Kampf ums Recht Kurt Pärli

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Aktivierung von gesundheitlich beeinträchtigten Arbeitnehmenden – Auswirkungen auf Soziale Rechte

Zusammenfassung

In diesem Beitrag wird die Aktivierung gesundheitlich beeinträchtigter Arbeitneh­mer/innen in den Kontext allgemeiner Sozialstaatsentwicklungen (Forcierte Pflicht zur Arbeitsmarktintegration, erhöhte Zugangshürden zum Erhalt von Sozialversiche­rungsleistungen) gestellt und es werden die verfassungsrechtlichen Schranken disku­tiert. Reformen im Bereich der Erwerbsausfallversicherung und Rechtspraxis ver­schärften die Schadenminderungspflicht der versicherten Arbeitnehmenden, die sich mehr Kontrolle gefallen lassen müssen und mehr in ihrer Autonomie eingeschränkt werden. Besonders augenfällig ist die Schmerzrechtsprechung des Bundesgerichts, die dazu führt, dass Personen mit nicht organisch nachweisbaren Befunden praktisch keinen Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsleistungen geltend machen können. Wenn Verhaltenskontrolle und Sanktionen gegenüber erkrankten Arbeitnehmenden zuneh­men, ist es nicht erstaunlich, wenn Arbeitnehmende selbst dann zur Arbeit gehen, wenn sie dies aus gesundheitlichen Gründen besser unterlassen würden. Dieses neue Phänomen wird in der Arbeitswissenschaft unter dem Terminus „Präsentismus“ dis­kutiert. Die Veränderungen in Richtung forcierter Eingliederungspflichten und erhöh­ter Sanktionen werfen grundrechtliche Fragen auf; betroffen sind das Grundrecht auf Datenschutz und auf persönliche Freiheit aber auch die verfassungs- und völkerrecht­lichen Diskriminierungsverbote. Bei der Aktivierung gesundheitlich beeinträchtigter Arbeitnehmer/innen gilt es nicht nur die abwehrrechtliche Dimension der Grundrech­te zu beachten. Vielmehr erfordert ein umfassendes Grundrechtsverständnis, dass Grundrechte auch bei der Gewährung oder Nichtgewährung von Leistungen der Sozi­alversicherung beachtet werden müssen (Schutz vor faktischer Grundrechtsverlet­zung).

Activation of sick employee – Implications for Social Rights

Summary

This paper argues that the shift from Welfare to Workfare and the overall trend to social policies and work place activities with a focus on activation and integration in the labour market should be in line with major constitutional values. Reform of Sickness Benefit Acts and legal practice towards a more active role for the sick employee leads to much tighter control leaving less room for autonomy. A great deal of attention should be paid here to the case law of the Swiss Federal Court regarding somatoform disorder. If behaviour control and sanctions are rising, it is unsurprising to find that employees tend to avoid sick leave or even go to work despite sickness. This relatively new phenomenon is commonly labelled “presenteeism”. Yet forced activation of sick employees leads to crucial human rights questions such as the right to privacy, the Right for freedom of choice and the non-discrimination rule. There­fore, policies for the activation of sick employees should be reconstructed under a Human Rights perspective while constitutional constraints should hamper the enactment of too repressive activation for sick employees.

1. Einleitung

In vielen europäischen Staaten stieg die Zahl der aus gesundheitlichen Gründen früh­zeitig aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Personen ab Mitte der 80iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts massiv an, wobei vor allem eine Zunahme psychischer Er­krankungen und unklarer Krankheitsbilder beobachtet wurde. Im sozialstaatlichen Aktivierungsdiskurs bilden deshalb aus medizinischen Gründen arbeitsunfähige Ar­beitnehmende eine wichtige Gruppe. In der Literatur (wie auch in der Politik und am Stammtisch) wird bezogen auf die Zunahme der Inanspruchnahme sozialstaatlicher Leistungen wegen gesundheitlich bedingter Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit auch auf unerwünschte Anreize sozialstaatlicher Leistungen zur Arbeitsmarktintegration hingewiesen (Helmig/Hunziker 2006: 171). Kritisiert wird auf der Grundlage von Moral Hazard-Theorien, die Sozialversicherung setze mit der „Offerte“ einer Rente bei einer Erwerbsunfähigkeit falsche Anreize (Meyer 2009: 585). Gefordert wurde (und wird) deshalb eine Abkehr von garantierten Leistungsansprüchen zu Gunsten einer möglichst raschen Reintegration in den Arbeitsprozess.

Diese Forderung blieb nicht ungehört. In vielen Staaten wurde der Sozialstaat umge­baut. Garantierte Rechtsansprüche auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit, krankheits- und unfallbedingter Arbeitslosigkeit und Invalidität werden durch vorgelagerte Inte­grationspflichten ergänzt oder gar ersetzt. Krankheits- oder unfallbedingt arbeitsunfä­hige Arbeitnehmende werden so Zielgruppe von Absenzenmanagementsystemen, Früherkennungs- und Frühinterventionsprogrammen und betrieblicher Gesundheits­förderung. An diesen Aktivitäten sind regelmäßig verschiedene und viele, staatliche wie nichtstaatliche, betriebliche und außerbetriebliche Akteure beteiligt, was einen erhöhten Koordinationsbedarf nach sich zieht und neue Fragen daten- und persönlich­keitsrechtlicher Art aufwirft.

Die Einschätzung über die Wirksamkeit aktivierender Maßnahmen ist kontrovers, ein klares Bild ist nicht ersichtlich1. Das erstaunt nicht: Monokausale Erklärungen für gelungene oder misslungene Integration bzw. Reintegration in den Arbeitsmarkt nach Arbeitslosigkeit oder gesundheitlich bedingter Arbeitsunfähigkeit sind von vornher­ein falsch, multifaktorielle Erklärungsversuche tendieren ins Beliebige. Ungeachtet der umstrittenen Frage über die wirtschaftlichen Effekte aktivierender Maßnahmen interessiert die Auswirkung sozialstaatlicher Aktivierung kranker oder verunfallter Arbeitnehmender auf deren soziale Rechte. Im Folgenden werden in einem ersten Schritt ausgewählte Formen der Aktivierung gesundheitlich Beeinträchtigter erläutert und im größeren Kontext der Veränderungen im europäischen Sozialmodell – andere sprechen von dessen Aushöhlung (Hermann/Mahnkopf 2009: 123-142) – verortet (2. Maßnahmen zur Aktivierung und Disziplinierung arbeitsunfähiger Arbeitnehmender). Wenn Verhaltenskontrolle und Sanktionen gegenüber erkrankten Arbeitnehmenden zunehmen, ist es nicht erstaunlich, wenn Arbeitnehmende selbst dann zur Arbeit ge­hen, wenn sie dies aus gesundheitlichen Gründen besser unterlassen würden. Dieses neue Phänomen wird in der Arbeitswissenschaft unter dem Terminus Präsentismus diskutiert; diese Debatte ist aufzugreifen und auf ihre rechtliche Bedeutung zu unter­suchen (3. Nebenwirkung der Aktivierung: Präsentismus). Viele Aktivierungspoliti­ken und -maßnahmen haben ein Janusgesicht; sie versprechen Teilhabe und Emanzi­pation, führen aber auch zum Verlust sozialrechtlicher Ansprüche und zur Gefähr­dung grundrechtlich geschützter Sphären; mit diesen Überlegungen wird der Beitrag abgeschlossen (4. Grundrechtliche Schranken der Aktivierung). Bei der rechtlichen Würdigung der diskutierten Phänomene wird der Fokus auf die schweizerische Rechtsordnung gelegt.

