Covid19-Massnahmen Schlichenmaier

Umsetzung von Massnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 und dahinterstehende Motive in der Zürcher Gastronomie

Eine qualitative Studie

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© ProLitteris, Finn Schlichenmaier

1 Einleitung

Verhaltensveränderung ist gefragt in diesen Zeiten. Covid-19 hat eine Krise ausgelöst, die sich nicht ‘nur’ auf den Finanz- und Arbeitsmarkt oder das Bildungssystem beschränkt. Vielmehr durchdringt das Virus die gesamte Gesellschaft. Die Politik ist gefragt, die Regierungen stehen auf dem Prüfstand; aber auch die Einzelnen, die Akteure, sehen sich einer gemeinschaftlichen Verantwortung gegenüber. Wie wird man so einer Bedrohung habhaft? Wie können wir unser Verhalten kollektiv steuern? Das sind Fragen, die im Jahr 2020 neue Aktualität erleben.

Wer sich trotz Covid-19 dann und wann in ein Restaurant oder eine Bar verirrt hat, der wird festgestellt haben: die Anpassung an die Ausnahmesituation und die Umsetzung der behördlichen Auflagen können höchst unterschiedlich ausfallen. Unser Längenmass scheint nicht mehr verbindlich: eineinhalb Meter, der geforderte Mindestabstand zwischen den Tischen, kann je nach Betrieb schrumpfen oder wachsen; wo man am einen Ort gar nicht erst etwas bestellen kann, ohne seine Kontaktdaten (mit Unterschrift) hinterlegt zu haben, hat man andernorts gar nicht erst Gelegenheit dazu; das Personal kann wahlweise schon den ganzen Sommer Masken tragen oder das Essen mit seinen Aerosolen würzen, indem es lauthals die Bestellnummern über den Tellern verkündet. Diese etwas zugespitzte Darstellung soll verdeutlichen, dass die Umsetzung von rechtlichen Normen alles andere ist als eine Selbstverständlichkeit – und damit die traditionsreiche Frage nach der Rechtswirkung stellen. Wie ist das Verhältnis von gesetztem Recht und gelebter Faktizität in der Gesellschaft? Um diese Kernfrage kreist die vorliegende Arbeit.

Die Gastronomie ist eine der Branchen, die vom severe acute respiratory coronavirus type 2 (im Folgenden SARS-CoV-2) am stärksten getroffen werden. Mal abgesehen vom grundlegenden Bestreben, am Ende des Tages – oder Jahres – keine Verlustrechnung machen zu müssen, gestaltet sich der Umgang mit der Krise nicht trivial. Die Massnahmen des Bundesrates und der Kantone sind als einzelne keine komplexe Angelegenheit, aber die Umsetzung dann eben schon: wie geht man mit der beschränkten Nutzungsmöglichkeit des Raumes um? Wie kann man Ansteckungsketten unterbinden? Wie kann man die Atmosphäre nicht verschandeln mit den Tischwänden? Wie sieht es mit Anschaffungskosten aus? Wie kann man die Kontaktdaten effizient erfassen?

Eine qualitative Befragung soll diesen mannigfachen Eigenheiten gerecht werden und Einsicht in die Prozesse und Motive geben, die zu der Befolgung – oder gegebenenfalls Nichtbefolgung – der Massnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 führen.

2 Gegenstand

2.1 Fragestellung

Die Gastronomie ist ein Ort sozialer Interaktion, mit dicht gefüllten Räumen und ausgelassenen Gesprächen. Das macht sie zu einem potentiellen Infektionsherd für SARS-CoV-2. Der Umgang mit dem Virus verlangt deshalb nach Verhaltensänderungen. Es ist eine Zeit, in der unternehmerische Anpassungsfähigkeit und Kreativität gefragt sind.

Die Verhaltensänderungen (im Folgenden ‘Adaptionen’) im Zusammenhang mit Covid-19 erschöpfen sich dabei keineswegs im mehr oder weniger passiven Befolgen von behördlich verhängten Massnahmen. Adaption findet auch in einem (noch) ‘rechtsleeren’ Raum statt, also dort, wo es noch gar keine Vorschriften gibt. Denn auch hierfür gibt es triftige Motive, von denen hier zwei erwähnt werden sollen: Selbstschutz und Rufwahrung. Ersteres ist wohl das grundlegendere, weil es sich auf die physische Gesundheit der Akteure selbst bezieht. Sein Geld in der Gastronomie zu verdienen geht mit einer bedeutenden Ansteckungsgefahr einher. Die Gefahr des Reputationsverlusts kann aber unter Umständen mindestens so wirkmächtig sein: der Ruf des eigenen Betriebs und das Wohlfühlen der Gäste darin hat wirtschaftliche Konsequenzen. Das ist weder eine erschöpfende Auflistung der Motive hinter Adaptionen, noch eine, die einen Anspruch auf empirische Validität erhebt; sie soll aber dafür genügen, zu zeigen, dass die Reaktion auf SARS-CoV-2 aus einer breiteren Perspektive gesehen werden muss. Eine Betrachtung nur aus polizeilicher Perspektive, Verstösse oder Befolgung ausfindig machend, ist unvollständig. Die in Frage stehenden Handlungen sind also Adaptionen im Zusammenhang mit Covid-19.

In einem zweiten Schritt soll das Interesse den Motiven gelten, die hinter den jeweiligen Adaptionen stehen. Es soll herausgearbeitet werden, ob und inwiefern das Recht eine Rolle spielte, also zum Bestimmungsgrund der betreffenden Verhaltensweise wurde (Duenkel, 2002: 112). Es soll insbesondere auch gefragt werden, durch welche Kanäle es seinen Wirkungsweg zu den Akteuren findet.

Übergreifend sollen auch die situationalen Bedingungen der entsprechenden Adaptionen und Motive in die Analyse miteinbezogen werden. Gerade die wirtschaftliche Lage der Betriebe soll nicht vernachlässigt werden. Dies führt zu der Fragestellung:

Welche Motive sind für Verhaltensänderungen und Anpassungen in der Zürcher Gastronomie zur Bekämpfung von Covid-19 relevant? Welche Rolle spielen die behördlichen Massnahmen dabei? Gibt es strukturelle Faktoren?

2.2 Vorbemerkungen

Der Untersuchungszeitraum beginnt vor dem Lockdown im März 2020, um etwaige Adaptionen der Betriebe, die den bundesrätlichen Massnahmen vorgingen, zu erfassen. Das Ende ist auf Anfang November angesetzt. Dies schlicht und einfach deshalb, weil die Interviews auch irgendwann erhoben werden mussten. Eingeschlossen sind damit noch neue Massnahmen Ende Oktober.

Die einschlägigen, wichtigen Massnahmen, auf deren Umsetzung diese Untersuchung fokussieren wird, sind: die Tischabstandsregel, die Maskenpflicht, sowie die Erfassung von Personendaten. Hier ist eine Erfassung der Motive und der Konsequenz der Umsetzung realistisch, weil sie alle nach konkreten Entscheidungen der Geschäftsleitung verlangen. Hingegen ist eine Feststellung der Umsetzung der Vier-Personen-Regel ein schwierigeres Unterfangen, weil sich dieses meist in ad-hoc ausgesprochenen Verboten seitens des Personals manifestiert, also keine betriebliche Lösung vonnöten ist wie bei erstgenannten Fällen. Ohnehin würde das wahrscheinlich das Überblicksvermögen der Befragungsperson übersteigen. Keineswegs soll das aber heissen, dass auf potentielle Adaptionen, die sich auf andere Massnahmen beziehen, nicht eingegangen wird.

Aus methodischen Gründen, die später noch genauer erläutert werden sollen, wird nicht auf eine Identifizierung konkreter Normverstösse abgezielt. Das soll aber nicht daran hindern, Aussagen über das Verhalten der Betriebe aus einer integrierenden Perspektive zu treffen. Die Gründlichkeit und Konsequenz der Umsetzung der Massnahmen im zeitlichen Verlauf der Pandemie soll in den Interviews zumindest ansatzweise erforscht werden. Der Begriff der Konsequenz erscheint mir deshalb als geeignet, weil die Umsetzung der Massnahmen keine einmalige Sache ist, sondern ein längerfristiges Verhalten. Die Formulare für die Personendaten müssen jedes Mal aufs Neue an den Tisch gebracht werden, der fünfte Gast immer wieder abgewiesen, die Gäste jeden Abend um elf Uhr nach Hause geschickt werden.

Es wird immer wieder vom ‘Verhalten der Betriebe’ oder Ähnlichem die Rede sein. Dies ist insofern irreführend, als dass von einer Betrachtung des Betriebes als Entität, als eigenem Akteur, nicht ausgegangen werden kann, da dies weder realitätsnah noch sinnvoll für die Fragestellung dieser Arbeit ist. Es sind die Entscheidungsträger und deren Motive, die das ‘Verhalten der Betriebe’ steuern, letztlich die Umsetzung der Massnahmen bestimmen – also in der Regel die Geschäftsführer, vielleicht sogar die Inhaber. Es sind dann aber die Mitarbeitenden, die sie vollziehen, deshalb werde ich auf den Gebrauch dieser Redensart nicht verzichten, jedoch nur in dem umschriebenen Sinne.

2.3 Normstruktur

Die juristischen Regelwerke, die im Zusammenhang mit Covid-19 erlassen wurden, haben schon einen beträchtlichen Umfang erreicht. Sie in der gesamten Fülle hier abzubilden, würde einerseits den Rahmen der Arbeit übersteigen, andrerseits aber auch vom Wesentlichen für die vorliegende Fragestellung ablenken. Dass sich die vorliegende Arbeit nur mit den für die Gastronomie wesentlichen Normen beschäftigt, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Massgeblich für die Fragestellung sind die Verordnungen 2 und 3 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19-Verordnung 2 und Covid-19-Verordnung 3) sowie die Verordnung über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Verordnung besondere Lage). Daneben sind insbesondere die Schutzkonzepte des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) und des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) verbindlich, die dann in die branchenspezifischen Schutzkonzepte der Gastrosuisse übersetzt wurden. Diese wurden auch laufend erneuert, mittlerweile zählt man hier die zehnte Version (Stand: Mitte November). Kantonale Bestimmungen gab es im späteren Verlauf auch, massgeblich ist hier die Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie (V Covid-19).

Sinn und Zweck der Erlasse liegen zwar eigentlich auf der Hand, sollten aber dennoch an dieser Stelle nicht fehlen. Die Massnahmen dienen dazu, die Verbreitung von SARS-CoV-2 einzudämmen, die Häufigkeiten der Übertragungen zu reduzieren, besonders gefährdete Personen zu schützen und die Kapazitäten der Schweiz zur Bewältigung der Epidemie sicherzustellen (Covid-19-Verordnung 2, Art. 1 Abs. 2). Weiter ausformuliert, zielen die ersten zwei Punkte auf die tatsächliche und wirksame Verhaltensteuerung im Alltag. Es kann geradezu vom Gegenteil einer symbolischen Gesetzgebung gesprochen werden.

Am 13. März verkündet der Bundesrat den Lockdown und erlässt die Covid-19-Verordnung 2. Restaurants, Barbetriebe und Nachtclubs bleiben vorerst noch offen mit einer Beschränkung auf 50 Personen, werden dann aber am 17. März mit der dritten Version der Covid-19-Verordnung 2 ebenfalls geschlossen.

Mehr als zehn Anpassungen danach brauchen uns nicht zu interessieren. Mit der Version vom 11. Mai öffnet der Bund die Restaurationsbetriebe dann wieder unter Vorbehalt der Einhaltung der Schutzkonzepte. Das heisst: Einhaltung des Tischabstandes von 2 Metern, maximal vier Personen am Tisch (Familien sind ausgenommen), sowie Bereitstellung von Desinfizierungsmaterial für Gäste und Personal.

Am sechsten Juni erscheint die vierte Version des Schutzkonzeptes. Ab jetzt dürfen wieder Gruppen grösser als vier Personen zusammen am Tisch sein. Dafür müssen Kontaktdaten von einer Person für solche Gruppen erhoben werden. Gäste dürfen dann auch nicht im Stehen konsumieren, um die Regel zu ‘umgehen’.

Neuerungen gibt es dann auch wieder am 20. Juni: der Bund erlässt die Covid-19-Verordnung besondere Lage. Am 22. Juni folgt die Covid-19-Verordnung 3. Zwei für die Fragestellung relevante Änderungen ergeben sich: Kontaktdaten müssen jetzt von jeder Gastgruppe angegeben werden. Weiterhin genügen aber die Daten einer Person. Der geforderte Tischabstand beträgt nun nicht mehr zwei, sondern eineinhalb Meter. Die Covid-19-Verordnung 2 wird aufgehoben.

Am 24. August erlässt der Kanton Zürich die V Covid-19. Er konkretisiert darin die Erhebung der Kontaktdaten, spezifiziert die zu erfassenden Informationen: Postleitzahl, Telefonnummer, E-Mail und der Name müssen angegeben werden.

Wichtige Neuerungen gibt es dann wieder am 19. Oktober (Schutzkonzept Version 8): Maskenpflicht für alle, einschliesslich des Personals. Gäste müssen beim Gehen, also auch beim Aufsuchen der Toilette, die Maske anziehen. Am 29. Oktober dann, Schutzkonzept Version 9, gilt wieder die Beschränkung der maximalen Anzahl an Gästen auf vier Personen pro Tisch.

Verstösse gegen die behördlichen Auflagen konnten strafbar sein, die Gewerbepolizei zielte aber nicht auf die Kriminalisierung der Verantwortlichen. Die Absicht belief sich vielmehr auf die Wiederherstellung des rechtsgenügenden Zustandes. Nach erster Bemängelung wurden Nachkontrollen durchgeführt, die dann eine Verzeigung bei erneutem Verstoss zur Folge hatten.

3 Theoretische Ansätze und Hypothesen

3.1 Sanktionen und Externalitäten

Wenn man danach fragt, wieso eine rechtliche Norm befolgt wird, dann lautet die gängige Antwort: wegen der Strafe! Das ist sicher nicht falsch, aber auch sicher nicht die ganze Geschichte. Denn: «Studien weisen darauf hin, dass mit der juristischen Sanktion der Strafe allgemein nur eine Wirkungswahrscheinlichkeit von 50%-60% verbunden ist, die Strafe also nur die Hälfte aller Fälle Menschen von normwidrigem Verhalten abbringt.» (Baer, 2015: 253). Und es ist auch nicht einfach so, dass man bei zu geringer Normbefolgung das Problem mit einer erhöhten Sanktionsgeltung lösen könnte, also durch eine Erhöhung z.B. der Verfolgungsquote (Duenkel, 2002: 113). Wird nämlich zu oft verfolgt und bestraft, sinkt die präventive Kraft des Rechts, weil erstens das normwidrige Verhalten in seiner Ausbreitung erkennbar wird und zweitens die Strafe ihre diskriminierende Wirkung verliert (ebenda). Eine Sanktion hat eben auch Signalwirkung. Es definiert Verhalten als abweichend vom rechtlich Gesollten (Baer, 2015: 252).

Die Sanktion, die die Gewerbepolizei in Zürich verhängt, besteht bei einmaligem Verstoss in einer kurzen Schliessung des betreffenden Betriebes. Das bedeutet zum einen wirtschaftliche Einbussen. Andererseits ist die Reputation in Gefahr – das kann Folgewirkungen haben. Mediale Publizität eines Verstosses ist hier der bedeutendere Fall (Kohler 2002: 65), ist aber nicht notwendig, um solch einen Reputationsschaden auszulösen. ‘Mund-zu-Mund-Propaganda’ spielt für die Gastronomie eine mindestens genauso bedeutende Rolle, weil die Betriebe in der Regel eine Kundschaft haben, die eine gewisse Homogenität und soziale Nähe aufweisen.

