Weiterlesen: Frauenhandel
© ProLitteris, Rahel Zschokke
- 5 Der Diskurs um soziale Gerechtigkeit
„Der Mensch also ist es im Grunde nicht, der ein Schicksal hat, sondern das Subjekt des Schicksals ist unbestimmbar. Der Richter kann Schicksal erblicken, wo immer er will; in jeder Strafe muss er blindlings Schicksal mitdiktieren.“ Walter Benjamin (200)
Dass die Anziehungskraft des Westens ungebrochen ist, zeigen wohl seine Kritiker am besten. Gerade die Kritisierbarkeit, die Möglichkeit des partiellen Scheiterns, die blinden Flecken zeichnen die westliche Kultur durch die Entwicklung eines Instrumentariums an demokratischen Einrichtungen, der Einbindung in rechtsstaatliche Maximen und persönlichen Freiheitsrechten zu deren Bearbeitung und Weiterentwicklung aus. Was sich heute als offene, freiheitliche westliche Gesellschaft präsentiert, durchlief aber, wie aus der europäischen und amerikanischen Geschichte hervorgeht, eine lange, wechselvolle, umstrittene und variantenreiche Entwicklungsdynamik, die bis heute anhält. (201)
Mittel- und osteuropäische Staaten wollen sich dieser Dynamik durch einen EU-Beitritt (wieder) anschließen. Differenzen zur westeuropäischen Tradition treten in Form von Bedingungen, die an eine Partizipation geknüpft sind, aus dem politischen, wirtschaftlichen und juristischen Bereich hervor. Durch ihre beschränkte Verhandelbarkeit bieten sie der westlichen Kultur eine Herausforderung zu eigener, kritischer Überprüfung und kultureller Profilierung.
Parallel dazu zeigen sich auf der individuellen Ebene Anachronismen und Schwachstellen des moralisch rechtsverbindlichen Systems in seiner westlichen Form, zum Beispiel dort, wo Migrantinnen auf asynchrone Geschlechterverhältnisse treffen – für Migrantinnen und Aufnahmegesellschaft eine Herausforderung.
Denn, wie Lüderssen (202) formuliert: „Diktatur oder Chaos. Tertium datur: das Recht – entweder noch Herrschaft oder schon nur mehr Anarchie verbürgend – auf der Basis von Gleichheit und Freiheit. So einfach zu sagen und so schwer zu machen. Denn Gleichheit gibt es nicht.
3.5.1Recht,Gerechtigkeit,Rechtsprechung
,,Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben“Friedrich Nietzsche (203)
Es kann hier nicht darum gehen, den Jahrhunderte alten und fortwährenden Diskurs um Recht und Gerechtigkeit, um ius, lex und iustum,um Legitimierung, Säkularisierung, Herrschaft, Macht, den Grund der Autorität, die Gewalt der Kontinuität der Geschichte und Tigersprünge aufzunehmen, sondern es soll auf aktuelle Überlegungen hingewiesen werden, die für unsere Problematik von Interesse sind.
Wenn Derrida sagt: ,,Die Dekonstruktion ist die Gerechtigkeit“,knüpft er an Benjamin an und fährt fort: ,,1. Das Sich-dekonstruieren–Lassen, die Dekonstruktibilitätdes Rechts,der Legalität des Rechts, der Legitimität oder der Legitimation (zum Beispiel) ermöglicht die Dekonstruktion. 2. Das Sich-nicht-dekonstruieren-Lassen der Gerechtigkeit ermöglicht ebenfalls die Dekonstruktion, ja, lässt sich von ihr nicht unterscheiden. 3. Konsequenz: Die Dekonstruktion ereignet sich in dem Zwischenraum, der die Unmöglichkeit einer Dekonstruktion der Gerechtigkeit von der Möglichkeit der Dekonstruktion des Rechts, von der legitimierenden oder legitimierten Autorität trennt. Als Erfahrung des Unmöglichen ist sie, selbst wenn es sie (noch) oderniegibt,dort möglich, wo esGerechtigkeit gibt.Überall dort, wo mandas Xder Gerechtigkeit ersetzen, übersetzen, festsetzen kann, sollte man sagen: Die Dekonstruktion ist in dem Maße / dort als unmögliche möglich, in dem / wo es X (Undekonstruierbares) gibt; [… ]“(204) In der „schwierigen und unbeständigen Unterscheidung von Gerechtigkeit und ihrer Ausübung in Gestalt des Rechts, der Legitimität oder Legalität“ erkennt er ein aporetisches Potenzial, das sich selbst unendlich verteilt (Derrida: 44); und genau dort, in diesen Aporien, ortet er die bevorzugten Gegenden der Dekonstruktion. Während er das Recht als ausgleichbar und satzungsgemäß, berechenbar, als System geregelter, eingetragener, codierter Vorschriften beschreibt, ist Gerechtigkeit quasi die heterotrope Adresse des Gegenteiligen im Unendlichen. In Referenz an die von ihm zitierte Auffassung talmudscher Prägung,(205) wonach nicht der Begriff des Menschen, sondern der Andere, das heteronome Verhältnis zum anderen, das Gesicht des anderen, dessen Unendlichkeit ich nicht thematisieren kann, Grundlage des unendlichen Rechts ist, ,,beruht Gerechtigkeitnicht auf Gleichheit, sondern auf einer absoluten Asymmetrie“ (Derrida: 46).
Dieser Gedanke ist deshalb interessant, weil andere Autoren zwar diese Asymmetrie wahrnehmen, sie aber umgekehrt, nämlich als Abweichung (vom Ideal) von der Symmetrie her definieren, wie zum Beispiel Lüderssen, der „Gleichheitals Abstraktion von gegebener Ungleichheit unter Wertgesichtspunkte“ bezeichnet (Lüderssen: 17). So sind es „vorkritischeGrundannahmenunddarauslegitimierteObrigkeitsstrukturen, ,,kommunikationstechnische Probleme“ und „materiell und ideell sich auftürmende Voraussetzungen, die intentional und funktional zusammenkommen“, vondenensich„situativesHandeln“nichtohneweiteresfreimachenkann.Denn „auch moderne, demokratisch-freiheitliche Staaten haben die dafür erforderlichen Verfahrenkeineswegs perfektausgebildet“ um ,,zuerfahren,wieweitdieGesellschaft gekommen ist mitder Verwirklichungvon möglichst viel Freiheit undGleichheit verbürgenden Rechtsverhältnissen,ist die bisher unbewältigt gebliebene Aufgabe einer historischen Standortbestimmung“ (Lüderssen: 18).
