Organisierte Kriminalität Recht 3.1

Josef Estermann

Weiterlesen 3.2 Justiz
© ProLitteris, Josef Estermann

3 Rechtliche und institutionelle Entwicklung

In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts haben sich die Strafverfolgungsin­stitutionen beträchtlich gewandelt. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Entwicklung der Drogenproblematik, die im Zusammenhang mit der Infektionskrankheit AIDS vermehrt in den Blick der Öffentlichkeit rückte. Ein weiteres bedeutendes Ereignis war der sogenannte „Fichenskandal“, der die Tätigkeit der präventiven (politischen) Polizei ans Tageslicht zerrte und, damit im (mindestens zeitlichen) Zusammenhang, die Differenzierung der Feindbilder der Geheimdienste, die mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion einen großen Teil ihres alten Tätigkeitsgebiets verloren haben. Die neun­ziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren in der Folge geprägt von der The­matisierung der organisierten Kriminalität und der Geldwäsche, während die da­hin­ter stehenden Probleme des internationalen Steuerrechts, insbesondere des Zugriffs ausländischer Staaten auf in der Schweiz liegende Vermögen, in den Fach­kreisen heftig, in der Öffentlichkeit hingegen kaum diskutiert wurden.

3.1 Recht

Die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Organisation und der Unter­stützung einer kriminellen Organisation, Art. 260ter StGB1, gilt seit dem 1.8.1994. Eingeführt wurde die Norm im Rahmen des sogenannten zweiten Maßnahmepakets zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens. Die Gründe für die Einführung der Norm ist ausführlich in der Botschaft des Bundesrates vom 30. Juni 19932 darge­stellt. Dort findet sich auch eine „Arbeitsdefinition“:

„Organisiertes Verbrechen liegt dort vor, wo Organisationen in Annäherung an die Funktionsweise internationaler Unternehmen hochgradig arbeitsteilig, stark abge­schottet, planmäßig und auf Dauer angelegt sind und durch Begehung von Delikten sowie durch Teilnahme an der legalen Wirtschaft möglichst hohe Gewinne anstre­ben. Die Organisation bedient sich dabei der Mittel der Gewalt, Einschüchterung, Einflussnahme auf Politik und Wirtschaft. Sie weist regelmäßig einen stark hierar­chischen Aufbau auf und verfügt über wirksame Durchsetzungsmechanismen für in­terne Gruppennormen. Ihre Akteure sind dabei weitgehend austauschbar.“3

3.1.1 Die Einführung des Art. 260ter StGB

Schon in den frühen achtziger Jahren bestanden Pläne, eine entsprechende Norm im Zuge einer Strafrechtsrevision (Gewaltverbrechen) einzuführen.4 Diese Pläne scheiter­ten am Widerstand breiter Kreise, die Kritik an der Einführung von Organi­sationsdelikten im allgemeinen und an der damit verbundenen Ausweitung der Straf­barkeit übten und eine Beschränkung des Legalitätsprinzips mit dem Wegfall des Erfor­dernisses des Tatbeweises befürchteten. Im Jahre 1980 diskutierte dies der Bundesrat in seiner Botschaft offen: „Die neue Bestimmung, so wurde im Vernehm­lassungsverfahren hauptsächlich argumentiert, schaffe ein dem Rechtsstaat unwürdi­ges Gesinnungsstrafrecht und leiste dem Spitzelwesen und Denunziantentum Vor­schub. (…) Im einzelnen wurde gegen den Vorschlag folgendes vorgebracht: Er bre­che mit den Grundsätzen unseres Strafrechts, das die Strafbarkeit erst bei den Ver­suchshandlungen eintreten lasse. Ein bloß abstraktes Einvernehmen zwischen Perso­nen im Hinblick auf die Vorbereitung von Straftaten werde schon mit Strafe bedroht. Die Umschreibung des objektiven Tatbestandes erlaube nicht, den strafwürdigen Kern der Gruppe von dem lose mit diesem verbundenen, nicht strafwürdigen Umfeld zu scheiden, so dass die Bestimmung des strafbaren Verhaltens weitgehend dem Richter aufgebürdet werde. … Bei den negativen Stellungnahmen zu den Artikeln 260bis StGB-E (kriminelle Gruppe) und 260ter StGB-E (strafbare Vorbereitungs­handlungen) fällt auf, dass sie namentlich die strafprozessualen Auswirkungen der Vorverlegung der Strafbarkeit in den Vordergrund rücken.“5