Zwei signifikante, negative Externalitäten umgeben also die Sanktion der Schliessung: die des wirtschaftlichen Schadens, sowie die des Reputationsschadens, der weitere wirtschaftliche Einbussen mit sich zieht. Dass Schliessungen von Restaurants aufgrund eines Verstosses gegen die Massnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 in den Medien aufbereitet werden, ist eher unwahrscheinlich, es sei denn, eine Form eines Spreader-Events gehört zu der Geschichte. Der zu befürchtende Reputationsschaden erfolgt also vor allem durch den Kanal der mündlichen Überlieferung. Dabei kann keineswegs nur eine Schliessung des Betriebes auf diesem Wege Schaden anrichten, sondern auch sonst ein Eindruck der ‘Nachlässigkeit’ oder Ähnlichem.

Grössere Betriebe mit grösserem Publikum sind dieser Gefahr ungleich stärker exponiert als kleinere Betriebe, da hier eine Verbreitung über soziale Netzwerke deutlich wahrscheinlicher ist. Zum einen sind sie dem Blick einer grösseren Anzahl von Augen ausgesetzt, gleichzeitig steigt die Kontaktwahrscheinlichkeit dieser untereinander. Des Weiteren ist der drohende wirtschaftliche Schaden bei einer Schliessung für grössere Betriebe auch (in absoluten Zahlen bemessen) höher, ebenso die Anzahl der für diese Zeit arbeitslosen Mitarbeiter. Folgende Hypothese sei aus diesen Überlegungen gezogen:

H1: Grössere Betriebe wollen eher Vertrauenswürdigkeit erwecken.

3.2 Intrinsische Motivation und Identität

Will man über intrinsische Motive sprechen, so wird man früher oder später auf Norbert Elias’ – keineswegs unumstrittene – Zivilisationsthese stossen. Er beschreibt die Genese des Begriffs civilité in der französischen und deutschen Oberschicht (Elias, 1997: 157 ff.) und entwirft im Folgeschritt die Konzeption des Wandels vom Fremdzwang zum Selbstzwang im Sinne eines Modernisierungsprozesses. Längere und komplexere Aktionsketten und ein rigideres Zeitregime zwängen den Einzelnen, sein Training zur Langsicht ernster zu nehmen als seine Vorfahren: «sie gewöhnt an eine Unterordnung der augenblicklichen Neigungen unter die Notwendigkeiten der weitreichenden Interdependenz; sie trainiert zu einer Ausschaltung aller Schwankungen im Verhalten und zu einem beständigen Selbstzwang.» (Elias, 1997b: 348 f.). Das Bild eines Modernisierungsprozesses im Sinne des Wandels von barbarischen Verhaltensweisen zu, eben, zivilisierten, ist sicherlich ein gängiges Narrativ in der westlichen Diskurssphäre. Oder war es zumindest: eine Analyse von Gesundheitsdiskursen der ersten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts zeigt, dass die ‘energetische Willensspannung’ und deren Fähigkeit, die eigenen ‘Leibesverhältnisse’ zu unterwerfen eine zentrale Rolle spielten (Keupp 1993). Triftige Argumente sprechen aber dafür, dass von einem epochalen Prozess der Selbstdisziplinierung nicht wirklich die Rede sein kann (Duerr, 1993: 21 ff.): Urbanisierungsprozesse waren oft Quelle der Unzucht. Mitglieder von primitiven Gesellschaften waren und sind mithin einer viel totalitäreren sozialen Kontrolle unterworfen, die den dichteren und überschaubareren sozialen Netzwerken geschuldet sind. Die Gegenüberstellung des triebgesteuerten Wilden und des vornehmen Städters ist in dieser Reduktion schlicht unzutreffend.

Was Norbert Elias aber durchaus treffend zu beschreiben wusste, ist, dass die Idee der Normbefolgung und der Selbstregulierung eng verwandt ist mit der Idee der Vornehmheit, um nicht zu sagen einer gewissen sozialen Überlegenheit. So schreibt er: «…mag auch ein Teil der Selbstzwänge und Tabus, die bei diesen [unteren Schichten] aus dem Drang, sich zu ‘unterscheiden’ stammen, aus dem Verlangen nach einem bestimmten, höheren Prestige, bei jenen vorerst fehlen…» (Elias, 1997b: 355). Dafür, dass die Idee der civilité oft dazu missbraucht wird, um eine übergeordnete soziale Position zu legitimieren, liefert Elias sodann auch gleich selbst den Beweis. Denn er glaubte, dass der Okzident die restliche Welt unterwerfen konnte, weil er die Triebstruktur besser modellierte, also höhere Zivilisation besass (Duerr, 1993: 12). Um sich nicht länger mit diesen Kontroversen aufhalten zu müssen, kann man die für die vorliegende Arbeit zentrale Einsicht nochmals mit Elias sagen: «…das gesellschaftliche Prestige ist einer der stärksten Motoren zur Umwandlung von Fremdzwängen in Selbstzwänge» (Elias, 1997b: 377). Normbefolgung im Sinne von intrinsischer Motivation, also Selbstzwang ist nicht etwas, das Individuen mit sich selbst ausmachen. Wer sich selbst kontrolliert, der weiss auch, in was für einem sozialen Raum er das tut.

Wenn man einmal beim sozialen Vergleich ist, dann ist die Identität nicht mehr weit. Ich kann mir einen Einschub einer persönlichen Erfahrung als Mitarbeiter in einem Restaurant nicht verkneifen – als ich mit meiner Chefin über die Massnahmen und den Ernst der Situation sprach, meinte sie: «Alle sagen, wir seien die Szenis, die es nicht ernst nehmen. Aber wir nehmen es ernst.» Heiner Keupp stellt sogar die These auf, dass soziale Kontrolle mithin auch auf der Ebene der Identität ausgeübt wird (Keupp, 1993: 194). Diese Überlegungen sollen in der These münden, dass die Befolgung der behördlichen Massnahmen im Ganzen immer auch ein Akt der sozialen Positionierung ist.

H2: Die Konsequenz der Umsetzung der Massnahmen hat einen motivischen Bezug zur Identität des Betriebs.

3.3 Innovation und Konformität

Abweichendes Verhalten hat mitunter auch strukturelle Ursachen. Robert K. Merton hat eine Typologie abweichenden Verhaltens vorgelegt, die sich auf kulturell und sozial strukturierte Ziele und Mittel bezieht (Merton 1968). Die Typologie als solche ist aus Gründen, die ich im Folgenden aufzeigen werde, nicht auf den Gegenstand der vorliegenden Arbeit anwendbar, jedoch bleibt der grundlegende Mechanismus und die Fragestellung relevant. Es geht nämlich darum, situationale Bedingungen zu identifizieren, die abweichendes (oder normverletzendes) Verhalten erwartbar, mithin als ‘normale’ Reaktion verständlich machen (Merton 1968: 186).

Grundannahme ist, dass es gemeinhin anerkannte und allgemein gültige kulturelle Ziele gibt, sowie vorgezeichnete Wege, diese Ziele zu erreichen. Eine Gesellschaft legt also auch fest, welche Mittel zu gebrauchen legitim sind. Wenn eine Diskrepanz zwischen diesen Zielen und Mitteln im konkreten Fall besteht, dann ist eine Abweichung wahrscheinlich. Mertons Typologie beinhaltet vier Kategorien, die durch die oben genannten zwei Elemente differenziert werden. Konformität umschliesst gesellschaftlich akzeptierte Ziele und Mittel, Innovation hingegen bedient sich neuer Wege, um die gleichen Ziele zu erreichen, Ritualismus beschreibt den Fall der Negation der Ziele, aber des Festhaltens an den vorgeschriebenen Mitteln. ‘Retreatism’ oder Apathie ist die beidseitige Lossagung.

An den Begriffen lässt sich intuitiv ablesen, wieso diese Typologie nicht auf die vorliegende Fragestellung zugeschnitten ist: wie oben dargelegt, ist rechtskonformes Verhalten der Betriebe auch gleichzeitig Innovation. Das Befolgen der gesellschaftlich akzeptierten Mittel beinhaltet notwendigerweise Innovation, weil neue Verhaltensstandards etabliert werden. Wer an den bewährten Mitteln festhält, mithin ritualistisch handelt, der ist in unserem Fall derjenige, der die gesellschaftlichen Normen bezüglich der Mittel missachtet. Die Kategorien vermischen sich auf eigentümliche Weise. Denn: es geht nicht um die Abweichung von bereits institutionalisiertem Verhalten, sondern von noch zu institutionalisierendem oder auch vorübergehendem Verhalten.

Das lässt aber die Grundannahmen unberührt. Von allgemein verbreiteten Zielen in der Gastronomie kann natürlich die Rede sein. Gastgewerbliche Betriebe sind Organisationen, die zumindest auf eine grüne Rechnung zielen, um das Wort Profit zu vermeiden1. Es geht also immer auch um den Umsatz, der am Ende des Tages in der Kasse liegt. Dieses Ziel ist in Zeiten der Deprivation umso präsenter. Die Mittel, diesen Umsatz zu erreichen, werden durch die behördlichen Massnahmen beschnitten: die Tischabstandsregel beschneidet die mögliche Anzahl an Plätzen. Ebenso die maximale Anzahl von Personen am Tisch. Gleichzeitig gibt es auch Mittelerweiterungen, so z.B. die Bewilligung zum Bestuhlen weiterer Aussenbereiche. Liegt eine Diskrepanz zwischen dem Umsatzziel und den Mitteln vor, ist ein Normverstoss wahrscheinlicher. Davon ist auszugehen, wenn:

– Der Betrieb nicht einen weiteren Raum bestuhlen konnte,

– der Betrieb eine kleine Anzahl an Innenplätzen hat,

– der Betrieb ohnehin wirtschaftliche Schwierigkeiten hat.

Der zweite Fall folgt aus den Effizienzeinbussen, mit denen ein Wirt bei sehr kleinen Platzzahlen zu rechnen hat. Es ist zu erwarten, dass kleine Betriebe von den Massnahmen besonders getroffen werden. Wirtschaftliche Prekarität greift die Geltung der Normen an. Hier ist anzufügen, dass nicht alle Massnahmen per se in gleichem Masse Geltungskraft verlieren. Als erster Kandidat für eine Abweichung ist die bereits oben erwähnte Tischabstandsregel zu nennen, auch die Vier-Personenregel ist ein Konsuminhibitor. Maskenpflicht und die Erfassung der Kontaktdaten dürften aber weitgehend unberührt von dieser Wirkung sein.

H3: Werden die Mittel stark durch die Massnahmen angegriffen, ist die Umsetzung der Massnahmen weniger konsequent.

4 Methodisches Vorgehen

4.1 Interview

Die Fragestellung verlangt danach, dass einige Punkte im Interview sicher abgefragt werden. So ist eine Erfassung z.B. davon, ob die Befragungsperson bereits früh jemanden kannte, der an Coivd-19 erkrankt ist, von Interesse. Es sollte auch die Haltung gegenüber dem behördlichen Vorgehen erfasst werden, sowie die soziale Verortung des eigenen Betriebs. Und das Herzstück natürlich: die Erfassung der Adaptionen und deren Motive. Um eine diffuse und zeitlich verschwommene Unterhaltung über das Geschehene zu vermeiden, habe ich mich dazu entschieden, den bisherigen Verlauf der Epidemie in vier Phasen einzuteilen:

1. Die Phase der ersten Welle, vor und während dem Lockdown,

2. die Phase der Wiedereröffnung,

3. die Phase des Sommers,

4. die Phase der zweiten Welle.

Die Wiedereröffnung ist deshalb ein wichtiger Punkt, weil hier die Massnahmen erstmals umgesetzt wurden. Die Sommerphase als eigene Phase zu begreifen erachte ich deshalb als angemessen, weil in diesem Zeitraum die Ansteckungszahlen sehr tief blieben2, sich die Lage allgemein spürbar entspannte, und gleichzeitig die Möglichkeit der Aussenbestuhlung und damit auch der Ausweitung der Plätze gegeben war. Diese Ausgelassenheit wird dann durch den Herbst abgelöst, genauer vom Oktober, als die Zahlen wieder schnell über die Tausendergrenze kletterten.

Im Interview sind die Phasen je mit einem narrativen Stimulus gekennzeichnet. Dieser soll ein freies Sprechen über die allgemeine Erfahrung zu diesem Zeitpunkt motivieren, insbesondere durch die Frage «Wie war das für euch?». Die Befragung innerhalb der Phasen soll dann vom Allgemeinen zum Speziellen voranschreiten. Eine allgemeine Abfrage danach, was sich geändert hat, soll das Erzählen der Umsetzung der Massnahmen motivieren, jedoch ohne den Befragten die jeweiligen Auflagen in den Mund zu legen. Erst im ‘Notfall’, nämlich wenn die Befragungspersonen nicht von selbst auf eine Massnahme und deren Umsetzung zu sprechen kommen, sollen sie darauf angesprochen werden, weil ihnen sonst die Auflage in den Mund gelegt wird, sie also auf die Rechtsvorschrift eingespurt werden – auf was sie ja eigentlich selbst kommen sollten, wenn es denn Motiv für die betreffende Adaption war. Sprechen sie aber von Adaptionen, dann ist der nächste Schritt die Frage nach dem Grund, dem Motiv der Handlung eben, einfach operationalisiert in «Wieso habt ihr das gemacht?». Zu beachten ist hier, dass die Motive für die jeweiligen Adaptionen einzeln erfasst werden.

Damit kann man die gewählte Interviewform nicht eindeutig den üblichen Kategorien zurechnen. Es ist aber eine deutliche Nähe zum narrativen Interview erkennbar (Diekmann, 2004: 540). Nur gibt es eben mehrere narrative Stimuli, und ein Nachhaken während des Erzählens scheint sinnvoller.

Im letzten Teil des Interviews sollen, wie erwähnt, die Deutungen und Meinungen der Befragten bezüglich des behördlichen Vorgehens erfasst werden, wenn dies nicht schon geschehen ist. Die Bewertung und Verortung des eigenen Verhaltens bilden den Abschluss des Interviews.

Weil Normwidrigkeit gerade jetzt, wo sich die Akteure einer gemeinschaftlichen Verantwortung gegenübergestellt sehen, ein heikles Thema ist, werden Social-Desirability-Probleme auftreten (Diekmann 2018: 447 f.). Es ist kaum zu erwarten, dass eine Befragungsperson von selbst beschreibt, wie ihr Betrieb die Massnahmen nicht befolgt hat – schon gar nicht detailliert. Auch wenn die Befragungspersonen aufgrund eines zugesicherten Schutzes der Informationen keine Folgen des Interviews zu fürchten haben, stellt die Zugabe eines Normverstosses während des Interviews dann eben schon selbst eine konflikthafte Aufgabe dar. Überhaupt stellen sich hier Recall-Probleme, denn um einen Verstoss zu identifizieren, müssten die Befragungspersonen den genauen Einführungsmoment gewisser Massnahmen wiedergeben können, was eine unrealistische Annahme ist. Wenn sie eine Massnahme überhaupt nie befolgt haben, ist der Fall natürlich ein Anderer, nur ist eben auch damit nicht zu rechnen. Ein Nachhaken im Sinne von: «Wann habt ihr das genau eingeführt?» und «Was für Masse haben die Tischwände?» wäre zwar denkbar, würde die Befragungspersonen aber unweigerlich in die Defensive drängen und damit die Gesprächsqualität insgesamt beeinträchtigen. Aus diesen Gründen soll auf eine solche ‘Polizeiarbeit’ verzichtet werden. Einem dezidierten Suchen nach Indizien für die Konsequenz der Umsetzung der Massnahmen steht aber nichts im Wege.

4.2 Befragungspersonen

Wie bereits im ersten Kapitel erwähnt, sind es in der Regel die Entscheidungsträger der Betriebe, die die konkrete Umsetzung der Massnahmen kontrollieren. Es sind also auch sie, die die entsprechenden Motive überhaupt wiedergeben können. In Frage kommen also nur Geschäftsführer, eventuell auch Inhaber. Letztere sind aber üblicherweise nicht wirklich in den geschäftlichen Alltag involviert, so dass die Zielgruppe Geschäftsführer sind.