Der Autor spricht von demokratischen Verfahren, die nicht perfekt an die Massengesellschaft westeuropäischen Zuschnitts angepasst sind. Er nimmt aber an, dass die Zeit kommt, in der geeignete rechtlich-demokratische Instrumente zur Herstellung von Gleichheit und individueller Freiheit zur Verfügung stehen. Die Kontrastierung der beiden Autoren verdeutlicht die Unterschiede ihrer Ansätze. Obwohl Lüderssen Gleichheit als idealtypisches Postulat nicht in Frage stellt und nicht begreift, dass„Gerechtigkeit nicht wartet“,sondern im Jetzt hergestellt werden muss, thematisiert er in seinem Ausblick immerhin die Bewegung LawasLiterature2°6und die amerikanische Schule von DeconstructionandthePossibility ofJustice207,Ansätze, die unter anderen auf Derrida verweisen.
In den Worten Benjamins gilt es „ein anderes Gebiet zu suchen, in welchem [...] Unglück undSchuld gelten“ und das ist „die Waage des Rechts“ (Benjamin: 71).
Während für Marcuse die Negation in diesem Kontext zu einem konstruktiven Prinzip wird,208 hat Derrida diesen Gedanken aufgenommen und die Methode der Dekonstruktion entwickelt, was erlaubt, das positiv gesetzte Recht, die Gesetze, die Rechtsprechung in Beziehung zur Gerechtigkeit zu setzen.
Wieder auf dem Boden des Rechts, erhebt dieses Recht nämlich den Anspruch, im Namen der Gerechtigkeit ausgeübt zu werden; Gerechtigkeit aber erfordert, dass sie sich in einem Recht einrichten kann, das durchzusetzen (durchsetzbar, durchgesetzt) ist.209
Unter der Voraussetzung der Freiheit und Handlungsverantwortlichkeit muss sich also die Entscheidung, die das Gerechte oder Ungerechte betrifft, an einem Gesetz ausrichten, einer Vorschrift oder Regel folgen, um als solche überhaupt erkannt zu werden. Um gerecht zu sein, darf „die Entscheidung eines Richters nicht bloß einer Rechtsvorschrift oder einem allgemeinen Gesetz folgen, [… ] sie muss ihren Wert auchbestätigen“(Derrida: 47). Die Deutung, die den Wert bestätigt, ist selbst wieder eine Stiftung, ,,so, als würde am Ende das Gesetz zuvor nicht existieren, als würde der Richter es in jedem Fall selbst erfinden“. (Derrida: 47). Um diesen Entscheidungsprozess zu kennzeichnen, übernimmt Derrida den Ausdruck freshjudgement. 210Demnach muss und soll ein Entscheid nicht nur mit dem Gesetz übereinstimmen, einer Regel unterstehen, er soll insofern zugleich auch ohne Regel auskommen, als dass er das Gesetz wieder erfinden und rechtfertigen muss.
Anders sieht es hingegen Luhmann:211 Das Rechtssystem reproduziert sich mittels operativer Sequenzen autopoietisch selbst. ,,Die Operationen können ihre Systemzugehörigkeit beobachten, also System und Umwelt unterscheiden.Dies Unterscheiden aktualisiert Selbstreferenz“ (Luhmann: 214f.). Durch Wiederholen der Operationen bezieht sich das System wieder auf sich selbst und erscheint als „ein selbstreferentielles System mit in sich hineincopierten operativen Selbstreferenzen“. Die Erfahrung im Umgang mit Sinn als Folge von Verweisungen auf andere Möglichkeiten lässt sich allerdings nicht restlos in definierbare Begriffe einbringen. Die Lösung des Problems sieht Luhmann in ,,jeweils nur lokalen Referenzen, also im Bezug auf jeweilsbestimmteTexte,die als,geltendes‘Rechtfungieren“.Denn „dieBeobachtung–und erstrecht dannder Beobachter–istsichselbstnur alsParadoxzugänglich,nuralsEinheitdessen, wasalsdifferent fungieren muss.SolässtsichdieEinheit eines binären Codes immer nur paradox vorstellen“ (Luhmann: 215). Diese Paradoxie kann in einem Prozess in Form von Beobachtung zweiter Ordnung invisibilisiert werden. Mit einer Zusatzunterscheidung von Codierung und Programmierung, die erlaubt, den Code auf das formale Austauschverhältnis zweier Werte (positiv/negativ) zu reduzieren, integriert er das Supplement von Derrida (ohne Zitatangabe). Über die Rechtstheorie wird dann geklärt, welche Kriterien jeweils für die richtige bzw. unrichtige Zuordnung der Werte anzuwenden sind. ,,Auf diese Weise gelangt man zu einem theoretisch systematisierten, auf Regeln und Prinzipien gebrachten positiven Recht –und kann damit zufrieden sein. Die traditionelle Frage nach der Gerechtigkeit des Rechts verliert so jede praktische Bedeutung“ (Luhmann: 216).
Das Rechtssystem muss trotzdem nicht auf die Idee der Gerechtigkeit verzichten, die theoretische Platzierung dieser Idee verlangt aber nach neuer Überlegung. Dabei handelt es sich „um eine Repräsentation der Einheit des Systems im System um eine Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung des Systems“ (Luhmann: 217). Auf der Suche nach einer positiven Bestimmung der Selbstkonfrontation, wie er die durch Unterscheidung reduzierte Gerechtigkeit begreift, gelangt er zu einer Kontingenzformel der Gerechtigkeit, ,,von der aber nur ein externer Beobachter sprechen kann, während das System selbst Gerechtigkeit in einer Weise bezeichnen muss, die deutlichmacht, dass Gerechtigkeit geboten istund das System sich mit ihrals Idee,Prinzip oder Wert identifiziert“ (Luhmann: 218).