2. Maßnahmen zur Aktivierung und Disziplinierung arbeitsunfähiger Arbeitnehmender

2.1 Gesundheitsmanagement, Früherfassung

Zum allgemein anerkannten Kanon an Aktivierungsmaßnahmen zu Gunsten gesund­heitlich beeinträchtigter Arbeitnehmer/innen gehört, dass betroffenen Personen mög­lichst rasch nach Auftreten einer mehr als nur ein paar Tage dauernden Arbeitsunfä­higkeit Unterstützung gewährt werden soll. Durch betriebliches Absenzen- und Gesundheitsmanagement wird versucht, krankheits- oder unfallbedingt arbeitsunfähi­ge Arbeitnehmende im Erwerbsprozess zu behalten oder wieder einzugliedern. Die Kooperation der betroffenen Arbeitnehmer/innen wird dabei durch Sanktionsandro­hungen „gefördert“. Im öffentlichen Dienstrecht wurden teilweise spezifische Nor­men geschaffen, während sich in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen die Grundla­gen aus der Treuepflicht des Arbeitnehmers und dem Weisungsrecht des Arbeitge­bers ergeben oder ausdrücklich im Arbeitsvertrag bzw. im Gesamtarbeitsvertrag (Tarifvertrag) verankert sind. Regelmäßig ist dabei auch eine Pflicht zur Einwilligung in einen weitreichenden Datenaustausch zwischen den involvierten Akteuren vorge­sehen. Beispielsweise sieht Ziffer 157 des Gesamtarbeitsvertrags der Schweizeri­schen Bundesbahnen SBB vor, dass das Arbeitsverhältnis aufgelöst werden kann, wenn die betroffene Person „das Case Management“ nicht aktiv unterstützt, „den Reintegrationsplan wiederholt nicht einhält“ oder „ein zumutbares Stellenangebot ablehnt“.

Der Nutzen von Sanktion und Zwang zur Verhinderung beruflicher Desintegration ist umstritten. Im Rahmen eines Forschungsprojekts „Berufliche Wiedereingliederung von Personen mit länger andauernder Arbeitsunfähigkeit“2 wurden u.a. Personalver­antwortliche nach Einsatz und Nutzen solcher Sanktionsnormen befragt. Die bei der SBB befragte Person gibt an, von 3000 Fällen hätte diese Bestimmung nur gerade bei zwei Personen angewendet werden müssen. Der Befragte sagt indes weiter: „Häufi­ger jedoch ist, wozu ich aber keine Statistik habe, dass die Ziffer 157 in der einen oder anderen Situation thematisiert wird und so die zumutbare Mitwirkung der betroffenen Person im Reintegrationsprozesse „gefördert“ wird. Die Ziffer bewirkt einen gewissen Grad an Verbindlichkeit des Betrieblichen Case Managements, die die Ernsthaftigkeit und Zusammenarbeit auf beiden Seiten (betroffene Mitarbeiter/in und Gesundheitsmanager/in) fördert“. Eine weitere befragte Person – sie ist für Case Management in einer großen öffentlichen Verwaltung zuständig – erachtet eine ver­gleichbare Bestimmung im Personalrecht indes für unnötig: „Case Management ist ein Vertrauensprozess allererster Güte. Grundlage für diesen Vertrauensprozess ist die Freiwilligkeit. Ein Zwang für eine Teilnahme an einem Case Management kann sich nur negativ auf den Erfolg dieses Angebots auswirken“. In diesen beiden Aussa­gen widerspiegeln sich die Hauptargumentationslinien der Debatte: während auf der einen Seite argumentiert wird, Sanktion und Zwang verhindere falsche Anreize zum Krankwerden und Krankbleiben (Murer 2006: 645) wird von anderen Stimmen auf sinkende Motivation hingewiesen, wenn Unterstützungsangebote mit Sanktion bei Nichtkooperation verknüpft werden3.

Der schweizerische Gesetzgeber hat im Invalidenversicherungsgesetz (Erwerbsunfä­higkeitsversicherung) ein System der Früherfassung und Frühintervention geschaffen, das ebenfalls von der Idee einer möglichst frühen Intervention bei Arbeitsunfähigkeit getragen ist. Die Unterstützung, die den versicherten Arbeitnehmer/innen geboten wird, wird mit Zwang und Sanktionsandrohung vermischt. Die Meldung zur Früher­fassung bei der Invalidenversicherung erfolgt nicht nur durch die Betroffenen4 und die im Rahmen der Frühintervention angebotenen Unterstützungen verlieren durch gesetzliche Sanktionsandrohungen ihren freiwilligen Charakter5. Dazu gehört auch, dass die versicherten Personen durch die Anmeldung bei den Sozialversicherungsbe­hörden zu einem umfassenden Datenaustausch zwischen den beteiligten Akteuren einwilligen müssen (Meier 2010: 65 ff.).

2.2 Erhöhte Anforderungen für den Beweis der Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit

Arbeitnehmer/innen müssen die krankheits- und unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit beweisen, wenn sie die im Gesetz vorgesehenen oder durch Arbeits- bzw. Versiche­rungsvertrag vorgesehenen Leistungen beziehen wollen. Stehen Leistungen der Sozi­alversicherungen in Frage, so haben die Behörden gemäß dem Untersuchungsgrund­satz abzuklären, ob die tatsächlichen Voraussetzungen vorliegen, um die im Gesetz vorgesehenen Leistungen beziehen zu können. Eine Analyse jüngerer Entwicklungen in der Verwaltungspraxis, Rechtsprechung und Gesetzgebung zeigt, dass die Hürden zum Leistungsbezug höher geworden sind (Winzenried 2012: 231-246).

Es liegt auf der Hand, dass bei kurzfristigen Absenzen das Arztzeugnis des Hausarz­tes die häufigste Form des Beweises darstellt. Wenn die Arbeitgeberin das Hausarzt­zeugnis anzweifelt, kann sie eine vertrauensärztliche Untersuchung verlangen. In jün­gerer Zeit sind die Hausärzte/innen vermehrt kritisiert worden, sie würden lediglich Gefälligkeitszeugnisse ausstellen, die einer vertieften Überprüfung nicht Stand halten würden (Zeller 2007: 1806 f.; zur Kritik an diesem Beitrag: Kissling 2007: 1807 f.). Diesen Studien wird indes entgegnet, angesichts des zunehmenden Drucks in der Ar­beitswelt, müssten heute immer häufiger Ärzte/innen die Patienten/innen gegen deren Willen arbeitsunfähig schreiben (Kuhn 2007: 1808).