Die Betriebe wurden so ausgewählt, dass eine gewisse Varianz der Konzepte und auch der Grösse vorliegt. Es sollten nicht ausschliesslich Speiserestaurants befragt werden, sondern auch ein Café/Bistro-Modell usw. Die theoretischen Überlegungen legen dann auch die Erhebung der Adaptionen und Motive in unterschiedlicher Betriebsgrösse nahe. Ein letztes, aber nicht zu vernachlässigendes Kriterium war die ‘Gestandenheit’ der Betriebe – also einer Bewährung über Zeit. Das stellt zum einen genuin gastronomische Perspektiven sicher, andererseits auch die Existenz einer Reputation und eines sozialen Ortes. Ein Betrieb, der erst seit einem Jahr „wirtet“ und dessen Geschäftsleitung noch nicht auf solide Erfahrung in der Branche zurückblicken kann, wird wahrscheinlich noch Anfangsschwierigkeiten haben, die sich mit den Auswirkungen der Coronakrise mischen und damit eine Unschärfe in der Untersuchung bewirken. Folgende Betriebe bzw. Personen wurden interviewt:

G1, Bar, Zürich, Geschäftsleitung

G2, Café/Bistro, Zürich, stellvertretende Geschäftsleitung

G3, Restaurant, Zürich, Geschäftsleitung

G4, Restaurant, Zürich, Geschäftsleitung

4.3 Transkription und Inhaltsanalyse

Der Schweizer Dialekt legt eine wörtliche Transkription nahe. Eine Umschrift ins Deutsche würde zwangsläufig Aussagen in ihrem Sinngehalt verzerren. Um keine Information zu verlieren, sollen auch Seufzer, Lacher etc. transkribiert werden. Damit ist man bei der kommentierten Transkription (Gläser-Zikuda 2011: 111). Gewisse Stellen der Interviews wurden aufgrund fehlender Relevanz gar nicht transkribiert.

Die Analyse richtet sich nach den Techniken der Qualitativen Inhaltsanalyse (Gläser-Zikuda 2011: 113). Insbesondere die Zusammenfassung und die Explikation sind hier zentral. In erster Linie sollen die relevanten Motive herausgearbeitet und expliziert werden. Hier erschien die Unterscheidung von Motiven, die hinter der Befolgung oder Nichtbefolgung der Massnahmen stehen und jenen, die zu eigenen Adaptionen führten, sinnvoll. Letztere bilden nämlich die ohnehin schon vorhandene gesellschaftliche Bereitschaft zur Adaption ab. Auf dieses Fundament ‘treffen’ die Top-Down Regelungen von den Behörden.

In einem zweiten Schritt sollen die Hypothesen einer Prüfung unterzogen werden. Die Konsequenz der Umsetzung der Massnahmen soll zusammentragend ermittelt werden, da sie für zwei der drei Hypothesen eine zentrale Rolle spielt. Diese Analyse strukturiert sich nach den in Kapitel 3 gewonnenen Hypothesen. Selbstverständlich soll auch diese Eingrenzung nicht daran hindern, Beobachtungen zu machen, die von den Hypothesen nicht erfasst sind.

Die Fragestellung und der Querschnittscharakter der erhobenen Interviews haben zur Folge, dass die zugrundeliegenden Prozesse, deren Untersuchung sich im Rahmen qualitativer Forschung anbieten würde, eine hintergründige Rolle in der Analyse einnehmen.

4.4 Weitere Überlegungen

Einige Überlegungen verbleiben zum methodischen Vorgehen. Erstens – das ist bis jetzt noch nicht ausdrücklich festgehalten, nur angedeutet worden – arbeite ich seit mehreren Jahren selbst in einem Restaurant. Das bedeutet zweierlei: einerseits verfüge ich über Vorwissen, andererseits besteht dadurch die Gefahr der Betriebsblindheit. Eine Methode, diesem Tatbestand zu begegnen, habe ich nicht gefunden, daher soll hier der Verweis darauf genügen, dass mir dieser Sachverhalt bewusst und ich auf eine möglichst verständliche Deutung und gründliche Explikation abziele. Das Problem ist aber meines Erachtens auch nicht so akut, weil die Gastronomie wohl nicht das Paradebeispiel für eine Expertenwirtschaft ist.

Die Interviewsituation erscheint aber unter diesem Aspekt in neuem Licht. Nutzt man die Möglichkeit zur ‘Verbrüderung’, zur Kameradschaftlichkeit, um eine gelöstere Stimmung zu erzeugen? Ich habe mich dagegen entschieden, weil hier auch andere Gefühle mobilisiert werden könnten. Ein ohnehin nicht wirklich für die Befragungspersonen greifbares Interview über die Massnahmen und die Umsetzung davon in ihrem Betrieb, geführt von einem Mitarbeiter der Konkurrenz – da liegt schnell auch mal ein Spionageverdacht in der Luft. Der wäre natürlich äusserst schädlich. Deshalb werde ich meine eigene Anstellung verschweigen. Um Interviewereffekte zu umgehen, habe ich mich für möglichst ‘normale’ Kleidung entschieden: Jeans, schwarzer Pullover, Parka. Zu guter Letzt wurden die Befragungspersonen darauf hingewiesen, dass ihre Aussagen nur in einem wissenschaftlichen Sinne gebraucht werde, sie also keine Folgen der Interviews zu fürchten haben.

5 Analyse

5.1 Motive zur selbständigen Adaption

Betrieb G1 hatte schon am Abend vor dem Lockdown zugemacht. Auf die Frage, ob das wegen den Gästen war, antwortet P:

P: D Gäst, ja. Ich bi so recht psycht gsi weg de villne Lüt und s isch recht en schöne Sunntig gsi am Tag, und Sie hend da e mega Party duss gha, aso s sind eifach mega vill Lüt da gsi. Und ich ha au chli es schlechts Gwüsse gha weg de Mitarbeiter und für mich und Lüt. Bin denn eigentlich froh gsi wos zuegmacht hend. (Interview 2, Abs. 8)

Ein dicht gefüllter Platz, ein erhöhtes Risiko. Zwei Komponenten lassen sich hier extrahieren: zum einen war die Geschäftsführerin besorgt, zum anderen ging es ihr auch um den Schutz der Mitarbeiterinnen. Das lässt sich vor dem Hintergrund der damaligen Situation besser verstehen: der Bundesrat hat zwei Tage zuvor den Lockdown ausgerufen, die ganze Welt brannte vor Aufregung. Ihr ging es um den Schutz ihrer eigenen physischen Integrität und der ihrer Mitarbeitenden. Auch folgender Auszug lässt sich so verstehen:

P: Hey halt Abständ, meh. Mier hend zum Glück/es isch so schön Wetter gsi und ah mier hend dine mal zue gha vorerst. Will mer gfunde hend d Lüt chönnd dusse hocke, da mümmer nöd no es paar ade Bar ha womer denn ja nöd weiss… und denn hemmer dinne zuegha und dusse hemmer döffe me stuehle, mier hend en mega grosse Platz. (Interview 2, Abs. 30)

Hier muss angemerkt werden, dass diese ‘eigenständige’ oder – besser gesagt – weitergehende Massnahme nicht unabhängig von der wirtschaftlichen Situation des Betriebs war. Eine Pandemieversicherung entlastete den Betrieb G1 erheblich; zusätzlich bekam der Betrieb von der Stadt einen grösseren Platz draussen zugesprochen. Ein grösserer wirtschaftlicher Druck hätte das auch anders aussehen lassen können. Das gab dann auch die Luft, die nötig war, um sich mit den Arbeitsbedingungen auseinanderzusetzen.

P: […] … me het auno Mitarbeiter wo sich wännd wohl fühle bim schaffe… […] (Interview 2, Abs. 80)

Im Betrieb G4 hat das Personal früher damit angefangen, Masken zu tragen, als es eigentlich verlangt war. Auf die Frage, wieso das so war, antwortet S:

S: […] und ebe, s isch au will me gwüsst het wenn s ganze Team mit Maske schaffet und es isch nacher irgenden Fall denn münd nöd all in Quarantäne. (Interview 4, Abs. 54)

Hier gibt man sich furchtlos. Von Schutz der physischen Integrität ist keineswegs die Rede, es geht um wirtschaftliche Überlegungen. Spezifischer: um die Unterbindung von Übertragungsketten im Restaurant, und, weitergehend, um eine Umgehung der Quarantänepflicht fürs ganze Team und damit der Stilllegung des Betriebs. Ähnliche Überlegungen fanden auch im Betrieb G3 statt, allerdings mit lascherem Ergebnis:

C: […] de Monti, kennsch de? De het denn mal müsse go teste, drü Täg nöd chönne go schaffe, will er warted und so, isch denn aber alles guet gsi…aber jetzt ischer wieder in Quarantäne, will sini Kollege sind anschinend positiv. […] Mier hend ja es grosses Team, oder. Aber: was isch denn, wenn ich oder de Choch positiv sind, richtig, das weissi au nöd, es wird denn immer verrückter. Ich ha allne denn au gseit, sie sölled underenand e chli Abstand halte. (Interview 3, Abs. 37)

Das antwortet C auf meine Frage, ob der rasante Anstieg im Oktober etwas im Betrieb verändert habe. Ein Indiz dafür, dass die soziale Nähe des SARS-CoV-2 durchaus verhaltenssteuernde Kraft hat. Dazu auch S vom G4:

F: Hender det scho öpper kennt oder im Umfeld gha wo Corona gha hett?

S: Nei, gar nöd. Aber mir hend denn so Sitzige gha und hend viel drüber gredet, dasses euis wie zwiit weg isch da Ganze, dassd wie niemert kennsch wo erchrankt isch. Oder du kennsch au niemert wo öpper kennt wo erchrankt isch, also dass es wie… das alles nöd so richtig griifbar gsi isch. Und vo dem her d Massnahme scho sehr härt gsi sind, für das dasses dich selber eigentlich nöd betroffe het. (Interview 4, Abs. 12)

Die soziale Distanz des SARS-CoV-2 ist e contrario ein Umstand, der die perzipierte Härte der Massnahmen verschärft.

5.2 Motive zur Befolgung oder Nichtbefolgung der Massnahmen

Der Normbezug alleine kann auch Motiv genug sein für eine Handlung. Oder zumindest der Normverweis, wenn man danach fragt, wieso man etwas gemacht habe:

P: He… it’s the law! (schmunzelt) (Interview 2, Abs. 60),

sagt P vom Betrieb G1, als ich sie frage, wieso sie die Personendaten erhoben haben. Und auch die Geschäftsleitung des G3, die sonst eigentlich ausschweifende Antworten gibt, erwidert knapp, als ich sie frage, wieso sie die Tischabstände eingeführt haben:

C: Ja das isch Vorschrift! (Interview 3, Abs. 23)

Ein Hinweis auf die selbsterfüllende Kraft von Normen. Allerdings kann sich in diesen kleinen Aussagen auch der Verweis darauf verstecken, dass mit einem Normbruch eine Sanktion einhergeht, und dass deshalb die Massnahmen umgesetzt werden. C jedoch scheint nicht wirklich eine Patrouille und potentielle Sanktionen zu befürchten:

F: Und isch denn da mal öpper cho?

C: Neei. Es isch niemert cho. Wieso weissi aunöd. Aber ich glaube überhaupt nirgends isch öpper cho. (Interview 3, Abs. 23)

Gar keine Rolle spielen tut die Polizei dann aber auch nicht. Im G2 heisst es, man habe widerwillige Gäste dazu gezwungen, ihre Kontaktdaten anzugeben, weil:

M: Ja nei scho weg de Gwerbepolizei. Aso ich mein wenns chömed und mier Buess überchömed… und schlussendlich hockemer all im gliiche Boot, aso weisch wenn ich jetzt gahne irgendwo go esse mussis ja au mache oder. Aso come on, bisch ja eh überwacht scho vo überall mitem Pass, biometrische Pass und Schissdräck blabla. (Interview 1, Abs. 83)

Zur Furcht vor der Busse gesellt sich aber gleich noch der Gedanke an die kollektive, alle angehende Betroffenheit: der Appell an die Solidarität. Hier ist interessant zu sehen, dass eine Sanktion befürchtet wird, die ja eigentlich gar nicht im Raum steht. Unklarheit über die Geltung und behördliche Umsetzung von Rechtsnormen kann also auch – entgegen der üblichen Auffassung, die davon ausgeht, dass Unklarheit die Verhaltensgeltung beeinträchtigt – dazu führen, dass die Rechtsnorm besser umgesetzt wird.

Die Sorge um das Wohl der Gäste und der Mitarbeiter war im G1 bei hohen Besuchszahlen auch relevant. Der Grund, wieso P einen Einlassstopp veranlasst hat, war:

P: He will halt u vill Gäst – aso s isch halt e Fuessballbar und ich ha denn wies Gfühl gha vode Gäst die findeds au nöd easy wenn hinder dier öpper so nöch isch, musch irgendwie trotzdem chli uf Abstand luege… und mier hend doch – aso s Personal die wänd da ja durrelaufe irwie in Rueh und nöd ständig müesse acho a allne… Ja, deswege. (Interview 2, Abs. 48)

Es gibt auch Motive, die einen Bezug zum Auftreten gegenüber den Gästen haben. Wie in der ersten Hypothese bereits angedeutet, ist das Erwecken von Vertrauenswürdigkeit ein durchaus relevanter Motivator:

S: Ähm… mier hend im Allgemeine eifach welle zeige, dass mir das Thema ernst nehmed /dass mier nöd liechtsinnig mit dere Situation umgönd… zum gäg use symbolisiere dass mier euisi Verantwortig wahrnemed. (Inerview. 4, Abs. 30)

Tatsächlich ist auch die mögliche Publizität eines Spreader-Events ein Grund für die Befolgung von Massnahmen.

P: Ja… he ich ha eifach au nöd welle dass ide Medie staht «bim Fuessball luege hend sich alli agschroue und agsteckt» und so. (Interview 2, Abs. 90)

Aber auch technische, wissensbezogene Motive sind relevant:

M: Warum? (Überlegt) Ja will ich ghört han dass de Virus nach zwei Meter an Bode gheit (lacht) und nacher nümm chan d Lüt astecke. (Interview 1, Abs. 65)

Der Gesetzgeber tritt hier nicht als demokratisch legitimierter Herrschaftsapparat auf, sondern als Hort der Expertise. Seine Entscheidungen sind mehr Funktion seines Wissens als Resultat politischer Auseinandersetzungen. Hierin könnte man einen Hinweis auf eine latente Funktion der Regelwerke sehen, überhaupt akzeptierte, normierte Wissensbestände zu etablieren.

Die Richtung dieser Aussage wird prägnanter, wenn man sich die Aussagen der Geschäftsleitung von C vom G3 zur Rolle der Regierung vor Augen hält. Es ist kein Zufall, dass das alte Eisen die Auseinandersetzung um die Massnahmen anders versteht als die jüngeren Generationen3. Er sieht das Politikum, das Polemisieren der Parteien:

C: Aber de Verbandschef, das isch au en SVPler, het Druck druf gmacht, «jetzt muess wieder ufgah», «d Lüt münd Selbstverantwortig überneh»… und das isch sones Schlagwort, wo absolute Scheiss isch. Und immer chömed die Liberale mit dem Schlagwort, sie hends Gfühl, das seg passend für alles. (Interview 3, Abs. 9)

Allerdings sieht auch C die Behörden ausgestattet mit Expertenwissen, also besserem oder umfangreicherem Wissen, und will sich deswegen nicht zu einer Beurteilung der Massnahmen hinreissen lassen:

F: Jetz e chli e allgmeineri Frag: Wie bewertisch du s Vorgah vode Behörde, die Massnahme zur Bekämpfig vom Virus?

C: Ich bi da chli fatalistisch und akzeptier das. Aso will ichs nöd besser weiss, darum. Ich cha mier ja nöd amasse, öppis zsege. (Interview 3, Abs. 41)

Ein Motiv wirkt der Umsetzung entgegen. Auf meine Frage, wieso man keine Tischwände habe, antwortet man mir im Betrieb G2:

F: Das heisst es gaht um d Aschaffigschoste.

M: Ja. Und au wegem Ussehe, wegem Charme. (Interview 1, Abs. 116)

Adaptionen kosten natürlich, und wer nicht investierfreudig ist, der wird die Massnahmen weniger gut umsetzen. Das Motiv der Ästhetik findet sich auch im G3:

F: Und mit de Optik, was meinsch da?

