Frauenhandel Kap. 5 Rahel Zschokke

Rechtsprechung und beurteilte Sachverhalte

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© ProLitteris, Rahel Zschokke

5. Rechtsprechung

5.1. Grundlage

Die Gerichte entwickeln ihren Diskurs zur Urteilsfindung anhand des Einzelfalls. Die Würdigung des konkreten Falles verlangt neben der Befolgung der jeweiligen Prozessordnung die Interpretation der anwendbaren Gesetze unter Beizug von Referenzen. Bei Gerichtsurteilen sind vier Quellen von Referenzen zu unterscheiden:

– die Lehre
– die Rechtstradition
– der Wille des Gesetzgebers
– die Urteile von anderen Gerichten, allen voran die Entscheide des Bundesgerichts (BGE).

Der empirische Anspruch verlangt bei der Darstellung der Gerichtsfälle die Nachvollziehbarkeit der Urteilsfindung, wenn die Analyse und Interpretation von Gerichtsakten valide sein soll. Die soziologische Methodik fordert eine vom Einzelfall abstrahierende Darstellung der Argumentationsstränge, die unter Verzicht auf fallbezogene und detailgetreue Redundanzen den Blick auf die Skizze von analytischen Kategorien richtet. Eine im Kontext der Fälle belassene Klärung der wichtigsten Rechtsbegriffe, die in den Gerichtsakten angesprochen werden, führt in die thematische Diskussion der Urteilsfindung ein.

5.2 Rechtsbegriffe
5.2.1 Der Begriff des Handels

Nach Art. 196 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer mit Menschen Handel treibt, um der Unzucht eines anderen Vorschub zu leisten.

Es liegt keine allgemein gültige juristische Definition von Handel vor, auch fehlt ein einheitlicher Begriff im Strafgesetzbuch. Die Auslegung nach BGE 81 IV 36 (Begriff des Handeltreibens mit gefälschten Ausweisen) und BGE 96 IV 118 (Begriff des Frauenhandels nach dem alten Menschenhandelsartikel) (488) ist für die aktuellen Fälle nicht unbestritten. Im Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt vom 18. April 1996 fragten sich die Richter, ob bereits das einmalige Vermitteln von zwei Frauen an ein Bordell als Handeltreiben im Sinne des revidierten Artikels über Menschenhandel zu qualifizieren sei. Das Bundesgericht befasste sich nach der Gesetzesrevision bis dahin noch nicht mit dieser Frage, führte aber nach altem Recht den Tatbestand so aus, dass derjenige, der nur ein einzelnes Geschäft abschließt und weitere auch nicht beabsichtigt, nicht als Händler gilt. (489) Entgegen der Ansicht von Stratenwerth (490) wollten die Basler Richter diese Definition jedoch nicht auf den revidierten Artikel über Menschenhandel übertragen, da sich der Begriff des Handelns in jenem Urteil auf das gewerbsmässige Fälschen von Ausweisen und das Handeltreiben mit gefälschten Ausweisen bezieht. Deshalb geben sie der Ansicht von Rehberg der Vorzug, (491) wonach das Tatbestandsmerkmal des Handeltreibens mit Menschen schon mit dem Abschluss eines einzigen Vermittlungsgeschäfts erfüllt sei.

Zum gleichen Schluss gelangt das Zürcher Obergericht am 2. Okt. 1997. Nach Art.196 StGB sei zu bestrafen, wer auch nur einen einzigen Menschen selbst mit seinem Einverständnis einem Dritten zur möglichen Prostitution zuführt.

Für das Kreisgericht X in Thun gehören zum Handel alle Akte, die der Sprachgebrauch auch sonst darunter versteht, so z.B. das Beschaffen der „Ware“, die Entgegennahme, der „Transport“, die Übergabe an andere usw., einschließlich aller Verhandlungen, die dabei etwa zu führen sind. Handel treibt, wer Geschäfte dieser Art wiederholt abschließt oder abzuschließen beabsichtigt (Urteil vom 24. Juni 1997). Zum Begriff des Handeltreibens gehört für das Kreisgericht Thun in jedem Falle, dass der Täter materielle Vorteile verfolgt (Stratenwerth: 19ff).

Das Bundesgericht präzisiert am 29. April 2002 (BGE 128 IV 117), dass der Tatbestand des Menschenhandels in der Regel erfüllt sei, wenn junge Frauen, die aus dem Ausland kommen, unter Ausnützung ihrer schwierigen Lage zur Ausübung der Prostitution in der Schweiz engagiert werden. Das Gericht nimmt einen Tessiner Fall zum Anlass, die Anwerbung und den Transfer von Prostituierten ins eigene Etablissement neu zu erwägen. Aufgrund der Rechtstradition und der Rechtsprechung seien zwei Interpretationen von Handel möglich, ein engerer, der sich auf Sachen bezieht und ein erweiterter Begriff, der sich auf Menschen bezieht. Dabei schließt der in einem grammatikalischen Sinn erweiterte Begriff sowohl den Handel mit nur einem Menschen ein als er sich auch in einem inhaltlichen Sinn auf die direkte oder indirekte Begünstigung von Unzucht eines anderen bezieht. (492) Aus Gründen der internationalen Gesetzesharmonisierung und der internationalen Abkommen folgt die Schweizer Rechtsprechung mit diesem Urteil dem weiter gefassten Begriff des Handels.

5.2.2 Eigenbedarf und Akzessorietät

Die Rechtslehre war sich bis anhin einig, dass jemand, der Frauen für das von ihm betriebene Bordell anwirbt, nicht wegen Menschenhandels verurteilt werden kann. Diese Meinung vertrat im Jahre 1996 auch das Bezirksgericht Bülach im Fall E., der die Einreise der genannten Frauen für sein eigenes Bordell geplant, organisiert und finanziert hat (vgl. u.a. „Frauenhändler im großen Stil“, Kap. 5.4.4). Dritte, für welche die betroffene Person der Prostitution nachgehen soll oder die sie als Sexualobjekt für sich selber einsetzen will, sind demnach nicht Händler. Könnte E. selbst wegen Menschenhandels verurteilt werden, würde einer Verurteilung der Scheinehemänner wegen Gehilfenschaft zu Menschenhandel nichts im Wege stehen. Da die Täterschaft von E. jedoch ausgeschlossen wurde, entfällt mangels Akzessorietät auch eine allfällige Gehilfenschaft. (493)

Das Bundesgericht änderte am 29. April 2002 die Spruchpraxis und entschied, dass die Anwerbung von Prostituierten im Ausland für das eigene Bordell in der Schweiz neu den Straflatbestand Menschenhandel erfüllt (BGE 128 IV 117).

5.2.3 Motivation des Täters

Eine Voraussetzung für das Handeltreiben mit Menschen ist die Absicht, materielle Vorteile zu erzielen. Dabei spielt die Höhe des erwarteten Profits oder ob der Täter den erwarteten Gewinn auch realisieren kann, keine entscheidende Rolle.

5.2.4 Einverständnis der Prostituierten

Es stellt sich die Frage, ob der revidierte Artikel „Menschenhandel“ überhaupt anwendbar sei, wenn die vermittelte Person mit der Vermittlung in ein Bordell einverstanden gewesen ist. Stratenwerth verneint dies unter Hinweis auf die Grundgedanken, die der Revision des Sexualstrafrechts zugrunde lägen, da in einem solchen Fall die Selbstbestimmung der Betroffenen nicht tangiert werde (Stratenwerth: 174). Von Menschenhandel solle nur dort gesprochen werden, wo über Menschen wie Objekte verfügt wird, weil sie ahnungslos oder nur mangelhaft informiert oder aus irgendwelchen Gründen außerstande seien, sich zu wehren.

Das Zürcher Obergericht wollte am 2. Oktober 1997 klären, ob der Tatbestand des Menschenhandels auch für Fälle gilt, in denen die Betroffenen mit dem Handel einverstanden sind. Stratenwerth (1995: 174) verneint dies, Rehberg/Schmid (494) vertreten die Ansicht, der Tatbestand des Menschenhandels könne auch erfüllt sein, wenn die betroffenen Personen nicht gegen ihren Willen vermittelt würden oder wenn sie im Hinblick auf die von ihnen auszuübende Tätigkeit als Prostituierte nicht ahnungslos seien (Rehberg/Schmid, 1994: 401). Die gleiche Ansicht vertritt auch die Botschaft zur Revision des Sexualstrafrechts. Unter dem Titel „Anwerben als Teilakt des Handeltreibens“ wird dort gesagt, dass als Opfer des Handeltreibens nicht nur Personen gelten, die in Bezug auf das Schicksal, das sie erwarte, ahnungslos seien. Erfasst werde auch, wer Prostituierte anwerbe, die voll einverstanden seien (Botschaft: 1086). Diese Vorgabe stimmt auch mit den internationalen Abkommen überein. (495)

Im Fall des Zuhälters und Bordellbesitzers Goran, der junge Frauen im Ausland für seinen Betrieb (vgl. Kap. 5.5.1 „Callgirl-Ring“) anwarb und anwerben ließ, verzichtete die Bezirksanwaltschaft Zürich auf die Anklage wegen Menschenhandels und klagte nach Art. 195 StGB, Förderung der Prostitution an (Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 31. Januar 2001). Das gleiche Prinzip wendete die Staatsanwaltschaft in Chur im Fall „erotische Wellness“ (Kap 5.5.5) für die Hauptangeklagten an, die ebenfalls junge Frauen im Ausland zwecks Tätigkeit als Prostituierte in einem Sauna-Club anwarben und anwerben ließen. Das Bundesgericht stützt den Freispruch des Kantonsgerichts Graubünden vom 12./13. Juli 1999 am 24. Januar 2000 (BGE 126 IV 76) mit folgender Begründung: Die Strafbarkeit der Förderung der Prostitution setzt voraus, dass auf die Prostituierte ein gewisser Druck ausgeübt wird, dem sie sich nicht ohne weiteres entziehen kann, so dass sie in ihrer Entscheidung, ob und wie sie dem Gewerbe nachgehen will, nicht mehr vollständig frei ist, und dass die Überwachung oder die bestimmende Einflussnahme ihrem Willen oder ihren Bedürfnissen zuwiderläuft. (496) Nach übereinstimmender Auffassung in der Lehre ist das Führen eines Bordells für sich allein nicht generell als Ausnützung der Abhängigkeit der darin tätigen Prostituierten anzusehen. Entscheidender Gesichtspunkt sei aber auch hier, ob und in welchem Maß die Handlungsfreiheit der Betroffenen eingeschränkt ist.

Das Bundesgericht präzisiert am 29. April 2002 (BGE 128 IV 117) dass die Einwilligung der Prostituierten in diese Tätigkeit nicht wirksam sei, wenn sie, wie im beurteilten (Tessiner) Fall, durch die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse bedingt sei. Es präzisiert den Begriff der wirksamen Einwilligung: „Il consenso formale della vittima non basta, è imperativo accertare che tale consenso sia effettivamente libero da costrizioni.“ Denn „nel caso di donne che si prostituiscono, la loro libertà all’autodeterminazione sessuale non & infranta se acconsentono al trasferimento da un postribolo all’altro con l’aiuto di un mediatore. Questo principio vale, tuttavia, solo se esse si dedicano spontaneamente alla prostituzione. […] Una simile analogia (mit anderer Arbeit) deve tuttavia essere relativizzata tenendo presente la peculiarità del settore del prostituzione.“ Diese Besonderheit wird später umschrieben als siruazione di vulnerabilita.

5.2.5 Das geschützte Rechtsgut

Strafnormen stellen Rechtsgüter wie etwa Eigentum oder körperliche Integrität unter Schutz. In der Regel differenzieren die Ausführungen der Norm verschiedene Möglichkeiten der Verletzung, was einer Operationalisierung des Rechtsgutes entspricht. Auf diese Weise wird der Prozess der Subsumtion eines konkreten Falles unter die entsprechende Norm möglich. Bei der vorliegenden Thematik kommen verschiedene Rechtsgüter ins Spiel. Trechsel zufolge war der Leitgedanke der Revision, das strafbare Verhalten konsequent am Rechtsgüterschutz auszurichten. „Strafbar soll ein Verhalten nur noch sein, wenn es ein klar umrissenes und schutzbedürftiges Rechtsgut schädigt oder gefährdet, während bloß moralwidrige Handlungen straflos bleiben“ (Schultz: 248; Botsch. 1064). Vorab wurde in der Überschrift der moralisierende Begriff Sittlichkeit (Botsch. 1064) durch den Begriff sexuelle Integrität ersetzt. Das revidierte Sexualstrafrecht will vornehmlich zwei Rechtsgüter schützen: Die sexuelle Selbstbestimmung und die ungestörte sexuelle Entwicklung Unmündiger. (497)

5.3 Referenzen der Urteilsfindung
5.3.1 Rechtslehre und Kommentare

Die Kommentare prüfen die Gesetze bezüglich Subsumierbarkeit von menschlichem Verhalten unter eine Strafnorm und schlagen mögliche Interpretationen und Operationalisierungen von Gesetzen vor. Führende Rechtswissenschafter äußern sich zum Begriff des Handeltreibens (Stratenwerth, Rehberg/Schmid), zu Freiwilligkeit und sexueller Selbstbestimmung (Stratenwerth, Rehberg/Schmid, Jenny, Trechsel) und zu Prostitution (Stratenwerth, Jenny, Trechsel). In seinem Kommentar unterlegt Trechsel generell das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung, u.a. bei sexueller Nötigung (Art. 189 StGB) und bei Ausnützung der Notlage (Art. 193 StGB) — bei Vergewaltigung (Art. 190 StGB) die sexuelle Selbstbestimmung der Frau (Trechsel: 712ff).

Zum Art. 195 StGB, Förderung der Prostitution, unter dem Titel Ausnützung sexueller Handlungen, führt Trechsel mit Referenz auf die Botschaft (Botsch.: 1082) aus, dass das geschützte Rechtsgut nur noch das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der prostituierten Person sei, wobei die Einflussnahme auf deren Willen mit Begriffen umschrieben ist, die nicht die Intensität der Nötigung ausdrücken (Trechsel: 730f.). Als Beispiel von Ausnützung der Abhängigkeit nennt Jenny zwar die Unbeholfenheit mittelloser Ausländerinnen, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in die Schweiz gelockt wurden, aber beim „Zuführen um eines Vermögensvorteils wegen“, wo das Tatbestandsmerkmal mit dem Motiv des Täters verschmilzt (Botsch.: 1084), muss der Täter das Opfer unter erheblichen Druck setzen. Stratenwerth zufolge besteht der Zweck der Strafbestimmung von Art. 195 Abs. 3 StGB in der Wahrung
berechtigter Interessen der Prostituierten, namentlich ihrer Freiheit.” Er beruft sich auch auf den Grundgedanken von Art. 195 StGB, der darin bestehe, den Einzelnen davor zu schützen, dass er zur Prostitution gebracht wird, durch sie ausgebeutet oder an der Rückkehr in ein normales Leben gehindert wird. Nach Stratenwerth ist das Schutzobjekt dieser Bestimmung demnach nicht die öffentliche Ordnung oder Sittlichkeit. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit der Strafnorm von Art. 195 StGB den Menschen vor und in einer ihn erniedrigenden Lebensform schützen.

Zu Art. 196 Menschenhandel führt Trechsel (732) aus, dass die Bekämpfung der Prostitution ein Kampf gegen Windmühlen und kein Ziel des revidierten Sexualstrafrechts sei. Deshalb sieht er auch nicht ein, inwiefern strafwürdig handelt, wer als Stellenvermittler Provisionen einsteckt. Da sich der Tatbestand an internationalen Übereinkommen orientiert, soll die Bestimmung gemäß Botschaft auch Prostituierte schützen, „die voll einverstanden sind, z.B. das Etablissement zu wechseln“ (Botsch.: 1086). Zustimmend äußern sich dazu Rehberg/Schmid, während Jenny und Trechsel mit Stratenwerth einig gehen, der ablehnend formuliert: „Nur ein Handeln gegen den Willen einer wahrheitsgetreu informierten Person kann als A ngriff auf ein Rechtsgut pönalisiert werden“ (BT 1 $ 9 N 18).