In der Rechtspraxis wird bei der Beurteilung des Beweiswertes von Hausarztzeugnis­sen regelmäßig der „Erfahrungstatsache“ Rechnung getragen, dass Hausärzte im Hin­blick auf ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung in Zweifelsfällen eher zu Gunsten ihrer Patienten aussagen6. Dies gilt insbesondere auch im Verfahren zur Abklärung einer Langzeiterwerbsunfähigkeit und Anspruch auf eine Rente der Invalidenversi­cherung. Hier misst das Bundesgericht Parteigutachten, auch wenn sie nicht vom Hausarzt stammen, nicht den gleichen Stellenwert zu wie einem vom Gericht oder vom Versicherungsträger nach dem relevanten Verfahrensrecht eingeholten Gutach­ten7. Bei der Entscheidung über die Gewährung von Leistungen der Invalidenversi­cherung stützen sich die Behörden und die Gerichte regelmäßig auf medizinische Berichte, die von Medizinischen Abklärungsstellen (MEDAS) im Auftrag der Invali­denversicherung erstellt worden sind. Bei den MEDAS handelt es sich mehrheitlich um privatrechtlich organisierte und gewinnorientierte Institutionen, die den ganzen oder einen erheblichen Teil ihres Umsatzes mit der Durchführung ärztlicher Untersu­chungen zur Beurteilung von Leistungsansprüchen der Invalidenversicherung erzie­len8. In rechtlicher Hinsicht ist fraglich, ob diese Verwaltungs- und Gerichtspraxis mit den Anforderungen an ein faires Verfahren im Sinne von Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu vereinbaren ist9. Das Bundesgericht hat in seinem Entscheid BGE 137 V 210 gewisse problematische Aspekte der heute gängi­gen Praxis aufgegriffen und verlangt Verbesserungen, u.a. hinsichtlich der Gehörs- und Partizipationsrechte der versicherten Person10.

2.3 Das Überwindbarkeitsdogma in der Invalidenversicherung

Bei einer länger dauernden gesundheitlich bedingten Arbeitsunfähigkeit werden Leis­tungen der Arbeitgeberin (Entgeltfortzahlung) oder Krankentaggeldversicherung durch Erwerbsunfähigkeitsrentenleistungen der Invalidenversicherung abgelöst. Die Hürden zum Erhalt einer solcher Rentenleistung sind indes hoch. Zu beachten ist vor­ab, dass Eingliederungsmaßnahmen wie Berufsberatung oder Umschulungen dem Rentenanspruch vorgehen (Grundsatz „Eingliederung vor Rente“)11. Der Anspruch auf eine Rentenleistung der Invalidenversicherung setzt eine dauerhafte Erwerbsunfä­higkeit voraus. Die Legaldefinition der Erwerbsunfähigkeit lautet: „Erwerbsunfähig­keit ist der durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit verursachte und nach zumutbarer Behandlung und Eingliederung verblei­bende ganze oder teilweise Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem in Betracht kommenden ausgeglichenen Arbeitsmarkt“ (Art. 7 Abs. 1 Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts, ATSG). Nach dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 2 ATSG liegt eine Erwerbsunfähigkeit zudem nur vor, wenn sie aus objektiver Sicht nicht überwindbar ist. Kann einer versicherten Person trotz Vorlie­gen eines Gesundheitsschadens die Verwertung der Arbeitsfähigkeit zugemutet wer­den, liegt kein invalidisierender Gesundheitsschaden vor und die Voraussetzungen des leistungsauslösenden Begriffs der Erwerbsunfähigkeit sind nicht erfüllt.

Die Frage der Überwindbarkeit stellt sich vorab im Zusammenhang mit psychischen Beschwerden. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung begründet eine fach­ärztlich festgestellte psychische Krankheit an sich noch keine Erwerbsunfähigkeit. Zusätzlich ist erforderlich, dass im Einzelfall eine durch die gesundheitliche Schädi­gung bedingte Beeinträchtigung der Erwerbsunfähigkeit ausgewiesen und in ihrem Ausmaß bestimmt ist. Entscheidend ist demnach, ob und inwiefern der versicherten Person trotz ihres Leidens die Verwertung der verbleibenden Restarbeitsfähigkeit noch sozial-praktisch zumutbar ist, wobei dies anhand eines weitgehend objektivier­ten Maßstabs zu beurteilen ist12. Das Bundesgericht entschied im Leitentscheid BGE 130 V 352, dass eine somatoforme Schmerzstörung als solche in der Regel keine lang andauernde, zu einer Invalidität führende Einschränkung der Arbeitsfähigkeit zu bewirken vermöge. Nur wenn über das Vorliegen der Schmerzzustände hinaus im Einzelfall eine erhebliche psychische Komorbidität und weitere Aspekte vorliegen, die einer Überwindbarkeit entgegen stehen, sei ein Leistungsanspruch ausnahmswei­se doch zu bejahen13. Diese im Bereich der somatoformen Schmerzstörung entwi­ckelten Grundsätze wurden auf weitere Leiden wie die Fibromyalgie14, auf das Chro­nic Fatigue Syndrome15, auf die dissoziative Sensibilitäts- oder Empfindungsstö­rung16, chronifizierte Somatisierungsstörungen17 und auf nicht-organische Hypersom­nie18 ausgedehnt. Die Grundsätze der Überwindbarkeit wurden auch auf Verletzun­gen der Halswirbelsäule (HWS, Schleudertrauma), die nicht klar eine organische Grundlage haben, ausgedehnt19.

Die immer strengere Rechtsprechung und Verwaltungspraxis zur Überwindbarkeit von Schmerzzuständen auf der Basis von „pathogenetisch-ätiologisch unklaren syn­dromalen Beschwerdebildern ohne organische Grundlage“20 führt dazu, dass Versi­cherte, die noch vor diesem Paradigmenwechsel eine Invalidenrente erhalten haben, vergleichsweise privilegiert sind. Mit der jüngsten Revision des Invalidenversiche­rungsgesetzes (in Kraft seit 1.1.2012) hat der Gesetzgeber deshalb entschieden, die entsprechenden Rentenbezüger/innen zu überprüfen und deren Renten gegebenenfalls herabzusetzen oder aufzuheben21. Betroffen sind rund 12500 Personen, die zum Teil bereits jahrelang eine IV-Leistung beziehen und nicht mehr im Arbeitsmarkt inte­griert sind. Eine allfällige Aufhebung der Rente erfolgt dabei nicht sofort, vielmehr sieht das Gesetz eine ganze Reihe von Unterstützungsmaßnahmen vor, die der Wie­dereingliederung der invaliden Personen in den Arbeitsmarkt dienen sollen22.

Die Vorstellung, dass eine Schmerzstörung auf der Basis von „pathogene­tisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne organische Grundla­ge“ bei gehöriger Willensanstrengung überwunden werden könne, wird aus medizi­nischer Sicht als unhaltbar kritisiert (Jeger 2011). Aus rechtlicher Sicht ist zudem fraglich, wie weit die durch Ungleichbehandlung verschiedener Krankheitsbilder – es wird im Ergebnis zwischen überwindbaren und nicht überwindbaren Schmerzzustän­den differenziert – dem verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Diskriminie­rungsverbot aufgrund einer Behinderung standhält (Zimmermann 2011: 259 ff.). Das Bundesgericht hat bis heute entsprechende Beschwerden abgelehnt, soweit es über­haupt darauf eingetreten ist23. Möglicherweise wäre indes eine Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erfolgversprechend. Der EGMR hat in der Rechtssache „Glor gegen die Schweiz“ entschieden, dass die Pflicht zur Wehrpflichtabgabe für einen an Diabetes leidenden aber voll arbeitsfähigen Wehrpflichtigen gegen das in Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerte Diskriminierungsverbot verstoße. Im Ergebnis hat der EGMR die Ungleichbehandlung in Sachen Wehrpflichtabgabe zwischen verschiedenen For­men von Behinderung und eine Ungleichbehandlung zwischen behinderten Wehr­pflichtigen und solchen, die aus Gewissensgründen keinen Militärdienst leisten wol­len und – im Gegensatz zu den Behinderten – einen zivilen Ersatzdienst leisten dür­fen, als nicht sachgerecht und damit diskriminierend qualifiziert (Stolkin 2011: 378 ff.).