Obwohl Luhmann der traditionellen Frage nach der Gerechtigkeit des Rechts jegliche praktische Bedeutung abspricht, muss in seinem selbstreferentiellen Rechtssystem nicht darauf verzichtet werden. Dabei kann er Gerechtigkeit in diesem autopoietischen Rechtssystem zwar durch Unterscheidungen limitieren, kommt aber immer wieder zum gleichen Schluss, nämlich dass die Beobachtung und der Beobachter sich selbst nur als Paradoxie zugänglich ist. Seine Konzeption von Gerechtigkeit, – entgegen der Auffassung von Derrida oder Benjamin – ist eine Idee, ein Prinzip oder ein Wert: eine Gerechtigkeit also, die sich selbstreferenziell nicht in Form von Theorie, sondern in Form einer „enttäuschungsanfälligen Norm“ unterscheiden lässt.
Weit davon entfernt, Gerechtigkeit als eine „enttäuschungsanfällige Norm“ zu verstehen und der „misanthropischen Flucht in die Immunisierungsstrategie“ 212zu folgen, spricht Derrida die „ausschlaggebende Entscheidung“ an, ohne die „keine Gerechtigkeit in der Gestalt des Rechts eine praktische Anwendung finden“ kann (Derrida: 49). Er hebt nicht etwa die Form, also etwa die angemessenen oder unangemessenen Straffolgen als das Wesentliche der Entscheidung hervor, sondern die Erfahrung mit dem Unentscheidbaren, die jeder Entscheidung vorausgegangen sein muss. Diese zweite Aporie Derridas bezieht sich nicht einfach auf das Schwanken zwischen zwei widersprechenden und bestimmten Bedeutungen oder Regeln und auch nicht auf die Angemessenheit der Subsumption oder die Einzigartigkeit des Falles. Das Unentscheidbare „ist die Erfahrung dessen, was dem Berechenbaren, der Regel nicht zugeordnet werden kann, weil es ihnen fremd ist und ungleichartig bleibt“ (Derrida: 49). Dies betrifft bereits die ,Initiative des Berechnens“ in dem Sinn, als dass, wenn eine Berechnung eine Berechnung ist (also eine Subsumption), sich „die Entscheidung, etwas zu berechnen, nicht dem Berechenbaren zuordnen lassen darf‘, aber die Pflicht anerkennen muss, sich der „unmöglichen Entscheidung“ auszuliefern und das Recht und die Regel zu berücksichtigen (Derrida: 49f.). Das heißt, dass Entscheidungen nicht in der Schwebe (suspension) gehalten werden dürfen zugunsten eines allfällig gerechten Unentscheidbaren, sondern sie müssen sich als Entscheide in der Gegenwart behaupten, was heißt, ,,gegenwärtig nicht länger voll und ganz gerecht zu sein“ (Derrida: 50), denn „Gerechtigkeit wartet nicht“ (Derrida: 53). Daraus folgert er, dass jedes Vorstoßen der Politisierung uns dazu zwingt, die Grundlagen des Rechts neu zu überdenken und folglich neu zu deuten. Hierzu führt er Beispiele aus der Geschichte an, wie etwa die Abschaffung der Sklaverei, Befreiungskämpfe oder die Erklärung der Menschenrechte „im Namen der Frauen und Männer“. Denn nichts scheint ihm „weniger veraltet zu sein, als das klassische emanzipatorische Ideal“ (Derrida: 58).
3.5.2 Das Verschwinden des Politischen
Derridas bestechende und hoffnungsvolle Sicht lässt aber doch einige Fragen offen. Er fokussiert hier das Politische als Vorstoßen der Politisierung im Namen des klassischen emanzipatorischen Ideals. Aber ist es nicht gerade das Verdrängen des Politischen, der Ersatz durch political correctness, was die Politik von heutigen westlichen Demokratien kennzeichnet? Haben nicht Politiker das Politische ersetzt, Politiker, für die das Tagesgeschäft, der TV-Auftritt und vor allem das Vermeiden von auf sie rückführbare „Fehler“ ausschlaggebend sind für ein Verbleiben in oder Scheiden aus der Machtsphäre der Politik, unabhängig davon, ob sie nun ein klassisches, emanzipatorisches Ideal vertreten oder nicht? Sind es nicht gerade diese Rückführbarkeiten, die im Falle eines Scheiterns der Anliegen zwingend zu vermeiden sind, und die das Politische auf die Ebene des Rechtlichen zwingen, um es dort ohne Risiko für Verantwortliche auf die Geltung des Rechts zu dimensionieren? Haben somit die westlichen Demokratien die Tendenz, die politische Dimension zu verlieren und (Welt-) Politisches auf der Dimension der Genesis und Geltung ihres (nationalen) Rechts zu erfassen?213
Solche Fragen mögen Lüderssen veranlasst haben zu formulieren: ,,Dennes hatwohl keine Epoche gegeben, in der dem Recht so viel ordnende Kraft zugemutet wurde, jedenfalls werdensovieleProbleme,diefrüherals politische oderhöchst persönliche begriffen worden sind, auf die Rechtsebenegehoben„(Lüderssen: 25).214
Um Politisches auf der rechtlichen Dimension verhandelbar zu machen und damit Politik zu verwalten, ist juristisch geschultes Personal geeignet und mag alternativ qualifizierte Bewerber um politische Ämter verdrängen, was den Prozess, Politisches – als Rechtliches zu definieren, tendenziell beschleunigt. Dabei wird die Geltung des Rechtlichen von der,Definitionsmacht nationaler demokratischer Instanzen bestimmt und so ein Geltungsbereich geschaffen, der sich nicht zwingend mit dem entsprechenden politischen Raum deckt, sondern zumindest partiell darüber hinausgeht. Damit sind Voraussetzungen geschaffen, global orientierte ökonomische Interessen auf der Basis eines Rechtsverständnisses westlicher Demokratien zu verhandeln und durchzusetzen, was der Machterhaltung einzelner Staaten demokratischen Zuschnitts im globalisierten Wettbewerb dient. Auf internationaler Ebene stößt diese Strategie allerdings manchenorts auf politischen und militärischen Widerstand, was – aus dieser Perspektive betrachtet – diese Verfahren klar als politische kennzeichnet. Denn die Verrechtlichung der Politik ist die politische Antwort auf eine internationale wirtschaftliche Herausforderung und dient dem politisch entschiedenen Auftrag einzelner Staaten und Staatengefügen. Damit ist die Verrechtlichung ein Instrument der Politik, nationale Interessen in einem globalisierten Marktzusammenhang durchzusetzen und interne sowie externe Macht im Staatengefüge zu erhalten – und dies, wie das jüngste amerikanische Beispiel zeigt, im Namen der Demokratie.