C: Ja mier hend dusse sone Art Tüecher gmacht. Das isch immerno so chli schöner gsi als das mitem Plexiglas. Das findi unmöglich. (Interview 3, Z. 17)

Ebenso im Betrieb G4:

S: Aso bi euis isch halt… aso s [G4] lebt mega fest vom de Atmosphäre, vode Iirichtig dinne. Und drum/aso euis isch vo Afang a klar gsi dass mer nöd die Nullachtfüfzä-Plexiglasschibe und alles wännd inetue wie alli andere händ… (Interview 4, Abs. 26)

Das Plexiglas scheint das grosse Schreckensgespenst zu sein. Gut möglich, dass diese Kongruenz auch der sozialen Nähe der Betriebe geschuldet ist. Jedenfalls ist festzuhalten, dass Massnahmen, die stark in das Erscheinungsbild eines gastronomischen Betriebs eingreifen, weniger Chancen auf eine gute Verwirklichung haben. Die Aussage klingt gar nach kultureller Distinktion: «nicht wie alle anderen» ist ein Motiv, das bei der Umsetzung dieser Massnahme eine Rolle spielt und deutet in die Richtung der Hypothese zwei.

5.3 Hypothesen

Zunächst sollen die Transkriptionen auf Indizien zur Konsequenz der Umsetzung der Massnahmen untersucht werden. Später werden die Ergebnisse dieser Analyse bei den jeweiligen Hypothesen wieder aufgegriffen.

Der Betrieb G1 hat eigenständige (teure) Massnahmen ergriffen. Die Einhaltung der Vier-Personen-Regel hat sich als derart schwierig erwiesen, dass der Betrieb eine zusätzliche Arbeitskraft installierte:

F: Das sich wahrschinnli au no schwierig gsi das umzsetze…

P: Ja… Ja. Mier hend denn öpper gha wo uf das ufpasst het. (Interview 2, Abs. 40)

Das hat natürlich auch mit der Grösse des Betriebes zu tun, der im Sommer im Aussenbereich 120 Plätze zählen kann. Trotzdem lässt sich eine klare Differenz zum benachbarten G2 erkennen, der seinerseits auch über 100 Plätze verfügt. In ihrem Fall hat die Regel dazu geführt, dass die Gäste stehend konsumierten, was eigentlich ein Normverstoss ist.

M: Ja voll, ja. Und ebe die Vier-Persone-Regle – das het denn dezue gführt dassd Lüt eifach gstande sind (Interview 1, Abs. 108)

Der Betrieb G4 hatte mit dem gleichen Problem zu kämpfen – und löste es auf die gleiche Art wie G1:

S: … und ja, mer het denn eifach müsse merke dass mer ei Person bruched blöd gseit wo am Fritig alles am durezehle isch und am mache… will es isch chli chaotisch worde, me het denn nöd so en guete Überblick. (Interview 4, Abs. 18)

Dabei ist der Betrieb G3 durchaus reflektiert bezüglich einer möglichen Inkonsequenz:

M: Wie mirs umsetzed? Ja ich glaube mir sind da eher chli zlocker oder lockerer als die Andere… Ich meine mir hend mega lang ohni Maske gschaffet, ohni Schutzwändli, woni a andere Ort überall gse han. (Interview 1, Abs. 122)

Anders verhält es sich im Betrieb G1 bei der Reflexion über das eigene Verhalten:

F: Was hetteder besser chönne mache?

P: (überlegt) Ähm, ich glaube irgendwänn simmer so chli zstreng gsi, so mit «ihr döffed nöd inecho». (Interview 2, Abs. 82)

Bezüglich dem G3 lässt sich festhalten, dass das Speiserestaurant mit ganz anderen Besucherzahlen konfrontiert war, sich also eine spezielle betriebsinterne Massnahme gar nicht aufdrängte. Der Ton, den C anschlug, als ich ihn über die Änderungen im Betrieb befragte, verrät dann aber doch einiges über die Gründlichkeit der Umsetzung der Massnahmen:

C: Jaa, das mit de Abständ hemmer versuecht izhalte, und mier hend versuecht optisch au zmache, dass das gaht. Und es isch verusse gsi.

F: Du hesch den also nur dusse serviert?

C: Ja dine wär au kein Mensch choo.

F: Und mit de Optik, was meinsch da?

C: Ja mier hend dusse sone Art Tüecher gmacht. Das isch immerno so chli schöner gsi als das mitem Plexiglas. Das findi unmöglich.

F: Und die Tischabständ hesch versuecht zmache seisch, het das klappet?

C: Ja-a. Da ja eh weniger Lüt cho sind. Mummer also au sege. […] (Interview 3, Abs. 19)

Er sagt nicht: wir haben es eingehalten, sondern: wir haben es versucht. Und die Tücher, die installiert wurden, genügten den Materialvorgaben einerseits und den Längenmassen andererseits nicht. Die Erfassung der Personendaten im G3 erfolgte sodann ähnlich lasch.

F: Und d Personedate, die hender erfasst?

C: Ja, da hemmer sones Buech det vorne und das isch erstuunlich guet lauft das. Aso ich ha denkt es git vill Lüt wo sich sperred degege. (Interview 3, Abs. 35)

Stellt man dem die Antwort von S vom G4 gegenüber, die erzählt:

S: … und jetzt sit zwei Mönet hemmer en QR-Code, wo sichd Lüt chönnd registriere. Am Afang het mer d Gäst wükki müsse druf ufmerksam mache und nahkontrolliere und jetzt isch das en Selbstläufer eigentlich. (Interview 4, Abs. 28),

dann sticht der Unterschied doch ins Auge. Ein Nachkontrollieren und Aufmerksammachen ist etwas anderes als ein Buch auf den Tresen zu legen. Nach bisher Gesagtem erscheint es gerechtfertigt, die Betriebe in ihrer Konsequenz der Umsetzung der Massnahmen grob zu unterteilen:

G1 & G4: höhere Konsequenz

G2 & G3: tiefere Konsequenz

Natürlich ist das eine Vereinfachung und vernachlässigt Nuancen. Für die Zwecke dieser Arbeit soll die Kategorisierung aber genügen.

H1: Grössere Betriebe wollen eher Vertrauenswürdigkeit erwecken.

Wir haben oben schon gesehen, dass die Reputation – zumindest medial – für den Betrieb G1 eine Rolle spielte. Auch S vom G4 stimmt einen ähnlichen Ton an, als ich sie frage, wieso sie die Personendaten so erhoben haben:

S: Ähm… mier hend im Allgemeine eifach welle zeige, dass mir das Thema ernst nehmed / dass mier nöd liechtsinnig mit dere Situation umgönd… zum gäg use symbolisiere dass mier euisi Verantwortig wahrnemed. (Int. 4, Abs. 30)

Man trägt nach aussen, dass man die Situation ernst nimmt – und dass sich der Gast nicht davor fürchten muss, sich an einen Tisch mit einer Kolonie Viren drauf zu setzen. Solche Aussagen sind in den Transkriptionen vom G3 und dem G2 nicht zu finden. Klassifiziert man beide als kleinere Betriebe, was angemessen ist – der Betrieb G2 zählt etwa fünfzig Innenplätze, G3 noch weniger – so kann an der ersten Hypothese festgehalten werden.

H2: Die Konsequenz der Umsetzung der Massnahmen hat einen motivischen Bezug zur Identität des Betriebs.

Im G1 hat man die Massnahmen vergleichsweise konsequent umgesetzt. Das findet auch P. Und liefert am Schluss ein Wörtchen, um das zu kennzeichnen:

P: Ich find euise Betrieb hets sehr guet gmacht. (Interview 2, Abs. 78)

P: (lacht laut) Streberbar! (Interview 2, Abs. 96)

Dieses Wörtchen bezieht sich sehr wahrscheinlich nicht auf die Klientel – es ist eine Sportbar –, sondern auf das eigene Verhalten in der Krise. Fast überflüssig zu sagen, dass sich als Streber zu sehen einen Inhalt der Identität darstellt. Wobei vielleicht angemerkt werden muss, dass der Streber ein positiv devianter Akteur ist – nicht unbedingt der, der höheres gesellschaftliches Prestige beansprucht. Es passt jedenfalls gut zu der Selbstbeschreibung, die eigene teils zu strenge Umsetzung der Massnahmen betreffend, die oben schon herausgearbeitet wurde.

Der Betrieb G2 habe mehr alternative Gäste, sagt M:

M: […] Ich find mier hend da no vill so chli alternativi Lüt wo nacher so findet «Nei mini Date» und blablabla… […] (Interview 1, Abs. 79)

Das ergibt dann ein stimmiges Bild, wenn man diese Aussage dazunimmt:

F: Und was meinsch, a was isch das glege, dass ihr das lockerer gmacht hend?

M: Pfuh, ich weisses aunöd. Ich glaub s liit so a euisem ganze Team e chli, es sind alli so chli easy druff (Interview 1, Abs. 124)

Der Verweis auf eine gewisse Färbung des Klientels ist kein direkter Bezug zur Identität des Betriebs. Gleichwohl beinhaltet es eine Selbstbetrachtung von aussen, eine Identifikation einer Eigenschaft, die heraussticht und auszeichnend ist. Dass M die konkrete Umsetzung der Massnahmen im Betrieb mit der Lockerheit des Teams erklärt, ist bezeichnend für den motivischen Bezug zur Identität.

S vom Betrieb G4 beschreibt die Kundschaft ihres Betriebs als unerschrocken.

S: Mier merked s eigentlich meh wieder sits mit de neue Massnahme isch. Aso bi euis würded d Lüt ebe scho cho wänns dörfded cho. Aso weisch wieni meine, es isch wie… (Interview 4, Abs. 48)

Und gibt sich selbst auch betont furchtlos: vom Schutz der Mitarbeitenden ist nur im wirtschaftlichen Sinne die Rede, und eigentlich würde sie am liebsten 30 Personen im Laden haben, die bis morgens um zwei Uhr Party machen (Interview 4, Abs. 60). Diese unaufgeregte Haltung schwingt dann auch mit, wenn sie das Verhalten ihres Betriebes sozial verortet:

S: […] würi sege sind mier im guete Mittelfeld irgendwie…aso mier halted euis ad Regle aber es isch nöd so dass alles nur nach Corona schreit da ine, mier probiered de Betrieb möglichst normal halte und die Massnahme umzsetze. (Interview 4, Abs. 64)

Wobei man hier auch ablesen kann, dass man dazu neigt, sich im Mittelfeld – also zwischen den unverständlichen Extremen – einzuordnen. Nicht zu lasch, nicht überstreng: so klingt es dann auch bei P.

P: Ich find mier hend e gueti Mischig zwüsched mier nehmeds ernst aber mier gheied nöd voll übere. Und es isch immer so chli e Gratwanderig gsi zwüsched me muess halt chli Geld mache aber me het auno Mitarbeiter wo sich wännd wohl fühle bim schaffe… Das isch mier denn amigs no wichtig gsi…ja und mer muess no chli Geld mache. (Interview 2, Abs. 80)

C vergleicht sich, als ich ihn frage, nur im Hinblick auf die Rentabilität mit anderen Betrieben. Über dem Gespräch mit ihm hängt ohnehin die drückende Last der wirtschaftlichen Prekarität, in der er sich befindet. Sie ist so vordergründig, dass sie andere Aspekte verdrängt.

Wir können also sagen, dass Identität einen Zusammenhang mit der Konsequenz der Umsetzung der Massnahmen haben kann, aber nicht muss. In ihrem starken Wortlaut, nämlich, dass dieser motivische Bezug zur Identität immer existiert, muss sie als falsifiziert betrachtet werden. Gleichwohl konnten Bezüge gefunden werden – und die Verweise auf das Klientel des jeweiligen Betriebs deckten sich auf bemerkenswerte Weise mit der Sicht auf die eigene Umsetzung der Massnahmen.

H3: Werden die Mittel stark durch die Massnahmen angegriffen, ist die Umsetzung der Massnahmen weniger konsequent.

Im Betrieb G3 ist die finanzielle Krise omnipräsent:

F: Chasch du dich churz vorstelle?

C: Ich heisse [C] und bin sit füfzg Jahr im Gastgwerb… und bin eigentlich scho pensioniert. Aber erstens hani kei Geld […] … aso wenn jetzt mini Frau nöd wür schaffe und
(seufzt) ja, e chli besser gstellt isch als ich, denn hetti e riise Krise. (Interview 3, Abs. 2)

Das ohnehin schon kleine Restaurant musste seine Platzzahl während der Krise zurückschrauben. Damit wurden die Mittel angegriffen, einen rentablen Umsatz zu erzielen. Wir haben oben gesehen, dass der Betrieb G3 die Massnahmen weniger konsequent umgesetzt hat. Allerdings haben wir auch bemerkt, dass eine höhere Anzahl an Gästen zu einer besseren Umsetzung führen kann. Da im G3 nur wenige Gäste verkehrten, könnte die Laschheit hier auch einfach den knappen Besucherzahlen geschuldet sein.

Im G2 sind die Innenplätze auch stark dezimiert worden:

M: Im Moment? 24, 25…

F: Und vorher?

M: Ja, pfuh, meh als dopplet so vill. (Interview 1, Abs. 89)

Allerdings erst mit Wirkung jetzt im Winter. Im Sommer nämlich war das Gegenteil der Fall. Mehr Plätze haben zu Rekordumsätzen geführt:

F: Das heisst de Summer isch au guet gloffe?

M: So guet wie no nie. (Interview 1, Abs. 53)

Die Mittel wurden nicht beschränkt, sie wurden in eklatanter Weise erweitert. Die Umsetzung der Massnahmen war aber, das haben wir bereits gesehen, eher inkonsequent. Hier wäre eine weitere Untersuchung bezüglich der Umsetzung der Massnahmen im G2 im Winter aufschlussreich gewesen.

Weil der Betrieb G3 eben nicht viele Gäste hatte, waren die beschnittenen Mittel (die tiefere Anzahl an Plätzen) möglicherweise gar nie ein relevanter Faktor. Für die dritte Hypothese konnte kein Zusammenhang gefunden werden.

6 Ergebnisse

Was sind die relevanten Motive? Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein breites Spektrum an Motivatoren (und Inhibitoren) aufzufinden ist. Die vorliegende Untersuchung hat einen – keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebend – Einblick in die Wirklichkeit des Gastgewerbes gegeben. Folgende Motive konnten gefunden werden:

  1. Schutz der eigenen physischen und psychischen Integrität und jene der Mitarbeiter,
  2. das Wohl der Gäste,
  3. das Erwecken von Vertrauenswürdigkeit,
  4. Unterbindung von betriebsinternen Übertragungsketten und damit der Stilllegung des Betriebs,
  5. die Sanktion (& die putative Sanktion),
  6. die Rechtsnorm,
  7. das bessere Wissen der Behörden.

Wobei man sagen kann, dass 1) und 2) direkt vom Schutz des Lebens abgeleitet sind; 3) und 4) wirtschaftlichen Hintergrund haben und 5) bis 7) einen klaren Bezug zu den behördlichen Massnahmen haben, wobei sich bei der Sanktion auch wirtschaftliche Aspekte beimischen. Ein eindeutiger Inhibitor konnte ebenfalls ausfindig gemacht werden: die ästhetische Adäquatheit der Umsetzung der Massnahmen.

Die erste Hypothese wurde nicht falsifiziert. Die ‘grossen’ Betriebe haben die Massnahmen deutlich besser umgesetzt und waren eher darauf bedacht, ein gutes Bild abzugeben.