2.4 Die Überwachung der Versicherten

Auf dem Hintergrund der Diskussion um so genannte „Scheininvalide“ haben Sozial- und Privatversicherer verstärkte Anstrengungen zur Missbrauchsbekämpfung unter­nommen (Aebi-Müller/Eicker/Verde 2010). Einem besonders hohen Missbrauchsver­dacht ausgesetzt sind ausländische Versicherte, besonders solche aus bestimmten Staaten, und Versicherte, die eine Rentenleistung aus psychischen Gründen oder wegen Schmerzzuständen erhalten haben (Bachmann/D’Angelo 2007: 133 ff.). Zu den Missbrauchsbekämpfungsmaßnahmen gehört in erster Linie die Observation von Versicherten, die in der Regel durch Privatdetektive stattfindet. Durch die Observati­on sollen „Tatsachen, welche sich im öffentlichen Raum verwirklichen und von jedermann wahrgenommen werden können (beispielsweise Gehen, Treppensteigen, Autofahren, Tragen von Lasten oder Ausüben sportlicher Aktivitäten), systematisch gesammelt und verwahrt werden“24.

Die Observation durch Versicherer ist rechtlich heikel, da sie möglicherweise gegen Persönlichkeits- und Datenschutzrechte der überwachten Personen verstößt25 und überdies strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann26. Das Bundesgericht hat bis anhin die Observation durch Versicherer konsequent geschützt. Der Eingriff in die Persönlichkeit der Versicherten wurde regelmäßig durch das öffentliche Inter­esse der Versichertengemeinschaft an einer wirksamen Missbrauchsbekämpfung und der Aufdeckung bzw. Verhinderung von Versicherungsbetrug geltend gemacht27. Erlaubt ist nach BGE 135 I 169 namentlich auch die Observation betreffend Tätigkei­ten im öffentlichen Raum, wie etwa Autofahren, Treppensteigen, Tragen von Lasten. In einem höchst umstrittenen Entscheid vom November 2011 hat das Bundesgericht auch die Observation eines Versicherten auf dessen Balkon als zulässig erachtet28. Es liege weder ein unzulässiger Grundrechtseingriff noch ein strafrechtliches Delikt vor. Bei einer Person, die bei freiwillig ausgeübten, von bloßem Auge beobachtbaren Alltagsverrichtungen in einem von jedermann öffentlich einsehbaren Bereich (Balko­ne) gefilmt werde, dürfe angenommen werden, sie habe insoweit auf einen Schutz der Privatheit verzichtet und in diesem Umfang ihre Privatsphäre der Öffentlichkeit ausgesetzt29.

Kritisiert wird am Urteil weiter die Geeignetheit der Observation zur Feststellung, ob eine Arbeitsunfähigkeit vorliege. Das Bundesgericht begründet die Geeignetheit mit den Argumenten, die unmittelbare Wahrnehmung mittels Überwachung sei geeignet und erforderlich, „um das Ausmaß der tatsächlichen Einschränkungen zu erfassen, da sich die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit aufgrund des Zusammenspiels somati­scher und somatoformer Leiden mit einer Verdeutlichungstendenz und Selbstlimitie­rung sowie psychischer Beeinträchtigungen außerordentlich schwierig erwies“. Diese Begründung ist problematisch, da der Nachweis organischer Befunde psychi­scher Störungen nur sehr selten möglich ist. In letzter Konsequenz bedeutet dies, dass bei fast allen psychischen Störungen eine Observation als geeignet und erforderlich anzusehen wäre. Zu Recht wird deshalb in der juristischen Lehre gefordert, für die Anordnung einer Observation sei ein substantieller Anfangsverdacht vorauszusetzen und die Observation dürfe nicht leichtfertig angeordnet werden (Winzenried 2011).

2.5 Aktivierung Kranker als Teil der Rekommodifizierung

Die Aktivierung und Disziplinierung gesundheitlich beeinträchtigter Arbeitnehmer/ innen bildet Teil einer umfassenden Politik der Aktivierung erwerbsloser oder von Erwerbslosigkeit bedrohter Personen. Dabei vertrauen Politik, Verwaltung und Rechtsprechung auf die Heilswirkung der Arbeit für die gesellschaftliche Integration, eine Arbeitsbeschäftigung, erfolge sie auch im Rahmen eines mit erheblichem Auf­wand finanzierten Beschäftigungsprogramms sei in jedem Fall einer Nichtbeschäfti­gung vorzuziehen. Die entsprechenden Hilfsangebote sind regelmäßig mit Sanktions­androhung und Zwang verbunden.

Die jüngere Sozialstaatsentwicklung im Bereich der Aktivierung Erwerbsloser wird in der Literatur auch als Prozess der „Rekommodifizierung“ bezeichnet (Brütt 2001: 265 ff.). Beim Prozess der arbeitsmarktpolitischen Eingliederung zeigt sich eine nor­mative Aufwertung der Eigenverantwortung (Manske 2005: 241 ff.). Während im Zuge der Dekommodifizierung die Marktabhängigkeit des arbeitstätigen Menschen und dadurch dessen Warencharakter durch die Gewährung von Rechtsansprüchen auf existenzsichernde Leistungen bei Alter, Krankheit, Unfall und Invalidität verringert werden konnte, werden die Individuen durch die Rekommodifizierung wieder stärker den Zwängen der Marktlogik unterworfen (Leisering 2004: 29 ff.). Der heutige Ar­beitsmarkt braucht flexible, anpassungsfähige und innovative Arbeitskräfte. Sozial­versicherungsrechtliche Ansprüche sind der Anpassung an die Marktgegebenheiten hinderlich (Pärli 2007: Rz. 20). Der Rekommodifizierungsprozess – das zeigen die Ausführungen in diesem Beitrag – ist dabei nicht auf Arbeitslose oder Sozialhilfe­empfänger/innen beschränkt, er umfasst vielmehr auch Kranke und Invalide. Auch sie sollen sich nicht in der Sicherheit wähnen (dürfen sollen), dass sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung ihren Lebensstandard oder doch mindestens die minimale Existenz gesichert hätten. Anstelle der Rentenleistungen treten immer öf­ters für beschränkte Zeit ausgerichtete finanzielle Unterstützungen, die an die Ver­pflichtung gekoppelt werden, trotz und mit Gesundheitsbelastung mit Hilfe von Un­terstützungsprogrammen wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Die Verant­wortung für das Gelingen der Wiedereingliederung wird dabei weitgehend dem Indi­viduum zugeschrieben, während Kontextfaktoren (Arbeitsmarkt, Arbeitsplatz) weit­gehend ausgeklammert werden30.