Einig sind sich die Kommentatoren mit der Botschaft darin, dass nur Betroffene erfasst sind, die der Prostitution zugeführt werden. Nicht erfasst ist der Handel zu anderen Zwecken, z.B. der Handel mit ausländischen Arbeitskräften (Botsch.: 1086).

5.3.2 Ratsprotokolle

Die Ratsprotokolle geben die Debatten zu einem neuen Gesetz oder zu Revisionen in den Räten (National- und Ständerat) in überarbeiteter Form wieder, aber sinngemäß mit Namensnennung in der Publikation „Amtliches Bulletin“ (AB). Die Debatten konzentrierten sich nebst Schutz von Minderjährigen auf die Etablierung des Straftatbestands Vergewaltigung in der Ehe und damit zusammenhängend auf die sexuelle Selbstbestimmung der Frau als geschütztes Rechtsgut. Die revidierten bzw. neuformulierten Artikel über Menschenhandel (Art. 196 StGB) und Förderung der Prostitution (Art. 195 StGB) akzeptierten die Räte beider Kammern diskussionslos. Das heißt, die Problematik des Rechtsgutes bei Freiwilligkeit der Prostitutionsmigration, die aufgrund von wirtschaftlichen Notlagen vor allem Frauen, Mädchen und junge Männer aus Asien, Afrika, Südamerika und Osteuropa, aber auch Personen aus Westeuropa betrifft, wurde von den Räten nicht wahrgenommen.

5.3.3 Botschaft des Bundesrats

Die Botschaft des Bundesrates zum neuen Sexualstrafrecht formuliert deutlich, dass die Norm (Art. 196 StGB) auch erfasst, wer Prostituierte anwirbt, die voll damit einverstanden sind. (499)

5.3.4 Internationale Übereinkommen

Art. 1 des Internationalen Übereinkommens über die Unterdrückung des Handels mit volljährigen Frauen vom 11. Oktober 1933 bestimmt u.a., dass derjenige, der eine Frau anwirbt, um der Unzucht eines anderen Vorschub zu leisten, selbst dann bestraft werden soll, wenn die | Frau ihre Einwilligung erteilt hat. Diese Ansicht vertritt in der Lehre auch Rehberg. (500)

In den Ausführungen zum Tatbestand des Menschenhandels hält das Zürcher Obergericht (2. Okt, 1997) fest, dass angesichts der von der Schweiz ratifizierten internationalen Konventionen die Expertenkommission die Vorschrift möglichst zurückhaltend ändern wollte. (501) Danach soll, wie bisher schon, dem international tätigen, organisierten Händlerwesen der Riegel geschoben werden, welches insbesondere den Nachschub „lebender Ware“ für die Bordelle aller Welt besorgt. Es gehe nicht primär darum, die Prostitution als solche zu bekämpfen, sondern es gehe um den Schutz allfälliger Opfer.

Das Bundesgericht argumentiert, dass internationales Recht vor nationalem Recht den Vorrang habe, besonders, wenn es sich um Menschenrechte handle (BGE 128 IV 117). Allerdings bestehe ein ungelöster Konflikt, wenn eine entsprechende Bestimmung im Landesrecht fehle, da der Grundsatz nullum crimen sine lege die Strafbarkeit eines Verhaltens allein auf der Grundlage eines Staatsvertrags jedenfalls dann ausschließe, wenn dieser nicht direkt anwendbar sei.

5.3.5 Entscheid des Europäischen Gerichtshofs

In Sachen Rezguia Adoui und Dominique Cournaille gegen den Belgischen Staat wird der Fall von zwei französischen Staatsangehörigen verhandelt, denen die Aufenthaltserlaubnis verweigert wurde, weil sie der Prostitution nachgingen. In Belgien ist Prostitution nicht verboten. Der Gerichtshof war der Meinung, dass die Verweigerung in diesem Falle nicht zulässig sei. (502) In der Begründung heißt es: „In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Rückgriff einer nationalen Stelle auf den Begriff der öffentlichen Ordnung voraussetzt, dass eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung besteht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Auch wenn das Gemeinschaftsrecht der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beurteilung von Verhaltensweisen, die als im Widerspruch zur öffentlichen Ordnung angesehen werden können, keine einheitliche Werteskala vorschreibt, so ist doch festzustellen, dass ein Verhalten nicht als hinreichend schwerwiegend betrachtet werden kann, um im Gebiet eines Mitgliedstaats Beschränkungen der Einreise oder des Aufenthalts eines Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats zu rechtfertigen, wenn der erstgenannte Staat gegenüber dem gleichen Verhalten, das von der eigenen Staatszugehörigkeit ausgeht, keine Zwangsmassnahmen oder andere tatsächliche und effektive Maßnahmen zur Bekämpfung dieses Verhaltens ergreift“ (EuGH zit. nach BfA 2002: Rn.8, S. 9).

5.3.6 Bundesgerichtsentscheide

BGE 81 IV 36 (Begriff des Handeltreibens mit gefälschten Ausweisen): Nach altem Recht befand das Bundesgericht, dass derjenige, welcher nur ein einzelnes Geschäft abschließe und weitere auch nicht abzuschließen beabsichtige, nicht als Händler gelten könne.

BGE 96 IV 118 (Begriff des Frauenhandels nach dem alten Menschenhandelsartikel): Am 11. Dezember 1970 entscheidet das Bundesgericht nach altem Recht, dass die Anwerbung von Frauen in Abidjan (Cöte d’Ivoir) durch Frau X. für das eigene Etablissement kein Frauenhandel im Sinne des Art. 202 aStGB sei. Händler könne nicht sein, wer für das eigene Geschäft Frauen anwerbe. Die Annahme von Frauenhandel setze voraus, dass ein Dritter hinzutrete, welchem die angeworbenen Frauen überliefert würden. Demgegenüber vertrat die Staatsanwaltschaft Kt. Solothurn die Auffassung, dass der Begriff des Handeltreibens i.S. von Art. 202 aStGB weiter als der übliche Begriff des Handels gehe; denn Ziff. I der Bestimmung stemple bereits das Anwerben, Verschleppen oder Entführen zum Handel, d.h. das durch Art. 202 aStGB geschützte Rechtsgut liege bereits im Schutz der Frauen und Kinder davor, dass sie angeworben, verschleppt oder entführt würden, um der Unzucht zugeführt zu werden. Das Schutzbedürfnis der potenziellen Opfer hänge nicht davon ab, ob der Täter in Gewinnsucht Handel treibe. Art. 202 aStGB setze denn auch keine Gewinnsucht oder. Gewerbsmässigkeit voraus. Das Bundesgericht befand, dass sich beide Auffassungen vertreten lassen, entschied sich dann aber dafür, dass die Teilakte des Handeltreibens nur unter Art. 202 aStGB fallen können, wenn ihnen im Rahmen eines Frauen- oder Kinderhandels Bedeutung zukommt. Nicht schon jedes Anwerben, Verschleppen oder Entführen könne als Frauen- oder Kinderhandel verurteilt werden.

Mit BGE 126 IV 76 vom 24. Januar 2000 stützt das Bundesgericht die Auffassung des Kantonsgerichts Graubünden, das Anwerber und Arbeitgeber von ausländischen Prostituierten in einem Sauna-Club weder des Menschenhandels anklagt noch der Förderung der Prostitution schuldig spricht. Das Kantonsgericht beruft sich auf die Botschaft. (503) Danach soll die neue Vorschrift die Entscheidungsfreiheit der Person schützen, welche der Prostitution nachgeht, und zugleich Personen davor bewahren, gegen ihren Willen zur Prostitution verleitet zu werden. Die Menschen sollen vor und in einer sie erniedrigenden Lebensform geschützt werden (Stratenwerth 1995: 170). Nach Rehberg und Schmid (1997: 410) sowie unter Hinweis auf das Urteil des Zürcher Obergerichts vom 28. September 1998 (vgl. Kap. 5.5.2, Erfolg mit „Escort“) liegt der Zweck der neuen Bestimmung in der Wahrung berechtigter Interessen der Prostituierten, namentlich ihrer Freiheit. Mit Referenz auf Trechsel (1997, zu Art. 195 StGB), der den Tatbestand der Überwachung nur erfüllt sieht, wenn die Prostituierte aufgrund dieser Überwachung in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt wird und ihre Tätigkeit nicht mehr ihrem eigenen Willen entsprechend ausüben kann, ist für das Bündner Gericht der Tatbestand der Förderung der Prostitution für keinen der Angeklagten erfüllt. Für das Bundesgericht verletzt der Freispruch der Angeklagten nach den Feststellungen der Vorinstanz kein Bundesrecht. Eine bloße „betriebswirtschaftlich Kontrolle“, die mit der Prostituierten frei vereinbart worden ist und keine größere Abhängigkeit als die eines normalen Arbeitnehmers begründet, erfülle den Tatbestand des Überwachens nicht.

Mit BGE 126 IV 225 vom 27. September 2000 äußert sich das Bundesgericht zur umstrittenen Frage, ob nur ein Handeln gegen den Willen einer wahrheitsgetreu informierten Person als Angriff auf ein Rechtsgut bestraft werden könne. (504) Maßgeblich sei nicht der Buchstabe des Gesetzes, sondern dessen Sinn, der sich namentlich aus den ihm zu Grunde liegenden Zwecken und Wertungen ergebe, im Wortlaut jedoch unvollkommen ausgedrückt sein könne. Sinngemäße Auslegung könne auch zu Lasten des Angeklagten vom Wortlaut abweichen. Die Gesetzesrevision habe angesichts der von der Schweiz ratifizierten Konventionen auf diesem Gebiet möglichst zurückhaltend erfolgen sollen. Aus dieser Rechtstradition und der bundesrätlichen Botschaft gehe klar hervor, dass auch wegen Menschenhandel bestraft werde, wer Prostituierte angeworben habe, die voll damit einverstanden seien (beispielsweise das Etablissement zu wechseln). Da die erwähnten Konventionen heute noch anwendbar seien und aus dem Wortlaut der neuen Bestimmung keine Einschränkung des Schutzbereichs hervorgehe, sei es für eine Bestrafung wegen Menschenhandels nicht notwendig, dass die verletzten Personen gegen ihren Willen vermittelt wurden oder nur in Bezug auf die für sie vorgesehene Tätigkeit als Prostituierte ahnungslos seien.

Das Bundesgericht hält dagegen, dass die Darstellung in der Botschaft hinsichtlich des Grundgedankens der Revision nicht zu überzeugen vermöge, wonach es unerheblich sei, ob die betroffene Person überhaupt vor der Prostitution habe geschützt werden wollen. Denn wenn sie voll einverstanden sei, werde deren Selbstbestimmung nicht verletzt. Leitidee der Revision des Sexualstrafrechts (505) sei die Freiheit und die freie Selbstbestimmung jedes Menschen in sexuellen Dingen. Durch alle Parteien hindurch stimmten die parlamentarischen Wortmeldungen im Grundsatz darin überein, dass das neue Sexualstrafrecht nicht da sei, um Moralvorstellungen durchzusetzen, sondern um sexuelle Ausnützung zu verhindern und das sexuelle Selbstbestimmungsrecht einer jeden Person zu schützen. (506)

Das Gericht lässt mit Hinweis auf die Stossrichtung der Revision und die fehlende Diskussion in den eidgenössisachen Räten den Schluss nicht zu, (507) dass die Überlegungen in der Botschaft (508) dem Willen des Gesetzgebers entsprechen und damit mit Rehberg der Tatbestand Menschenhandel auch erfüllt sei, wenn die Prostituierten voll
einverstanden sind. Auf Menschenhandel sei nur zu erkennen, wenn das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person beeinträchtigt wird und dem Delikt überdies eine „gewisse Schwere“ zukommt. Die Richter folgen Stratenwerth, der nur dort von Menschenhandel spricht, „wo über Menschen wie über Objekte verfügt wird, weil sie ahnungslos oder doch mangelhaft informiert oder aus irgendwelchen anderen Gründen außer Stande sind, sich zu wehren“. (509) Sie finden aber Stratenwerths Umschreibung als erörterungsbedürftig. Die Verhältnisse in anderen Berufen, wo Vermittlungsdienste für einen Stellenwechsel gegen Entgelt in Anspruch genommen werden, könnten nicht ohne weiteres auf die Prostitution übertragen werden können. Es führt Diskriminierung und Doppelmoral an, der Prostituierte ausgesetzt seien und weist auf die vielfältigen Abhängigkeiten von Zuhältern, Bordell- und Salonbetreibern hin, die sich daraus ergäben, besonders bei Prostituierte, die sich illegal in der Schweiz aufhalten. Wo Abhängigkeitsverhältnisse der Betroffenen ausgenützt würden, sei keine Selbstbestimmung der Prostituierten gegeben. Daraus folge, dass nicht bloß auf das faktische Einverständnis abgestellt, sondern anhand der konkreten Umstände geprüft werden müsse, ob die Willensäußerung dem tatsächlichen Willen entspreche, auch bei angeblicher Zustimmung könne unter Umständen Menschenhandel vorliegen.

Mit BGE 128 IV 117 präzisiert das Bundesgericht am 29. April 2002, dass die Einwilligung der Prostituierten nicht wirksam sei, wenn sie, wie im beurteilten (Tessiner) Fall, durch die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse bedingt sei. Mit Hinweis auf die internationale Gesetzesharmonisierung und die internationalen Abkommen begründet das Bundesgericht im gleichen Urteil die maßgebliche Anwendung des weiter gefassten Begriffs von Menschenhandel. So fällt das Anwerben von Frauen aus dem Ausland für den eigenen Bordellbetrieb unter Strafe. Damit ändert das Bundesgericht die Spruchpraxis.

Die folgenden Seiten zeigen einen tabellarischen Überblick der Entwicklung der Spruchpraxis (nur in Print).


5.4 Verurteilt wegen Art. 196 StGB, Menschenhandel
5.4.1 Der arbeitslose Chauffeur

Der 1954 in Jugoslawien geborene Josic ist Chauffeur von Beruf, arbeitslos, geschieden und lebt in Basel. Er hat eine lose Beziehung zu einer Baslerin und ist verpflichtet, seiner geschiedenen Frau und den zwei Kindern, die auf dem Balkan leben, Unterhalt zu bezahlen. Er ist wegen Körperverletzung in Österreich vorbestraft.

Laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt lernten die beiden arbeitslosen Bulgarinnen Olga und Catalina Josic am 13. September 1995 in Varna kennen. Der Angeklagte habe ihnen für drei Monate Arbeit als Serviertöchter in der Schweiz versprochen und ihnen einen guten Verdienst in Aussicht gestellt. Am 14. September 1995 fuhren sie deshalb von Varna zunächst nach Sofia. Dort gaben Olga und Catalina dem Angeklagten ihre Pässe, da er ihnen zusicherte, die Visa für Österreich und die Schweiz zu besorgen. Nachdem sie in Sofia gemeinsam auf die Ausstellung der Visa gewartet hatten, fuhren Josic, Olga und Catalina nach Jugoslawien, ins Heimatdorf des Angeklagten. Während sie dort auf den Gültigkeitsbeginn der Visa warteten, wohnten alle im Haus von Josic, wo die Frauen nach ihren Angaben eingesperrt wurden. Am 24. September fuhren alle zusammen mit dem Bus nach Wien. Nach Angaben der Frauen eröffnete ihnen Josic erst jetzt, dass sie in der Schweiz nicht als Serviertöchter, sondern als Prostituierte arbeiten müssten. Für die Reise händigte Josic den beiden Frauen ihre Pässe wieder aus. Von Wien aus fuhren sie mit dem Zug weiter an die Schweizergrenze, wo sie nach Feldkirch zurückgewiesen wurden, da weder Olga noch Catalina gültige Visa für die Schweiz besaßen. Die Beamten des österreichischen Zolls wiesen Josic an, den beiden Frauen je 1500 Schilling für die Rückreise nach Bulgarien zu geben.