Mit der zunehmenden Thematisierung organisierter Kriminalität in der Öffentlichkeit gelang nun dieses Gesetzgebungsvorhaben gut zehn Jahre später, die kritischen Stimmen verloren an Gewicht. Wie begründet die Bedenken waren, zeigt die vorlie­gende Analyse der Fälle. Bei dem zweiten, erfolgreichen Durchsetzungsversuch wurde Art. 260ter StGB als zentrales Element einer erfolgversprechenden Gesamt­strategie gegen das organisierte Verbrechen verkauft, bei dessen Bekämpfung „die traditionellen Zurechnungskriterien des Einzeltäterstrafrechts versagen“. Innerhalb von Verbrecherorganisationen ließe sich nämlich die Teilnahme an bestimmten Ein­zel­delikten nur schwer nachweisen.6 Die Aufweichung des Erfordernisses des Tatbe­weises wird also als wichtigstes Argument für die Einführung dieses Artikels ange­führt. Unter dem knappen Dutzend bis anhin erfolgten Schuldsprüchen nach Art. 260ter StGB findet sich gerade ein Urteil, bei dem nicht gleichzeitig auch Einzel­de­likte nachgewiesen wurden. Zwei eher als Mitläufer zu bezeichnende Aus­länder wurden zu je zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, die sie bei Eintritt der Rechtskraft bereits abgesessen hatten. Die Bosse im Hintergrund, die niemand kennt, die nach weit verbreiteter Ansicht jedoch irgendwo existieren, bleiben offen­sichtlich dort und lassen sich auch mit Hilfe des Art. 260ter StGB nicht ans Licht zerren. So sehen es eigentlich auch die Strafverfolgungsbehörden: „Ich behaupte, ich weiß zwar nicht recht, was OK ist, aber es gibt sie.7

Ein wichtiges Argument für die Einführung war der Umstand, dass die Nachbarlän­der der Schweiz schon seit längerer Zeit Organisationstatbestände in das Strafgesetz aufgenommen haben, insbesondere Deutschland mit §129 und §129a StGB, die Betei­ligung an einer kriminellen und die Beteiligung an einer terroristischen Organi­sation. Im deutschen Strafrecht tritt die Nähe dieser Delikte zu „politischer Krimina­lität“ viel deutlicher in Erscheinung als in der Schweiz. Bis zur Inkraftsetzung des Art. 260ter StGB konnte die Schweiz in solchen Verfahren mangels Vorliegens des Erfordernisses doppelter Strafbarkeit weder Rechtshilfe leisten noch ausliefern.8 Die ausländischen Behörden mussten in ihren Rechtshilfegesuchen Tathandlungen des klassischen Strafrechts geltend machen.9

Nach wie vor bestehen aber die Befürchtungen, die Bestimmung könnte zu einer rechtspolitisch bedenklichen Ausweitung der strafprozessualen und polizeilichen Zwangsmittel missbraucht werden oder sich zu einer Verdachtsstrafe entwickeln, die dann zum Zuge kommt, wenn sich nichts beweisen lässt.10 Die Norm sei zu unbe­stimmt, die Kur könnte schlimmer sein als die Krankheit etc. Diese Bedenken konn­ten bis heute nicht ausgeräumt werden, sondern erhalten bei der Analyse der vorlie­genden Fälle weitere Nahrung. Symptomatisch für die Unklarheiten des Straftatbe­standes ist die Empfehlung Trechsels in seinem Kommentar an den Richter: „Der Richter sollte sich eher an den Leitbildern orientieren, die dem Gesetzgeber vor­schwebten, also insbesondere Bekämpfung der Mafia und ähnlicher Phänomene (Drogenringe, Sem.jud. 1997 4), als versuchen, durch Auslegung eng am Wortlaut originelle Eigenständigkeit zu entwickeln.“11 Empfohlen wird also eine Definition basierend auf der kriminologischen Umschreibung des organisierten Verbrechens anstelle einer wörtlichen Auslegung. Diese kriminologische Umschreibung ist jedoch alles andere als klar, wie in den Abschnitten vier bis sechs dieser Arbeit gezeigt wird. Außerdem wird so die Definitionsmacht der Strafverfolgungsbehörden über die Maße ausgeweitet, bis hin zur Bankrotterklärung der richterlichen Kompetenz.