Der Diskurs um Menschenrechte könnte als Versuch gelesen werden, eine Brücke zwischen der (Definitions-)Macht westlicher Demokratien und dem politisch Widerständigen zu schlagen.
3.5.3 Der Menschenrechtsdiskurs
Eine Folge der Kriege im 20. Jahrhundert ist die weltweite Anerkennung von Menschenrechten. Seit der Deklaration der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen im Jahr 1948 sind die Menschenrechte Bestandteil zahlreicher Verfassungen von Einzelstaaten und Inhalt vieler völkerrechtlicher Vereinbarungen. Der Diskurs über Menschenrechte ist hier deshalb interessant, weil diese als Folge der Globalisierung von Produktion und Märkten über die Grenzen von Nationalstaaten hinausweisen, und weil Problemlösungsstrategien hinsichtlich einer politischen, kulturellen oder ökonomischen Opposition von Personen in Drittstaaten oder hinsichtlich Migranten im eigenen Land, ebenfalls eine internationale bzw. globale Perspektive verlangen. Der soziale Ort des Menschenrechtsdiskurses scheint mir im globalen Bereich und den lokalen Gesellschaften situiert, nämlich den Verträgen über Produktionsstandorte und Märkte von Staaten und Einzelunternehmen. Diese sind zwar von internationaler Politik betroffen, und internationale Konzerne greifen auf sie zurück. Aber in Geschäftsverträgen oder kriegerisch erwirkten Geschäftsbedingungen sind sie – wenn nicht durch Hilfsorganisationen – meist gar nicht berücksichtigt. Ein Ansatz, der die Thematik Frauenhandel mit einschließt.
Mit Regress auf den Gesellschaftsvertrag Rousseaus, wonach man „die Menschen zwingenmüsse, frei zusein“,215formuliert Rauke Brunkhorst das radikal individualistische Verständnis der Freiheit der Moderne, wonach die Kompatibilität des bürgerlichen Gesetzes mit „dernatürlichenFreiheitdes Menschen“einzig und allein über ,,die Befugnis zur Ausübung staatsbürgerlicher Rechte“ erwirkt wird (Brunkhorst: 169). Sie bestreitet die These von Hanna Arendt,216 „dievoneinerParadoxieder Menschenrechtespricht, dieimmerdannmanifestwerden, wennMenschenrechteund Demokratie zu einer Verfassungsordnungintegriert werden“ (Brunkhorst: 157). Sie bezieht sich auf die Deklaration von 1789, die zum Ausdruck bringt, dass sich der Mensch einen Teil seiner „natürlichen Freiheit“ als Autor im status civilis sichert. Wie weit diese Freiheiten gehen, hängt allein von den Bürgern selbst ab, von ihrem Engagement, ihrem Willen, ihrem Geschick des Lobbyierens etc. Diese Konstruktion blieb schon damals nicht unwidersprochen217 und sorgt auch heute für Protest und Schlagzeilen, wie die Ereignisse im Umfeld der jüngsten internationalen kriegeri schen Auseinandersetzungen bezeugen. Denn wo demokratische Strukturen außer Kraft gesetzt oder unterdrückt sind oder andere Formen der Vergesellschaftung vorherrschen, ist ein status civilis nicht möglich, ein ziviler Zustand, der auch durch die Defizitperspektive Rousseaus, sogar unter Inkaufnahme gravierender Opfer, schwerlich per Dekret verhängt werden kann.
Die Differenz von Mensch und Bürger wird aber in dieser Konstruktion bei Brunkhorst auch als Differenz von Autor (citoyen) und Adressat (subjet/bourgeois) eingeführt (Brunkhorst: 167ff.). Demnach ist „auch wer kein Wahlrecht (Autor) hat, nicht ohne Rechte (Adressat)“. Darin erkennt sie die zentrale menschenrechtliche Implika tion des „bürgerlichen Zustands“ und dessen inklusive Funktion der Menschenrechte für Ausgeschlossene und Rechtlose. Denn „niemand, der von den Gesetzen betroffen ist, darf von der Partizipation und damit von der Möglichkeit, sie zu ändern, ausgeschlossen werden. Ohne die Erfüllung dieser Funktion müsste die Kraft des modernenRechts,wesentliche BeiträgedesProblems dersozialen Integration inkomplexen Gesellschaftenzuleisten, versiegen“. Damit trifft sie einen Kernpunkt der Herausforderungen, mit denen sich westliche Gesellschaften konfrontiert sehen, einerseits angesichts von Menschenrechtsverletzungen in wenig oder nicht demokratisierten Ländern und andererseits angesichts des Migrationspotenzials. Ein offensichtlicher Mangel an demokratischer Legitimation zeichne das heutige Weltrechtssystem aus. Deklarationen von Menschenrechten hier und anderswo bleiben aber solange wirkungslos, wie die organisierte demokratische Souveränität, die sie hütet, schützt, ausgestaltet, interpretiert, korrigiert und anpasst, sich nicht durchgesetzt hat. Das heißt, dass Menschenrechte nur in der Demokratie eine Möglichkeit haben, verwirklicht zu werden. Denn „dieDemokratieistnichtalsGrundrecht,sondernnuralsorganisiertes Verfahren freier Willensbildung unter Gleichen die legitimierende Quelle aller positiven Gesetze, auch der Grund- und Menschenrechte„. Dies bedeutet, dass Menschenrechte nur in einer Demokratie verwirklicht werden können, was nicht impliziert, dass sie in einer solchen a priori verwirklicht sind.