Nach konstruktivistischen Theorien sind sowohl Gesundheit wie Krankheit Ergebnis gesellschaftlicher Zuschreibungsprozesse (siehe dazu Bauch, 2004). Neuere Untersu­chungen auf der Basis von Gouvernementalitätsstudien (nach Foucault) weisen darauf hin, dass auf Verantwortung und Aktivierung von kranken – und von noch gesunden – Erwerbsfähigen basierende Interventionen dazu führen, dass „Gesund­heit“ zunehmend (auch) zu einer Frage des Willens wird (Eickelpasch u.a. 2008: 13). Ausdruck dieser Entwicklung bilden etwa die zunehmende Verbreitung von so ge­nannten Anwesenheitsprämien von Arbeitgebern und Gehaltsfortzahlungsversiche­rungen31 und die Tendenz in Rechtsprechung und Gesetzgebung, gewisse Krankhei­ten mit Blick auf Erwerbsunfähigkeitsrenten als überwindbar zu qualifizieren32.

3. Präsentismus33

3.1 Definition, Verbreitung, Ursachen

Wenn Verhaltenskontrolle und Sanktionen gegenüber erkrankten Arbeitnehmenden zunehmen, ist es nicht erstaunlich, dass Arbeitnehmende selbst dann zur Arbeit gehen, wenn sie dies aus gesundheitlichen Gründen besser unterlassen würden. Das Phänomen wird als „Präsentismus“ bezeichnet und ist gemäß neueren Erkenntnissen nicht nur weit verbreitet, sondern hat auch gravierende finanzielle Folgen für die Unternehmungen und die Volkswirtschaft. Präsentismus bezeichnet das Verhalten von Arbeitnehmenden, trotz Krankheit zur Arbeit zu gehen, obwohl das Fernbleiben aufgrund des Gesundheitszustandes legitim wäre oder sogar vom Arzt geraten wurde (Ashby/Mahdon 2010: 13). Der Begriff steht im Gegensatz zum Absentismus, also der Abwesenheit von Arbeitnehmenden vom Arbeitsplatz. Präsentismus ist weit ver­breitet. 47 % der in der Stressstudie 2010 des Seco befragten Erwerbstätigen der Schweiz gaben an, innerhalb eines Jahres trotz Krankheit gearbeitet zu haben, 45 % gingen nie krank zur Arbeit und 8 % gaben an, nie krank gewesen zu sein. Von den 47 % welche trotz Krankheit gearbeitet haben, gingen 39 % 1 – 3 Tage krank zur Arbeit, 48 % 4 – 10 Tage und 12 % mehr als 10 Tage34. Umfragen aus anderen Län­dern weisen ähnliche Zahlen auf; durchschnittlich verzichten 30 % bis 50 % der Arbeitnehmenden mindestens zweimal trotz Krankheit auf eine Krankmeldung (Aronsson/Gustafsson/Dallner 2000: 505; Aronsson/Gustafsson 2005; 961; Reif 2008: 98 f.; Schmidt/Schröder 2010: 96; Zok 2008: 4)35. In der arbeitsmedizinischen Literatur finden sich weiter Hinweise, wonach Arbeitnehmende vermehrt entgegen ärztlicher Empfehlung sowie unter Einnahme von verschreibungspflichtigen Medika­menten arbeiten (Schmidt/Schröder 2010: 96).

Die Gründe für das Phänomen sind vielfältig. Betroffene Arbeitnehmende nennen häufig Rücksicht auf Arbeitskolleginnen und -kollegen, fehlende Stellvertretungsre­gelung, zu viel Stress, zu viel Arbeit sowie Druck von Vorgesetzten als Gründe, wes­halb sie trotz Krankheit zur Arbeit kommen (Ashby/Mahdon 2010: 8 f.). Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes hält ebenfalls viele Arbeitnehmende von einer Krankmeldung ab, umso mehr, wenn bereits Entlassungen von kranken Mitarbeiten­den miterlebt wurden36. Die Gründe variieren je nach beruflicher Stellung der betrof­fenen Person; während Arbeitnehmende mit geringerer Qualifikation häufig aus Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, trotz Krankheit arbeiten, liegt es bei Führungs­kräften regelmäßig an zu viel Arbeit, dass sie sich nicht krank melden (Zok 2008: 5f.). Besonders ausgeprägt ist Präsentismus in den Bereichen Bildung, Pflege und Wohlfahrt, wo die Beziehung zu den Klienten/innen im Vordergrund steht (Arons­son/Gustafsson/Dallner 2000: 506; Jansen 2011: 30 f. und 64 f.; Pilette 2005: 300 ff.). Sowohl das Pflegepersonal als auch die Ärztinnen und Ärzte weisen eine überdurch­schnittliche Neigung auf, trotz Krankheit zu arbeiten, wobei bei beiden Gruppen die in der Praxis regelmäßig schwierige Ersetzbarkeit eine wichtige Rolle spielt (Arons­son/Gustafsson 2005: 959; Jansen 2011: 64).

Das Risiko trotz Krankheit zu arbeiten ist bei Menschen mit einem schlechten Ge­sundheitszustand rund drei Mal größer als bei grundsätzlich gesunden Menschen (Aronsson/Gustafsson 2005: 963; Jansen 2011: 33). Personen, die sich häufiger krank melden, gehen zudem auch eher krank zur Arbeit (Ashby/Mahdon 2010: 35 und 45) Die Art der Krankheit ist ebenfalls relevant, neben einer klassischen Erkältung sind es nämlich oft chronische oder in regelmäßigen Abständen wiederkehrende physische Leiden wie Asthma, Allergien, Verdauungsprobleme, Migräne oder Herz-Kreislauferkrankungen sowie psychische Beeinträchtigungen wie Depressionen, Angstzustände und andere emotionale Leiden37, welche eine Krankmeldung vor­dergründig nicht zu rechtfertigen scheinen (Boëthius 2008: 349; Hemp 2004: 49). Keinen wesentlichen Einfluss auf den Präsentismus haben offensichtlich die Arbeits­fähigkeit regelmäßig erheblich beeinträchtigenden Krankheiten oder Unfälle wie ein Herzinfarkt, eine schwere Depression oder Beinbruch (Weiherl/Emmermacher/Kem­ter 2007: 312 f.).

Das Phänomen des Präsentismus lässt sich nicht ausschließlich durch eine Analyse des individuellen Verhaltens erklären. Mit der Globalisierung und dem Strukturwan­del von einer Industrie- hin zu einer wissensorientierten Dienstleistungsgesellschaft haben sich auch die Arbeitsorganisationsformen geändert. Die Anforderungen, im globalen Wettbewerb bestehen zu können, sind groß, der Produktivitätsdruck entspre­chend hoch, die Mitarbeitenden sämtlicher Hierarchiestufen gefordert. Produktivitäts­steigerungen werden u.a. mit neueren Managementkonzepten wie dem der indirekten Steuerung der Mitarbeitenden durch Ziele (Management by objectives) oder Orientie­rung am Kunden (face to customer) zu realisieren versucht. Technische Innovation und komplexe Arbeitsorganisation erfordern zudem auch vermehrt Gruppen-, Team- und Projektarbeiten. Eine solche Arbeitsorganisation fördert einerseits das Mitdenken der Mitarbeitenden, erhöht so unter anderem die Motivation und erfüllt die Forderun­gen nach einer „Humanisierung der Arbeit“, andererseits hat diese Form der Führung auch zur Folge, dass die psychischen Belastungen und Beanspruchungen zunehmen – insbesondere wenn das Erreichen der vorgegebenen Ziele von vornherein unrealis­tisch ist. Mit den neueren Managementkonzepten geht nicht selten einher, dass Ar­beitnehmende ihre privaten, höchst individuellen Bedürfnisse missachten und sich zunehmend bewusst gesundheitsschädigend verhalten, also bspw. auch krank arbeiten gehen (Krause/Dorsemagen/Peters 2010; Steinke/Badura 2011: 62). Nicht eindeutig ist hingegen, wie sich die Möglichkeit der Anpassung der Arbeit bzgl. Arbeitsmenge, -ort und -zeit sowie Art der geleisteten Arbeit auf den Gesundheitszustand und auf das Verhalten, trotz Krankheit zu arbeiten, auswirkt. Während die fehlende Anpass­barkeit zu vermehrtem Absentismus führt (Steinke/Badura 2011: 68), erhöht die Möglichkeit die Arbeit anzupassen die Wahrscheinlichkeit von Präsentismus (Ashby/Mahdon 2010: 50 f.; Steinke/Badura 2011: 68). Allerdings fühlen sich Betroffene, die unter Anpassung ihrer Arbeit trotz Krankheit arbeiten, weniger in ihrer Produktivität beeinträchtigt als jene, welche diese Möglichkeit nicht haben (Ashby/Mahdon 2010: 50 f.).