Für die zweite Hypothese gibt es klare Hinweise. Die Bezüge zur Identität waren in drei von vier Fällen augenscheinlich. Darüber hinaus war auch die Umsetzung der Tischwände eine Distinguierungsmöglichkeit, die auch vom Betrieb G3 (der Betrieb, in dem kein motivischer Bezug zur Identität gefunden werden konnte) als solche wahrgenommen wurde. Insgesamt kann man sagen, dass das Gesamtpaket der Umsetzung der Massnahmen auch ein Akt der sozialen Positionierung war. Sowohl das ‘gute’, ‘strenge’ Befolgen wie auch das ‘lässige’, ‘entspannte’ Befolgen waren Inhalte, die die Befragten zur Selbstbeschreibung anführten. Mit anderen Worten: tiefere Konsequenz in der Umsetzung der Massnahmen kann durchaus auch attraktiv sein, weil es einen auszeichnen kann (angenommen, die physische Integrität ist hintergründig und alle anderen befolgen die Massnahmen brav). Es erscheint damit geradezu als notwendig, dass die Umsetzung der Massnahmen an verschiedenen Orten unterschiedlich ausfällt. Versteht man die zweite Hypothese probabilistisch – was meines Erachtens angemessen ist –, kann an ihr festgehalten werden. Es ergeben sich aber Probleme: die genaue Beziehung zwischen Identität und der Umsetzung der Massnahmen ist unklar. Es ist gut denkbar, dass sich der Bezug zur Identität im Nachhinein herstellt, in reflektierender Manier also, und dass sie beim eigentlichen Handeln gar keine Rolle spielt.

Die dritte Hypothese, die Beschneidung der Mittel betreffend, muss verworfen werden. Es konnte kein Zusammenhang gefunden werden. Allerdings ist hier zu sagen, dass die Vermutung, dass die wirtschaftliche Situation einen Zusammenhang hat mit der Umsetzung der Massnahmen, durchaus nahe liegt. Wirtschaftliche Prekarität eines Betriebs scheint die Bedeutung einer guten, vorbildlichen Umsetzung zu verdrängen. Gleichzeitig befähigt die wirtschaftliche Sorglosigkeit zur Sorge um das, was dem Menschen nach gängiger Auffassung am wichtigsten ist: den Schutz der Gesundheit. Auf subtile Weise stellen die Ergebnisse damit die Hierarchie der menschlichen Bedürfnisse in Frage.

Hier gilt es anzumerken, dass der hypothesenprüfenden Leistung in dieser Arbeit vor allem eine explorative Rolle zuzuschreiben ist. Die erste und die zweite Hypothese würden sich für eine Untersuchung mit breiter Datengrundlage gut eignen.

Sehr interessant ist die Rolle der staatlichen Gewalt als Wissensmacht. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass der Bundesrat (und die kantonalen Regierungen) auf eine Situation traf, in der nach neuen institutionalisierbaren Verhaltensweisen gesucht werden musste. Es war nicht der Fall, dass es im Alltagsleben schon etablierte Vorstellungen darüber gab, was zu tun war, und die behördlichen Massnahmen dann aus diesen ‘herauswuchsen’. Die Massnahmen im Zusammenhang mit Covid-19 haben einen Top-Down-Charakter. Es stellt sich damit die Frage nach der Legitimation der Herrschaft; wir haben gesehen, dass diese unter anderem auch auf dem Kanal des besseren Wissens erfolgt. Überhaupt werden die Massnahmen nicht als Ergebnis eines gesellschaftlichen Verständigungsprozesses interpretiert, sondern als bestmögliche Lösung aufgrund des bestehenden Wissensvorrats. Hierin kann man durchaus die Foucaultsche (Foucault 2006) Biopolitik bestätigt sehen.

Der Befund, dass der Verweis auf eine Rechtsnorm genügt, um eine Handlung motivisch zu erklären, ist denn schon auch bemerkenswert. Kaum einer würde im alltäglichen Leben eine solche Erklärung einfach hinnehmen; dazu müsste man zum Beispiel noch sagen: «Ich wollte nicht ausscheren». Hier kann man aber auch die Besonderheit der Lage erkennen: es waren dringend neue, verbindliche Massstäbe für adäquates Verhalten notwendig. Wir haben auch gesehen, dass es eine grundlegende Adaptionsbereitschaft abseits juristischer Normen gab; dass man also handeln wollte – die behördlichen Massnahmen waren dann willkommener Anker für das eigene Verhalten.

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die soziale Nähe des SARS-CoV-2 eindeutig ein verhaltenssteuernder Faktor sein kann, und zwar auch im umgekehrten Sinne: ist SARS-CoV-2 sozial weit entfernt, wirken die Massnahmen drakonischer.

Die vorliegende Untersuchung hat sich in einem relativ homogenen Umfeld bewegt, davon aber auch profitiert, weil davon ausgegangen werden kann, dass die hier herausgearbeiteten Unterschiede nicht einem unterschiedlichen sozialen Kontext geschuldet sind. Für weitere Untersuchungen wäre allerdings ein Fokus auf Betriebe in einem grundsätzlich anderen Milieu aufschlussreich.

Literaturverzeichnis

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Diekmann, Andreas. 2007. Empirische Sozialforschung: Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Orig.-Ausg., 12. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Duerr, Hans Peter. 1993. Der Mythos vom Zivilisationsprozeß / 3 Obszönität und Gewalt. 1. Aufl. Frankfurt a.M: Suhrkamp.

Elias, Norbert. 1997a. Über den Prozeß der Zivilisation / 1 Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. 1. Aufl. Frankfurt a.M: Suhrkamp.

Elias, Norbert. 1997b. Über den Prozeß der Zivilisation / 2 Wandlungen der Gesellschaft, Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation. 1. Aufl. Frankfurt a.M: Suhrkamp.

Foucault, Michel. 2006. Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität II. herausgegeben von M. Senellart. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Gläser-Zikuda, Michaela. 2011. «Qualitative Auswertungsverfahren». S. 109-19 in Empirische Bildungsforschung: Strukturen und Methoden, herausgegeben von H. Reinders, H. Ditton, C. Gräsel, und B. Gniewosz. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Keupp, Heiner. 1993. «Von der Fremd- zur Selbstvergesellschaftung — Gesundheitsdiskurse als Identitätspolitik». S. 194-208 in Strafrecht, soziale Kontrolle, soziale Disziplinierung, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, herausgegeben von D. Frehsee, G. Löschper, und K. F. Schumann. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Kohler, Jürgen. 2002. «Verhaltenssteuerung durch Umwelthaftung». in Recht und Wirkung. Bd. 11, Greifswalder Rechtswissenschafltliche Reihe, herausgegeben von M. Rodi. Köln; Berlin; Bonn; München: Heymanns.

Merton, Robert King. 1968. Social Theory and Social Structure. New York: NY: Free Press.

Anhang: Interviewtranskripte

Interview 1: G2 – 04.11.20

  1. F: Wer bisch du?
  2. M: Ich bi de [M]4. Ich bi de stellvertretendi Gschäftsleiter vom [G2]. Ähmm, ja.
  3. F: Chasch du eue Betrieb vorstelle?
  4. M: Ja also mir sind am [W], sind es Cafi/Restaurant/Bar. So chli alles. Am morge Kafi, – hoi [G] – am Mittag Zmittagservice, Namitag Cafi und am Abig Restaurant, eigentlich, Esse. Denn au Drinks, also Bar.
  5. F: Sind ihr eher es Summer- oder es Winterlokal?
  6. M: Ja scho eher Summer.
  7. F: Ihr händ Ussebereich, das isch relativ gross. Wie viel Plätz händer da?
  8. M: Dusse? Das isch e gueti Frag. (Überlegt.) Ja sicher normal würi sege 60, aber jetzt dur de Corona-Dings hemmer dusse me döfe stuehle, aso vill me Platz bruche ufem Platz, und jetzt sinds wahrschinnli, ja, 100 würi mal so sege.
  9. F: Mir blendet zrugg: Am 13. Mai rüeft de Bundesrat de Lockdown us. Hender da offe gha?
  10. M: Jaja.
  11. F: Und wie isch das für eu gsi?
  12. M: Ja aso ganz agfange hets ja mit Take-Away. Döffsch nüm offe ha aber eifach Take-Away mache. Uuund denn hend mier das gmacht, zersch. […]
  13. M: Und denn hend mier da eifach Take-Away Sache useghe, so.
  14. F: Ab wänn isch das genau gsi?
  15. M: Pfuh, gueti Frag. April. Ich glaub im April, Ja. Und es isch so meega schön Wetter gsi. Und denn (schnaubend) hend mier da Take-Away Bier usegla und Esse und so und denn het sich de Platz eifach meh und meh gfüllt, und denn isch d Polizei glich cho und het euis de Lade zuegmacht, wills gheisse het mir sind sozsege Schuld will mier da de Platz belebed.
  16. F: Het sich währendem Lockdown öppis ta bi eu? Hender öppis umgmechet oder…
  17. M: Ja mier hend eifach renoviert, vo euis us. Aso gstriche hemmer, Sache entsorgt, mal alles usgmistet. So, ja.
  18. F: Und das mit de Churzarbet het funktioniert für eu?
  19. M: Mhmm (Ja).
  20. F: Hesch du det scho öpper kennt oder het so öpper geh im Umfeld vo eui wo Corona gha het?
  21. M: Ja aso lustigerwiis da nöd, aber mini Schwöster hets gha. Sie schafft die [O] Bar – het sie gschaffet.
  22. F: Das isch scho zimmli am Afang gsi?
  23. M: Ja, im April.
  24. F: Am 11. Mai isch das langsam wieder ufgange, s Restaurantverbot isch ufghobe worde – hender gad det wieder ufgmacht?
  25. M: Jaja, eh.
  26. F: Was het sich veränderet, woner wieder ufgmacht hend?
  27. M: Aso mit de Beschränkige meinsch jetzt?
  28. F: Ganz allgemein, was het sich veränderet? Was hender anders gmacht?
  29. M: Was mer andersch gmacht hend? (Zögert) Eigentlich nix. Aso mier hend eifach andersch gstuehlet, halt mit denen Abstandsregle. (nimmt Telefon ab.)

Ja eifach d Stuehlig, andersch. Aber such eigentlich nöd. Halt die Tafle ufgstellt, wo vode Gastrosuisse usecho sind. Was mer muess iihalte und so wiiter.

  1. F: Mhm, und det isch aber scho gnueg warm gsi dasser hend chönne usestuehle?
  2. M: Jaja.
  3. F: Und hender so Tischwänd gmacht?
  4. M: Nä-ä. Eifach Abstand. (Räuspert sich.)
  5. F: Personedate hender erfasst?
  6. M: Ersch wo das usecho isch dass mer das mues erfasse. Susch nöd.
  7. F: Hender irgendöppis gmacht zum d Mitarbeiter schütze?
  8. M. Eifach Desinfektionsmittel ufgstellt. Aber nöd Maske oder so.
  9. F: Am Afang hets denn ja no die Beschränkig geh vode Vier-Persone-Regle. Das isch ja nöd so eifach, wie hender das gmacht?
  10. M: Ja eifach de Lüt gseit sie münd usenandersitze. […]
  11. F: Hets irgendwelchi Unklarheite geh? Oder hender immer gwüsst was ztue isch?
  12. M: Jaja, ja. Bide Gastrosuisse chasch ja go luege.
  13. F: Hend ihr Ustusch gha mit andere Betrieb?
  14. M: Aso ich persönlich nöd wükki, nä-ä. …Aso usser mini Schwöster wo ide [O] Bar schafft und die isch halt immer puumpe volle. Und da hets denn ja au gheisse 50 lüt und die hend das wahrschinnlich au chönne kontrolliere, und denn isch aber d Polizei igfahre und het gseit no eimal und denn schlüssemer
  15. F: Sind die denn mal gschlosse worde?
  16. M: Nei. Nur Verwarnig.
  17. F: Aber eui hends zuegmacht am Afang.
  18. M: Aso ja, er het eifach gseit für de Abig isch fertig. Wills isch wükki die Hölle los gsi ufem Platz.
  19. F: Das isch d Gwerbepolizei gsi?
  20. M: Ja genau.
  21. F: D Zahle sind tüüf blibe im Summer, da hender eigentlich wieder de normal Betrieb ufgno
  22. M: Ja.
  23. F: Das heisst de Summer isch au guet gloffe?
  24. M: So guet wie no nie.
  25. F: So guet wie no nie?!
  26. M: Ja. (Pause) Aso die paar Mönet womer offe gha hend im Summer ischs wükkich explodiert.
  27. F: Und was meinsch wieso? Eifach willer me Platz gha hend?
  28. M: Ja nei nöd nur bi euis. Aso bi villne Betrieb so Rekordumsätz i dem Summer.
  29. F: Aso hesch glich ghört vo…
  30. M: Ja hüt isch gad eine da gsi vome andere Cafi und de het gseit…Es isch scho au dra glege dass mer me Platz gha hend, aber d Lüt sind au gierig gsi.
  31. F: Hender i dere Ziit mal en Fall gha?
  32. M: Jetzt im Früehlig nöd.
  33. F: Dänn am 22. Juli het mer wieder chönne uf 1.5 Meter stuehle. Händer da no me Plätz gmacht?
  34. M: Nei dusse hemmers gla. Aber dinne hemmer eis zwei Tisch me ineta.
  35. F: Und jetzt mit dene Tischabständ – wieso genau hender das gmacht?
  36. M: Warum? (Überlegt) Ja will ich ghört han dass de Virus nach zwei Meter an Bode gheit (lacht) und nacher nümm chan d Lüt astecke.
  37. F: Guet zersch isch 2 Meter gsi, denn einehalb…
  38. M: Ja stimmt, villicht ischer schwächer worde (lacht laut)… Nei ich weiss au nöd.
  39. F: Aso aber das heisst ihr hend das eifach nach Vorgab gmacht.
  40. M: Jaja. Aso d Gwerbepolizei isch mal da gsi mitem Massstab.
  41. F: Das isch wänn gsi?
  42. M: Das isch am Afang gsi, im Früehlig. Gad wod Regle usecho isch zwei Meter. Am Vorabig ischer da gsi und het mer de Lade zue gmacht – oder ei Wuche druf isch denn de Beschluss cho –
  43. F: da isch eine cho während em Service?
  44. M: Mier hend eifach Take-Away gmacht. Nacher hemmer e Sitzig gha, weissi no, denn simmer dusse gstande, s ganze Team. Denn sinds wieder zlaufe cho, in zivil, ich ha sie erchennt…und denn ischer cho und het abgmesse. Denn het er gseit das seged nöd zwei Meter… und ich so mol es sind zwei Meter, er so: «nei es muss vo Stuehl zu Stuehl sii» und denn ich so: «nei vo Tisch zu Tisch, Tischkante zu Tischkante staht bide Gastrosuisse im Reglement». Und denn het er gseit (verstellt seine Stimme, höher): « ja oke, seg scho oke so» –
  45. F: Okay, also de hets selber nöd genau gwüsst –
  46. M: Ja, er het denn gseit, (verstellt seine Stimme, höher) «Ja wüssed Sie, für euis isch das au neu, mier wüsseds au nöd genau…»
  47. F: Ich ha das jetzt ja aunomal genau agluegt mit dene Schutzkonzept, da gits ja mittlerwiile 12 Versione. Und es isch höchst undurchsichtig, was jetzt genau gilt…
  48. M: Ja, das weiss ich au nöd so gnau ehrlich gseit.
  49. F: Wie sind d Reaktione vode Gäst gsi?
  50. M: Mega unterschiedlich. Die einte hend gseit Scheiss druf, glaub nöd a das, die andere hend gseit chum mer nöd znöch. Vor allem mit dem Iiträge ischs amigs chli es Theater gsi. Ich find mier hend da no vill so chli alternativi Lüt wo nacher so findet «Nei mini Date» und blablabla…und denn so ja lug, machs oder blib dihei!
  51. F: Da bisch igfahre.
  52. M: Jaeh, sicher.
  53. F: Vor allem weg de Gwerbepolizei oder will du das als richtig empfunde hesch?
  54. M: Ja nei scho weg de Gwerbepolizei. Aso ich mein wenns chömed und mier Buess überchömed…und schlussendlich hockemer all im gliiche Boot, aso weisch wenn ich jetzt gahne irgendwo go esse mussis ja au mache oder. Aso come on, bisch ja eh überwacht scho vo überall mitem Pass, biometrische Pass und Schissdräck blabla.
  55. F: Ab Oktober sind Zahle wieder starch gstige, wie hend ihr das gmerkt?
  56. M: Es sind weniger Gäst cho. Me merkts au vill bi Stammgäst, die hend wükki Angst zum bi euis inesitze wills halt wükki eng isch, sisch en chline Ruum… aso s git vill woni nümme gseh hand sitem Summer, wo susch jede Tag chömed. Vill wennd eifach nöd inisitze.
  57. F: Im Winter hender nur dine Platz, wie vill hender da?
  58. M: Im Moment? 24, 25…
  59. F: Und vorher?
  60. M: Ja, pfuh, meh als dopplet so vill.
  61. F: Wie gaht me mit dem um? Da mummer sich ja apasse irgendwie, hender agfange Stunde/Schichte chürze? […]
  62. F: Und wie gsehsch du die nöchsti Ziit?
  63. M: Ja…(seufzt). Schwierig zum sege. Ich glaub mier würed scho überlebe, segi jetz mal so. Aber es isch härt. Musch halt immer alleige schaffe, bisch eich nur eine wo im Service isch, und wenns denn mal stressig wird denn liidet de Service. Ja musch halt bim Personal huere spare. […]
  64. F: Wo denn die Zahle d Tuusigergrenze überschritte hend, het sich da öppis gwandlet bi eu? So im Team?
  65. M: Ja scho bizzli, doch. Aso ebe erstens ischs halt immer nöcher cho, ich ha vo immer me ghört wos händ oder in Quarantäne sind jetzt so i mim Umchreis…Vorher im Früehlig ischs wie so chli wiiter weg gsi das Ganze, aso ich ha nur mini Schwöster kennt und suscht niemert…und jetzt ghört me vo allne Ecke…Ja und ebe au vom Personal, so «Hey ich bi gester mit eim zemme gsi, de isch positiv jetz mussi 10 Tag in Quarantäne» und so… das scho. Ciao [I]
  66. F: Wie würsch allgemein s behördliche Vorgah bewerte? Oder wie stahsch du zu de Massnahme?
  67. M: Aso ich bezwifles, dass das vill bracht het. Will ich meine wennd gluegt hesch die Restaurant und so sind die Abstandregle gsi aber dusse uf de Schuelhusplätz: alli zemme. Z füfzigste am Basketball spille. Also öbs das bracht het die Restaurant weissi nöd, ich bezwifles.
  68. F: Ischd Polizei nomal cho?
  69. M: Nei, ich glaube nöd.
  70. F: Hender ghört vo andere Betrieb wo gschlosse worde sind?
  71. M: Ich ha jetzt nüt ghört…
  72. F: Wie würsch sege isch eues eigene Verhalte gsi i dem Ganze?
  73. M: Euises? Was meinsch, verantwortigslos oder nöd verantwortigslos? (lacht)
  74. F: Ja zum Bispil…
  75. M: Ähm… das isch e gueti Frag – ja ich find mier hends scho guet gmacht aber ebe wenn ich luege wies im Summer, wies da abgange isch – aso mier hend ja me döffe stuehle dusse und s het eifach vill me Lüt gha als susch dusse – vo dem her ischs eigentlich kontraproduktiv gsi was mier gmacht hend.
  76. F: Das het sich gwüssermasse als Gegeteil entpuppt…
  77. M: Ja, eigentlich scho ja. Aber de Abstand het scho gulte, es sind eifach alli igfahre.
  78. F: Das isch denn aber nie beastandet worde, nur bim Take-Away.
  79. M: Ja voll, ja. Und ebe die Vier-Persone-Regle – das het denn dezue gführt dassd Lüt eifach gstande sind.
  80. F: Was hender guet gmacht?
  81. M: Was hemmer guet gmacht…. also so coronatechnisch… (überlegt) Umsatz! (lacht lauthals)
  82. F: Was hetteder besser mache chönne?
  83. M: Jetzt in Bezug uf Corona? Ja die Trennwänd montiere.
  84. F: Und wieso macheder kei Trennwänd? Denn hender ja me Plätz.
  85. M: Jaa weg de Chöste. Will das me chostet. Aso das muss jetzt privat bliibe aber euise Chef isch recht en giizige.
  86. F: Das heisst es gaht um d Aschaffigschoste.
  87. M: Ja. Und au wegem Ussehe, wegem Charme.
  88. F: Was meinsch so im Verglich zu andere Betrieb, wie hets eu verwütscht? Ihr hend ja zimmli abgruumt im Summer.
  89. M: Ja uf jede Fall, ja.
  90. F: Und jetzt im Winter?
  91. M: Ja jetzt im Winter wird’s knallhärt. Mier hend nur halb so vill Plätz.
  92. F: Und jetzt so in Bezug uf Massnahme umsetze und so, wie stönder da im Verglich zu andere Betrieb?
  93. M: Wie mirs umsetzed? Ja ich glaube mir sind da eher chli zlocker oder lockerer als die Andere… Ich meine mir hend mega lang ohni Maske gschaffet, ohni Schutzwändli, woni a andere Ort überall gse han.
  94. F: Und was meinsch, a was isch das glege, dass ihr das lockerer gmacht hend?
  95. M: Pfuh, ich weisses aunöd. Ich glaub s liit so a euisem ganze Team e chli, es sind alli so chli easy druff…
  96. F: Bide [K] hends scho früeh Maske gha…
  97. M: Ja en Fründ vo mier, dem au es paar Läde ghöred, het gseit dass wennd Maskene a hesch nöd andere im Team in Quarantäne müend…