Der Rechtsanwalt Garbade sieht auch die Gefahr einer durch die Konzentration auf das „Vorfeld“ von Straftaten hervorgerufenen ungünstigen Mentalitätsentwicklung bei den Strafverfolgungsbehörden: „Und schließlich noch ein Hinweis auf eine Ge­fahr, die Gefahr die ich spüre, dass das Syndrom von Artikel 260ter sich auswei­tet auf die gesamte Strafverfolgungsmentalität. Wir haben gesehen, dass bei der Verfol­gung, dass bei Anwendung von Artikel 260ter, wenn man nicht von einer konkreten Straftat ausgeht, sondern von einer Vermutung, die Strafuntersuchung wird nicht mehr durch eine Straftat iniziiert, auch mit Geldwäscherei das gleiche, es geht um eine Vermutung, und von da an gibt es verdeckte Ermittlung, Überwachung usw., um einen Tatverdacht zu erhärten. Also man geht nicht mehr von einer konkreten Straf­tat aus, man sucht die Straftat, man glaubt sie zu erkennen und man fängt an zu er­mitteln. Die Gefahr, die ich sehe, ist, dass diese Mentalität, schon einzugreifen bevor überhaupt eine Straftat besteht, sich ausweitet auf andere Straftaten. Nur ein Bei­spiel. Es gibt einen Bezirksanwalt in Winterthur, Bezirksanwalt R, ist auch Kabaret­tist. Und der hat im Internet Annoncen aufgegeben: ‚Gesucht Jüng­linge zwischen 16 und 35 Jahren’. Da hat ein Zürcher Staatsanwalt Ermittlungen angefangen, bevor überhaupt eine Straftat begangen wurde und sich gefragt, ob Herr R nicht vielleicht auch nicht nur mit Personen zwischen 16 und 35 Jahren, son­dern auch mit minder­jährigen Personen unter 16 Jahren möglicherweise Sex gehabt haben könnte. Und das hat für diesen Bezirksanwalt, ich sage es Ihnen, sehr schwerwiegende Konse­quenzen gehabt. Und das zeigt mir einfach die Gefahr, wenn man so in die Mentali­tät kommt, man fängt an zu untersuchen bevor überhaupt eine Straftat besteht. Bei Artikel 260ter muss man so auch vorgehen, das gehört zum Straftatbestand. Aber das gibt eine Mentalität, die dann eigentliche Barrieren ab­bauen lässt: Man fängt auch bei anderen Straftaten zuerst einmal an zu grübeln, be­vor eine Straftat vor­liegt.“12

3.1.2 Rechtspraxis und Lehre

Die Lehre hat sich ausführlich mit den Tatbestandsmerkmalen beschäftigt, die Rechtsprechung hingegen hatte kaum ausreichend Gelegenheit die Praxis zu festi­gen, abgesehen von einigen obergerichtlichen Freisprüchen. Auffällig ist, dass auch niedere Gerichte Freisprüche ausführlicher und mit großem Engagement begründen, so das Kreisgericht Bern-Laupen in seinem Urteil vom 15.-17. Januar 1999:

„Dieser Straftatbestand (Art. 260ter StGB) wurde durch das Bundesgesetz vom 18.3.1994 eingefügt und ist seit 1.8.1994 in Kraft. Dieses sogenannte ‚zweite Paket gegen das organisierte Verbrechen’ folgt auf die Gesetzgebung gegen die Geldwä­scherei, die am 1.8.1990 in Kraft trat (Art. 305bis StGB), dem ‚ersten Paket’. Bis heute liegt keine höchstrichterliche Anwendung dieses Straftatbestandes vor, es ist demnach auf die Botschaft BBl III 277 ff und auf die bisher spärliche Literatur zu verweisen. Der neue Tatbestand der kriminellen Organisation bildet ein zentrales Element einer erfolgversprechenden Gesamtstrategie gegen das organisierte Verbre­chen. Wo der Einzelne als leicht austauschbares Element in einer hochgradig arbeits­teiligen, straff organisierten und bis zur Undurchdringlichkeit abgeschotteten Ver­brecherorganisation seinen Tatbeitrag leistet, müssen die traditionellen Zurech­nungskriterien des Einzelstrafrechts versagen (Botschaft, S. 19). Bereits aus dieser Formulierung erhellt, dass der Straftatbestand auf mafiöse Gruppierungen abzielt. Auch das Postulat der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 21.11.1989, mit welchem der Bundesrat beauftragte wurde, zu prüfen, welche orga­nisatorischen, personellen, finanziellen und rechtlichen Maßnahmen zu treffen sind, um die vernetzten, internationalen Verbrechensorganisationen wirksamer zu bekämp­fen (Botschaft S. 10), erlaubt entstehungsgeschichtlich diesen Schluss. Mark Pieth rät in ZStrR 1995, Band 113, ‚Das zweite Paket gegen das Organisierte Verbrechen, die Überlegungen des Gesetzgebers’, S. 234, dass die Praxis, nachdem nun Recht gesetzt worden sei, versuchen solle, getreu der ratio legis, die kriminelle Organisation restriktiv auf die Fälle zu beziehen, die als wesentlich gefährlicher [eingeschätzt] werden, als die herkömmliche Bande. Nach Arzt, ‚Organisierte Kri­minalität – Bemerkungen zum Maßnahmenpaket des Bundesrates vom 30. Juni 1993’, in AJP 1993, S. 1187, ist der Organisations-Tatbestand nur eine nützliche Ergän­zung der traditionellen Aufklärungsmethoden, keine Alternative. Im Kontext der gegen Finanzierung des Drogenhandels und der Geldwäscherei gerichteten Straftatbestände sei die Erfahrung gemacht worden, dass sie nicht einmal primär gegen, die ‚großen Fische’ angewandt werden, an die der Gesetzgeber eigentlich gedacht hatte, sondern dass nur allzu oft atypische ‚kleine Fische’ in den Maschen hängen blieben (Arzt, a.a.O., S. 1187), auch Randnote 9, nach welcher die erste rechtskräftige Verurteilung wegen Geldwäscherei einen kleinen Drogenkonsumenten betraf, der angesichts einer drohenden Razzia in der offenen Szene Geld eines Händlers versteckte. Angesichts solcher Erfahrungen, so Arzt weiter, hätten wir nun Gelegenheit, den jetzt (1993) vorgeschlagenen Organisations-Tatbestand auf uner­wünschte Anwendung auf relative Bagatellfälle zu überdenken. Banden und andere lockere kriminelle Organisationen fielen nicht unter die organisierte Kriminalität, wie sie dem Gesetzgeber in ihrer kriminologischen Umschreibung vor Augen stehe (Arzt, a.a.O., S. 1188). Das Gericht geht demnach davon aus, dass Art. 260ter StGB restriktiv auszulegen ist.“

Der objektive Tatbestand des Art. 260ter StGB umfasst vier Elemente:

a) Die Organisation.

b) Die Geheimhaltung des Aufbaus und der personellen Zusammensetzung.

c) Die Zweckverfolgung der Begehung von Gewaltverbrechen.

d) Die Tathandlung, die in der Beteiligung an der Organisation oder aber in der Unter­stützung der verbrecherischen Tätigkeiten der Organisation besteht.

a) Organisation

Um eine kriminelle Organisation zu bilden, müssen sich mindestens drei (h.M.) bis sieben (Arzt, a.a.O.) Personen zusammenschließen, um auf Dauer arbeitsteilig und planmäßig tätig zu werden. Die Anzahl der erforderlichen Mitglieder ist umstritten, es liegt bisher kein entsprechender Entscheid des Bundesgerichts vor. In einer Bande wirken ganz bestimmte Personen zusammen, bei einer kriminellen Organisation können die Mitglieder ausgewechselt werden, ohne dadurch der Bestand der Organi­sa­tion zu gefähr­den. Die kriminelle Organisation hat eine hierarchische, autoritäre und arbeitsteilige Struktur. Die Beweisanforderungen sind höher als bei einer Bande.13 Das Bestehen der sowie die Teilnahme an oder die Unterstützung einer kriminellen Organisation muss eindeutig und unzweifelhaft nachgewiesen werden.

Die Organisation ist das zentrale Tatbestandsmerkmal. Bei der kriminellen Organi­sation geht es um den dauerhaften Zusammenschluss einer Personenmehrheit mit der Zielsetzung, Gewinne sowie wirtschaftliche und politische Macht zu erlangen. Der­artige kriminelle Vereinigungen verfügen entweder über eine hierarchische Organi­sationsstruktur, gekennzeichnet durch straffen Führungsstil, Disziplin der Mitglieder und durch planmäßiges arbeitsteiliges Vorgehen oder über eine Netzwerkstruktur.14

b) Geheimhaltung

Die Geheimhaltung, die fehlende Transparenz der Organisation ist ein wesentliches Tatbestandsmerkmal, das der Abgrenzung krimineller Organisationen von legalen Organisationen dient, in denen ebenfalls kriminelle Handlungen geschehen können oder geplant werden.