3.2 Folgen von Präsentismus

Regelmäßiges Arbeiten trotz Krankheit bleibt nicht folgenlos, weder für die Gesund­heit der Arbeitnehmenden noch hinsichtlich der Kosten. Das Verschleppen und feh­lende Auskurieren von Krankheiten oder das Hinauszögern eines Arztbesuches kann negative Auswirkungen auf die eigene Gesundheit haben, etwa durch Chronifizierung oder Verschlimmerung eines Leidens. Eine verschleppte Erkältung kann sich zu einer Mandelentzündung, Bronchitis oder einer Mittelohrentzündung entwickeln oder zu gefährlichen Folgeerkrankungen wie einer Herzmuskelentzündung, Lungenentzün­dung oder Hirnhautentzündung führen38. Bei ansteckenden Krankheiten wie Grippe erfolgt zudem eine Gefährdung von Arbeitskollegen/innen.

Eine dänische Studie aus dem Jahr 2009 weist einen nahezu linearen Zusammenhang zwischen Präsentismus und der erhöhten Wahrscheinlichkeit einer länger dauernden Krankheit nach, d.h. je öfters jemand trotz Krankheit arbeitet, desto höher ist das Risiko später während längerer Zeit krankheitsbedingt arbeitsunfähig zu werden (Hansen/Andersen 2009: 397-402)39. Zu einer ähnlichen Erkenntnis kam bereits eine auf einer Kohorte von 5071 männlichen englischen Beamten basierende Studie aus dem Jahr 2005. Deren Ergebnisse zeigen, dass bei gesundheitlich bereits beeinträch­tigten Arbeitnehmenden, welche sich während drei Jahren nie krank gemeldet haben, das Risiko eines koronaren Herzproblems40 zwei Mal höher war als bei gesundheit­lich ähnlich Beeinträchtigten mit moderaten Krankheitstagen41.

Neben den Folgen für die Gesundheit sind auch die finanziellen Effekte zu erwähnen: Seelisch oder körperlich beeinträchtigte Menschen arbeiten oft langsamer, erzeugen einen kleineren Output und ermüden schneller als ihre gesunden Arbeitskollegen (quantitative Auswirkungen), zudem machen sie mehr Fehler und die Qualität der Arbeitsergebnisse ist schlechter (qualitative Auswirkungen). In einigen, vor allem US-amerikanischen Veröffentlichungen wird Präsentismus deshalb als Produktivi­tätsverlust infolge gesundheitsbeeinträchtigter aber anwesender Arbeitnehmender definiert. Im Vordergrund stehen bei diesen Untersuchungen die durch Präsentismus anfallenden Kosten, welche in den USA zwei bis drei Mal höher sind als jene für Absentismus (Hemp 2004: 3). Eine neuere Veröffentlichung aus Deutschland nennt ähnliche Zahlen; Berechnungen ergaben, dass die durch Fehlzeiten bedingten Kosten nur rund ein Drittel der effektiven durch Krankheit verursachten Kosten in Unterneh­men ausmachen. Zwei Drittel der Kosten, welche Unternehmen durch Krankheit ent­stehen, werden durch Präsentismus verursacht. Noch nicht einbezogen in diese Berechnung sind die Kosten für Vertretungen, Know-how-Verlust oder Ansteckung von Arbeitskollegen, d.h. die tatsächlichen Kosten dürften noch höher sein.

4. Schranken der Aktivierung

4.1 Grundrechte sind mehr als Abwehrrechte

Welche Bedeutung haben Grundrechte in diesem Zusammenhang? Nach klassischem Grundrechtsverständnis sind Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte gegen die missbräuchliche Ausübung staatlicher Macht (Schweizer 2008: 703, N 3 zu Art. 35 BV; Müller/Schefer 2008: 74; Häfelin/Haller/Keller 2008, N 257) und folglich primär für die staatliche Eingriffsverwaltung von Bedeutung (Schweizer 2008: N 7 zu Art. 35 BV). Diese Dimension der Grundrechte zeigt sich im vorliegenden Zusammen­hang besonders bei den Grenzen der zulässigen Überwachung von Versicherungsleis­tungsbezüger/innen. Den Grundrechten wird jedoch auch eine konstitutiv-institutio­nelle Bedeutung zu erkannt (Saladin 1982; Häfelin/Haller/Keller 2008, N 263) und sie sind auch in der Leistungsverwaltung42 und damit für Sozialversicherungen rele­vant. Grundrechte sind überdies auch in privatrechtlichen Verhältnissen zu berück­sichtigen, wobei nach schweizerischem Verständnis von einer indirekten (mittelba­ren) Drittwirkung auszugehen ist43.

4.2 Verbot der faktischen Grundrechtsverletzung

Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen zur Rolle der Grundrechte bei der Ver­weigerung von Sozialversicherungsleistungen bildet BGE 113 V 22 aus dem Jahre 1987. Das Bundesgericht hielt in dieser Entscheidung fest, die Ablehnung einer Sozi­alversicherungsleistung könne die Wahrnehmung der Grundrechte mittelbar beein­trächtigen und damit zu einer faktischen Grundrechtsverletzung führen44. Im konkre­ten Fall weigerte sich die Invalidenversicherung, für die Mehrkosten eines Motorfahr­zeuges aufzukommen, das ein teilinvalider Versicherter als Folge seines Wohnorts­wechsels für den Weg zur Arbeit verlangte. Die grundrechtlichen Überlegungen zur Niederlassungsfreiheit waren für das Bundesgericht maßgebend, um die bisherige Abgrenzung der Leistungspflicht der Invalidenversicherung von der zumutbaren Schadenminderungspflicht neu zu beurteilen45. Ein Grundrechtseingriff im eigentli­chen Sinne liegt, wie das Bundesgericht richtig hervorhebt, nicht vor. Den Versicher­ten wird die Wahrnehmung ihrer Grundrechte nicht durch autoritative staatliche Anordnung verweigert. Die Grundrechtsverletzung entsteht jedoch mittelbar, indem die Nichtgewährung der Sozialversicherungsleistung den Grundrechtsgenuss je nach materiellen Möglichkeiten der betroffenen Personen faktisch verunmöglicht oder zumindest erschwert46.