Interview 2: G1 – 06.11.20

  1. F: Chasch du dich schnell vorstelle?
  2. P: Miin Name isch [P]5, ich mach da d Gschäftsfüehrig und bi Teilinhaberin.
  3. F: Okay. Chasch du de Betrieb churz vorstelle?
  4. P: Mir sind e Bar. Und mier zeiged vill Sport, sehr vill Fuessball. Und wenns schön Wetter isch hemmer da usse e recht grossi Terasse.
  5. F: Wenn mer schnell zruggblendet und du dich zruggerinnerisch an 13. März, de Bundesrat rüeft de Lockdown us – wie isch das gsi für eu?
  6. P: Ich bi sehr froh hends das gmacht, ich ha scho en Tag vorher zuegmacht, wills d Lüt nöd so guet gmacht hend mitem Abstand –
  7. F: Aso d Gäst?
  8. P: D Gäst, ja. Ich bi so recht psycht gsi weg de villni Lüt und s isch recht en schöne Sunntig gsi am Tag, und Sie hend da e mega Party duss gha, aso s sind eifach mega vill Lüt da gsi. Und ich ha au chli es schlechts Gwüsse gha weg de Mitarbeiter und für mich und Lüt. Bin denn eigentlich froh gsi wos zuegmacht hend.
  9. F: Okay. Hesch du denn öpper gha im Umfeld oder so wo das gha het?
  10. P: Nei.
  11. F: Das isch fern gsi eich…
  12. P: Das isch fern gsi. Ich ha niemert kennt.
  13. F: Hender öppis gmacht während em Lockdown?
  14. P: Aso ich ha da ine recht vill – aso renoviert – gstriche und putzt hemmer…ja, ufgruumt.
  15. F: Ihr hend eh kei Esse, Take-Away hender nöd gmacht…
  16. P: Mir hend kei Take-Away gmacht, ich muss aber sege mir hend e Versicherig gha. Drum isch mier de Lockdown au recht cho.
  17. F: Ihr hend e Pandemieversicherig?
  18. P: Ich ha Pandemeversicherig. Mier hend wie scho gwüsst dass wenn sie euis zuemachet dass denn d Versicherig muess zahle… irgendöppis… ich weiss bis jetzt nöd genau was aber…
  19. F: Das heisst au d Mieti isch zum Bispill nie es Thema gsi?
  20. P: Mieti münd sie denn, aso das isch höchstens es Problem vode Versicherig gsi wo denn gern gha hetti mer müssti d Mieti nöd zahle. Aber bi euis würdi das überno werde, aber ebe, mier hend nonig vill Geld gseh…
  21. F: Okay, die sträubed sich da so chli?
  22. P: Nei sie chönnd gar nöd – Es het es paar Versicherige ghe wo sich denn so chli gsträubt hend… aber es isch det recht klar dass me zahlt.
  23. F: Hend ihr so chli Uustusch gha mit andere Betrieb, was passiert isch bi dene?
  24. P: Ich ha en guete Kolleg, de füehrt au e Bar/Restaurant, aber dem ischs au so chli gliich wie euis ergange, de het au so – ich kenn mega vill wo die glich Versicherig gha hend. Und die sind denn all so chli: «Ja okay…» (lacht) Es isch mega schlimm (lacht laut).
  25. F: Okay und denn wenns wieder ufggange isch am 11. Mai… Hender denn gad wieder ufgmacht?
  26. P: Ja. Jaa mier hend sofort wieder offe gha.
  27. F: Und im Verglich zu vor Corona, was hender andersch gmacht?
  28. P: Ähmm….wie meinsch ‘andersch gmacht’?
  29. F: Generell.
  30. P: Hey halt Abständ, meh. Mier hend zum Glück/es isch so schön Wetter gsi und ah mier hend dine mal zue gha vorerst. Will mer gfunde hend d Lüt chönnd dusse hocke, da mümmer nöd no es paar ade Bar ha womer denn ja nöd weiss…und denn hemmer dinne zuegha und dusse hemmer döffe me stuehle, mier hend en mega grosse Platz…
  31. F: Wie vill Plätz hender denn da usse?
  32. P: Hundert…. zwänzg?
  33. F: Ja. richtig vill.
  34. P: Ja. Und denn ischs wie okay gsi will mer eifach nacher glich vill Plätz gha hend…
  35. F: Das hender vode Stadt becho?
  36. P: D Stadt het gseit mer chönni efiach vergrössere… aso da hemmer nüt müsse igeh.
  37. F: Wie hender die Tischabstände umgsetzt? Hender Markierige gmacht am Bode oder…?
  38. P: Wo mer wieder ufgmacht hend ischs no recht astrengend gsi will nume 4 Lüüt am Tisch hend döffe hocke und nöd döffe rund ume stah…
  39. F: Das sich wahrschinnli au no schwierig gsi das umzsetze…
  40. P: Ja…Ja. Mier hend denn öpper gha wo uf das ufpasst het.
  41. F: Extra für das?
  42. P: Extra für das. Wo de Lüt gseit het «ihr döffed nöd am Tisch stah» und «ihr döffed nöd im staa trinke» (lacht), «nei ihr döffed da nöd z foifte anehocke» und «nei de tisch döffeder nöt verschiebe»…eifach so Sache. Das isch chli astrengend gsi am Afang.
  43. F: Hets irgendwelchi Unklarheite geh – oder hend ihr immer gwüsst was Sache isch, was gilt?
  44. P: Ich find es het immer wieder Unklarheite geh. Irgendwie han ich immer das Züg glese und ha gfunde ja ich weiss jetzt eigentlich… mängisch gar nöd so recht wasi döff oder was nöd… gad mit so dinne und so mit hocke und stah und wie vill döffed anenand sii… irgendwenn womer mal me ufgmacht hend han ich gar nöd gwüsst wie vill Lüüt jetzt inedöfed wills gheisse het hundert dörfed ine und ich ha gfunde hundert isch da no vill, villicht müsst mer da uf Quadratmeter luege oder so… da hani nöd recht gwüsst wie vill ich dörf inela. Und da hemmer eifach chli öppis gmacht –
  45. F: Hender den amigs gseit, «jetzt döffeder nüme ine»?
  46. P: He s isch denn wie gar nöd so passiert… Ja nei, zum Fuessball hends denn paar Mal nüme inedörfe, da hani gfunde sind jetzt gnueg dinne. Aber das isch e Gfühlssach gsi…
  47. F: Und wieso hesch du das gmacht?
  48. P: He will halt u vill Gäst – aso s isch halt e Fuessballbar und ich ha denn wies Gfühl gha vode Gäst die findeds au nöd easy wenn hinder dier öpper so nöch isch, musch irgendwie trotzdem chli uf Abstand luege… und mier hend doch – aso s Personal die wänd da ja durrelaufe irwie in Rueh und nöd ständig müesse acho a allne… Ja, deswege.
  49. F: Isch da öpper mal cho go kontrolliere?
  50. P: Nei.
  51. F: Hesch du ghört vo andere Betrieb wo gschlosse worde sind?
  52. P: Nö. Nä-ä. Nur dasses kontrolliert worde sind. Aber mega kulant. Nöd arschig sind cho go luege, dass eich wenns gmerkt hend dass mer öppis macht dasses denn glich gsi isch…
  53. F: Okay. Und denn im Summer sind d Zahle ja relativ lang tüf blibe, es het sich sehr entspannt, au vode Gäst her wie ich das wahrgno han… wie isch das gsi für eu?
  54. P: He mer het so chli wie vergesse… es isch da denn au nöd so wichtig ebe gsi will d Lüt sind dusse gsi, sind gar nie inecho…
  55. F: Hender denn au no eine gha wo glueget het?
  56. P: Nä-ä, Nei, nachme Monet zwei het de wie nümme müsse cho will sich das Ganze so uflgockeret het, me isch denn nümme so streng gsi, het denn wieder döffe im staa trinke, het wieder me Lüüt chönne am Tisch ha.
  57. F: Hender denn aber no die Personedate erhobe?
  58. P: Das hemmer immer gmacht, ja.
  59. F: Wieso hender das macht?
  60. P: He… it’s the law! (schmunzelt) Aso dusse ischs ja freiwillig gsi… und denn hemmer das au so gmacht… und denn muess ja öpper dusse. Und das hend d Lüüt okay gmacht, jaja… und dinne simmer recht streng jetzt.
  61. F: Ebe, jetzt ischs ja wieder starch agstige, sit Oktober sind d Zahle ja schnell wieder über de Tuusiger, hender da öppis gspürt?
  62. P: Ja.
  63. F: Wie, vode Gäst? Oder…
  64. P: Aso vor zwei Woche ischs wükki ibroche, d Umsätz. Au will mer nümm cha dusse hocke, es isch mega chalt, ähm, s chunnt fasch niemert me ine. Ussert so einzelni Täg.
  65. F: Und äh, wänder uf das reagiere?
  66. P: He mier hend euis überleit zuezmache… aber das gaht ja scho au nöd will dennd churzarbet nöd zahlt, wännd nöd muesch zuemache. Aso euis wäri jetzt en Lockdown lieber, will denn müsst Versicherig nomal zahle. Aso und was mer halt reagiert hend isch viel weniger Mitarbeiter. Aber mit dem hemmer scho grechnet im Summer, dass das passiere wird. Mier hend denn au scho chli chönne luege vorher mit de Mitarbeiter…
  67. F: Dass das nöd usem Nüt chunnt.
  68. P: Ja und dass sie sich villicht no öppis anders überlege chönnd. Da bin ich jetzt no froh hani dass e so gmacht will es isch genau e so usecho.
  69. F: Hend ihr en Fall gha im Betrieb?
  70. P: Nei, nä-ä.
  71. F: Au nöd im Umfeld?
  72. P: Nei imfall niemert! Aso scho öpper wo da schaffet wo mitere Kollegin… und sie sich denn au/ het müesse teste la aber… es isch sehr ruhig gsi bi euis (lacht).
  73. F: Jetzt Stichwort Behörde und die Massnahme und so wiiter, wie bewertisch du das Vorgah allgemein?
  74. P: Ich wechsle mini Meinig sehr oft (lacht). Denn hani amigs a Gfühl sie mached das eigentlich no guet…und denn hani amigs s Gfühl sie mached gar nüt… und jetzt gad find ichs nöd schlecht wie de Bundesrat vorgaht… ich find das eifach mit dem Kantönli… jede Kanton macht irgendöppis findi chli astrengend. Will denn aud Lüüt wo chömed, die sind denn au verwirrt, und me selber isch chli verwirrt, und niemert weiss eigentlich was mer muess mache und ich find denn immer wenn de Bundesrat, aso wenns vom Bund greglet wird denn weiss mer wieder was mache. Au wenns denn strenger isch, aber es isch denn wie so… me weisses wie nöd…. aber ja, ich bi immer wieder froh dass ich das nöd muess entscheide (lacht laut). […]
  75. P: Es nervt mi dassd Behörde kein Lockdown wennd mache wege halt, wahrschinnli, Geld und so, und glichziitig segeds de Lüt sie sölled deheime bliibe. Und mier münd denn irgendwie go schaffe ide Bar und s chunnt niemert. Und wenn sie wenigstens en Lockdown mache würed bechämtemer d Churzarbet, denn wärs wahrschinnli so chli für euis besser. (überlegt)
  76. P: Ja, und denn Thema Contacttracing: Hend doch öppe zwei Gäst da gha womer verzellt hend dass sie positiv tested worde sind – aber ich ha vom Kantonsarzt nie öppis ghört, ha nie irgendwelchi Date ischicke…obwohl ich super parat gsi wär, mit allen couvert, zätteli… (lacht laut)
  77. F: Okay und äh… wie bewertisch du eues Handle die Krise?
  78. P: Ich find euise Betrieb hets sehr guet gmacht.
  79. F: Wieso henders guet gmacht?
  80. P: Ich find mier hend e gueti Mischig zwüsched mier nehmeds ernst aber mier gheied nöd voll übere. Und es isch immer so chli e Gratwanderig gsi zwüsched me muess halt chli Geld mache aber me het auno Mitarbeiter wo sich wännd wohl fühle bim schaffe… Das isch mier denn amigs no wichtig gsi… ja und mer muess no chli Geld mache.
  81. F: Was hetteder besser chönne mache?
  82. P: (überlegt) Ähm, ich glaube irgendwänn simmer so chli zstreng gsi, so mit «ihr döffed nöd inecho».
  83. F: Wänn isch das gsi?
  84. P: So im Summer. Und jetzt im Herbst/Winter sind Lüt immer no chli verwirrt und hend s Gfühl sie dörfed nöd ine… ich ha mengisch s Gfühl sie chömmed drum nöd. Villicht het me früener sölle e Maskepflicht mache für d Mitarbeiter.
  85. F: Us Selbstschutz oder…
  86. P: Aber sie hend das natürlich immer döfe mache aber das macht me denn ja nöd… wenn denn nume d Helfti eini ahet. Aber ich weiss ja bis jetzt nöd öb das öppis bringt mit dene Maske.
  87. F: Was meinsch, wie stönder im Verglich zu andere Betrieb da so im Krisemanagement?
  88. P: (überlegt) Ja das isch no schwierig zsege will mier hend e mega gueti Position weg dere Versicherig… und mit da usse… aso ich has Gfühl mir sind inere mega vorteilhafte Position gsi bis jetzt, au das s Wetter guet gsi isch… und jetzt chunnt so chli druf ah was im Winter passiert… und ja ich has Gfühl mir stönd nöd so schlecht da… hemmer irgendwie no guet gmacht.
  89. F: Ihr hends ernst gno…
  90. P: Ja…. he ich ha eifach au nöd welle dass ide Medie staht «bim Fuessball luege hend sich alli agschroue und agsteckt» und so.
  91. F: Wie hend d Gäst druf reagiert?
  92. P: Guet… mier hend recht vill Gäst wo immer chömed. Mier hend recht vill Stammgäst und vill hend gseit sie chämed gern da hi will sie s Gfühl hend s werdi guet umgsetzt, also sie fühled sich no wohl… und ebe sie sind froh gsi isch dine nöd so vollgstopft gsi… ich glaub es chömed jetzt au vill nüme will sie Angst hend s het kei Platz me…
  93. F: Guet, danke…
  94. P: Denn langet das?
  95. F: Ja. S isch sehr guet gsi, danke!
  96. P: (lacht laut) Streberbar!