Dieser Ansicht ist auch Jürgen Habermas, der zwar den moralischen Inhalt der Menschenrechte erkennt, ihre Form aber als juristische Rechte versteht.218 Demnach können Menschenrechte nur im Rahmen einer staatlichen Ordnung als einklagbare Bürgerrechte „realisiert“ werden, wobei sie auf den Willen eines politischen Gesetzgebers angewiesen sind. Er konstatiert eine Spannung zwischen dem universalen Sinn der Menschenrechte und den lokalen Bedingungen ihrer Verwirklichung und stellt sich – sollen sie für alle Personen unbeschränkt Geltung erlangen – zwei Alternativen vor: ,,Alle bestehenden Staaten verwandeln sich in demokratische Rechtsstaaten, während jedem Einzelnen zugleich das Recht auf eine Nationalität seiner Wahl zukommt.EineAlternative könnte darin bestehen,dassjederunmittelbar, nämlich als Weltbürger, in den effektiven Genuss der Menschenrechte gelangt“ (Habermas: 217ff.). Beide Optionen liegen in weiter Ferne; sie markieren aber doch den Rahmen, an dem sich der aktuelle Diskurs orientiert. ,,Denn heute sindandereKulturenund WeltreligionendenHerausforderungendergesellschaftlichenModerneausgesetzt wie seinerzeit Europa, als es die Menscherechte und den demokratischen Verfassungsstaat in gewisser Weise erfunden hat.“
Dem Einwand der kulturellen Dominanz der Menschenrechte durch westlich geprägte Werte, wobei sich die Kontroverse vor allem um Individualismus versus Kollektiv und den säkularen Charakter von Menschenrechten dreht, begegnet er mit der Hypothese, ,,dass sich jene Standards weniger dem besonderen kulturellen Hintergrund der abendländischen Zivilisation als dem Versuch verdanken, auf spezifische Herausforderungen einer inzwischen global ausgebreiteten gesellschaftlichen Moderne zu antworten“ (Habermas: 219). Denn der Begriff der Autonomie setzt sich in einem politischen Sinn erst dann durch, wenn die Bürger eines Staates autonom sind, das heißt, wenn sie sich ihre Gesetze selbst geben, wodurch die Debatte zwischen „Individualisten“, „Kollektivisten“ und religiösen Fundamentalisten nach Habermas gegenstandslos wird. Dass diese für westliche Demokratien proklamierte Autonomie allerdings mit größeren kulturellen und religiös-politischen Widerständen und Schwierigkeiten kämpfen muss, zeigt die gewisse Ratlosigkeit, Ignoranz oder Verdrängung, mit der westliche Staaten zum Beispiel der ethnisch und kulturell bindenden misogynen Praxis der Mädchenbeschneidung, Zwangsverheiratung, Kopftuchtragen etc. begegnen: Denn weder sind die Einwanderer-Ethnien geschlechtsblinde, homogene Gruppen, noch ist es so, dass eine Integration in die Kultur der Autonomie und Toleranz mit dem Überschreiten der Landesgrenzen vollzogen wäre. Ähnlich wie bei Frauenhandel sieht sich die Politik auch bei diesen Problemen vor die Alternative gestellt, diese Praktiken als von den Frauen selbst bestimmt zu tolerieren und damit Freiheitsberaubung oder Körperverletzung als Autonomie umzudefinieren oder auf der Grundlage des geltenden Rechts den politischen Willen zu artikulieren und damit langwierige und kostspielige Prozesse der Integration einzuleiten. Eine dritte Möglichkeit ergibt sich aus der Pragmatik des politischen Alltags, nämlich diese politischen Herausforderungen in die Zuständigkeit von Strafgerichten zu verschieben und so die Freiheit des Individuums fallweise zu erzwingen– um in der Zwischenzeit die Augen vor Verletzungen des geltenden Rechts zu verschließen.219
Im Rahmen eines globalisierten Wirtschaftsverkehrs sind auch Gesellschaften ohne die Rechtstradition westeuropäischer Prägung auf das positive Recht als Steuerungsmedium angewiesen. Und zwar tun sie dies „aus denselben funktionalen Gründen, aus denen sich diese Form des Rechts einst im Okzident gegen ältere korporative Formen der Vergesellschaftung durchgesetzt hatte“ (Habermas: 221). Deshalb stellt sich für Habermas die entscheidende Alternative nicht auf einer kulturellen, sondern auf einer sozioökonomischen Ebene, denn die kapitalistische Modernisierung funktioniert nur über die Leistungen einer individualistischen Rechtsordnung; die Frage stellt sich nicht, ob eine individualistische Rechtsordnung mit eigenen kulturellen Überlieferungen vereinbar sind, sondern ob die überlieferten Formen politischer und gesellschaftlicher Integration einer wirtschaftlichen Modernisierung angepasst werden müssen oder gegen sie behauptet werden können.
In Anlehnung an den Kulturbegriff von Verena Tobler (2001), wo in der Kernkultur die soziopolitischen Varianten gerade auf der Grundlage der ökonomischen Strukturen ausgestaltet sind und werden, heißt die Habermas’sche These nichts anderes, als dass auf der Grundlage der Rousseau’schen Freiheitsrechte die Freiheit des Privateigentums als Kern der Kultur die Grundlage von Demokratien bildet. Trifft diese Kernkultur auf andere oder das Privateigentum weniger favorisierende Vergesellschaftungsformen, entfaltet das Freiheitspotenzial des Privateigentums einerseits seine Attraktivität zur Machterhaltung für individuelle oder lokale Eliten, womit ein Demokratisierungsprozess eingeleitet werden kann; andererseits erweist es sich als durchaus üblich, sich des aggressiven Potenzials der Kernkultur zu bedienen und nach Rousseau die Menschen zur Freiheit zu zwingen. So oder so – demokratische Rechte bewegen sich, gestützt auf die privaten Eigentumsrechte, auf der Dimension des mächtigeren Marktteilnehmers und können als Menschenrechte tatsächlich nur dort eingefordert werden, wo sich die demokratische Logik durchsetzt. Dass sich aus der Asynchronizität von Initiierung demokratischer Grundlagen und deren Handhabung durch breitere Schichten sowohl handfester Gewinn und Machtzuwachs erwirtschaften lässt als auch Opfer zu beklagen sind, gehört ebenfalls zum Kern dieser demokratischen Struktur.
3.5.4 Zusammenfassende ThesenzusozialerGerechtigkeit
Bezieht man den Menschenrechtsdiskurs auf Frauenhandel, muss bei der einwilligenden Migrationsstrategie auf internationale Sexmärkte sicher von einer individuellen Anpassung gesellschaftlicher Integration an eine globale wirtschaftliche Modernisierung gesprochen werden. Dies funktioniert kurzfristig zu Lasten der sexuellen Integrität und anderer produktiver bzw. reproduktiver Ressourcen der Individuen, was langfristig eine breiter abgestützte und legitime Integration erschwert oder verhindert.