Seit dem zwischenzeitlich mehrfach bestätigten BGE 113 V 2247 müssen die rechts­anwendenden Behörden bei der Beurteilung von Leistungsansprüchen gegenüber der Invalidenversicherung die Grundrechtspositionen der Versicherten in die Beurteilung der Schadenminderungspflicht einbeziehen (Pärli 2009: 260 ff.). Mehrere Entscheide betrafen das Spannungsfeld „Grundrechtsschutz und zumutbare Arbeit“ im Bereich der Arbeitslosenversicherung. In einem Entscheid aus dem Jahre 1997 entschied das Bundesgericht, die arbeitslosenversicherungsrechtliche Pflicht, zur Schadenminde­rung eine vom Arbeitsamt zugewiesene zumutbare Arbeit anzunehmen, müsse hinter die Religionsfreiheit zurücktreten. Im konkreten Fall hatte die Versicherte bei der in Frage kommenden Beschäftigung aus Sicherheitsgründen das religiöse Kopftuch nicht tragen dürfen48. Geschützt hat das Bundesgericht überdies die Berufung eines muslimischen Mannes auf das religiöse Verbot, alleine mit einer Frau in einem ge­schlossenen Raum arbeiten zu müssen49. Gleich wurde entschieden bei einer Arbeit­nehmerin brahmanischen Glaubens, der eine Arbeit zugewiesen wurde, bei der sie in Kontakt mit Fleisch und Fisch gekommen wäre, was ihr aus religiösen Gründen nicht erlaubt ist50. Nicht geschützt hat das Bundesgericht die Weigerung eines Atheisten, in einem Hotel christlicher Prägung arbeiten zu müssen51.

Grundvoraussetzung für das Vorliegen einer faktischen Grundrechtsverletzung ist, dass die Verweigerung von Sozialversicherungsleistungen sich überhaupt auf eine grundrechtlich geschützte Lebensgestaltung auswirkt, es muss mit anderen Worten der Schutzbereich eines Grundrechts betroffen sein. Wenn gemäß Bundesgerichtspra­xis von den Versicherten zur Überwindung der Erwerbsunfähigkeit bei somatoformen Schmerzsyndromen das Aufbieten guten Willens verlangt wird52, kann der Schutzbe­reich der persönlichen Freiheit nach Art. 10 Abs. 2 BV betroffen sein. Zwar beinhal­tet das Recht der persönlichen Freiheit keine allgemeine Handlungsfreiheit; geschützt sind nur „elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltungen“53. Keinenguten Willen zur Überwindung der Erwerbsunfähigkeit zeigen zu wollen, fällt nicht in den Schutzbereich der persönlichen Freiheit. Für die Bestimmung des Schutzbereichs relevant ist indes die durch die Versicherer unter Androhung der Leistungsverweige­rung auferlegte Pflicht, sich zwecks Erhalt oder Verbesserung der Erwerbsfähigkeit bestimmten medizinischen Behandlungen zu unterziehen54. Die Sozialversicherungs­behörden müssen bei der Auferlegung solcher Pflichten auf der Grundlage der gesetz­lichen Schadenminderungspflicht die Frage der Zumutbarkeit im Lichte des Grund­rechts auf persönliche Freiheit prüfen (Pärli 2009: 269).

Wie bereits dargelegt, ist es in diskriminierungsrechtlicher Hinsicht problematisch, wenn bei den Anforderungen an die Überwindbarkeit gesundheitlicher Beeinträchti­gungen unsachliche Differenzierungen zwischen allgemeinen somatischen Beein­trächtigungen und somatoformen Schmerzen vorgenommen werden55. Zwar lässt sich aus dem verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbot kein unmittelbar gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Leistungen zur Herstellung faktischer Gleichheit ablei­ten56. Eine Diskriminierung im Sinne von Art. 8 Abs. 2 BV kann vorliegen, wenn „der Staat bei der Ausgestaltung seiner Leistungen Unterschiede schafft, die an eines der in Art. 8 Abs. 2 BV genannten, verpönten Unterscheidungsmerkmale (…) anknüp­fen“57. Dabei ist zu beachten, dass ohnehin vulnerable Personengruppen wie Migran­ten/innen, Alleinerziehende und Personen mit kleinen Einkommen durch die Über­windbarkeitsrechtsprechung besonders betroffen sind (Stolkin 2011: 393). Aus dem verfassungsrechtlichen Grundrecht auf Diskriminierungsschutz und aus Art. 14 EMRK (Dröge 2003: 146)58 lässt sich eine Verpflichtung zum besonderen Schutz dieser Personengruppen ableiten; der vollständige Ausschluss vom Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrenten stellt eine Verletzung dieser Pflicht dar.

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1Zu empirischen Befunden siehe statt vieler: Schallberger, Peter, Ermächtigung oder Entmuti­gung? Eine fallrekonstruktive Untersuchung von Programmen zur vorübergehenden Beschäfti­gung, Rorschach 2009, Quelle: http://www.peterschallberger.ch/resources/Publikationen/ ZusammenfassungDorePvB.pdf (besucht: 2.2.2012).

2Das Projekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt und gemeinsam von Kurt Pärli (ZHAW School of Managament and Law), und Jürg Guggisberg (BASS) durchge­führt, <www.berufliche-wiedereingliederung.ch> (besucht: 30.1.2012).

3Kritisch zum Zwang siehe: Magnin (2005).

4In Art. 3b Abs. 2 lit. a-l IVG sind die meldeberechtigten Stellen und Personen aufgeführt.

5Art. 7 Abs. 2 lit. a IVG.

6BGE 125 V 351, Erw. 3b/cc, S. 353.

7BGE 125 V 351, Erw. 3c.

8Siehe zur ganzen Problematik: Egli/Gächter (2011).

9Müller, Jörg Paul/ Reich, Johannes, Rechtsgutachten zur Vereinbarkeit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur medizinischen Begutachtung durch Medizinische Abklärungsstellen betref­fend Ansprüche auf Leistungen der Invalidenversicherung mit Art. 6 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Bern, 2010, Quelle: www.humanrights.ch/upload/pdf/100422_Rechtsgutachten_IV.pdf (besucht: 2.2.2012).

10BGE 137 V 210, siehe dazu: Lendfers, 2011: 1247 ff.

11BGE 108 V 210, Erw. 1d.

12BGE 127 V 294, Erw. 4c, m.w.H.

13BGE 130 V 352, Erw. 2.2.3.

14BGE 132 V 65.

15Bger-Urteile 9C_662/2009 vom 17. August 2010, Erw. 2.3; 9C_98/2010 vom 28. April 2010, Erw. 2.2.2 und I 70/07 vom 14. April 2008, Erw. 5.

16Bger 9C_903/2007 vom 30. April 2008, Erw. 3.4.

17Bger 8C_195/2008 vom 16. Dezember 2008.

18BGE 137 V 64.

19BGE 136 V 279.

20Terminus in den Schlussbestimmungen zur Revision des Invalidenversicherungsgesetzes (SR 831.20).

21Schlussbestimmungen der Änderung vom 18. März 2011 (6. IV-Revision, erstes Maßnahmenpa­ket) Übergangsbestimmungen, Buchstabe a, Ziffer 1-5.

22Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (6. IV-Revision, erstes Maßnahmenpaket).

23Siehe statt vieler: Bger 9C_68/2010 vom 14. Dezember 2010, Erw. 3.1.3.

24Bger 8C_239/2008 vom 17. Dezember 2009, Erw. 6.3; BGE 135 I 169, Erw. 4.3.