Interview 3: G3 – 06.11.20

  1. F: Chasch du dich churz vorstelle?
  2. C: Ich heisse [C]6 und bin sit füfzg Jahr im Gastgwerb… und bin eigentlich scho pensioniert. Aber erstens hani kei Geld und zweitens, pensioniere isch e chli öppis abstrakts für mich. Es het sich jetzt mit dere Pandemie gad e chli ergeh dass mer ja eh nöd cha reise, oder, und deheime hocke isch eh kei option, usser me mues eifach. … Ja, ich bin Familievater, drum isch s Geld eich dopplet so wichtig, oder…aso wenn jetzt mini Frau nöd wür schaffe und (seufzt) ja, e chli besser gstellt isch als ich, denn hetti e riise Krise. Und so, äh, bini eifach e Nullnummere im Moment quasi finanziell.
  3. F: Chasch du din Betrieb churz vorstelle?
  4. C: Es isch es Spiisrestaurant, wo mal denkt gsi isch als Quartierrestaurant, aber hüt gits das sozsege nümme die Stadt Zürich, sondern mini Gäst chömed vo überall da ane. Und zwar bewusst, vor allem die Ältere, will sie mich halt au scho quasi die ganz Ziit begleitet händ. Du häsch en Stil bim Spiisrestaurant, wo eigentlich immer me oder weniger e chli ähnlich isch. Du duschs zwar apasse und lehrsch au dezue, aber s isch denn de Stil het e gwüssni Kundschaft. Und drum werded die Chunde natürli au immer älter, wie n ich, uund sie konsumiered nüme so vill. Will die Junge, die tünd no eher über Grenze gah.
  5. F: … mögeds au no chli besser verliede…
  6. C: Jaja, genau. (lacht)
  7. F: Wämmer zruggblendet zum 13. März, wo de Bundesrat de Lockdown verkündet het. Wie isch das gsi für dich?
  8. C: Ja, s isch zersch au so e Spannig gsi… und denn ja, endlich het öpper en Entscheid troffe. Das, äh, find ich eigentlich nöd schlecht. Das isch ja jetzt eigentlich wieder die gliich Situation, ide Politik… de Bundesrat… aso s isch wahnsinnig, sie redet immer vo Bevormundig, aber es lauft besser, wenn zentral entschiede wird, das isch eidütig. Aber sie wänd das nöd wahr ha… das sind natürlich immer die Rechte, wo so redet. Und mier händ euis dänn natürli au gad ufd Churzarbeit gstürzt, dänn hät mer versuecht mitem Vermieter öppis zmache. De isch zersch schwerst beleidigt gsi, dass mier überhaupt sone Idee hend, dass mier nöd arschleckend cho sind… aso isch villicht chli min Fehler gsi: ich han en Musterbrief gschickt, ha denkt «ja guet, wenn de Gastroverband das so usegit denn wird das scho guet sii», das heten extrem beleidigt… tuet denn halt so. S beleidigt sii, ja, das isch ebe au amigs sone Strategie… er isch denn aber uf das zruggcho… het den zweimal, gaaanz vo obe abe, de Zins erlah, aber i dem Mietvertrag hets no e Wohnig, wo denn natürlich nachträglich gseit worde isch das die nöd debi seg, aber es wohnt niemert dinn will im Vertrag staht Büro und Garderobe. Isch natürli en Witz. … Und da striitemer immer no. […]
  9. C: Aso ich persönlich hets jetzt besser gfunde, wenns chli länger zue gsi wär, dass d Lüt sich chli beruhigt hetted. Aber de Verbandschef, das isch au en SVPler, het Druck druf gmacht, «jetzt muess wieder ufgah», «d Lüt münd Selbstverantwortig überneh»… und das isch sones Schlagwort, wo absolute Scheiss isch. Und immer chömed die Liberale mit dem Schlagwort, sie hends Gfühl, das seg passend für alles. Ich han gad en Artikel glese vode FDP, wo sie seged, ide Verchehrsfüehrig, me döff sich nöd bevormunde la, d Lüt münd Selbstverantwortig ha, wie de Verchehr überhaupt no wür funktioniere, wenn jede chönnt mache waser wett, oder! Natürli ischs amig nervig, aber es isch de best Weg… Jaa, drum het ichs besser gfunde wärs no chli zue gsi, denn aber im Summer hets sichs denn wieder agloffe uund isch jetzt wiedr zemmebroche.
  10. F: Bliibemer mal no bide Wiedereröffnig, am 11. Mai het mer wieder chönne ufmache, hesch denn grad wieder ufgmacht?
  11. C: Jaja.
  12. F: Und hesch det irgendöppis andersch gmacht als vorher?
  13. C: Jaa, das mit de Abständ hemmer versuecht izhalte, und mier hend versuecht optisch au zmache, dass das gaht. Und es isch verusse gsi.
  14. F: Du hesch den also nur dusse serviert?
  15. C: Ja dine wär au kein Mensch choo.
  16. F: Und mit de Optik, was meinsch da?
  17. C: Ja mier hend dusse sone Art Tüecher gmacht. Das isch immerno so chli schöner gsi als das mitem Plexiglas. Das findi unmöglich.
  18. F: Und die Tischabständ hesch versuecht zmache seisch, het das klappet?
  19. C: Ja-a. Da ja eh weniger Lüt cho sind. Mummer also au sege. Aber da mier ja eh es chlises Restaurant sind isch natürli denn langsam zwenig Plätz. Es isch ja so dass wenn du Churzarbet machsch und du hesch nur no halb so vill Lüt wo schaffet, de Umsatz gaht ja denn meh zrugg. Segemer jetzt am letschte Samstig, sind zwei Lüt da gsi am Schaffe, und zwei wo konsumiert hend. Also eine die Chuchi, eini im Service, und die hend denn natürli scho möglichst schnell zuegmacht, und die Gäst hend das irgendwie gmerkt, die sind nöd ghockt bis am elfi, aso s isch denn immer so Verlust. Plus Zinse, all die Festchöste, die hesch ja gliich. Öb du jetzt zweihundert Lüt bediensch oder nöd.
  20. F: Wie plansch du das denn jetzt im Winter azgah? Oder wie wöttsch reagiere uf die Platzknappheit?
  21. C: Ja du hesch gar nöd so vill Lüt. Das isch also gar nöd so es Thema. Du hesch so wenig Lüt, Zistig, Mittwuch, zum Bispil, Sunntig Mäntig hemmer sowieso zue – jetzt hemmer no Zistig Mittwuch zue. S isch eigentlich nöd so denkt.
  22. F: Chasch mer villicht no öppis zum Motiv, zum Beweggrund für die Tischabständ zsege?
  23. C: Ja das isch Vorschrift!
  24. F: Und isch denn da mal öpper cho?
  25. C: Neei. Es isch niemert cho. Wieso weissi aunöd. Aber ich glaube überhaupt nirgends isch öpper cho.
  26. F: Okay, ähm… Im Summer sind die Zahle ja denn relativ tüf bliibe, es het sich entspannt, d Lüt sind wieder me use…isch das denn besser gsi als am Afang?
  27. C: Aso wie meinsch jetzt?
  28. F: Het sich die Lag bessered vo wenig Lüt ha etc.…
  29. C: Ja, es isch scho chli me wieder cho, aber natürli nie wie vorher. Und de Summer isch eh nöd euisi Saison. Du weisch ja wie das isch, vom See bis uf Schliere abe chasch du Party mache, vom Namittag bis am Morge, oder? Und uf jedem Dach obe chasch Party mache, uf jedem Strasseplatz und so…denn sind mier mit euisem Gärtli… ja, es isch besser als gar nüt. Eigentlich zelled mier uf de Winter. Da het mer all die Wiehnachtsesse, wo me sich chli Fett asetzt…und denn Januar Februar mached mier euisi bekannti Bio-Metzgete… […] … und sit ich die mache isch die eigentlich en Renner. Aber das Jahr, han ichs Gfühl, isch wie nöd d Ziit, will Metzgete, da sött eigentlich alles dampfe, au de Gast, und de Tisch sött dampfe, ussert me isch Veganer, aber die mached ja eigentlich ehner en Boge drum … das, das weissi aunöd wie mer das wennd mache, da muemmer denn au wieder umdenke.
  30. F: Hender wiiter usegstuehlt als normal?
  31. C: Bi euis chömed gar nöd so vill Lüt. Und denn het mer das gar nöd müesse mache. […]
  32. F: Wie isch gsi, hender amigs öppis gmacht, hender Maske treit?
  33. C: Ersch womer het müsse.
  34. F: Und d Personedate, die hender erfasst?
  35. C: Ja, da hemmer sones Buech det vorne und das isch/ erstuunlich guet lauft das. Aso ich ha denkt es git vill Lüt wo sich sperred degege. […]
  36. F: Guet, denn het sich d Lag ja wieder starch verschärft, d Zahle sind im Oktober starch agstiige wieder. Wie isch das gsi für eu?
  37. C: Jaa… (überlegt) bis jetzt gahts no guet. Aso es isch im eigene Umfeld immer so, dass mer verunsicheret isch… de Monti, kennsch de? De het denn mal müsse go teste, drü Täg nöd chönne go schaffe, will er warted und so, isch denn aber alles guet gsi… aber jetzt ischer wieder in Quarantäne, will sini Kollege sind anschinend positiv. Es isch jetzt für euis au nöd so wichtig will das isch jetz mal öpper. Mier hend ja es grosses Team, oder. Aber: was isch denn, wenn ich oder de Choch positiv sind, richtig, das weissi au nöd, es wird denn immer verrückter. Ich ha allne denn au gseit, sie sölled underenand e chli Abstand halte.
  38. F: Wänn isch das gsi, wänn häsch das gseit?
  39. C: Ja vorere Wuche wos gheisse het segs wieder so ufe. Dass Ihne au nöd ganz bewusst isch dass mer au under Fründe chli mues Abstand ha. Aber s isch so. Ich mach das diheime au, es sind ja mini Jugendliche wo in Usgang gönd, und denn dihei sind nöch bi mier, und denn villicht z luut redet, miner Meinig na. Und min Sohn isch sich go teste la, und mini Frau. Aber ich glaub au, jetzt gönd alli go teste […] Und anschinend isch de Virus nöd so gföhrlich, nöd glich gföhrlich für alli. […]
  40. F: Jetz e chli e allgmeineri Frag: Wie bewertisch du s Vorgah vode Behörde, die Massnahme zur Bekämpfig vom Virus?
  41. C: Ich bi da chli fatalistisch und akzeptier das. Aso will ichs nöd besser weiss, darum. Ich cha mier ja nöd amasse, öppis zsege.
  42. F: Wie würsch du dis eigene Handle, dis betriebliche Handle bewerte?
  43. C: Aso wien ich de Betrieb füehre i dere Situation, meinsch? Ja, ich weiss es nöd besser, also mach ichs e so. Aso ich bechume scho Tipps, «mach doch Take-Away» und so, aber ich glaube nöd a das, wenn all Take-Away mached brusch du au wieder e Infrastruktur, öb die nöd me chostet. Ich hoffe eigentlich eher immer, dass mer e medizinischi Lösig findet. Das isch mini Hoffnig. Aber anschinend au nöd.
  44. F: Was würsch sege hesch guet gmacht?
  45. C: Ja…Nöd resigniert. S chunnt villicht vo dem, dass ich scho immer chli knapp dure bin i mim Lebe. Eigentlich no nie Geld gha, oder (lacht).
  46. F: Was hetsch besser mache chönne?
  47. C: Ich ha natürli Idee jetzt ohni Pandemie. Aber das het nüt mit dem ztue. Euises Konzept isch halt e chli, es Spiisrestauratn uf die Art, isch nöd rentabel, das isch scho en Fehler. Und e Bar sueche, ich ha das zersch welle, det vorne drin ine (zeigt richtung Tresen), aber kei Sau het det anewelle oder.
  48. F: Wie meinsch, wie staht din Betrieb da im Verglich zu andere?
  49. C: Ähm, ich glaube, de Spiisrestaurant gahts au nöd besser. Aber d Bare, de Alkohol isch natürlich es Sucht-Dings, die laufed immer wiiter. […] Mich wür no interessiere, wie vill vo dene Infizierte liiget denn überhaupt im Bett? Das wird gar nöd so thematisiert. Sie seged nur immer, sie müssed ufpasse dass mer gnueg Bette hend. Aber ghör kei Lüt wo chrank sind.