In der darauf folgenden Nacht passierten die drei bei Buchs zu Fuß illegal die Schweizergrenze und fuhren mit dem Auto von Josics Bekanntem, der bereits auf sie wartete, zur Freundin des Angeklagten bei Basel. Dort habe er den beiden Frauen die Pässe wieder abgenommen und sie in der Wohnung versteckt. Am übernächsten Tag brachte Josic die Bulgarinnen nach Basel in den Salon Red Rose und bot sie einer Saloninhaberin als Prostituierte an. Diese sollte die Freierlöhne vorerst einbehalten und dem Angeklagten 5000 Franken zur Deckung der Reisespesen zukommen lassen.
Vom 29. September bis 12. Oktober nahmen die Bulgarinnen 2200 Franken ein, wovon die Salonbetreiberin und Josic je eine Hälfte beanspruchten. Olga und Catalina bekamen je 100 Franken von Josic. Die beiden Frauen verließen am 12. Oktober den Salon und erstatteten Anzeige bei der Polizei. Die Staatsanwältin qualifiziert Josics Verhalten als mehrfachen Menschenhandel und mehrfache Freiheitsberaubung.

Der Angeklagte bestreitet, dass er die Frauen gezwungen habe, in die Schweiz zu kommen. Auch dass er die Frauen eingesperrt habe, sie bedroht, die Pässe versteckt und zusammen mit ihnen illegal über die grüne Grenze gekommen sei, entspreche nicht der Wahrheit, Vielmehr seien Olga und Catalina freiwillig in die Schweiz gekommen, wobei schon in Varna abgemacht war, dass er den Bulgarinnen einen Job als Prostituierte vermitteln solle.

Mit der Begründung, dass Josic für die Reise der Frauen Geld ausgegeben habe, das er sicher wieder zurückhaben wollte, erachtet das Gericht die Version des Angeklagten nicht als glaubwürdig. Es stellte aber fest, dass zumindest eine, wenn nicht beide Bulgarinnen früher als Prostituierte gearbeitet hatten. Auch sagten beide aus, dass sie
in der Schweiz schnell viel Geld verdienen wollten, sodass es ihnen klar gewesen sei, in welchem Milieu sie zu arbeiten hätten. Daher könne keine Rede davon sein, dass die Bulgarinnen gezwungen worden seien, hierher zu kommen; vielmehr seien sie von sich aus mitgekommen und auch freiwillig ins Red Rose gegangen, weil das große Geld lockte.

Auch das Einsperren in einer Wohnung in Josics Heimatdorf mache keinen Sinn; die Frauen hätten dort darauf gewartet, in die Schweiz zu fahren und keinen Anlass zum Weglaufen gehabt, da sie auf einen großen Verdienst in Basel hofften. Obwohl die Bulgarinnen das Red Rose jederzeit hätten verlassen können, wäre dies mit Unannehmlichkeiten verbunden gewesen, da sie weder im Besitz von Geld noch von Reisepässen waren. So schließt das Gericht nicht aus, dass Josic einen gewissen Druck auf Olga und Catalina ausgeübt hat, weil er das für sie ausgegebene Geld wieder zurückhaben wollte.

Das Gericht stellt zusammenfassend fest, dass der Angeklagte Olga und Catalina zum Zwecke der Prostitution in die Schweiz gebracht und sie an ein Bordell vermittelt hat. Die beiden Frauen seien aber freiwillig und ohne jeglichen Zwang in die Schweiz gekommen. Es sei auch von Anfang an mit ihnen abgemacht gewesen, dass sie in Basel als Prostituierte arbeiten würden.

Die Staatsanwältin qualifiziert das Verstecken der Pässe der beiden Frauen durch den Angeklagten als Freiheitsberaubung. Dieser Ansicht folgt das Gericht nicht, mit der Begründung, dass die Bewegungsfreiheit der beiden Frauen durch das Verstecken der Pässe nicht vollständig aufgehoben gewesen sei, und spricht den Angeklagten von
diesem Anklagepunkt frei.

Weil die beiden Frauen freiwillig mit Josic in die Schweiz gekommen seien und damit einverstanden waren, dass sie hier an ein Bordell vermittelt werden sollten, wertete das Basler Strafgericht das Verschulden des Angeklagten gering. Das Gericht lastete dem Angeklagten aber an, dass es sich bei Olga und Catalina um Bürgerinnen eines armen Landes des ehemaligen Ostblocks handelt, so dass es für Josic ein Leichtes war, die finanzielle Notlage der Frauen auszunutzen, indem er sie unter Versprechungen eines großen Verdienstes in die reiche Schweiz lockte. Überdies wurde Josic die Uneinsichtigkeit in seine Schuld angelastet. Das Basler Strafgericht verurteilte Josic wegen Menschenhandels zu 18 Monaten Gefängnis bedingt, zu einer Buße von 2000 Franken und zu sieben Jahren Landesverweisung. (510)

Fünf Jahre nach Inkrafttreten des neuen Sexualstrafrechts zählt dieses Urteil zu den ersten, das Art. 196 StGB (Menschenhandel) anwendete. Dies erstaunt umso mehr, als im Zeitraum von 1992 bis 1996 das Geschäft mit der Prostitutionsmigration vor allem aus Osteuropa boomte und viele Anwerber, Schlepper, Zuhälter und Lokalinhaber weiblichen und männlichen Geschlechts an der Organisation von Prostitution mit Ausländerinnen in der Schweiz beteiligt waren und davon profitierten. Es lässt sich zwar nachvollziehen, dass es gerade bei diesem Fall, der von Hilflosigkeit, Zußälligkeiten und vor allem von Unprofessionalität geprägt ist, zu einer wegen Menschenhandels kam. Angesichts der Effizienz anderer Marktteilnehmer, die unbehelligt von der Anklage wegen Menschenhandels Prostituierte vermittelten und beschäftigten, ist dieser Fall doch verwunderlich. Wenn auch in mehreren Fällen anfangs intensiv wegen Verdachts auf Menschenhandel ermittelt wurde (vgl. Kap. 4.7.6), so hielten die Anklagepunkte entweder den richterlichen Erwägungen nicht stand oder die Ankläger verzichteten zum Vornherein auf eine Anklage wegen Menschenhandels. Dies wirft ein Licht auf eine Rechtspraxis, die in die hierarchische Struktur der Instanzen eingebunden ist und dem Einzelfall unter Berücksichtigung von Rechtstradition und Lehre gerecht werden soll. Außerdem muss sie der gesellschaftspolitischen Relevanz von neuem nationalem Recht, von internationalen Abkommen und der Rechtsentwicklungen im benachbarten europäischen Ausland Rechnung tragen und nach einem legitimierbaren Urteil streben.

Gerichte ziehen Vergleiche meist zu affirmativen Zwecken heran und verweisen ansonsten auf den Sachverhalt und die Relevanz des konkreten Einzelfalls. Dem Basler Strafgericht ist in casu allerdings ein gewisses Selbstvertrauen in die eigene Spruchpraxis zu attestieren sowie ein Vertrauen darauf, dass der mittellose, ausländische Angeklagte das Urteil akzeptieren würde.

Da bis dahin (1996) noch kein Bundesgerichtsentscheid zu Menschenhandel vorlag und sich die Lehre über den Begriff des Handels nicht einig war, galt offenbar eine gewisse Zurückhaltung in der Anwendung von Art. 196 StGB (Menschenhandel). Zudem erwies sich der Begriff der sexuellen Selbstbestimmung als operationales Konstrukt von sexueller Integrität als uferlos und zur Anwendung auf Prostitutionsmigration ungeeignet. Stattdessen bot sich Art. 195 StGB (Förderung der Prostitution) an. Der Rückgriff auf diesen Artikel erlaubte, die „Arbeitsbedingungen“ hinsichtlich der Handlungsfreiheit von Prostituierten bzw. deren Behinderung zu beurteilen. Ebenfalls unproblematisch war die Anwendung des Ausländergesetzes (ANAG). Ausländerinnen, die ohne erforderliche Bewilligungspapiere als Prostituierte tätig waren, konnten ohne langes Prozedere ausgewiesen werden, womit das Problem außer Landes und vom Tisch war.

5.4.2 Einer Ungarin verfallen

Urs wurde 1954 im Kanton Bern geboren und wuchs in geordneten Verhältnissen mit vier Geschwistern bei seinen Eltern auf einem Bauernhof auf. Nach der Primarschule machte er eine Lehre als Sanitär-Installateur und arbeitete fortan in seinem Beruf. An seiner letzten Stelle verdiente er 5500 Franken pro Monat. Urs ist ledig, er lebt in Thun und sein Leumund ist tadellos.

Im Frühling 1996 lernte er Vera, eine ungarische Prostitutionsmigrantin kennen und verliebte sich in sie. Auf ihre Initiative hin zogen die beiden ein Geschäft zur Vermittlung ungarischer Frauen an einschlägige Lokale in der Schweiz auf. Während Vera die Frauen in Ungarn kontaktierte und als Prostituierte anheuerte, organisierte und finanzierte Urs die Einreise dieser Frauen und stellte die Kontakte zu den verschiedenen Clubs her. Insgesamt gelangten von Frühling bis Herbst 1996 auf diese Weise 13 Frauen in die Schweiz. Zwei Ungarinnen mussten am Flughafen Zürich-Kloten die Rückreise antreten, weil die Grenzpolizei ihnen die Einreise verweigerte. Mit den Sex-Club-Betreibern war abgemacht, dass Urs die Spesen für die Reise und seine sonstigen Auslagen zurückbekommen würde, plus 10% des Umsatzes, den die ungarischen Prostituierten erwirtschafteten. Diese Vereinbarung klappte mehr schlecht als recht, Urs konnte keinen Gewinn realisieren. Die ganze Aktion erwies sich für ihn als finanzielles Verlustgeschäft.

Die Polizei kam ihm auf die Spur. Im Rahmen einer Strafuntersuchung wegen Widerhandlung gegen das ANAG ermittelten die Behörden in diversen Clubs, Saunas und Solarien in Thun und anderswo, wo Frauen aus Osteuropa und aus Lateinamerika festgehalten wurden und sich ohne große Bezahlung prostituieren mussten. Die Behörden identifizierten Urs im Verlaufe der Ermittlungen als Lieferant von in verschiedenen Sex-Salons illegal arbeitenden Frauen. Er wurde verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt, verlor die Stelle, wo er 16 Jahre lang gearbeitet hatte, und stand als Arbeitsloser vor Gericht.

Bei der Hauptverhandlung sagte Urs, er sei durch Vera hineingezogen worden. Er habe die Sache aus lauter Liebe und Abhängigkeit gemacht. Der finanzielle Aspekt habe für ihn keine große Rolle gespielt. Trotzdem hält das Gericht fest, dass Urs nicht einzig aus irgendeiner Abhängigkeit mitgemacht, sondern dass er mindestens nebenbei auch finanzielle Ziele verfolgt hat. Diese Auffassung wird durch die Aussage von Urs gestützt, wo er zugab, dass er aus dem Geschäft wieder aussteigen wollte, weil es nicht rentiert habe. Daraus zieht das Gericht den Umkehrschluss, dass der Angeschuldigte nicht so rasch wieder ausgestiegen wäre, hätte die Rechnung finanziell gestimmt. Schließlich verfügten die ungarischen Prostituierten nicht über die erforderlichen Arbeitsbewilligungen, was Urs bekannt war.

Für das Gericht gehört zum Handeltreiben in jedem Fall, dass der Täter materielle Vorteile verfolgt. Menschenhandel bezweckt außerdem, der Unzucht eines anderen Vorschub zu leisten. Damit könne nur gemeint sein, dass die Betroffenen der Prostitution überliefert werden sollen. Dass dies geschieht oder geschehen könnte, müsse nicht das eigentliche Handlungsziel des Täters sein, wie Stratenwerth fordert, sondern es genüge, dass der Täter es weiß oder wenigstens in Kauf nimmt.

Zwischen Frühling und Ende August 1996 hat Urs gemeinsam mit Vera elf Frauen vermittelt, bei zweien blieb es beim Versuch. Zwar erzielte das Paar damit keine materiellen Vorteile, was jedoch für die Erfüllung des Tatbestandes keine Rolle spielt. Denn es genügt, dass solche Vorteile angestrebt wurden. Urs wird des Menschenhandels und der Widerhandlung gegen das ANAG schuldig gesprochen.

Der Richter bemisst die Strafe nach dem Verschulden des Täters, wobei er die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen berücksichtigt. Obwohl Urs innerhalb kurzer Zeit viele Delikte begangen hat, wiegen die Taten doch relativ leicht, da er weder Druck auf die Prostituierten ausgeübt noch ihnen besondere subjektive Leiden zugefügt hat, um seine Investitionen zu amortisieren. Das Gericht verhängte eine Strafe von zwölf Monaten Gefängnis, wobei es den bedingten Strafvollzug und die Anrechnung der Untersuchungshaft gewährte, außerdem eine Buße von 1000 Franken, zuzüglich der Verfahrenskosten. (511)

Das Urteil des Thuner Gerichtshofes zeigt, dass der neue Artikel im revidierten Sexualstrafrecht seine Berechtigung hat und durchaus zufrieden stellend anwendbar ist, gerade bei typischer, über ethnische und kleingewerblich-familiäre, arbeitsteilige Strukturen organisierte Prostitutionsmigration bzw. Frauenhandel. Mit vorliegendem Urteil gelingt es dem Gericht, einen typischen Fall aufzugreifen, ihn straight forward im Sinne des Gesetzgebers zu würdigen und den Schuldigen angemessen zu bestrafen, Das Urteil hat nicht nur juristisch Bestand, sondern ist darüber hinaus dem informierten und interessierten Laien verständlich und muss ihm legitim erscheinen. Eine solche Spruchpraxis wird ihre Wirkung auf weitere potenzielle Täter und Täterinnen schwerlich verfehlen und dem Phänomen Frauenhandel im Sinne der Schweizerischen Gesetzgebung und hinsichtlich internationaler Abkommen gerecht.

5.4.3 Das St. Galler Ehepaar: Die Bestätigung durch das Bundesgericht

Mit Entscheid vom 23. September 1997 bestätigt das Bundesgericht einen Entscheid des St. Galler Kantonsgerichts. (512) Dieses hatte Peter am 11. November 1996 wegen mehrfachen Menschenhandels sowie Mittäterschaft schuldig gesprochen und ihn mit einer Strafe von dreieinhalb Jahren Zuchthaus und einer Buße von 15000 Franken belegt. Ihm wurde vorgeworfen, dass er zusammen mit seiner dominikanischen Ehefrau 26 Frauen gegen Entgelt aus der Dominikanischen Republik in die Schweiz kommen ließ und diese von hier aus an Bordellbetriebe ins nahe Österreich vermittelte. In sieben Fällen wies die Flughafenpolizei Zürich-Kloten die Frauen zurück, da sie weder Peter noch eine von ihm dafür engagierte Hilfsperson als Garanten akzeptierte.

Peters Schwiegermutter wohnt in der Dominikanischen Republik und warb auf „Bestellung“ von Peters Ehefrau junge Frauen in der Dominikanischen Republik für die Prostitution in Europa an. Das Ehepaar holte die Frauen dann am Flughafen Zürich-Kloten ab, nahm ihnen 400 bis 500 Dollar und manchmal Schmuck zur Spesendeckung ab, gab ihnen die Adresse eines entsprechend informierten Bordellbesitzers in Österreich oder die Destination, wo sie aus dem Zug steigen sollten und sorgte dann für den Weitertransport. Peter fuhr die Frauen entweder selber über die Grenze oder setzte sie dort oder noch in der Schweiz in den Zug. Das St. Galler Gericht ging davon aus, dass die Eheleute arbeitsteilig vorgegangen waren. Während Peter mit den deutsch sprechenden Bordellinhabern verhandelte, kümmerte sich seine spanisch sprechende Ehefrau um die „Bestellungen“ und die Reisevorbereitungen der Frauen aus der Dominikanischen Republik. In mehreren aufgezeichneten Telefongesprächen kommt „das gemeinsame Planen und Ausführen“ des Ehepaares deutlich zum Ausdruck.