25Die Überwachung kann gegen Art. 28 Zivilgesetzbuch (ZGB), siehe BGE 136 III 410, und ge­gen Grundsätze des Datenschutzgesetzes (DSG) verstoßen.

26Art. 179quater Strafgesetzbuch (StGB), siehe BGE 135 I 169, Erw. 4.3.

27BGE 129 V 323, Erw. 3.3.3; BGE 132 V 241; BGE 135 I 169, Erw. 5.2; BGE 136 III 410, Erw. 2.2.3.

28Bger 8C_272/2011 vom 11. November 2011.

29Bger 8C_272/2011 vom 11. November 2011. Erw. 6.1

30Siehe dazu: Hetzler, Antoinette, Labor Market Activation Policies For the Long-Term Ill – A Sick Idea?, Konferenzbeitrag, Quelle: http://213.241.152.197/veranstaltungen/2008/activation _2008_hetzler.pdf (besucht: 6.2.2012).

31Anwesenheitsprämien belohnen Arbeitnehmende mit keinen oder wenigen Krankheitstagen. Solche Systeme führen zu einem gesteigerten Präsentismus und sind zudem auch aus rechtlicher Hinsicht kritisch zu beleuchten, siehe dazu ausführlich: Pärli/Hug 2012: 1ff.

32Zur Überwindbarkeitsrechtsprechung siehe Kapitel 2.3 in diesem Aufsatz.

33Der folgende Text stellt einen Auszug aus dem Aufsatz von Pärli, Kurt/ Hug, Julia, Arbeits­rechtliche Fragen bei Präsentismus (Arbeit trotz Krankheit) dar, ARV 1/2012, 1-21.

34Seco, Stress bei Schweizer Erwerbstätigen, einsehbar unter: http://www.seco.admin.ch/ dokumentation/publikation/00008/00022/04731/index.html?lang=de (besucht: 21.11.2011).

35DGB-Index 2009, einsehbar unter: http://www.dgb-index-gute-arbeit.de/downloads/publikati onen/data/diga_report_09.pdf (besucht: 26.7.2011), S. 19.

36Die Versicherten-Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK stellte fest, dass rund 32 Prozent der Befragten aus Angst vor beruflichen Nachteilen auf eine Krankmeldung verzichtet haben, wobei es in Betrieben, welche bereits kranke Mitarbeitende entlassen haben, sogar rund 69 Prozent sind (Zok 2008: 5).

37Laut einem kürzlich veröffentlichten Bericht der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) kommt Präsentismus bei Personen mit psychischen Beeinträchti­gungen besonders häufig vor. So gaben 74 % der Arbeitnehmenden mit psychischer Beeinträch­tigung an, in ihrer Produktivität beeinträchtigt zu sein im Gegensatz zu 26 % bei jenen ohne psychische Beeinträchtigung, Ausschnitte des Berichts einsehbar unter: http://www.oecd.org/ document/20/0,3746,en_2649_34747_38887124_1_1_1_1,00.html#publications, Figure 2.19 (besucht: 12.12.2011).

38Verschleppte Erkältung – ein verkanntes Risiko, einsehbar unter: http://www.ecara.de/ krankheiten/verschleppte-erkaltung-symptome-folgen/ (besucht: 12.12.2011); Vorsicht: Ver­schleppte Erkältung, einsehbar unter: http://erkaeltung.de/2011/02/vorsicht-verschleppte-erkaeltung/ (besucht: 12.12.2011).

39Die Studie von Hansen/Andersen zeigt weiter auf, dass bei Arbeitnehmenden die öfters als sechs Mal krank zur Arbeit gehen, das Risiko einer mindestens zweiwöchigen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit 53 % höher ist als bei denjenigen, welche nie oder lediglich einmal trotz Krankheit zur Arbeit erscheinen; das Risiko einer länger als zwei Monate dauernden Arbeitsunfähigkeit ist gar um 74% höher.

40Zu den koronaren Herzkrankheiten zählen vor allem Angina pectoris, Herzinfarkt und Herz-Kreislauf-Stillstand (Schweizerische Herzstiftung, Koronare Herzkrankheiten, www.swissheart. ch/index.php?id=90, besucht: 22.8.2011).

41Kivimäki (2005): 98-102, wobei nur Männer untersucht wurden. Aus derselben Untersuchung ergab sich jedoch auch eine erhöhte Mortalitätsrate bei jenen Beamten, welche mindestens einmal innert drei Jahren während mehr als sieben Tagen krankgeschrieben wurden und der Arbeit fernblieben. So sei bei rund 30 Prozent der Befragten mit einer länger als sieben Tage dauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ein um 60 Prozent erhöhtes Risiko eines vorzeitigen Todes beobachtet worden (Head et al., S. 1 und 6f.; Jansen, S. 58).

42BGE 103 Ia 369, Erw. 5 und Erw. 6e; BGE 104 Ia 88; BGE 108 Ib 162, Erw. 5a.

43Siehe Art. 35 Absatz 3 der schweizerischen Bundesverfassung: Die Behörden sorgen dafür, dass die Grundrechte, soweit sie sich dazu eignen, auch unter Privaten wirksam werden.

44BGE 113 V 22, Erw. 4d.

45Siehe zu dieser Entscheidung zurückhaltend Murer, 1995: 184 ff. und befürwortend Schürer, 1997: 3 ff.

46Wer wirtschaftlich nicht auf Sozialversicherungsleistungen angewiesen ist, wird in seiner grund­rechtlich geschützten Betätigungsfreiheit nicht eingeschränkt, kann bspw. auf die angeordnete medizinische Maßnahme oder den geforderten Berufswechsel verzichten, ohne deswegen in wirtschaftliche Bedrängnis zu geraten. Eine Berücksichtigung des Bedarfs bei der Feststellung einer mittelbaren Grundrechtsverletzung durch die Nichtgewährung von Sozialversicherungs­leistungen hat das Bundesgericht jedoch in BGE 113 V 22 mit dem Hinweis verworfen, Sozial­versicherungen würden gerade nicht nach dem Bedarfsprinzip funktionieren.

47Siehe BGE 118 V 206, Erw. 5b; BGE 134 I 105, Erw. 6 und eine Reihe unveröffentlichter Entscheide, bspw. Urteil des EVG vom 8.1.2004, Erw. 6.3.

48Urteil des EVG C 366/96 vom 2.6.1997 (ARV 1998 Nr. 47, 276).

49Urteil des EVG C 144/94 vom 27.12.1994.

50Urteil des EVG C 145/94 vom 27.9.1996 (SVR 1997 ALV Nr. 90, 278).

51Urteil des EVG C 274/04 vom 29.3.2005, (ARV 2006, 155).

52BGE 130 V 352.

53BGE 127 I 6, Erw. 5.

54Art. 7 Abs. 2 lit. c IVG.

55Das Überwindbarkeitsdogma in der Invalidenversicherung.

56BGE 126 II 377, Erw. 6a; BGE 134 I 105, Erw. 5.

57BGE 134 I 105, Erw. 5, mit Hinweisen auf BGE 131 V 9, Erw. 3.5.1.1; BGE 127 V 121, Erw. 3b; BGE 126 V 70, Erw. 4c.

58Auch die EMRK verpflichten die Ratifikationsstaaten über das Verbot von Diskriminierung hinaus zu positiven Verpflichtungen zum Diskriminierungsschutz.
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