Das Konzept des fresh judgement kann daraufhin geprüft werden, ob a) allfällige Varianzen in gerichtlichen Urteilen zum gleichen Fall tatsächlich auftreten, unter der Voraussetzung, dass entsprechende Gesetze korrekt subsumiert worden sind und b) ob Varianzen von richterlichen Entscheidungen in korrekter Anwendung gleicher Gesetze auf ähnliche Fälle mit Referenz aus „außergesetzlichen“, nicht unmittelbar immanenten gesetzlichen Argumentationszusammenhängen begründet werden oder c) ob zur Beurteilung gleicher oder ähnlicher Fälle weitere Gesetzestexte, die ein neues Licht auf die Subsumtion des Falles werfen könnten, beigezogen werden. Wenn a), b) oder c) zutrifft, kann gefolgert werden, dass die richterliche Entscheidung zwar einerseits dem Gesetz folgt, ihm zustimmt und seinen Wert bestätigt, die Gerichtsinstanz es aber gleichzeitig, in der Entscheidfindung selbst, durch ihre Deutung in jedem Fall neu erfindet. Dann wäre die Evidenz erbracht, dass Richter qua Deutung in der Rechtsprechung dem Anspruch des Rechts, im Namen der Gerechtigkeit ausgeübt zu werden, nachkommen.
Weiter kann gefolgert werden, dass – ebenso im Namen der Gerechtigkeit – Deutungen oder allfällig auftretende Deutungsmuster auch von nicht-richterlichen Personen kommuniziert, wahrgenommen und kritisiert werden können.
Daraus kann eine dritte Folgerung abgeleitet werden: Wenn Deutungsmuster auftreten, die in ihrer Wiederholung als ungerecht oder als den gegebenen Verhältnissen inadäquat empfunden werden, können unter Einhaltung der vorgesehenen demokratischen Regeln Zusätze, Gesetzesänderungen oder neue Gesetze zur Verhinderung oder Etablierung bestimmter Deutungsmuster eingefordert werden.
Dieser letzte Punkt zeigt die Abhängigkeit des Rechts – in seinem Anspruch der Ausübung im Namen der Gerechtigkeit – von demokratischen Strukturen; oder umgekehrt, die Stärke von und das Festhalten an demokratischen Strukturen bieten eine Möglichkeit, die Ausübung des Rechts im Namen der Gerechtigkeit zu suchen. Das heißt, Recht ist immer an die Legitimität der ausübenden Macht in einer Gesellschaft gebunden. Und auch demokratische, d.h. machtbeschränkende Strukturen haben die Tendenz – wie die jüngere und jüngste Geschichte zeigt – sich nach dieser aktuellen Macht zu richten und Widerspenstiges in die Ohnmacht abzudrängen.
Wenn nach Derrida sich jede Entscheidung der Prüfung des Unentscheidbaren unterziehen muss, um Recht im Namen der Gerechtigkeit auszuüben und sich dadurch von einer programmierbaren Anwendung und einem berechenbaren Vorgehen zu unterscheiden, dann deutet der Ausschluss von einem Entscheidungsprozess auf Instrumente, die zwar rechtens sein können, aber die Möglichkeit zu sozialer Gerechtigkeit ausschließen oder sich auf eine außerrechtliche Legitimation berufen (sofortige Ausweisung innert 24 Stunden nach ANAG).
Daraus lässt sich folgern, dass unter dem Aspekt des Ausschlusses von einem Entscheidungsprozedere (Ausschluss aus der Rechtsgeltung durch Ausweisung von Ausländerinnen, die ohne entsprechende Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis in der Schweiz der Prostitution nachgehen) diesbezügliche politische oder rechtliche Neudeutungen, Legitimationsbegehren und einschließende Zusätze zu Gesetzestexten eingefordert werden können. Das betrifft für unser Untersuchungsfeld etwa die Forderung nach einem Zeuginnenschutzprogramm, eine Neudeutung des Gesetzestextes und eine damit verbundene Spruchpraxisänderung oder -präzisierung, der Neudefinition der Prostitution als Arbeit, um die Schutznormen des Arbeitsrechts in Kraft zu setzen. Weitere Möglichkeiten können sich aus dem Asylrecht, den geltenden Menschenrechten oder aus den Implikationen der internationalen Abkommen ergeben.
Das heißt, dass der Andere im Sinne des Rechtsverständnisses auf der Grundlage von Freiheit und Gleichheit als Nicht-Adressat von einem „genetisch“ definierten Geltungsbereich und den daraus hervorgegangenen Rechtsverhältnissen ausgeschlossen werden kann, ohne diese dadurch in Frage zu stellen.
Wenn das Politische im Rechtlichen aufgeht, also als Rechtliches definiert wird, dann definiert die Genese des Rechts dessen Geltung bzw. dessen Adressaten oder Nicht-Adressaten nach rechtlichen Prozeduren, unter Umgehung der Frage nach der politischen Legitimation oder Gerechtigkeit des Rechts.
Legitim handelt eine Gesellschaft dann, wenn niemand, der von den Gesetzen betroffen ist, von der Partizipation und damit von der Möglichkeit, sie zu ändern, ausgeschlossen wird.
Prostitutionsmigration kann als individuelle Anpassungsleistung an eine bejahte, globale wirtschaftliche Modernisierung verstanden werden. Dass diese Form der Anpassung auf Grenzen der Legalität stößt, wird individuell erfahren und muss durch Einfordern von Rechten oder durch Strafe „gelernt“ werden.
Anmerkungen
200 Benjamin, Walter (1965): Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze, S.72.
201 Elias, Norbert (1976b): Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, zweiter Band: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation.
202 Lüderssen, Klaus (1996): Genesis und Geltung in der Jurisprudenz.
203 Nietzsche, Friedrich (1990): Götzendämmerung, in: Schlechta, Karl (Hg.): Werke in drei Bänden, Bd. 2, S. 1939.
204 Derrida, Jacques ( 1991 ): Gesetzeskraft. Der „mystische Grund der Autorität“, S. 31.
205 Levinas, Emmanuel (1987): Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität. Mün chen, zitiert nach Derrida (1991).
206 Eco, Umberto und Sebok, Thomas, A. (Hg.) (1985): Der Zirkel oder im Zeichen der Drei: Dupin – Holmes – Peirce. München, zit. nach Lüderssen, S. 348. Lüderssen nennt den Philo sophen Charles Sanders Peirce, der im Law and Literature Movement als geistiger Vater der amerikanischen Kunst des Rechtsdenkens auftaucht.