Peter akzeptierte das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen nicht und führte eine eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, worin er die Aufhebung des Urteils beantragte. Es sei auch aufschiebende Wirkung zu erteilen. Überdies sei ihm für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.

Obwohl Peter ein „Unter- bzw. ein Überordnungsverhältnis“ zwischen sich und seiner Frau beklagt und betont, dass er seiner Frau nur geholfen habe (Gehilfenschaft), das auf ihrer Initiative beruhende Geschäft zu führen und selber keine Provisionen einkassiert habe, ist für das Bundesgericht die Mittäterschaft klar. Einen weiteren Einwand des Beschwerdenführers, dass das Tatbestandsmerkmal des Handeltreibens nicht erfüllt sei, wies der bundesrichterliche Kassationshof als „geradezu mutwillig“ ebenfalls ab. Peter habe mit Menschen gehandelt, es versucht oder mindestens Anstalten dazu getroffen. Von bloßen „Vorbereitungshandlungen“ könne nicht die Rede sein. Das Bundesgericht bestätigt das Urteil des Kantonsgerichts, lehnt die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat, ebenso das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege, der Beschwerdeführer muss die Gerichtsgebühr von 2000 Franken bezahlen.
Dieser Fall ist ähnlich gelagert wie der oben dargestellte und besprochene Thuner Fall (Kap. 5.4.2). Die formalen Gesichtspunkte einer eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde lassen nicht zu, auf Beschwerden einzutreten, die der Beschwerdeführer nicht den Regeln entsprechend anbringt und formuliert. Im vorliegenden Fall war das Bundesgericht an die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Entscheid gebunden. Ausführungen, die sich gegen die vorinstanzlichen tatsächlichen Feststellungen richten und das Vorbringen neuer Tatsachen sind unzulässig. Das Gleiche gilt,wenn der Beschwerdeführer auf die Akten und nicht auf den angefochtenen Entscheid verweist. Das Bundesgericht prüft nur, ob die Vorinstanz aufgrund der erstellten Beweislage in ihrem Entscheid eidgenössisches Recht verletzt hat oder nicht. Dies war nach Einschätzung des höchsten Schweizer Gerichts nicht der Fall. So verzichtete der erste Bundesgerichtsentscheid in Sachen Menschenhandel auf die Überprüfung der „Freiwilligkeit“ der Opfer, da sich diese Frage im Sinne der Botschaft und der Internationalen Abkommen gar nicht stellte. Das Bundesgericht bestätigte das Urteil des St. Galler Gerichts, das Peter als Menschenhändler bestrafte.

5.4.4 Frauenhändler im großen Stil

Im Dezember 1993 meldete sich der stellenlose Fachmann Beat auf ein Inserat im Zürcher Tagesanzeiger, in welchem ein Elektriker gesucht wurde. So lernte er seinen Chef Ernesto kennen, der in Zürich ein Bordell betrieb. Beat chauffierte Esmeralda, Prostituierte in Ernestos Betrieb und seine Ehefrau, gelegentlich mit dem Taxi. Ansonsten war er mit diversen Hausinstandhaltungsarbeiten beschäftigt. Bis Ende September 1994 arbeitete er ca. 240 Stunden für Ernesto. Im November 1994 heiratete Beat die Kamerunerin Yolanda, die auf Einladung des ihm unbekannten Rolf in die Schweiz gereist war. Für die Heirat bot ihm Ernesto einen monatlichen Betrag von 2500 Franken während dreier Jahre an, erlaubte ihm allerdings keinen Kontakt zu Yolanda, da die Ehe nur dazu dienen sollte, die Frau legal in Ernestos Bordell zu beschäftigen. Yolanda wohnte nie bei Beat, sondern in Esmeraldas Zimmer. Über einen Mittelsmann vor Ort ließ Ernesto seit einiger Zeit Kamerunerinnen anwerben, die entweder im Land selber auf den zukünftigen Scheinehemann warteten, der sie an Ort und Stelle heiratete, in die Schweiz mitnahm und in Ernestos Bordell ablieferte oder die auf Einladung eines zukünftigen Ehemannes selbständig in die Schweiz reisten, dort eine Scheinehe eingingen und sich in Ernestos Betrieb prostituierten. Die Frauen verschuldeten sich bei Ernesto, der ihnen das Reisegeld vorstreckte, ihnen in Zürich Kost und Logis im Bordell bot und die Scheinehemänner in monatlichen Raten entschädigte. Auf diese Weise gelangte eine größere Anzahl Afrikanerinnen nach Zürich.

Vor seiner Heirat hatte Beat auf Anraten von Ernesto selber versucht, Mary aus Kamerun in die Schweiz einzuladen. Er füllte das Antragsformular mithilfe Ernestos Angaben aus, der seine Informationen über den Mittelsmann in Kamerun bezog, und schickte das Gesuch an die Schweizer Botschaft. Da die Bearbeitung länger als vorgesehen dauerte, drängte ihn Ernesto, nachzuhaken, wobei er den zögernden Beat damit beruhigte, dass dies alles nach der Revision des Sexualstrafrechts legal sei, die Frauen in Kamerun der Not entkommen wollten und ihm dankbar seien. Zudem sei doch eine „Business-Ehe“ ganz normal. Die Aussicht auf den ansehnlichen monatlichen Geldbetrag, der ihm von Emesto für die Heirat versprochen wurde, gab den Ausschlag. Denn Beat war in finanzielle Not geraten und wurde von Gläubigern bedrängt. Er schickte ein Fax an die Schweizer Botschaft in Yaounde, die aber, misstrauisch geworden, das Visum für Mary verweigerte.

Obwohl das Bezirksgericht Bülach im Urteil vom 20. Mai 1996 die verschiedenen Auffassungen von Menschenhandel bezüglich Selbstbestimmung und den Begriff des Handeltreibens (Stratenwerth vs. Rehberg/Schmid) sowie die Botschaft ausführlich würdigte und gute Gründe für die Qualifizierung nach Art. 196 StGB darlegte, sprach es den Angeklagten vom Vorwurf des Menschenhandels frei, da nach übereinstimmender Lehre die Anwerbung für den Eigenbedarf straflos ist und aufgrund des Mangels an Akzessorietät auch der Gehilfe dafür nicht bestraft werden kann. Damit wird der Angeklagte Beat ebenso wie Ernesto selber vom Vorwurf des Menschenhandels und des versuchten Menschenhandels freigesprochen. Aufgrund anderer Delikte wird er aber zu einer Freiheitsstrafe und zur Übernahme von drei Vierteln der Prozesskosten in Höhe von ca. 15’000 Franken verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich legte gegen das Urteil des Bezirksgerichts Berufung beim Zürcher Obergericht ein. Beat habe mit Menschen Handel getrieben, um der Unzucht eines anderen Vorschub zu leisten, bzw. Anstalten dazu getroffen. Zur Beurteilung des Falles Beat zieht die zweite Instanz die Akten des Verfahrens im
Prozess gegen das Ehepaar Ernesto und Esmeralda bei. (513)

Zum strittigen Punkt des Menschenhandels wird Beat angelastet, dass er im Februar 1994 im Auftrag von Ernesto eine schriftliche Einladung an die ihm völlig unbekannte Mary nach Kamerun sandte, damit diese dort bei der Schweizer Botschaft ein Einreisevisum für die Schweiz beantragen konnte. Er habe gewusst, dass Ernesto diese Kamerunerin in seinem Bordell in Zürich einsetzen wollte (versuchter Menschenhandel). Auch wird dem Angeklagten als Menschenhandel vorgeworfen, dass er im November 1994 mit Yolanda, die sich auf Einladung von Rolf in der Schweiz aufhielt, eine Scheinehe einging und sich dafür für die Dauer von drei Jahren monatlich 2500 Franken versprechen ließ.

Gestützt auf die völkerrechtlichen Übereinkommen erscheint es dem Zürcher Obergericht richtig, der Schutzbedürftigkeit der Opfer den Vorzug gegenüber einer in solchen Fällen oftmals illusorischen Selbstbestimmung zu geben.

Der letzte Punkt, den das Zürcher Obergericht klärt, ist der Begriff des Handels. Es liegt keine allgemein gültige juristische Definition von Handel vor, es fehlt ein einheitlicher Begriff im Strafgesetzbuch und weder BGE 81 IV 34 (Begriff des Handeltreibens mit gefälschten Ausweisen) noch BGE 96 IV 118 (Begriff des Frauenhandels nach dem alten Menschenhandelsartikel) helfen weiter. Das Gericht gelangt nach ausführlicher Berücksichtigung inhaltlicher und sprachlich-grammatikalischer Überlegungen zum Schluss, dass es nicht einsehbar sei, weshalb der Handel mit einem Menschen straflos und erst bei einer Vielzahl Betroffener (bei welcher Anzahl?) strafwürdig sein solle. Demnach sei nach Art. 196 StGB zu bestrafen, wer auch nur einen einzigen Menschen, selbst mit seinem Einverständnis, einem Dritten zur Prostitution zuführt. (514)

Wegen Menschenhandels macht sich strafbar, wer von der Absicht geleitet ist, „der Unzucht eines anderen Vorschub zu leisten“. Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung scheidet aber als Täter aus, wer selber für den „Eigenbedarf“, zum Beispiel als Leiter eines Eros-Centers, Menschen „kauft“. In Bezug auf das Berufungsverfahren im vorliegenden Fall, wo die Frage der Akzessorietät angesprochen wurde, befindet das Obergericht, dass zwar Ernesto klar als Initiant und Hauptfigur dastehe, dass aber die Scheinehemänner, worunter auch der Angeklagte zählt, bei der vorgesehenen Zuführung der kamerunischen Frauen ins Bordell von Ernesto nicht nur eine untergeordnete Rolle spielten, sondern wesentliche Teilbeiträge leisteten. Dabei fällt gegen den Angeklagten entscheidend ins Gewicht, dass er zwar auf Anweisung und unter Anleitung von Ernesto handelte, aber als Gesuchsteller bei der Schweizer Botschaft in Yaounde in eigenem Namen auftrat. Da die Möglichkeit von Ernesto, Nachschub für sein Bordell zu erhalten, von den Beiträgen der Scheinehemänner abhängig war, war Beat durch sein maßgebliches Mitwirken an der geplanten Transaktion von Mary selber Hauptbeteiligter. Das Vorhaben scheiterte einzig am Misstrauen der Schweizer Botschaft in Kamerun, weshalb es beim vollendeten Versuch des Menschenhandels blieb.

Den Beitrag durch Beats Scheinehe mit Yolanda bewertet das Gericht hingegen als untergeordnet, da es nichts mit einer „Menschenschieberei“ zu tun gehabt hätte und lediglich zur „Legalisierung“ des Aufenthalts der Kamerunerin diente. In diesem Punkt bestätigt das Obergericht den Freispruch der Vorinstanz.

Mit Urteil vom 2. Oktober 1997 erkennt das Zürcher Obergericht den Angeklagten des versuchten Menschenhandels schuldig und bestraft ihn mit zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung, einer Buße von 500 Franken und mit der Übernahme der Gerichtskosten zu vier Fünfteln.

Gegen diesen Entscheid führte der Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde, auf die das Bundesgericht wegen Verspätung nicht eintrat. (516) Beat gelangte an das Kassationsgericht und führte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde. Der Kassationshof wies die Nichtigkeitsbeschwerde ab.

Im Einklang mit der Spruchpraxis in anderen Fällen wendet auch das Zürcher Obergericht nach ausführlicher Begründung den Art. 196 StGB (Menschenhandel) an. Zu den strittigen Punkten in der Lehre hält es zusammenfassend und übereinstimmend mit den anderen erwähnten Instanzen fest, „dass gemäß Art. 196 StGB zu bestrafen ist, wer auch nur einen einzigen Menschen selbst mit seinem Einverständnis einem Dritten zur möglichen Prostitution zuführt“. Mit der Spruchpraxis zum revidierten Sexualstrafrecht, bezüglich Menschenhandel wird der Schutzgedanke im Sinne der Rechtstradition (517) und des Gehalts der internationalen Abkommen, sorgfältig und umfassend etabliert. Obwohl die Klippe der Gehilfenschaft mit dem Hinweis auf das wesentliche Maß an Beats Eigeninitiative umschifft wurde, blieb die Rechtslogik im Punkt „Eigenbedarf“ unangefochten. Diese für Nicht-Juristen schwer nachvollziehbare Logik wird später durch einen Bundesgerichtsentscheid korrigiert. (518)

5.4.5 Gerichtliches Nachspiel zur privaten Variante

Der Fall des Kosovaren Mehmet (Kap. 4.6.7), der junge jugoslawische Frauen als Au-Pair für sich und einen Freund angeworben hatte und sexuell ausnützte bzw. ausnützen ließ, hatte ein gerichtliches Nachspiel. Mit Urteil vom 24. März 1999 befand ihn das Tribunal de l’arrondissement judicaire I Courtelary-Moutier-La Neuveville des Menschenhandels, Verstößen gegen das ANAG und Urkundenfälschung schuldig und verurteilte ihn zu 22 Monaten Gefängnis, einer Buße von 1000 Franken, fünf Jahren Landesverweisung sowie zur Übernahme der Gerichtskosten in Höhe von 23’400
Franken.

Mehmet appellierte ans Obergericht (la IV Chambre penale de la Cour supr&me du canton de Berne), das ihn mit Urteil vom 26. Oktober 1999 vom Menschenhandel freispricht und ihn lediglich wegen anderer Verletzung des ANAG sowie wegen Urkundenfälschung schuldig erkennt. Die Strafkammer mildert die Strafe auf zwei Monate Gefängnis bedingt, reduziert den geschuldeten Betrag auf 10% der Verfahrenskosten (2340 Franken), wobei die Staatskasse die restlichen 21’060 Franken sowie die Prozesskosten des neuen Verfahrens zu tragen hat, und spricht ihm überdies eine Genugtuung von 9535 Franken für die Auslagen seiner Verteidigung zu.

Die Debatte um das ANAG weglassend, beschränken wir uns auf die juristischen Erwägungen zum Menschenhandel. Das Obergericht geht davon aus, dass Jelena, welche Mehmet für die Anwerbung junger Frauen nach Bratislawa begleitete, als Serviertochter im Restaurant „Feldschlössli“ arbeitete und gleichzeitig als Prostituierte dans le milieu yougoslave aktiv war, und deshalb die jungen Frauen für die Prostitution anwerben wollte. Aufgrund dieser Bekanntschaft und Telefonaten mit Freunden, Nachbarn und Bekannten von Mehmet schloss die erste Instanz auf die Existenz einer veritable organisation formee par le prevenu visant a l’importation de jeunes filles slovaques en Suisse destindes à la prostitution. Dem folgte das Obergericht nicht und betrachtete die Fälle einzeln.