Betreffend Geheimhaltung des Aufbaus und der inneren Zusammensetzung sprechen Botschaft und Lehre von einer „qualifizierten, systematischen Abschottung“ mittels strengster Geheimhaltungspflichten der Mitglieder. Erforderlich ist, dass die Grup­pennormen bisweilen mit brutalen Mitteln durchgesetzt werden.15 Nach Pieth muss es klar mehr sein, als das praktisch bei allen Straftätern bestehende Bemühen, ihre Verbindungen und Verflechtungen geheim zu halten. Sinngemäß sei darunter die süditalienische Omertà zu verstehen.16

Mit dem Tatbestandsmerkmal der Geheimhaltung des Aufbaus und der inneren Zu­sam­mensetzung der Organisation, versuchte der Gesetzgeber eine Abgrenzung der kriminellen Organisation von legalen Organisationen oder wirtschaftlichen Betrie­ben, in deren Bereich gelegentlich auch Delikte begangen werden. Gemeint ist die qualifizierte, systematische Abschottung, die insbesondere durch strengste Geheim­haltungspflichten der Mitglieder und brutalste Durchsetzung dieser Normen erreicht wird.17

Ein bloßes Geheimhaltungsversprechen reicht nicht. Es bedarf einer systematische Abschirmung gegen Strafverfolgungsmaßnahmen und des systematischen Einsatzes von Gewaltanwendung und Einschüchterung.18

Die Geheimhaltung der personellen Zusammensetzung könnte die Anklagebehörde jeweils ohne große Beweisschwierigkeiten darlegen. Eine qualifizierte Geheimhal­tung liegt vor, wenn eine interne Geheimhaltungspolitik verfolgt wird, wenn die Mitglieder nur einige andere Mitglieder kennen und andere weder der Person noch der Funktion nach kennen und kennen sollen. Besteht dagegen nur eine externe Ge­heim­haltung, wie es bei einer kleinen, hochgefährlichen, Gewaltverbrechen pla­nenden Organisation ohne weiteres vorstellbar ist, folgt eine solche Geheimhaltung schon aus der Zielsetzung.19

Jedenfalls geheim ist die Organisation, wenn interne Geheimhaltung besteht. Sollen sich die Mitglieder untereinander nicht kennen, ist auch der Aufbau der Organisation undurchsichtig. Bei einer bloß externen Geheimhaltung ist die Organisation geheim im Sinn des Art. 260ter StGB, wenn sie bei Bruch der Geheimhaltung systematisch schwerwiegende Sanktionen gegen Verräter aus ihren eigenen Reihen ergreift.

c) Gewaltverbrechen und Bereicherung als Ziel

Zweck der kriminellen Organisation nach Art. 260ter StGB ist, Gewaltverbrechen zu begehen oder sich mit verbrecherischen Mitteln zu bereichern. Dabei muss dies nicht der einzige Organisationszweck sein, was die Abgrenzung zu legalen wirtschaft­li­chen Unternehmen erschwert. Diese können sich zur Durchsetzung ihrer Interessen und zur Bereicherung ebenfalls gelegentlich verbrecherischer Mittel bedienen, ohne eine kriminelle Organisation zu sein.20

Die verbrecherische Zielsetzung der Organisation ist objektives Tatbestandsmerk­mal. Art. 260ter StGB nennt Gewaltverbrechen und Bereicherung mit verbreche­ri­schen Mitteln. Diese Umschreibung sollte, ähnlich dem Kriterium der Geheimhal­tung, sicherstellen, dass der Tatbestand nur auf besonders gefährliche Organisationen angewandt wird. Gewaltverbrechen sind die mit Zuchthaus bedrohten Delikte, bei denen Gewalt im strafrechtlichen Sinn angewendet wird.21

Der Zweck der Bereicherung mit verbrecherischen Mitteln bezieht sich auf das orga­nisierte Verbrechen im engeren Sinn. „Verbrecherisch“ ist im technischen Sinne zu verstehen, es muss sich um mit Zuchthaus bedrohte Delikte handeln.

d) Tathandlung: Beteiligung oder Unterstützung

Beteiligung an der kriminellen Organisation oder deren Unterstützung sind alterna­tive Tathandlungen. Beteiligt ist, wer sozusagen als ständiger „Insider“ in der Orga­nisation integriert und dort im Umkreis von Verbrechen tätig ist. Ob eine leitende oder eine untergeordnete Stellung eingenommen wird, ist nur für die Strafzumessung von Belang.

