das neue Regime der Arbeitskontrolle stärker als in den beiden anderen Krankenhäusern durchgesetzt hat, nahmen die Beschäftigten wieder­holt auf den Slogan „Wer schreibt, der bleibt“ Bezug, in dem der zentrale Imperativ dieses Regimes für die subalternen Beschäftigten paradigmatisch zum Ausdruck zu kommen scheint.

20 Vgl. dazu auch den Beitrag von Pfeuffer/Gemperle in diesem Band.

21 Zum Ausdruck kommt dies nicht zuletzt darin, dass die Zunahme des Dokumentationsauf­wandes in einer repräsentativen Umfrage im Sommer 2011 unter rund 1200 schweizeri­schen Ärzten die mit Abstand am häufigsten im Zusammenhang mit der bevorstehenden DRG-Einführung genannte Sorge war (vgl. Golder et al. 2011).

22 Wie gewichtig die Infragestellung des Ansehens der medizinisch-pflegerisch Tätigen ist, lässt sich unter anderem daran erkennen, dass selbst vielen Studien über „die Dokumentati­on“ – wie DeWolf Bosek und Ring (2010) bezüglich Pflegekräften feststellen – mittlerweile die Vorstellung zugrunde liegt, „good documentation equate(s) to good nursing care“.

23 Dies ist sicher mit ein Grund ist, weshalb die Gegebenheit in der aktuellen fachlichen Dis­kussion über die Pflegekräfte kein zentrales Thema darstellt (z.B. Behrens/Langer 2010; Schaeffer/Wingenfeld 2011).

24 Diese kennzeichnet sich zum einen durch den Grundsatz, prinzipiell allen Mitgliedern der Gesellschaft zur Verfügung zu stehen und sie gleich zu behandeln (Universalismus). Zum anderen beruht sie auf der Prämisse, das Wohl der Patientin/des Patienten über alle anderen Interessen (inklusive der eigenen) zu stellen und sie/ihn so nach bestem Wissen und Können medizinisch-pflegerisch zu behandeln (Kollektivorientierung).

25 Diesen Umstand zu bagatellisieren scheinen Erklärungen, die das kritische Verhältnis von Pflegekräften zu den Dokumentationsaufgaben auf deren zu geringes Interesse, mangelnder Sorgfalt oder „fehlende Einsicht“ (Höhmann et al. 1996) zurückführen.

26 Bereits Anfang der 1960er Jahre beobachtete Johann Rohde (1962: 312), dass „das subjek­tive Bewusstsein“ der „Entfremdung […] dort am höchsten ist, wo man sich als Kranken­schwester entweder administrativ-bürokratisch oder administrativ-betrieblich zu betätigen hat“.

27 DeWolf Bosek und Ring (2010) zeigen, dass Pflegekräfte eine „gute“ Dokumentation nicht als notwendige Voraussetzung für eine gute Erfüllung ihrer Arbeit ansehen. ProLitteris