Der Gesetzestext verlangt, dass der Täter der Notzucht eines anderen dienen will, Trechsel präzisiert, dass das Opfer nicht notwendigerweise in einem Bordell platziert werden muss, sondern es genüge, wenn der Täter das Opfer einem Einzelnen überlässt. (519) Mit Hinweis auf einen Bundesgerichtsentscheid (520) und die herrschende Lehrmeinung, wonach nicht von Handel gesprochen werden kann, wenn es sich nur um ein einziges Opfer handelt, (521) stellt sich die IV Strafkammer des Kantons Bern gegen die Lehrmeinung von Rehberg/Schmid, die die These vertreten, dass ein einzelnes Opfer genüge, um den Art. 196 StGB Menschenhandel anzuwenden, und spricht den Kosovaren Mehmet vom Menschenhandel frei. (522)

5.4.6 Der Familienclan vor Gericht

Die gleiche Instanz, nämlich die 4. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern, sieht aber im Fall des Thailänders Sam (vgl. Kap. 4.6.8) mit Urteil vom 19. November 1999 eine Verletzung des Menschenhandelsartikels und bestätigt das Urteil der Vorinstanz. (523)

Für das Beweisverfahren stellten sich dem Berner Obergericht folgende Fragen:

l. Gingen die fraglichen Frauen in Thailand ebenfalls der Prostitution nach?

2. Kamen sie absolut freiwillig und ohne Druck in die Schweiz und wussten sie, was sie hier erwartete?

3. Waren sie in der Schweiz frei oder waren sie irgendwie eingeschränkt?

4. Waren sich die zwei anderen hier angeschuldigten Personen bewusst, dass die in die Schweiz gebrachten Frauen allenfalls in ihrer Willensfreiheit eingeschränkt waren?

ad 1.) Die erste Frage ist für das Gericht aufgrund der Tatsache, dass nicht alle Frauen einvernommen werden konnten, schwer zu beantworten. Es geht deshalb nach dem Grundsatz in dubio pro reo davon aus, dass es sich um Frauen handelte, die bereits in ihrem Heimatland hauptberuflich oder im Nebenerwerb als Prostituierte tätig waren.

ad 2.) Beim zweiten Punkt, der Frage nach der Freiwilligkeit, geht das Gericht nicht davon aus, dass die Frauen durch massiven Druck, Drohungen etc. veranlasst wurden, in die Schweiz zu kommen. Nach dem gleichen Grundsatz in dubio pro reo geht es davon aus, dass sich die Frauen im Klaren waren, dass sie in der Schweiz als Prostituierte tätig sein würden. Die Aussage einer Zeugin, wonach sie in der Schweiz habe Ferien verbringen wollen, erscheint dem Gericht widersprüchlich und unglaubwürdig. Einerseits bezeichnete sie den Hauptangeschuldigten Sam als ihren Freund, andererseits fühlte sie sich unter Druck, ihm das Geld für die Reise, Kost und Logis, das er ihr vorgestreckt hatte, zurückzuzahlen. Den geschuldeten Betrag in Höhe von 16’000 Franken hatte die aus ärmlichen Verhältnissen stammende Thailänderin nicht zur Verfügung, sodass sie damit rechnete, die Schuld durch Prostitution in einem der
Bordelle von Sam oder seiner Geschäftspartnerin möglichst rasch abzuzahlen, um nachher in die eigene Tasche wirtschaften zu können. Für das Gericht unterscheidet sich der Fall dieser Frau nicht von den anderen 30 Frauen, die über Sam in die Schweiz gelangten, um sich hier zu prostituieren. Die Zeugin sei sich denn auch bewusst gewesen, dass sie nicht einfach zu einem Touristenaufenthalt in die Schweiz eingeladen, sondern dass von ihr eine Gegenleistung erwartet worden sei. Die Instanz qualifiziert die Aussage der Thailänderin, aus Feriengründen in die Schweiz gekommen zu sein, als Schutzbehauptung, die sie vorbrachte, um sich selbst besser darzustellen und um Sam, ihren „Arbeitgeber“, nicht zu belasten.

Damit ist aber die Frage, ob die Frauen in ihrem Willen völlig frei und sich darüber im Klaren waren, was sie in der Schweiz erwartete, für das Gericht noch nicht beantwortet. Ob die Frauen bereits in Thailand als Prostituierte arbeiteten, muss das Gericht offen lassen. Jedenfalls befanden sie sich in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit von Sam, die es ihnen kaum gestattete, sich seinen Ansinnen zu widersetzen. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation, so befindet die Strafkammer, waren die Frauen in ihrem Willensentschluss nicht völlig frei. Darüber hinaus kann auch nicht entschieden werden, wie weit sie sich über die konkreten Arbeitsverhältnisse klar waren. Gestützt auf die übereinstimmenden Aussagen der Frauen geht das Gericht davon aus, dass sie sich vorstellten, nach Abzahlung der Schulden in der Schweiz einen hohen Verdienst erzielen zu können, eine Hoffnung, die sich kaum je realisierte, da sie kein Visum erhielten, das ihnen eine Arbeitsaufnahme erlaubt hätte, und sie jeweils nach kurzer Frist nach Thailand zurückkehren mussten.

ad 3.) Was die Freiheit der Frauen in der Schweiz betrifft, kommt das Gericht zum Schluss, dass auch diese nicht vollständig gegeben war. Ein Abbruch ihrer Tätigkeit war für sie nicht einfach, da sie zum Teil weder über Papiere noch Geld verfügten. Das Gericht wertet sogar den völlig fremden Sprach- und Kulturkreis, in dem sich die Frauen bewegten, als faktische Beschränkung der Selbstbestimmung.

ad 4.) Zur Frage, wie weit den Angeschuldigten die Einschränkung der Prostituierten bewusst war, führt das Gericht aus, dass sich aus dem ganzen Verfahren ergebe, dass der in der Untersuchungshaft durch Suizid umgekommene Sam klarer Drahtzieher und Initiant war und wusste, woher die Frauen kamen und unter welchen Umständen sie in die Schweiz gekommen waren; er konnte auch erkennen, dass die Prostituierten zumindest in der Schweiz von den Salonbesitzerinnen, von ihm und seinem Bruder abhängig waren. Auch musste die Angeschuldigte, der die Vermittlung zweier Frauen vorgeworfen wird, festgestellt haben, dass sich die Thailänderinnen bei ihrer „an sich
illegalen Tätigkeit“ in ihrer Willensfreiheit wesentlich eingeschränkt fühlten, auch wenn sie weder eingesperrt noch durch Zwang festgehalten wurden.

In der Frage des vollen Einverständnisses der Frauen führt das Gericht die Debatte über die Ratifizierung bezüglich Bekämpfung des Mädchenhandels und über die Unterdrückung des Handels mit volljährigen Frauen an. Es zitiert das Abkommen von 1933 Absatz 1, worin sich die Schweiz international dazu verpflichtete, die Strafbarkeit des Handels auch bei Einwilligung von Frauen vorzusehen. Der bisherige Art. 202 aStGB, der mit der Revision von 1992 aufgehoben wurde, nannte als Teilaspekte des Handeltreibens insbesondere das Anwerben, Verschleppen oder Entführen. In der Revision wurde auf eine solche Aufzählung verzichtet. (524) Was das Anwerben betreffe, bringe der frühere Gesetzestext ohnehin nicht zum Ausdruck, dass als Opfer dieser Tat Personen zu gelten hätten, die in Bezug auf das Schicksal, das sie erwarte, ahnungslos seien. Gestützt auf diese Sachlage führt die Botschaft denn auch aus, dass durch Art. 196 StGB auch erfasst werde, wer Prostituierte anwerbe, die voll einverstanden seien, z.B. das Etablissement zu wechseln. Die Botschaft verweise weiter darauf, dass die Revision die Vorschriften angesichts der von der Schweiz ratifizierten Konventionen auf diesem Gebiet möglichst zurückhaltend ändern wolle.

Die Kammer gelangt zur Ansicht, dass der Botschaft und Rehberg der Vorzug zu geben sei, mithin Menschenhandel auch bei vollem Einverständnis der betroffenen Person vorliegen kann. Das Gericht weist auf das oben besprochene Urteil des Bundesgerichts, (525) in welchem sich die Lausanner Richter auf die Prüfung des Tatbestandsmerkmals des „Handeltreibens“ und der Entgeltlichkeit beschränkte, was den Schluss zulässt, dass es laut Bundesgericht für die Anwendung des Menschenhandelsartikels nicht erforderlich ist, die Frage der Freiwilligkeit der Betroffenen zu
erörtern.

Die Berner Richter konstatieren „gewisse Widersprüche“, die sich durch diese Rechtslage gegenüber dem Tatbestand der Förderung der Prostitution (Art. 195 StGB) ergeben, wobei sie den Widerspruch zwischen den unterschiedlich verstandenen Rechtsgütern der beiden Artikel festzumachen versuchen. „Bei Art. 195 StGB ist nicht die öffentliche Ordnung oder die Sittlichkeit geschütztes Rechtsgut, sondern das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der prostituierten Person, wer ohne wesentlichen Einfluss auf den Willen der Betroffenen jemanden zur Prostitution veranlasst, soll nicht strafbar sein“. (526) Obwohl das Berner Gericht es als nicht ganz konsequent einstuft, wenn ein noch weniger starkes Einwirken auf den Willen der betroffenen Prostituierten bereits genügt, um den Menschenhandelsartikel anzuwenden, nimmt es diesen Widerspruch wegen der Geltung der internationalen Abkommen in Kauf und bestätigt die Verurteilung wegen Menschenhandels.

5.4.7 Der Bundesgerichtsentscheid: Das Duo aus dem Thurgau

Zwei im Kanton Thurgau wohnende Männer, der zur Tatzeit 44-jährige, arbeitslose Italiener Mauro und sein 35-jähriger Bekannter Pedrow, ein von einer Schweizerin geschiedener Musiker aus Bulgarien, stiegen im Sommer des Jahres 1996 ins Geschäft mit ausländischen Prostituierten ein. Während der mehrsprachige Bulgare die Frauen in seinem Heimatland und in Ungarn anwarb, ihnen Geld vorstreckte, bei der Beschaffung von Dokumenten und bei der Einreise behilflich war, beherbergte Mauro die Frauen, sorgte für Kost, Logis und „Arbeitswerkzeuge“ wie Kondome und andere Utensilien. Er fuhr die Frauen zu ihren Einsatzorten im Kanton Thurgau und in St. Gallen und ließ sie Freier in seiner Wohnung empfangen. Mauro nahm den Frauen den Freierlohn ab, behielt 50% für sich, gab 10% dem Bulgaren und schrieb den Frauen 40% gut, die für das Flugticket und sonstige Auslagen aufkommen mussten. Aufgrund des beschlagnahmten Notizbuches ergab sich, dass Mauro so rund 28’000 Franken eingenommen hatte. Während das Bezirksgericht von mehreren Frauen spricht, die auf diese Weise in der Schweiz als Prostituierte tätig waren, ergibt sich aus den Unterlagen, dass zumindest zwei der drei bei Mauro angetroffenen Frauen bereits in ihrem Heimatland als Prostituierte aktiv waren. Bei der dritten, noch minderjährigen Frau, steht dies nicht mit Sicherheit fest. Selbst wenn das Gericht zugunsten des Angeklagten davon ausgeht, dass auch diese junge Frau bereits über einschlägige Erfahrungen verfügte, müsse ein Schuldspruch erfolgen, findet das Bezirksgericht Kreuzlingen. (527) Denn die Frauen seien in der Schweiz völlig unerfahren gewesen, da sie weder die Sprache beherrschten noch ihnen die Formalitäten bekannt waren, die sie für die Einreise und Tätigkeit als Prostituierte hätten erfüllen müssen. Während ihres Aufenthalts in der Schweiz waren sie praktisch auf Gedeih und Verderb auf die beiden Angeklagten angewiesen, die ihnen denn auch gemessen an dem, was die Frauen hier tatsächlich angeschafft hatten, beschämend wenig mit auf die Heimreise gaben. Das Verschulden beider Angeklagten wiege vor allem schwer, weil sie das Reichtumsgefälle zwischen den mittel- und osteuropäischen Staaten für ihre Zwecke ausgenützt haben, was wegen der wirtschaftlichen Notlage der Frauen leicht war, während die Frauen durch die Prostitutionstätigkeit in der Schweiz zumindest für einige Zeit auf ein besseres Leben hofften. Ein Freierlohn in der Schweiz (zwischen 100 und 200 Franken) entspreche etwa fünf Monatslöhnen für eine „bürgerliche Tätigkeit“ in Bulgarien. Die Frauen hätten sich schon zuhause, aber erst recht in der Schweiz, in einer finanziellen Notlage befunden, da keine über genügend Taschengeld verfügte, um wieder heimfahren zu können.

Während die Staatsanwaltschaft das Verhalten beider Angeklagten als Förderung der Prostitution bzw. Mittäterschaft und das Vorgehen von Pedrow alternativ als Menschenhandel einstufte, argumentiert das Gericht, dass der Handel mit Menschen einen bestimmten Umfang und der Täter eine Bereicherungsabsicht haben müsse, Damit solle vor allem die systematische Beschaffung von „menschlicher Ware“ — Frauen und Kinder — aus den Ländern der Dritten Welt unterbunden werden. Pedrow habe zwar etlichen Frauen die Einreise in die Schweiz ermöglicht, von einem systematischen Vorgehen, welches bezweckt hätte, Menschen wie Ware als Nachschub für bestimmte Tätigkeiten zu beschaffen, könne jedoch nicht ausgegangen werden.

Mit Urteil vom 16. Februar 1998 spricht das Bezirksgericht Kreuzlingen die beiden Angeklagten Mauro und Pedrow u.a. der Förderung der Prostitution schuldig und spricht Pedrow des Menschenhandels frei. Mauro wird zu einer bedingten Gefängnisstrafe von drei Jahren, Einzug eines unrechtmäßig erworbenen Vermögensvorteils von 3700 Franken und zur Übernahme eines Teils der Verfahrenskosten in Höhe von 7000 Franken verurteilt. Pedrow wird zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 12 Monaten, einer Buße von 2000 Franken sowie zur Übernahme eines Teils der Verfahrenskosten in Höhe von 7000 Franken verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau erhob beim Obergericht Einspruch. Dieses verurteilte Mauro am 8. Juli 1999 unter anderem wegen mehrfachen Menschenhandels und Verstößen gegen das ANAG. Gegen dieses Urteil führte Mauro eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragte Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass die Argumentation der Vorinstanz in casu (Menschenhandel sei selbst dann erfüllt, wenn die betroffenen Personen nicht gegen ihren Willen vermittelt worden sind), vor Bundesrecht nicht stand hält und weist den angefochtenen Entscheid zur Neubeurteilung und allfälliger Anklageergänzung an die Vorinstanz zurück.

Das Dilemma für das Bundesgericht besteht darin, dass es Prostitution einerseits als sexuelle Selbstbestimmung (der Prostituierten) auffasst, die es nach revidiertem Recht zu schützen gelte, andererseits aber Prostituierte der Diskriminierung und der Doppelmoral ausgesetzt seien, die vielfältige Abhängigkeiten schaffen, sodass in vielen Fällen keine Selbstbestimmung der Prostituierten gegeben sei und sie ausgenützt werden können. Dies treffe vor allem auf sich illegal in der Schweiz aufhaltende Prostituierte zu. Die Lösung für das Bundesgericht liegt in der Prüfung der konkreten Umstände, ob im Einzelfall die Willensäußerung dem tatsächlichen Willen der/des Prostituierten entspreche.

Diese Argumentationsweise möchte einerseits dem Postulat des freien Marktes gerecht werden, das die Freiwilligkeit und Gleichheit der Partner, ein Geschäft abzuschließen voraussetzt, wobei das Prinzip der Falsifizierung impliziert, dass es für beide Geschäftspartner möglich sein muss, das Geschäft nicht abzuschließen. Zugleich sollen die in der Literatur beschriebenen Abhängigkeitsverhältnisse zur Kenntnis genommen und bei der Urteilsfindung berücksichtigt werden, insofern sie die Freiwilligkeit und Gleichheit der Geschäftspartner auf dem Prostitutionsmarkt in Frage stellen. (528) Dabei geht das Gericht explizit von der Annahme aus, dass die Marktteilnehmer nicht immer wüssten, was sie tun, wenn sie Ja sagten und vielleicht Nein meinten, was herauszufinden den Gerichtsinstanzen obliege.