207 Zit. nach Lüderssen: S. 349; vgl. auch Derrida, Jacques (1991): Gesetzeskraft. Zuerst in englischer Übersetzung erschienen in: Deconstruction and the Possibility of Justice (1990). New York: The Cardozo Law Review, vol. 11, July/August 1990.
208 Marcuse, Herbert (1965): Nachwort, in: Benjamin, Walter: Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze, S. 105.
209 Derrida (1991) braucht hier das englische Wort enforced,S. 46.
210 Der Ausdruck „fresh judgement“ braucht Stanley Fish in seinem Aufsatz Force, in: Fish, Stanley (1989): Doing what comes naturally, Durham & London, zitiert nach Derrida (1991). Luhmann, Niklas (1997): Das Recht der Gesellschaft.
211 Luhmann, Niklas (1997): Das Recht der Gesellschaft.
212 Ausdruck von Klaus Lüderssen (1996): Genesis und Geltung in der Jurisprudenz.
213 Z.B. wird politisch-militärischer Widerstand als Terrorismus definiert, den zu bekämpfen aus westlich-demokratischer Sicht rechtens ist und unter Aussetzung deklarierter Menschenrechte kriegsrechtlich verfolgt wird.
214 Folgende Anekdote gibt diesen Sachverhalt präzis wieder: Der Streik von Bundesangestellten gegen die Umstrukturierung und Sparmaßnahmen im Postwesen (Schweiz, Herbst 2004) veranlasste den sozialdemokratischen Bundesrat (Verkehrsminister) Strafmaßnahmen gegen die Streikenden anzudrohen, worauf der Gewerkschaftsfunktionär rief, der Bundesrat solle für die Anliegen der Streikenden Verständnis aufbringen und nicht mit dem Strafgesetzbuch herumfuchteln.
215 J.-J. Rousseau, Gesellschaftsvertrag II,3 (Du Contract Social; ou Principe du droit Politique, Amsterdam, 1762), zitiert nach Brunkhorst, Rauke (1999): Menschenrechte und Souveränität – ein Dilemma?, S.169, in: Brunkhorst et. al. (Hg.): Recht auf Menschenrechte. Menschenrechte, Demokratie und internationale Politik, S. 157-175.
216 Arendt, Hanna (1986): Elemente und Ursprung des Totalitarismus, zitiert nach Brunkhorst (1999).
217 So kritisierte Marx diesen radikalen Individualismus des partiellen Menschen als bürgerliche Entfremdung. Karl Marx: Zur Judenfrage, MEW.
218 Habermas, Jürgen (1999): Der interkulturelle Diskurs über Menschenrechte, in: Brunkhorst, H. et al. (Hg.): Recht auf Menschenrechte, S. 216-227.
219 ,,Ohne Kläger kein Richter“.
220 COYOTE, 1973: Call OffYour Old Tired Ethics.
221 Institut für Sozialforschung, Frankfurt (1994) (Hg.): Geschlechterverhältnisse und Politik. Gender Studies. Frankfurt/M: Suhrkamp; Frauenlehrstuhl Frankfurt, Dokumentation (1986).
222 Barry, Kathleen (1988) (New York 1981): Female Sexual Slavery: The Problems, Policies and Cause for Feminist Action, in: Boneparth, E. and Stoper, E. (eds): Women, Power and Policy towards the Year 2000.
223 WHISPER: Acronym für Women Hurt in Systems of Prostitution Engaged in Revolt.
224 Butler, Judith (l 991): Das Unbehagen der Geschlechter.
225 Goffmann, Erving (1964): Stigma.
226 Pateman, Carole (1988): The Sexual Contract.
227 Nagle, Jill (ed) (1997): Whores and other Feminists.
228 Chapkis, W. (1997): Live Sex Acts: Women Performing Erotic Labour.
229 O’Neill, Maggie (2001): Prostitution and Feminism. Towards a Politics of Feeling.
230 POW! Prostitute Outreach Workers (Nottingham) und WHIP, Women’s Health in Prostitution Project (Leicester), wurden im Zusammenhang mit Gesundheitsprojekten der Aids-Prävention gegründet.
231 PROstitution KOllektiv REflektion gegründet im Jahr 2000, versteht sich als „Schweizerisches Netzwerk zur Verteidigung der Rechte von Personen, die in den Berufen des Sexgewerbes arbeiten“. Seine Mitglieder treten für die in ihrer Charta entwickelten Prinzipien ein. Die Mitglieder sind aktive Vereinigungen aus dem Kreis der weiblichen und männlichen Prostitution und Personen die im Sexgewerbe arbeiten, Pressemappe vom 17. Oktober 2000, Bern: ProKoRe.
232 Nach Mestrovic hat sich unser kulturelles Leben zu einer immerwährenden Unterhaltungs runde gewandelt. Wir nehmen Bilder von Medien in einer relativen Unaufmerksamkeit wahr. Postemotionalismus verweist auf eine heutige „ich-dominierte“ und mediengesättigte Gesell schaft, während Räume, wo kritisch gedacht und gefühlt werden kann, am Verschwinden sind. Damit ist auch ein Grad von Pessimismus und Lähmung in unserem Angesprochensein für die Notlage anderer verbunden. Diese Lähmung ist ein Markstein von Postemotionalismus. Wir blättern um, schalten ab – und sind unbewegt. Aber O’Neill bestreitet, dass dieser Zustand der Abgestumpftheit so weit verbreitet ist, wie Mestrovic postuliert, denn noch sind wir fähig, dieser Tendenz in der Politik des Alltags zu widerstehen.
233 Europarat 1991, zit. nach O’Neill, 2001, S. 30.
234 Vielleicht eindeutiger zu sagen: Die Redimensionierung asymmetrischer Gegebenheiten auf symmetrische Praktiken beinhaltet gleichzeitig eine Verleugnung von „Ungleichem“.
235 Dazu etwa: Amalia Lucia Cabezas: Discourses on Prostitution: The Case ofCuba; Group Sisterhood: Prostitution, Stigma and the Law in Japan: A feminist Roundtable Discussion; John K. Anarfi: Ghanaian Women and Prostitution in Cöte d’Ivoire; Satoko Watenabi: From Thailand to Japan: Migrant Sex Workers as Autonomous Subjects; Kamala Kempadoo: The Migrant Tightrope: Experiences from the Caribbean; Shane A. Petzer and Gordon M. Issacs: SWEAT: The Development and Implementation of a Sex Worker Advocacy and Intervention Program in Post-Apartheid South Africa; Khartini Slamah: Transgenders and Sex Work in Malaysia; Oumar Tandia: Prostitution in Senegal; Paulo Henrique Longo: The Pegac,;ao Pro gram: Information, prevention and Empowerment of Young Male Sex Workers in Rio de Janeiro etc. Alle Autoren in Kempadoo, K. und Doezema, J. (eds) (1998): Global Sex Work ers. Rights, Resistance, and Redefinition.