Unterstützung ist definiert als die Tätigkeit des „Outsiders“, der die kriminellen Akte der Organisation unmittelbar fördert. Es geht um Mittelspersonen in legalen Unter­nehmungen, Lieferanten, Schmuggler etc. Im Unterschied zur Gehilfenschaft muss ein kausaler Tatbeitrag im Hinblick auf ein konkretes Delikt nicht nachgewiesen werden.22

Bei der Unterstützung fällt es den Strafverfolgungsbehörden in der Praxis besonders schwer, der ratio legis gerecht zu werden. Dies zeigt insbesondere der durch die Zür­cher Bezirksanwaltschaft zur Anklage aufgrund Art. 260ter StGB gebrachte Fall einer Prostituierten, die für eine kriminelle Organisation auf den Strich gegangen sein soll (siehe Falldarstellung in Abschnitt 6.10).

Bei der Bejahung der Existenz der kriminellen Organisation bleibt immer fraglich, ob die Sachverhalte überhaupt zusätzlicher Schuldsprüche wegen Art. 260ter StGB zugänglich sind. Die Frage der Konkurrenz muss geprüft werden; denn wenn dem Täter (auch) die strafbare Beteiligung an den von der Organisation verübten Verbre­chen selbst zur Last gelegt werden kann und sich seine Mitwirkung in dieser Beteili­gung erschöpft, wird Art. 260ter StGB konsumiert.23

Subjektiv wird Vorsatz verlangt. Der Täter muss wissen, dass er sich an einer krimi­nellen Organisation beteiligt bzw. eine solche unterstützt. Nach dem Grundsatz der Parallelwertung in der Laiensphäre, braucht er die gesetzliche Definition nicht zu kennen. Er muss aber bezüglich seiner Tathandlung zumindest eventualvorsätzlich damit rechnen, dass sie der kriminellen Zwecksetzung der Organisation dient.24

3.1.3 Zweck der Norm

In der juristischen Diskussion wird deutlich, dass die Strafbarkeit der kriminellen Organisation bestimmt nicht aus einer dogmatischen Notwendigkeit, sondern auf politischen Druck interessierter Kreise, in erster Linie aus den Bedürfnissen der Strafverfolgungsorgane unter der Vorgabe der Bekämpfung der organisierten Krimi­na­lität entstanden ist. In der justiziellen Praxis ist Art. 260ter StGB kaum zu gebrau­chen, vielleicht mit Ausnahme der Anknüpfungspunkte, die er bei Auslieferung, Rechtshilfe und Beweislastumkehr bei der Vermögenskonfiskation bietet. In der poli­zeilichen Praxis und in der Legitimation von Maßnahmen in der öffentli­chen Diskussion spielt er jedoch eine wesentliche Rolle.

Die Entwicklung des Rechts, welches Organisation, Datensammlungen und -bestän­de der Polizei und die rechtlichen Grundlagen für die Ermittlungstätigkeit der Straf­behörden regelt, hat sich in den letzten zehn Jahren enorm entwickelt. Immer neue Datenbestände wurden legitimiert und erweitert und immer mehr Ermittlungs­me­tho­den, die ursprünglich in erster Linie von den Geheimdiensten verwendet wurden, sind in das Instrumentarium der Kriminalpolizei überführt worden. Begrün­det wur­den alle Vorlagen und Rechtsänderungen in erster Linie mit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Diese Entwicklung und deren rechtliche Grundlagen sind im Abschnitt über die Polizei (3.3) dargestellt. Am 1. Januar 2002 traten im Rahmen des „Dritten Maßnahmepaketes zur Bekämpfung des organisierten Verbre­chens“ Rege­lungen in Kraft, die den Betrieb eines integrierten polizeilichen Infor­mations­systems unter Einschluss bestimmter geheimdienstlicher Bereiche25 und einer Bundes­polizei mit umfangreichen kriminalpolizeilichen Befugnissen ermöglichen.26

3.2 Justiz