In diesem Urteil zeigt sich der Widerspruch zwischen der Annahme von Prostitution als sexueller Selbstbestimmung, was Menschenhandel verneint, wenn sich die Personen freiwillig der Prostitutionssituation aussetzen, sofern die Prostitutionsbedingungen ihre Freiwilligkeit nicht einschränken, und dem im Gesetz verankerten und für alle anderen Personen geltenden, schützenswerten Rechtsgut der sexuellen Integrität.

5.5 Menschenhandel oder Förderung der Prostitution?
5.5.1 Der Callgirl-Ring

Der Angeklagte Goran gab zu, im Zeitraum von Dezember 1994 bis August 1995 einen Callgirl-Ring in gewerbsmäßiger Weise geführt zu haben (vgl. dazu die Aussagen der Frauen, die bei ihm als Prostituierte tätig waren, Kap. 4.4.2). (529) Über ein Netz von Chauffeuren, Vermittlern und Anwerbern vor Ort versprach er Frauen vor allem
aus Polen und Tschechien einen Lohn von ca. 2500 Franken monatlich bzw. in einer späteren Phase 40 bis maximal 100 Franken pro Freier. Er ließ sie in die Schweiz kommen, nahm sie in seinem gemieteten Einfamilienhaus in A. auf und bot ihnen Kost und Logis. Seine polnisch sprechende Freundin instruierte die Frauen. Er kontrollierte telefonisch, ob die Frauen die Kunden zufrieden stellten und alle ihre Wünsche erfüllten. Nach erbrachtem Service mussten sie den Chauffeuren ihren Dirnenlohn abgeben. Die Fahrer erhielten von Goran über Mobiltelefon Anweisungen und fuhren zum nächsten Freier. Nach getaner Arbeit gaben sie Goran den gesamten Erlös aus der Prostitutionstätigkeit der Frauen, der gleichentags mit ihnen abrechnete und sie entlohnte. Den Anteil der Frauen behielt er bis zur Deckung seiner Auslagen vorerst ein. Die Frauen mussten sich während sieben Tagen pro Woche rund um die Uhr einsatzbereit halten. Eine Verweigerung des Einsatzes wegen Unpässlichkeit oder Erholungsbedürftigkeit tolerierte Goran nicht.

Goran reiste auch selber nach Polen, um Frauen für sein Geschäft mit der Prostitution zu organisieren. Er streckte den Frauen Geld für die Busreise vor oder Chauffeure brachten sie im Privatauto mit Schweizer Kennzeichen direkt von Polen zu Goran. Keine der Frauen war im Besitz der erforderlichen Aufenthalts- bzw. Arbeitsbewilligung. Sie prostituierten sich in der Schweiz außerhalb der gesetzlichen Bestimmungen.

Goran beschäftigte ausnahmslos ausländische Frauen. In seinem Haus standen jeweils im Minimum fünf Frauen zum Einsatz bereit. Die Frauen waren zwischen zwei Wochen und sechs Monaten für Goran tätig. In mehreren Fällen bekamen die Prostituierten den versprochenen Lohn nicht, „weil sie schlecht gearbeitet und nicht das eingebracht haben, was ich für sie ausgegeben habe“ (Vernehmungsprotokoll, Bezirksgericht Zürich). Namentlich bekannt sind 18 zum Teil noch nicht zwanzigjährige Frauen, die Goran zu einem Gesamteinkommen von 500’000 Franken in neun Monaten verhalfen. Die genaue Anzahl Frauen ist nicht bekannt.

Namentlich bekannt sind auch elf Chauffeure (darunter vier Polen, drei Deutsche, ein Österreicher, ein Schweizer und ein Tscheche), die die Frauen zu den Freiern fuhren, sie telefonisch überwachten und den Dirnenlohn einkassierten. Zum Teil holten diese Chauffeure die Frauen aus ihren Herkunftsländern ab. Sie gaben ihnen Anweisungen,
wie sie sich der Polizei gegenüber zu verhalten hätten, um nicht aufgrund ihrer illegalen Tätigkeit ausgewiesen zu werden. Vier der Chauffeure waren zur Tatzeit knapp über 40 Jahre alt, einer knapp über 30 und einer unter 25. Goran verfügte über fünf Privatautos für die Fahrten zu den Freiern. Die Chauffeure verdienten zwischen 2000 und 3000 Franken pro Monat.

Goran beauftragte teilweise professionelle Vermittler, um für den Nachschub von Frauen zu sorgen. Namentlich bekannt sind sieben (fünf Polen und zwei Tschechen). Einer vermittelte mindestens acht Frauen an Goran und erhielt dafür 1000 Franken pro Monat und Frau (insgesamt ca. 8000 bis 11’000 Franken), führte zudem einen eigenen Begleit-Service und erhielt von Goran insgesamt mindestens 60 Aufträge von Freiern zugewiesen. Zwei weiteren Frauen wurde der Grenzübertritt in die Schweiz verweigert. Ein anderer brachte im Mai 1995 eine Polin in die Schweiz und lieferte sie bei Goran ab. Dafür erhielt er eine Provision von 2400 Franken.

Wie dem Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 31. Januar 2001 zu entnehmen ist, wurde gegen Goran und weitere Personen bereits anfangs Mai 1995 wegen Verdachts auf eine kriminelle Vereinigung, Menschenhandel, Förderung der Prostitution und ANAG-Verstößen ermittelt. Die Verhaftung mit anschließender Untersuchungshaft erfolgte im August desselben Jahres. Im Dezember wurde er aus der Haft entlassen. Bis Juni 1996 erfolgten diverse Einvernahmen und Konfrontationseinvernahmen. Ende Oktober 1998 wurde das Verfahren betreffend Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte eröffnet. Im April 1999 fand die Schlusseinvernahme statt. Mit Verfügung vom 5. Juni 2000 stellte der Bezirksanwalt das Verfahren gegen Goran betreffend Menschenhandel und kriminelle Organisation ein. Die Anklage für das vorliegende Urteil vom 31. Januar 2001 ging beim Bezirksgericht im Juni 2000 ein. Einen Grund für die knapp vierjährige Bearbeitungslücke von 1996 bis 1999 konnte die Anklage nicht geben.

Goran wurde 1969 in Belgrad geboren. 1972 reiste seine Mutter in die Schweiz und ließ ihren Sohn beim Vater zurück. Sie heiratete einen Schweizer, der Goran nachkommen ließ und adoptierte. In dieser Familie wuchs er mit zwei Stiefbrüdern auf. Nach abgeschlossener Schulbildung machte er eine Ausbildung als Sanitärinstallateur. Er arbeitete etwa ein halbes Jahr in seinem Beruf und machte weitere Ausbildungen als Verkaufsberater und Wirt. Als er noch als Sanitärinstallateur arbeitete, lernte er das jugoslawische Au-Pair (530) Milla kennen, die er 1991 heiratete. In dieser Zeit machte er auch die Bekanntschaft einer Prostituierten mit eigenem Solarium. Durch sie lernte er Robert kennen, der einen Sexsalon betrieb, wo kurz darauf auch seine Ehefrau Milla als Prostituierte Geld verdiente. Nach kurzer Tätigkeit in einer Bar in Zürich machte sich Goran selbständig und richtete einen Telefonsexdienst ein, wo auch Milla aushalf. Als die zu diesem Zweck gegründeten Firmen nicht florierten, wandte er sich dem Geschäft mit ausländischen Prostituierten zu (Callgirl-Ring). Zwischenzeitlich ließ er sich von Milla scheiden und heiratete die polnische Prostituierte Jana. Nach seiner Verhaftung und der Entlassung aus der Untersuchungshaft versuchte er sich als Verkäufer und Versicherungsagent. Auch in diesen Tätigkeiten fand er keine Befriedigung und begann anfangs 2000 eine neue Ausbildung als Web-Master. Mittlerweile hatte er sich auch von seiner zweiten Frau Jana getrennt. Bei Prozessbeginn verdiente er als Internet-Consultant 3400 Franken pro Monat und hatte Schulden in Höhe von ca. 100’000 Franken.

Die Motivation zum Betreiben eines Callgirl-Rings war sein eigener finanzieller Vorteil. Dabei nutzte er die für ihn tätigen Frauen aus. Nach eigenen Angaben verdiente er selber viel, während er die Prostituierten nur mit einem geringen Anteil entlöhnte. Sein Bemühen um immer wieder neue Frauen aus Osteuropa zeigt dem Gericht auch, dass es ihm darum ging, möglichst viele Frauen als Prostituierte für sich arbeiten zu lassen, um so ein möglichst hohes Einkommen zu erzielen. Das Gericht berücksichtigt, dass er lediglich verbalen Druck auf die Prostituierten ausübte und keine körperliche Gewalt anwendete. Zu seinen Gunsten spreche auch, dass er sich zwischenzeitlich „wohl“ verhalten habe und Abstand zum Milieu zu haben scheine. (531) Strafmindernd sei dem Angeklagten sein weitgehendes Geständnis und sein kooperatives Verhalten in der Untersuchung zugute zu halten. Stark strafmindernd wirke auch die Verletzung des Beschleunigungsgebotes durch die Bezirksanwaltschaft.

Das Zürcher Bezirksgericht spricht Goran am 31. Januar 2001 der mehrfachen Förderung der Prostitution und der mehrfachen Widerhandlung gegen das ANAG schuldig. Es bestraft ihn mit 18 Monaten Gefängnis bedingt und einer Buße von 5000 Franken (ohne die Kosten für den amtlichen Verteidiger und das psychiatrische Gutachten mit einzubeziehen). Er musste die Gerichtskosten in Höhe von ca. 80’000 Franken übernehmen, was mit den beschlagnahmten Vermögenswerten abgegolten wurde.

Bezeichnend für diesen Fall sind drei Punkte: Die lange Dauer des Verfahrens, das Fallenlassen des Schutzgedankens der Opfer von Menschenhandel bzw. die wohlwollende Haltung des Gerichts zu Lasten der abwesenden Opfer und die Beurteilung der „Arbeitsbedingungen“ der Prostitution.

Die lange Dauer des Verfahrens kann teilweise der Unsicherheit der Anklage zugeschrieben werden, die sich auf Grund der kontroversen Lehrmeinungen über die Anwendung des Artikels zu Menschenhandel und der daraus möglichen Ableitung einer prostitutionsmarktfreundlichen rechtlichen Auslegung von Prostitution als „Arbeit wie jede andere auch“ von ihrem vorgängigen Entschluss, auf Menschenhandel zu klagen, abbringen ließ.

Anlass zur Neuorientierung boten möglicherweise auch zwei ähnliche, mit dem Fall Goran vergleichbare Fälle, die die Zürcher Strafverfolgungsbehörde zu behandeln hatte (Kap. 5.5.2 und 5.5.3). Zu vermuten ist auch, dass die Anklage einen Bundesgerichtsentscheid abwarten wollte, um nicht in einer Thematik, die mittlerweile auch in der Öffentlichkeit Resonanz gefunden hatte, einen Ansatz zu vertreten, der von höheren Instanzen wie Obergericht und Bundesgericht nicht geteilt würde.

Der Bundesgerichtsentscheid vom 24. Januar 2000 (532) wies dann insofern deutlich die Richtung der Spruchpraxis, wonach die Clubbetreiber, die ausländische Frauen anbieten, nicht einmal wegen Förderung der Prostitution, geschweige denn wegen Menschenhandels, sondern lediglich wegen Verstößen bzw. Widerhandlungen gegen das ANAG gerichtlich belangt wurden. Denn die „Arbeitsbedingungen“ im Wellness-Club entsprachen den Vorstellungen des Gerichts, indem sie die Freiheit der Prostituierten, ihre Tätigkeit als solche auszuüben, nicht einschränkten.

Wie eine Informantin berichtet, ist der inzwischen wieder arbeitslose Goran bereits von neuem im Milieu tätig. Die wohlwollende Prognose der Zürcher Richter und die milde Bestrafung scheinen Goran zu ermuntern, sein Geld weiterhin auf diese Weise zu erwirtschaften.

5.5.2 Internationale Netzwerke: Erfolg mit „Escort“

Der Fall „Escort“ zeigt, welche Umstände dazu führten, dass die Selbstbestimmung, insbesondere die Freiheit von Prostituierten bzw. deren Einengung und Beschränkung ins Zentrum der gerichtlichen Praxis rückte.

Tibor war der eigentliche Chef des Begleit-Service „Escort“. Er führte in den Jahren 1993 bis 1995 von der „Zentrale“ in Zürich die ganze Organisation, wobei er maßgeblich mit Edgar zusammenarbeitete, der für das Überwachen der Einnahmen und den Betrieb der Telefonzentrale verantwortlich war. In dieser Zeit arbeiteten mindestens 26 Prostituierte für Tibor, die vor allem aus wirtschaftlich prekären Verhältnissen aus Polen, der Ukraine und Brasilien stammten. Der Fall ist in Kap. 4.6.2 ausführlich beschrieben.

Obwohl die Frauen faktisch die Möglichkeit hatten, jederzeit aus der Schweiz auszureisen, da sie ihren Pass auf sich trugen, um sich bei polizeilichen Kontrollen als Touristinnen ausgeben zu können, zogen sie es vor zu bleiben, um so viel Geld wie möglich zu verdienen.

Am 10. November 1997 verurteilte das Bezirksgericht Zürich Tibor, weil er seine Machtposition ausgenützt und die Prostituierten in ihrer Handlungsfreiheit beschränkt hatte, indem er Ort, Zeit und Umstände der Prostitution bestimmte, wegen Förderung der Prostitution und Vergehen gegen das ANAG. Die Strafe lautete auf 30 Monate Gefängnis und 20’000 Franken Buße. Ausserdem wurde er für die Dauer von sieben Jahren des Landes verwiesen und musste vom unrechtmäßig erlangten Vermögensvorteil 50’000 Franken an die Staatskasse abliefern und die Verfahrenskosten in Höhe von 1500 Franken tragen.

Sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich legten gegen diesen Entscheid Berufung ein. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 28. September 1998 im Wesentlichen den Entscheid der Vorinstanz.

5.5.3 Der Gehilfe

Das Bezirksgericht Zürich beschäftigt sich in seiner Sitzung vom 28. Oktober 1998 mit Edgar, dem mit einer Schweizerin verheirateten Komplizen von Tibor aus Österreich. Das Gericht bewertet das Verschulden des Angeklagten zwar als erheblich, gewichtet es jedoch als wenig schwer. Es hält Edgar zugute, dass er mit den Frauen anständig umgegangen ist und am Gewinn in wesentlich geringerem Maße beteiligt war als Tibor. Strafverschärfend wirken sich allerdings die Zahl der Delikte sowie der Rückfall aus.

Mit dem „Rückfall“ verhielt es sich so: Nachdem im Juli 1995 der Begleit-Service Escort durch die Polizei zerschlagen worden war, und Edgar sein dort erworbenes Geld ausgegeben hatte, beschloss er, mit seinem langjährigen Bekannten Tibor den neuen Begleitservice Tango zu organisieren. Die beiden waren sich einig, dass sie keine Frauen aus dem Ausland kommen lassen, sondern nur ausländische Prostituierte anstellen wollten, die sich bereits in der Schweiz aufhielten. Auch beschränkten sie sich auf eine einzige Wohnung und verzichteten ganz auf Bewacher. In den ersten Wochen wollten sie mit hier wohnhaften Prostituierten, d.h. Frauen mit eigenem Wohnsitz und Arbeitsbewilligung, auf reiner Provisionsbasis arbeiten, bis sie genügend illegale Frauen, d.h. Frauen ohne Wohnsitz und ohne Arbeitsbewilligung gefunden hätten. Die Erfahrung hatte die Männer gelehrt, dass Prostituierte mit Bewilligung Kunden abwarben und sich rasch selbständig machten, ohne Provisionen zu bezahlen oder sich an den Auslagen wie Inseraten, Telefondienst, Chauffeurdiensten zu beteiligen. Sie betrieben den Begleitservice Tango von Januar bis Dezember 1997. Der eigentliche Chef war wiederum Tibor, der auch den Löwenanteil des Gewinns kassierte. Edgar leitete den ganzen Innenbetrieb und nahm nebst Kost und Logis durchschnittlich 6000 Franken pro Monat ein.