Interview 4: G4 – 11.11.20

  1. F: Chasch du dich schnell vorstelle?
  2. S: Ich bi d [S]7, bi Gschäftsfüehrerin da im [G4] …
  3. F: Ja, und was isch s [G4]?
  4. S: S [G4] isch es Restaurant mit integriertem Shop wos jetzt sit zweiezwänzg Jahr git die Stadt Züri, Chreis foif, eis vode erste gsi da die Umgebig und isch jetzt wükk im Verlauf vo dene 22 Jahr zum Klassiker worde und bekannt/stadtbekannt für sini wunderbare feine Muschle.
  5. F: Ja, das chame sege. Ihr sind ja es grosses Restaurant, wie vill Plätz händer?
  6. S: Vorher, vor Corona hemmer dine 130 Plätz gha und dusse öppe nomal – aso mier hend zwei Terassene – nomal öppe hundert Plätz. Und jetzt momentan dinne öppe 75 Plätz.
  7. F: Wemmer nomal schnell zruggblendet zum Lockdown, am 13. Mai rüeft de Bundesrat de Lockdown uus, wie isch das gsi für eu?
  8. S: Ja mer hets ja wie scho bizzli gahnt, dass s öppis chunnt. Aber glich, s isch huere hert gsi. Also so vom einte Tag uf de ander. Aso zersch isch ja mit dene füfzg Plätz gsi –
  9. F: Wart schnell, gömmer nomal zrugg zum Lockdown. Jetzt isch alles zue. Wie isch das gsi?
  10. S: Aso ja ebe, mier hends scho bizzli erwartet i dem Sinn… aber es isch natürlich hert als Betrieb, wennd weisch jetzt würsch gern wirtschafte und mache und chasch eifach nümme.
  11. F: Hender det scho öpper kennt oder im Umfeld gha wo Corona gha hett?
  12. S: Nei, gar nöd. Aber mir hend denn so Sitzige gha und hend viel drüber gredet, dasses euis wie zwiit weg isch da Ganze, dassd wie niemert kennsch wo erchrankt isch. Oder du kennsch au niemert wo öpper kennt wo erchrankt isch, also dass es wie… das alles nöd so richtig griifbar gsi isch. Und vo dem her d Massnahme scho sehr härt gsi sind, für das dasses dich selber eigentlich nöd betroffe het.
  13. F: Und hender währendem Lockdown öppis gmacht, öppis veränderet?
  14. S: Aso mier hend scho so chli Lager uufgrumt und gmacht, aber mier hend natürlich scho glueget dass mer möglichst wennig schaffet – churzarbeittechnisch – mier hend nöd soo verruckt vill gmacht. Was mier halt hend halt ebe mit integriertem Shop, also de Shop het halt offe gha, und dass mer det eifach chli s Take-Away Agebot vergösseret hend. Das isch scho immer so dasses im Shop über de Mittag chömmed go Pizza holle und so… das isch au vorher gsi, das isch jetzt no so… und eifach während em Lockdown hemmers gmacht dasses au Pasta und Suppe git, also zwei drü Gricht me vode Chuchi, aber halt so dass mer nöd nomal en Mitarbeiter hend müsse organisiere.
  15. F: Okay… jetzt chömmemer zude Wiedereröffnig. Ähm, 11.Mai ischs wieder ufgange, zersch nur für füfzg Persone – hender det scho offe gha?
  16. S: Ja, mier hend immer offe gha/also abem Moment womer wieder het chönne.
  17. F: Und denn het mer ja zersch nur füfzg Persone inela, wie hender das gmacht?
  18. S: Ähmm, mier hend Tisch ufd Siite gschobe und hend gluegt dasses nume füfzg Stüehl het wo sitzparat sind… aso mier hend nüt usegno, nur uf d Siite gschobe, dasses no chli volle usgseht… suscht – de grossi Ruum – gsehts denn chli blöd us… und ja, mer het denn eifach müsse merke dass mer villicht eifach ei Person bruched blöd gseit wo am Fritig alles am durezehle isch und am mache… will es isch chli chaotisch worde, me het denn nöd so en guete Überblick.
  19. F: Okay… und susch, het sich susch öppris veränderet im Verglich zu vor Corona?
  20. S: Aso jetzt sind halt eifach d Personalchöste andauernd es Thema… dass mer wükklich luegt dass mer… dass nüme d Lüt ume sind wos brucht, im Moment, effektiv. Und suscht… ja, nei, mier probiered wiiterzmache wie vorher, mier nehmeds wies chunnt. Ebe und vom Konzept her oder so hemmer nüt gänderet… jetzt mümmer halt luege… ja, dass mer glich no ufen grüene Zwiig chömmed.
  21. F: Die Tischabstandregle, wie hender die umgsetzt?
  22. S: Aso agfange hemmer eifach, ebe mier hend jetzt weniger Plätz, mier hend eis zwei Tisch usegno… ähm- und eifach, ja, d Tisch einehalb Meter Abstand gha und jetzt simmer immer wie me dra, aso jetzt hemmer ganz vill Trennwänd gmacht…
  23. F: Wänn hender die gmacht?
  24. S: Aso…ich weiss nöd, im Summer hemmer agfange mit de erschte mit so alte Fenster. Hemmer es paar so recht vereinzelt ufghänkt, eifach so chli wegem Style… und au bide Bar wod Gäst chömmed go bstelle und so. Und jetzt hemmer wükkli bi jedem/aso sit de neue Reglig dass mer nur 4 Persone am Tisch döff sii isch jetz wükklich bi allne grössere Tisch hets es Fenster oder e Plexiglasschiibe dezwüsched… da simmer au jetzt no dra, aso de Flurim macht grad hüt no chli me…
  25. F: Ja. Du seisch wegem Style, wieso genau hender agfange mit de Tischwänd?
  26. S: Aso bi euis isch halt… aso s [G4] lebt mega fest vom de Atmosphäre, vode Iirichtig dinne. Und drum/aso euis isch vo Afang a klar gsi dass mer nöd die Nullachtfüfzä-Plexiglasschibe und alles wännd inetue wie alli andere händ… Drum hemmer auno es bizzli gwarted und wükkli nur mit de Abständ und so gha und dänn irgendwenn… ich cha der s gnaue Datum nümme sege… aber im Summer hemmer denn die Alti-Fenster-Idee gha und denn hemmer agfange das Züg ufhänke und mache. Du chasch das bestätige, nöd wahr, es gseht sehr geil us jetzt mit dene alte Fenster.
  27. F: Das isch eso. Personedate hender erhobe?
  28. S: Ja. Aso am Afang wos no uf freiwilliger Basis gsi isch hemmer eifach Zättel bide Igäng gha… aso mier hend vier Igäng, det hemmer Zättel gha… e Liste wo mer sich het chönne iträge, hend sich sehr sehr wenig iitreit. Und nacher wos Pflicht worde isch hemmer au zersch mitem Zetteli verteile und isammle wieder… und jetzt sit zwei Mönet hemmer en QR-Code, wo sichd Lüt chönnd registriere. Am Afang het mer d Gäst wükki müsse druff ufmerksam mache und nahkontrolliere und jetzt isch das en Selbstläufer eigentlich.
  29. F: Wieso hender das gmacht?
  30. S: Ähm… mier hend im Allgemeine eifach welle zeige, dass mir das Thema ernst nehmed /dass mier nöd liechtsinnig mit dere Situation umgönd… zum gäg use symbolisiere dass mier euisi Verantwortig wahrnemed.
  31. F: Nacher währendem Summer sind d Zahle ja relativ tüf bliibe. Wie isch das gsi für eu?
  32. S: Ja, bi euis… aso mier sind en Winterbetrieb eigentlich, Wintersaison lauft massiv viel besser als de Summer vode Umsatzzahle her und bi euis isch halt wie guet gsi will d Lüt nöd id Ferie gange sind isch de Summer nöd schlecht gsi… du hesch scho gmerkt dass d Lüt… ähm… aso sie chömmed nöd zzwänzigste oder so… sind nöd cho go Party mache sondern eifach ufes Käfeli oder es Bierli trinke… aber de Summer isch eigentlich nöd schlecht gsi für euis… aso ebe, es het sich alles wieder so chli beruhigt. Bi euis isch einewäg amis nöd bumsvolle, vo dem her isch das eigentlich en normale Summer gsi für euis.
  33. F: Und händer döffe wiiter usestuehle?
  34. S: […] Au jetzte, mier sind eich jede Tag e chli am Tisch umeschiebe und am mache und am tue…
  35. F: Wieso sinder jede Tag am mache und am tue?
  36. S: Will halt je nachdem, was für Reservatione inechömed. Ebe muesch luege dass dich a alli Regle haltisch und muesch luege dassd Lüt zfriede sind und d Nachbare zfriede sind und so… ja, s isch halt wie… es wird viel umegschobe bi euis.
  37. F: Hätts i dere Ziit irgendwänn Mal Unklarheite geh vo was ztue isch, was gilt?
  38. S: Ja s isch ja immer wieder wenn neui Massnahme cho sind het mer am Afang… scho müehsam gsi zu dene Informatione z cho. Aso die neusti jetzt mit de vier Persone isch zimmli klar gsi aber am Afang het mer nöd gwüsst, aso wos ganz neui gsi isch mit dene anderthalb Meter, isch das jetzt vo Tischkante zu Tischkante oder münd d Lüt – also muess me vo Rugge zu Rugge und so… aso dass me dete zude Information cho isch und me hets scho so irgendwie müsse umsetze aber s Schutzkonzept isch nonig dusse… aso es isch wie… d Informatione, die offiziele vom Bund isch amigs e chli müehsam gsi und für euis intern sind denn au sehr viel Frage vode Mitarbeiter cho. Und me hets selber gar nöd so genau gwüsst, vo dem her isch au intern schwierig gsi.
  39. F: Isch mal öpper cho vode Gwerbepolizei?
  40. S: Bi euis isch eifach weg de Arbeitssicherheit verbicho go prüefe und het eifach glichziitig auno d Abständ gmesse und so, aso die Massnahme agluegt…
  41. F: Wänn isch das gsi?
  42. S: Das isch im Juli gsi… Juli oder August.
  43. F: Ja, also no zimmli im Summer.
  44. S: Ja. Und ebe, er isch eich me weg de Arbeitssicherheit cho und het denn extra auno gluegt öb mer Kontaktdate, öb mer irgendöppis händ fürd Gäst, ob d Tisch richtig stönd und so…
  45. F: De het denn alles für guet befunde…
  46. S: Ja. D Kontaktdate sind det aber au no freiwillig gsi… es isch wie… es isch um die anderthalb Meter gsi… und das het funktioniert, ja.
  47. F: Okay. Dänn… ab Oktober sind die Zahle ja wieder starch gstige, schnell wieder über d Tuusigergrenze… Wie isch das gsi für eu, hend ihr da öppis gspürt?
  48. S: Mier merked s eigentlich meh wieder sits mit de neue Massnahme isch. Aso bi euis würded d Lüt ebe scho cho wänns dörfded cho. Aso weisch wieni meine, es isch wie…
  49. F: Weg de Chundschaft meinsch?
  50. S: Ja. Aso ich ha z Gfühl, weisch, euises Klientel isch irgendwie nöd so verruckt ängstlich und würd glich no cho, me cha jetz eifach nümme glich vill… aso s isch ebe im Oktober, wo mer het dörfe stehend konsumiere und mache und tue, denn hemmer d Hütte scho volle gha… denn ischs guet gsi. Und jetzt, sit de neuie Massnahme merke mer wükkich au wieder, aso wos au wieder extreem me gsi isch mit de Zahle… ja, bringemer d Hütte nümme volle.
  51. F: Hender det irgendwänn mal en Fall gha im Umfeld oder im Team sogar?
  52. S: Im Team nie. S sind sich scho paar go teste la, aber isch immer alles negativ gsi. Mier hend auscho bevors Pflicht gsi isch afange mit Maske schaffe, möchemer auscho sitem August –
  53. F: Wieso?
  54. S: Das isch eifach will mer ähm… will de Chef, de Inhaber isch au no die Eventszene unterwegs und det isch ja sowieso scho vill früener mit Maskepflicht gsi und so… und ebe, s isch au will me gwüsst het wenn s ganze Team mit Maske schaffet und es isch nacher irgenden Fall denn münd nöd all in Quarantäne. Und wenn all in Quarantäne müend denn mümmer schlüsse und das hemmer uf jede Fall welle vermiede… Aso scho sitem August sind mier mit Maske am schaffe… und ähm Ja, aso Endi Summer/Afang Herbst hets denn scho agfange dass Lüt kennnsch wo betroffe sind.
  55. F: Okay. Mier leged jetzt de Fokus wieder ufd Behörde und d Massnahme, vor allem de Bundesrat, wie würsch das im Allgemeine bewerte… s Vorgah?
  56. S: Ja mier sind alli sehr viel drüber am Rede gsi und ebe und ich has sehr müehsam gfunde weills eifach schnell gange isch und will me het eifach mal öppis gseit aber s isch nöd klar definiert gsi und so. Das isch vo mier/aso vom Betrieb us gseh sehr müehsam gsi aber ganz ehrlich, aso, ich hett nie gfunde mer muess das jetzt so und so mache, enn bessere Vorschlag oder so. Es isch ja wie e schwierigi Situation, für alli, isch ja au für de Bund irgendwie s erscht Mal gsi wos e so hend müesse handle und mache… und vo dem her ja, aso ich has zwüscheddure sehr müehsam, privat wie au vom Gschäft us, gfunde… s isch glaub zimmli allne so gange und ich wüsst nöd wie mers besser sött mache… ebe und da de Lockdown, de kompletti, isch minere Meinig na bizzli übertribe gsi – aber me hets i dem Moment au nöd besser gwüsst, ja…
  57. F: Okay. Wie würsch eues Handling ide Krise und vor allem d Umsetzig vode Massnahme bewerte?
  58. S: Aso euis Schwizer?
  59. F: Neinei, eue Betrieb.
  60. S: Jaa guet! Mier hend euis ad Regle, ad Massnahme ghalte, hend die immer sehr schnell umgsetzt und das Züg ernst gno. Ähm, für euis isch schwieriger wenn d Lüt wennd Party mache da und du musch Polizist spille und sege «nei sitzed jetzt ane» oder jetzt mitem Elfi zue «nei du dörfsch jetzt keis me trinke du muesch jetzt wegga» isch chli komisch will eigentlich würdsch du ja sehr gern bis am Morge am zwei Party mache und du würdsch gern 30 Lüt da ine ha wo Party mached, und du musch halt probiere im Name vom Bund musch du rede und sege «das gaht jetzt nöd» und «nei du musch jetzt hei» und «nei ihr dörfed nöd z 10te cho»… aber ebe, das sind halt d Regle gsi, mier halted euis dra und ja, mier bliebed stets positiv… aso de ehemalig Inhaber het hüt gad gseit es seg wahnsinnig wie mir da immerno positiv iigstellt sind und s Team häts lässig… ja es isch a anderi Situation, e agspannti Situation allgemein aber ich wür behaupte mier handlet das recht guet, mached s beste us de Situation!
  61. F: Was meinsch wie stönder da im Verglich zu andere Betrieb, also ebe au in Bezug ufd Umsetzig vode Massnahme?
  62. S: Aso wie meinsch, wies euis so gaht? Oder wie mers umsetzed?
  63. F: Wieners umsetzed, ja.
  64. S: Wenn ich privat i irgendwelchen andere Restaurant bin gits ja wükklich vo allem, also vo «du chunnsch nöd ine wenn du dini Ahgabe nöd gmacht hesch» oder «du chasch nöd bstelle wenn dini Kontaktdate nöd geh hesch» zu s intressiert kei Sau, s intressiert niemert, und dänn würi sege sind mier im guete Mittelfeld irgendwie… aso mier halted euis ad Regle aber es isch nöd so dass alles nur nach Corona schreit da ine, mier probiered de Betrieb möglichst normal halte und die Massnahme umzsetze.

1Ich unterstelle mal, dass die befragten Betriebe nicht heimlich Geldwäscherei betreiben.

2Zwischen Mai und September 2020 bewegten sich die täglichen Fallzahlen in der Regel unter der Hunderterschwelle. (Quelle: www.covid19.admin.ch/de/epidemiologic/case?detTime=total&detRel=abs)

3Genaue Angaben zum Alter der Befragungspersonen fehlen. Hier soll der Verweis darauf genügen, dass C schon 50 Jahre im Gastgewerbe tätig ist.

4Die Befragungsperson ist männlich.

5Die Befragungsperson ist weiblich.

6Die Befragungsperson ist männlich.

7Die Befragungsperson ist weiblich.