236 O’Neill, Maggie (2001): Prostitution and Feminism. Toward a Politics of Feeling. Cambridge: Polity Press; Matthews, Roger and Maggie O’Neill, Maggie (2002): Prostitution.
237 Sexgeschäfte, in: NZZ Folio, Die Zeitschrift der Neuen Zürcher Zeitung, Januar 1999.
238 Bundesamt für Statistik (BFS) (1997): Nationale Armutsstudie, Gesamtbericht; Streuli, Elisa und Bauer, Tobias (2002): Working poor in der Schweiz, BFS: Neuchätel.
239 Dazu etwa Heidi Schär Sall (1999): Überlebenskunst in Übergangswelten, in: Schär, Heidi et al. (1999): Überlebenskunst in Übergangswelten. Ethnopsychologische Betreuung von Asylsuchenden, S. 77-106; Leopold, Beate und Steffan, Elfriede (1997): Special needs of children of drug misusers. Consultant’s final report, Strasbourg, Council ofEurope Publishing.
240 Vgl. Fallbesprechung in vorliegender Arbeit. Die männlichen Prostitutionsmigranten kamen ausschliesslich via Prag nach Zürich, wo sie einige Monate lang als „Stricher“ Geld verdienten. Sie waren zwischen 16 und 22 Jahre alt. Meinen Informationen zufolge ist männliche Prostitution, die männliche Freier anspricht, nur bis zum Erwachsenenalter kommerziell verwertbar.
241 Kappeler, Susanne (2003): Frauenhandel und Freier-Markt, in: Widerspruch Nr. 44, Zürich, S. 109-119.
242 Jill Jesson (1993): Understanding adolescent fernale Prostitution: a literature review.
2434 Jarvinen, Margaretha (1993): OfVice and Warnen: Shades of Prostitution.
244 Nagle,Jill(ed.) (1997): Whores and other Ferninists; Chapkis, Wendy (1997): LiveSex Acts: Warnen Performing Erotic Labour.
245 Report ofthe Committee on Homosexual Offences and Prostitution (1957), Wolfenden.
246 Zit. nach Matthews und O’Neill (eds) (2003).
247 Dr. med. Zemp, Basel, persönliche Mitteilung, 2000.
248 Aids-Hilfe Schweiz, Barfüsser-Projekt, Interviews mit Fachstellenleiterinnen. Interview mit Frau Noi-Togni, Kantonsrätin, Kt. Graubünden.
249 Der Schweizer Gesetzgeber formuliert im Abschnitt „Strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit“ im Kapitel „Ausnützung sexueller Handlungen“:
Art. 195 StGB Förderung der Prostitution
Wer eine unmündige Person der Prostitution zuführt,
wer eine Person unter Ausnützung ihrer Abhängigkeit oder eines Vermögensvorteils wegen der Prostitution zuführt,
wer die Handlungsfreiheit einer Person, die Prostitution betreibt, dadurch beeinträchtigt, dass er sie bei dieser Tätigkeit überwacht, oder Ort, Zeit, Ausmaß oder andere Umstände der Prostitution bestimmt,
wer eine Person in der Prostitution festhält,
wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Gefängnis bestraft.
250 Vgl. dazu Trechsel, Stefan (1997): Schweizerisches Strafgesetzbuch. Kurzkommentar, Zürich: Schulthess.
251 Jenny, Guido: Art. 195 N 8, Stratenwerth, Günther: Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil IBT I § 9 N 9, 19, 21.
252 Botschaft, S. 1084.
253 Trechsel, Stefan (1997), S. 731.
254 Eine Ausnahme bilden hier vielleicht die Selbstdeklarationen einer Minderheit von Prostitu ierten, die Prostitution als ihren persönlichen Ausdruck ihrer eigenen Sexualität verstehen.
255 Nach Auskunft von NRO-Vertreterinnen (Aids-Hilfe Schweiz) existieren „Schwarze Listen“ über gewalttätige und zahlungsunwillige Freier.
256 Art. 196 StGB Menschenhandel
Wer mit Menschen Handel treibt, um der Unzucht eines andern Vorschub zu leisten, wird mit Zuchthaus oder mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft.
Wer Anstalten zu Menschenhandel trifft, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft.
In jedem Fall ist auch auf Buße zu erkennen.
257 SR 0.311.32 und SR 0.311.34.
258 vgl. Franz Stämpfli, ZStrR 39, 1926.
259 Ernst Hafter, ZStrR 46, 1932.
260 4. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern, Protokoll vom 19.11.1999.
261 Botschaft zur Revision 1992 (BBI 1985, S. 1086).
262 AB 1987 S 401 und AB 1990 N 2329.
263Trechsel, a.a.O. S. 732.
264 Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, BT I, 5. Auflage Bern 1995 § 9 N 18; Jenny, Kommentar zum Schweizerischen Strafrecht, 4. Band: Delikte gegen die sexuelle Integrität und gegen die Familie, Art. 196 N 4 und Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Auflage Zürich 1997, Art. 196 N 1. Ablehnend hingegen Rehberg, Strafrecht III, 7. Auflage 1997, S. 413.
265 BGE 6S.356 / 2000 / bue.
266 Bundespräsident Arnold Koller, AB 1990 N 226lff.
267 U.a. Alexander, Priscilla and Delacoste, Frederique (1987): Sex Work: Writings by Women in the Sex Industry; Bell, Laurie (ed.) (1987): Good Girls: Feminist and Sex Trade Workers Face to Face; Roberts, Nickie (1992): Whores in History: Prostitution in Western Society.
268 Pruit, Deborah, LaFont, Suzanne (1995): For Love and Money: Romance Tourism in Jamaica, S. 422-440.
269 Truong, Than-Dam (1990): Sex, Money and Morality: The Political Economy of Prostitution and Tourism in South East Asia.
270 McLeod, Eileen (1982): Women working: Prostitution Now.