Das Bezirksgericht Zürich verurteilt Edgar wegen Förderung der Prostitution, Widerhandlungen gegen das ANAG sowie Fälschung von Ausweisen und bestraft ihn mit 20 Monaten Gefängnis ohne Probezeit und 1000 Franken Buße. Aufgrund der familiären Beziehungen des Angeklagten zur Schweiz (Ehefrau) verzichtet es auf eine Landesverweisung. Angesichts der persönlichen Verhältnisse und um die Rehabilitierung nicht zu gefährden (Schulden in Höhe von 30’000 Franken, monatliches Einkommen von 2500 Franken) verpflichtet es Edgar, 10’000 Franken vom unrechtmäßig erlangten Vermögensvorteil an die Staatskasse abzuliefern sowie die Gerichtskosten inklusive amtlicher Verteidigung in Höhe von ca. 10’000 Franken zu tragen.

Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte beim Obergericht Berufung ein, die Bezirksanwaltschaft verlangte Bestätigung des Urteils. Mit Entscheid vom 27. Mai 1999 setzt das Obergericht des Kantons Zürich die Strafe gegen Edgar von 20 auf 15 Monate herab, bestätigt aber ansonsten das Urteil der Vorinstanz.

Ob der Angeklagte den Tatbestand erfüllt habe, hängt laut Zürcher Obergericht in erster Linie davon ab, ob den Prostituierten noch eine gewisse Entscheidungsfreiheit bei der Ausübung ihres Gewerbes verblieb, nachdem sie sich der vom Angeklagten festgelegten „Betriebsordnung“ unterzogen hatten. Entscheidend sei mithin, ob die Prostituierten faktisch noch die Möglichkeit hatten, frei darüber zu entscheiden, wann und in welchem Umfang sie sexuelle Wünsche von Kunden erfüllen wollten. Zusammenfassend hält das Gericht fest, dass sich die Prostituierten, sobald sie sich der Begleitagentur angeschlossen hatten, praktisch ausschliesslich dem Willen und den Vorgaben der Agenturbetreiber unterzuordnen hatten, und wertet das Verhalten von Edgar als Straftatbestand.

Edgar ist mit dem Urteil nicht einverstanden und führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Am 27. November 1999 (533) weist die höchstrichterliche Instanz die Beschwerde ab mit der Begründung, dass die Frauen zwar in einem gewissen Sinne „freiwillig“ beim Escort-Service blieben, obwohl sie sich „wie in einem Gefängnis“ fühlten. Solange sie aus welchen Gründen auch immer dabei blieben und keine Entlassung riskieren wollten, kontrollierte sie Edgar und schrieb ihnen die Modalitäten der Arbeit in allen Einzelheiten vor. Dies reichte dem Bundesgericht für eine Verurteilung aus. Der Beschwerdeführer musste die Gerichtsgebühr von 2000 Franken tragen.

5.5.4 Wertung der Zürcher Spruchpraxis

Die Zürcher Gerichtsbarkeit gibt in diesen drei massiven Fällen von organisierter Prostitutionsmigration die Richtung der Spruchpraxis an. Es zieht Menschenhandel dabei nicht in Erwägung sondern behilft sich mit der Strafbestimmung über die Förderung der Prostitution. Das schützenswerte Gut ist die Freiheit der Prostituierten, ein Bordell oder eine Agentur mit einer Betriebsordnung zu finden, die sie nicht einengt. Der Schutzgedanke scheint darin aufzugehen, dass die Gerichte die Arbeitsbedingungen in den Bordellen prüfen, wo sich Frauen aus Armutsländern oder weniger reichen Ländern als die Schweiz prostituieren, um eine Existenz zu fristen oder Schulden abzuzahlen. Dass Frauen eventuell die Freiheit, sich gar nicht prostituieren zu müssen, um eine Existenz jenseits von Armut und Not führen zu können, der Freiheit, zwei Stunden ungestört shoppen zu gehen oder einen unter den vielen Freiern einmal ablehnen zu können, vorziehen würden, liegt außerhalb der rechtlichen Würdigung und wird argumentativ nicht in Betracht gezogen.

Auch der — oberflächlich betrachtet — tolerant-liberalen Haltung, die die Freiheit der Einzelnen, sich zu prostituieren, beileibe nicht tangieren will, haftet etwas Groteskes an. Die Ausführungen zum Schutz der Freiheit der Prostituierten, die jene Verhaltensweisen erfasst, die die Selbstbestimmung der Prostituierten bei der Ausübung ihres Gewerbes einschränken, halten einem Vergleich mit den Arbeitsbedingungen in anderen Tätigkeiten nicht Stand. Welche Putzfrau würde nicht sofort entlassen, wenn sie statt um sechs Uhr morgens wegen Unpässlichkeit erst gegen 10 Uhr am Arbeitsort erschiene, um dann die Fenster wegen Rückenschmerzen nicht zu putzen, die Papierkörbe aus Ekel nicht zu leeren, die Anweisungen des Chefs über das neue Putzmittel als Beschneidung ihrer Freiheit, so zu putzen, wie sie es für richtig hält, zurückzuweisen, der Arbeit aus Überdruss mittags den Rücken zu kehren mit der Bemerkung, sie käme vielleicht morgen vorbei? Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Das Urteil verdeutlicht aber auch, dass die Jurisdiktion doch gewisse Hemmungen hat, Prostitution als „Arbeit wie jede andere auch“ zu qualifizieren.

Das Obergericht spricht von „Hinderung der Rückkehr in ein normales Leben“, und Stratenwerth interpretiert die Bundesrätliche Botschaft so, dass der Gesetzgeber „den Menschen vor und in einer ihn erniedrigenden Lebensform“ (1995: 401) schützen will. Dass „der Mensch“ sich dann zum größten Teil als Frauen in prekären wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen und vielfach aus Ländern mit einem Wohlstandsgefälle gegenüber der Schweiz entpuppt, mag bei den Überlegungen zur „Freiheit der Prostituierten“ immerhin mitgeschwungen haben.

Es fällt auf, dass Fragen der Integration vollkommen ausgeklammert sind und keinerlei Beachtung finden. Allen voran müsste doch der Fiskus bei so vielen „Freiwilligen“ ein Interesse daran haben, dass diese als selbständig Erwerbende auch besteuert werden bzw. dass die Steuerpflicht auf die Bordell- und Servicebetreiber und -inhaber zurückfällt. Ganz zu schweigen von den Beiträgen für das soziale Sicherheitsnetz, Institutionen, die die Attraktivität der Schweizer Arbeitsmärkte, auch des Prostitutionsmarktes und des Schwarzmarktes, wesentlich steigern.

Für Frauen scheint es zu genügen, wenn sich ihr Integrationspotenzial im „Dienst am Mann“ erschöpft, sei es als Ehefrau, Scheinehefrau oder als Prostituierte. Denn das „Ernährermodell“, im 19. Jahrhundert für den bürgerlichen Mittelstand konzipiert, das den Mittelstandsfrauen Privilegien via Eheschließung einräumte, wirft seine sozialpolitischen Schatten auf die Geschlechterverhältnisse heutiger, auf den globalen freien Markt ausgerichtete Gesellschaften und dient nach wie vor als Grundlage vieler sozialpolitischer Absicherungen. Allerdings fallen auch hier die Unterschiede beträchtlich aus, je nach sozialer und finanzieller Potenz des „Ernährers“. (534) Diesen „alten Zopf“, nämlich das „Ernährermodell“, wissen nicht nur Prostituierte und deren Zuhälter durch „Abzockerei“ von Freien für sich zu nutzen. Denn die Karriere und Leistungsfähigkeit vieler Männer sowie die Reduktion vieler Frauen auf die Herstellung privater Bequemlichkeit hängen davon ab. Prostituierte und ihre Zuhälter wissen sich also in bester Gesellschaft mit dem gesellschaftlichen mainstream, der weibliche Emanzipation von privater wirtschaftlicher Abhängigkeit von Männern ausgrenzt und bestraft und dafür rückständige Auffassungen von Geschlechterbeziehungen mit Leistungen belohnt, die den Rahmen sozialstaatlicher Solidarnetze zu sprengen drohen. Für unser Thema bleibt die Unsicherheit, was denn nun als Freiwilligkeit zu gelten habe und wie und ob der Artikel über Menschenhandel überhaupt anzuwenden sei.

5.5.5 Erotische Wellness: Die Instanzen sind sich nicht einig

Wegen Förderung der Prostitution und teilweise wegen Menschenhandels etc. Stehen Erna, Anton, Christoph und Walter im Juli 1999 vor dem Kantonsgericht Graubünden. Kurz zusammengefasst handelte es sich um einen als Aktiengesellschaft organisierten Wellness-Club auf der Grundlage von Prostitution. Gegen eine Eintrittsgebühr
von 60 Franken konnte sich die vorwiegend männliche Kundschaft die weiblichen Prostituierten aussuchen, mit denen sie nach einer Kennenlernphase an der Bar, angeheitert durch teure Getränke wie Champagner, in näheren Kontakt treten wünschten, zum Beispiel in separaten Nischen oder wenn es länger dauern sollte, in Privatzimmern des Hauses, wo die Prostituierten wohnten. Bereits am Eingang konnten die Kunden aus einem „Menu“ mit Preisliste das entsprechende Angebot aussuchen. Vermittler vor Ort oder Erna, die bereits Milieuerfahrungen in Zürich gesammelt hatte, warben die Frauen, die durchwegs aus Armutsländern vor allem aus Osteuropa stammten, direkt an oder Erna bestellte sie über hiesige Vermittler gegen Zahlung (z.B. 8000 Franken an Lili, separates Verfahren) in den Club. Dort hatten die Frauen den Eintritt zu bezahlen und nach erbrachter Leistung ihren gesamten Dirnenlohn der Geschäftsleitung auszuhändigen. Die Betreiberin behielt 40% ein und überließ den Prostituierten die übrigen 60%. Die Abrechnung erfolgte am Schluss jedes „Arbeitstages“. Zwischen Mai und September 1998 waren durchschnittlich
zwei bis fünf sich prostituierende Frauen im Club anwesend. Insgesamt prostituierten sich dort mindestens 30 verschiedene Frauen. Das Geschäft lief gut, sodass die als Geschäftsführerin angestellte Erna, die ohne Berufsausbildung ist, 6500 Franken netto pro Monat verdiente. Für den Zeitraum vom 8. Juni bis 15. September verbuchte die AG einen Umsatz von 150’000 Franken. Davon fielen 40’000 Franken auf den Getränkeumsatz und 110’000 Franken auf Einkünfte aus Saunaeintritten, Zimmermieten und der 40%-Beteiligung der Prostituierten. Ca. 90’000 Franken nahm die AG allein von den Prostituierten ein.

Im August 1998 begab sich Erna zusammen mit Walter und Attila nach Ungarn, wo sie zehn aus schwachen wirtschaftlichen Verhältnissen stammende Frauen zum Zwecke der Prostitution für 2000 Franken monatlich und freie Kost und Logis anwarben. Vier Frauen haben vor Ort das Angebot angenommen. Von zwei Frauen, darunter Ilona, wurde eine Fotodokumentation erstellt. Attila brachte Ilona im September in den Saunaclub, wo sie an drei Abenden 1500 Franken erwirtschaftete. Den übrigen drei Frauen erteilte Erna eine Absage, noch bevor sie die Reise in die Schweiz angetreten hatten. Am 16. September nahm die Polizei Ilona fest. Sie verfügte weder über einen Pass noch über ein Flugticket. Lohn hatte sie bis dahin noch keinen erhalten. Einem Dolmetscher sagte sie, dass sie sich vorher noch nie prostituiert habe,

Die Staatsanwaltschaft machte geltend, dass der Sachverhalt durch die vier Angeklagten in allen wesentlichen Punkten anerkannt sei. Obwohl es an klärenden Bundesgerichtsurteilen zu dieser noch jungen Bestimmung fehle und das Kantonsgericht von Graubünden sich erstmals mit einer diesbezüglichen Anklage befasse, könne es keinen Zweifel geben, dass sich die Angeklagten der Förderung der Prostitution schuldig gemacht hätten, indem sie durch ihre Anordnung das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Prostituierten verletzt haben. Da Ilona glaubhaft machte, dass sie in Ungarn als Verkäuferin gearbeitet habe und sich erst im Bündner Wellness-Club prostituiert habe, müssten Erna und Walter überdies wegen Zuführung zur Prostitution verurteilt werden.

Für das Bündner Gericht ist allerdings der Tatbestand der Förderung der Prostitution für keinen der Angeklagten erfüllt, weil:

– die Frauen immer im Besitz ihrer Ausweispapiere waren und ihre Bewegungsfreiheit in keiner Weise eingeschränkt war,

– die Freier mit dem „Sauna-Eintritt“ die Benutzung der Infrastruktur bezahlten und nicht grundsätzlich ein Entgelt entrichten mussten, um überhaupt erst die Dienste der Prostituierten in Anspruch zu nehmen (vgl. Kapitel 4.6.6),

– die Frauen nicht gezwungen waren, einen gewissen Tagesumsatz zu erwirtschaften,

– die Frauen in der Vornahme sexueller Handlungen völlig frei waren und auch die Kunden frei auswählen konnten,

– die Frauen mit den Freiern auch „Eigengeschäfte“ abschließen konnten und den Erlös daraus nicht abliefern mussten,

– die Prostituierten als freiberuflich und selbständig erwerbend bezeichnet wurden.

Erna und Walter sind auch der Zuführung der Prostitution unter Ausnützung der Abhängigkeit einer Person oder eines Vermögensvorteils wegen angeklagt. Dabei bedarf es nach Trechsel (1997) einer gewissen Intensität der Einwirkung. Auch kann nur eine Person, „die nicht in der Prostitution steht“, der Prostitution zugeführt werden. (535)

Zu diesem Punkt argumentiert das Kantonsgericht, dass die Beweislast beim Staat liege, und es nicht die Aufgabe des Angeklagten sei, seine Unschuld nachzuweisen. Da Ilona in den zwei Einvernahmen durch die Polizei widersprüchliche Aussagen machte, bezweifelt das Gericht ihre Glaubwürdigkeit und geht davon aus, dass sie sich bereits in Ungarn prostituiert habe. Denn anlässlich der gemeinsamen Reise von Erna, Walter und Attila machte letzterer Nacktfotos von Ilona. Aus diesem Grund sei es sehr unwahrscheinlich, dass Ilona keine Erfahrungen im Milieu hatte, wenn sie sich von Leuten, die sie für die Prostitution anwerben wollten, nackt fotografieren ließ. Auch die Überlegungsfrist von zwei Tagen, die Erna ihr eingeräumt habe, was Ilona bestätigte, widerspreche der Absicht eines Täters, jemanden der Prostitution zuzuführen. Vor diesem Hintergrund sei die Aussage von Ilona, vorher als Kleiderverkäuferin gearbeitet zu haben, weniger glaubwürdig als die gegenteilige Behauptung von Erna und Walter, Ilona sei eine Prostituierte gewesen. Über den Tatbestand der Zuführung zur Prostitution bestünden erhebliche Zweifel.

Mit Urteil vom 12./13. Juli 1999 spricht das Kantonsgericht Graubünden alle Angeklagten der mehrfachen Förderung der Prostitution frei. Das Urteil lautet lediglich auf mehrfache Widerhandlung gegen das ANAG, auf je zehn Tage Gefängnis und eine Buße von 1000 Franken.

Die Staatsanwaltschaft führt gegen dieses Urteil eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Sie legt dar, dass die Betriebsordnung insofern eine Überwachung bewirkt habe, als dass die Prostituierten regelmäßig Rechenschaft über ihre Geschäftstätigkeit hätten ablegen müssen. Es habe ständig kontrolliert werden können, ob, wie und in welchem Maße eine Frau im Club der Prostitution nachgegangen sei. Damit sei das Tatbestandsmerkmal des Überwachens erfüllt. Daneben sei aber auch das alternative Tatbestandselement der Bestimmung von Ort, Zeit, Ausmaß oder anderer Umstände der Prostitution gegeben.

Dem Bundesgericht zufolge setzt die Strafbarkeit der Förderung der Prostitution nicht nur einen gewissen Druck, der auf die Prostituierte ausgeübt wird, voraus, sondern auch eine bestimmende Einflussnahme, die ihrem Willen oder ihren Bedürfnissen zuwiderläuft. (536) Nach übereinstimmender Auffassung in der Lehre ist das Führen eines Bordells für sich allein nicht generell als Ausnützung der Abhängigkeit der darin tätigen Prostituierten anzusehen. Entscheidender Gesichtspunkt sei aber auch hier, ob und in welchem Maß die Handlungsfreiheit der Betroffenen eingeschränkt ist.

Danach verletzt der Freispruch der Angeklagten nach den Feststellungen der Vorinstanz kein Bundesrecht. Eine bloße „betriebswirtschaftlich Kontrolle“, die mit der Prostituierten frei vereinbart worden ist und keine größere Abhängigkeit als die eines normalen Arbeitnehmers begründet, erfüllt den Tatbestand des Überwachens nicht. Mit Urteil vom 24. Januar 2000 (537) weist das Bundesgericht die Beschwerde als unbegründet ab.

Mit diesem Urteil ist die Richtung der Spruchpraxis vorgezeichnet: Fälle von Anwerbung, Überführung, Vermittlung und Beschäftigung von ausländischen Frauen in Schweizer Bordellen verstoßen lediglich gegen das ANAG, sofern die Betreiber rechtlich gut beraten, die „Arbeitsbedingungen“ so gestalten, dass die Frauen in der Ausübung ihrer Tätigkeit als Prostituierte weder behindert noch kontrolliert noch unter Druck gesetzt sind. Von Menschenhandel ist wie noch im Fall Thun oder auch St. Gallen (vgl. Kap. 4.8.1.2/3) keine Rede mehr.

Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Spruchpraxis dürfte die Auseinandersetzung um den Zürcher Fall Goran (Kap. 5.5.1) geleistet haben. Die Bezirksanwaltschaft ermittelte anfänglich wegen Menschenhandels und organisierter Kriminalität, ließ diese Anklage dann aber fallen, um die „Arbeitsbedingungen“ der ausländischen Prostituierten zu beurteilen. Der Fall war zunächst Gegenstand großen öffentlichen Interesses, das aber zunehmend erlahmte, je mehr Zeit zwischen der Aufdeckung des illegalen Geschäfts mit Prostitutionsmigrantinnen und einem Gerichtsverfahren verstrich. Im Zeitraum von seiner Verhaftung bis zur Verfahrenseröffnung gegen Goran behandelten das Zürcher Bezirksgericht bzw. die Strafkammer des Zürcher Obergerichts die beiden ähnlichen Fälle Tibor und Edgar (Kap. 5.5.2), die ein weniger starkes Medieninteresse auslösten, und prüften sorgfältig und ausführlich die Bedeutung
der „sexuellen Selbstbestimmung“. Das höchste Gericht bestätigte die dort entwickelte Argumentationsweise mit Urteil vom 27. November 1999. (538) Diese Sichtweise, Prostitutionsmigration/Menschenhandel als Form von Prostitution und diese als freiwillig gewählte, aber an besondere Bedingungen gebundene Arbeit aufzufassen, setzte sich denn auch im Bündner Kantonsgericht durch, was die vielen Bezugnahmen und Hinweise auf die Zürcher Gerichtsfälle Tibor und Edgar belegen. Das Bundesgericht bestätigte die Auffassung des Bündner Kantonsgerichts mit Urteil vom 24. Januar 2000, (539) indem es an die Argumentationsweise der Zürcher Richter anknüpfte und gegen die Auffassung der Staatsanwaltschaft Graubünden entschied, die sich allerdings ebenfalls auf die Ausführungen zur Förderung der Prostitution konzentrierte und dabei mögliche Argumentationszusammenhänge bezüglich Menschenhandel außer Acht ließ.

5.6 Änderung und Modifizierung der Spruchpraxis
5.6.1 Menschenhandel im Tessin

Am 17. Januar 2001 verurteilte der Präsident della Corte delle assise correzionali di Leventina Letha und ihren Freund Yussuf wegen Menschenhandels, Geldwäsche und Verstößen gegen das ANAG. Die beiden hatten während November 1998 und Mai 2000 etwa 80 Frauen vor allem aus Lettland und zum Teil aus Brasilien zwecks Prostitution angeworben, die Reise ins Tessin organisiert und vorfinanziert, die Frauen in Yussufs Osteria platziert oder an verschiedene weitere Salons und Clubs im Tessin vermittelt. Sie haben von der Prostitution der Frauen profitiert, indem sie ihnen Zimmer zu überhöhten Preisen vermieteten, mehr als das Doppelte für die Reisespesen zurückverlangten und Provisionen einkassierten. Mit diesen Geschäften bestritten die beiden ihren Lebensunterhalt.

Letha ist bei Prozessbeginn etwas unter dreißig Jahre alt. Sie kommt aus Lettland, wo sie zuletzt ein schlecht gehendes Partnervermittlungsinstitut zusammen mit ihrem Vater betrieb. Vor der politischen Wende hat ihr Vater als Ingenieur gearbeitet, seit den Umwälzungen ist er arbeitslos. Die Eltern sind seit 20 Jahren geschieden. Die Mutter ist Hausfrau und lebt von der Fürsorge. Letha hat eine Schwester, die — wie sie früher — als Coiffeuse arbeitet. Berufsausbildung hat sie keine. Als Letha noch minderjährig war, bekam sie ein Kind. Der Junge ist jetzt 11 Jahre alt und hat seinen
Vater nie gekannt. Als sie von einem Bekannten das Angebot bekam, in der Schweiz als Prostituierte tätig zu werden und dabei viel Geld zu verdienen, ergriff sie die Gelegenheit. Sie fuhr direkt ins Tessin und bediente in der Osteria von Yussuf Freier. Die beiden freundeten sich an und begannen gemeinsam, Lettinnen für die Prostitution anzuwerben, in die Schweiz zu bringen und sie gegen Provision zu vermitteln und zu platzieren. Seither schickt sie etwas Geld nach Lettland, um ihre Angehörigen zu unterstützen.

Yussuf ist 1965 in der Türkei geboren, ledig und kinderlos. Er hat sieben Geschwister, die alle in der Schweiz leben. Sein Vater besaß eine Metzgerei, wo der Sohn manchmal aushalf. Nach der obligatorischen Schulzeit wollte er Fußballer werden und kam 1988 ins Tessin. Zuerst arbeitete er in einem Steinbruch. Dann zog er sich eine Knieverletzung zu. Von 1990-1997 arbeitete er in einer Fabrik, wo ihm später gekündigt wurde. Danach war er arbeitslos. 1998 übernahm er die Osteria mit dem Kerngeschäft der Prostitution von Ausländerinnen, die außerhalb der gesetzlichen Bestimmungen der Prostitution nachgingen. Dort lernte er Letha kennen, mit der zusammen er sein Bordell weiter betrieb. Nach seiner Verhaftung war er wieder zwei Jahre arbeitslos. Bei Prozeßbeginn hatte er seit kurzem Arbeit als Maschinist gefunden, wo er 3500 Franken verdient.

Obwohl die Frauen aus Lettland freiwillig und ohne Zwang in die Schweiz kamen und von Letha wussten, welche Tätigkeit und welche Auflagen sie in der Schweiz zu erwarten hatten, verurteilten die Tessiner Bezirksrichter Letha und Yussuf wegen Menschenhandels mit dem Argument, dass die Lettinnen ohne die Intervention der Händler den Weg auf den Schweizer Prostitutionsmarkt nicht selbständig hätten wählen können. Allerdings sahen die Richter von der Verurteilung Yussufs wegen Menschenhandels für den Teil der Prostituierten ab, den das Paar für sein eigenes Bordell anwarb und in die Schweiz kommen ließ,

Die Strafe für Letha lautete auf 18 Monate Gefängnis auf Bewährung, eine Buße von 7000 Franken und drei Jahre Landesverweisung. Das Gericht verurteilte Yussuf zu einer Strafe von 14 Monaten Gefängnis auf Bewährung, zu einer Buße von 5000 Franken und konfiszierte den Betrag von 40’000 Franken auf den Bankkonten von Letha und Yussuf. Die Gerichtskosten von 1200 Franken gingen zu Lasten der Verurteilten.

Gegen diesen Entscheid haben Letha und Yussuf bei der Camera dei ricorsi penali del Tribunale d’appello in Lugano Rekurs eingelegt. Die Kammer beruft sich auf die Entstehungsgeschichte des Menschenhandelsartikels im Strafgesetzbuch, die Lehre und die Rechtsprechung, insbesondere BGE 126 IV 225 (Kap. 5.5.3). Sie geht auf das Recht von Personen ein, über ihr Sexualleben selbst zu bestimmen und erwägt das Argument der formalen Einwilligung gegenüber der wirklichen Willensfreiheit. Das Gericht bemerkt, dass die Vorinstanz den Punkt der freien Wahl der Frauen, als Prostituierte in der Schweiz tätig zu sein, nicht geprüft hat, sondern dass es sich auf die Aussagen der Angeklagten abstützte. Diese beteuerten, dass die Frauen aus freien Stücken (libera scelta) hergekommen seien. Das Gericht erörtert die Abhängigkeit von Frauen aus Armutsländern und findet, dass es nicht genüge, Armut anzuführen,
um den Tatbestand Menschenhandel zu etablieren. Prostitution an sich sei mit prekären ökonomischen und sozialen Umständen verknüpft (Prostituzione e condizioni economico-sociali precarie sono un binomio ricorrente). Deshalb brauche es nähere Angaben von Armut und Abhängigkeit, um dem Argument folgen zu können. Dass die Frauen 60 bis 90 Franken für eine Übernachtung bezahlen mussten, habe die Selbstbestimmung der Frauen nicht tangiert. Bezüglich der 38 Prostituierten, die das Paar für Yussufs eigenes Etablissement angeworben hat, könne der Menschenhandelsartikel nicht angewendet werden, da die Deckung des „Eigenbedarfs“ gemäß einhelliger Lehre nicht unter den Begriff „Handel“ falle. Ebenso wenig könne das Verhalten von Letha und Yussuf als Förderung der Prostitution gesehen werden, da der Druck, den der Täter auf die Prostituierten ausüben muss, um den Tatbestand (mit) zu qualifizieren, im vorliegenden Fall fehle.

Das Tessiner Kassationsgericht heißt den Rekurs von Letha und Yussuf gut und spricht mit Urteil vom 29. Mai 2001 die Appellanten frei von Verletzung des Art. 196 StGB, Menschenhandel, schuldig hingegen der Widerhandlung gegen das ANAG und des unerlaubten Waffenbesitzes. Die Strafe ist für beide zwei Monate Gefängnis und 4000 Franken Buße bei einer Probezeit von zwei Jahren und die Landesverweisung von Letha. Die konfiszierten Vermögenswerte werden zurückgegeben. Die Gerichtskosten gehen zu zwei Dritteln zu Lasten des Staates und zu einem Drittel je hälftig an die Appellanten.

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Tessin legte gegen diesen Entscheid Rekurs beim Bundesgericht ein. Mit Urteil vom 29. April 2002 (540) trat dieses teilweise darauf ein und wies die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.

Das Bundesgericht präzisiert, dass der Tatbestand des Menschenhandels in der Regel erfüllt sei, wenn junge Frauen, die aus dem Ausland kommen, unter Ausnützung ihrer schwierigen Lage zur Ausübung der Prostitution in der Schweiz engagiert werden. Deren Einwilligung in diese Tätigkeit sei nicht wirksam, wenn sie, wie im beurteilten Fall, durch die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse bedingt sei.

Mit diesem Urteil ändert das Bundesgericht auch die Spruchpraxis bezüglich „Eigenbedarf“, Die Tätigkeit eines Geschäftsführers oder Inhabers, der im Ausland Prostituierte für sein Bordell in der Schweiz anwirbt, unterliegt neu strafrechtlicher Verfolgung wegen Menschenhandels.

Das Gericht fügt an, dass sowohl die Präzisierung als auch die Änderung auf dem Hintergrund eines immer stärker expandierenden internationalen Prostitutionsgeschäfts zu sehen sei, dessen Lukrativität für immer mehr Personen seine große Attraktivität noch erhöhe, wobei immer mehr raffinierte und arbeitsteilige Netzwerke von der internationalen Prostitution profitierten.

Nach sehr großem Aufwand und einigen strittigen Rechtsfällen hat die oberste Gerichtsinstanz mit dieser Präzisierung und der Änderung der Spruchpraxis doch einen Weg vorgezeichnet, wie Menschenhandel in der Schweiz strafrechtlich verfolgt werden kann, um dem expandierenden Markt der internationalen Prostitution Grenzen zu setzen. Ob die Auseinandersetzungen zu internationaler Prostitution der bereits bestehenden neuen Situation der Freizügigkeit von Personen aus EU/EFTA-Mitgliedstaaten und der in fünf Jahren aktuellen Freizügigkeit von Staatsangehörigen einiger weiterer osteuropäischer Länder gerecht wird, ist allerdings fraglich. Denn durch die Naturalisation von Prostitutionsmigration/Frauenhandel und Prostitution scheint es in unserer Gesellschaft ganz natürlich und höchstens eine private Frage des sexuellen Selbstbestimmungsrechts, wenn Tausende von Europäerinnen, Asiatinnen, Afrikanerinnen und Lateinamerikanerinnen ihre einzige Existenzgrundlage in der Prostitution finden. (541) Angesichts eines großen Teils von Frauen, Kindern und alten Menschen, die weltweit in Armut und ohne Aussicht auf bezahlte Arbeit leben, eine zynische Sichtweise oder business as usual?

5.6.2 Die Bestätigung der neuen Spruchpraxis: BGE 129 IV 81

Die Thailänderin Sukorn Grob (geb. 1949) besaß zwischen 1993 und 1998 vier Salons und Bordelle in Zürich und weitere in Bern und Muri bei Bern.” Ihr geschiedener und ihr neuer Ehemann unterstützten sie bei der Geschäftsführung. Sie beschäftigte 39 fast durchwegs illegal tätige Thailänderinnen als Prostituierte. Zur Anwerbung ließ sie sich Fotos von Vermittlern schicken oder reiste persönlich nach Bangkok, um die Frauen zu kontaktieren. Dabei achtete sie darauf, dass die Frauen aus ärmlichen Verhältnissen stammten und sich nicht durch Schönheit auszeichneten.
Sie argumentierte, dass die Schönen nur aufs Heiraten aus seien und nicht mehr arbeiten wollten. Sie organisierte die Reise in die Schweiz und kontrollierte die Frauen hier umfassend.

Aus Sicherheitsgründen, wie sie angab, bewahrte sie den Pass ihrer Landsfrauen auf, ließ die Frauen in den Salons wohnen, versorgte sie mit Lebensmitteln und Artikeln des täglichen Bedarfs, bestimmte die „Arbeitszeiten“ und kassierte den gesamten Freierlohn ein. Sie entschädigte die Frauen erst nach Abzahlung der vorgestreckten
Reisespesen und Abzügen für Kost und Logis. Einigen Frauen vermittelte sie für 40-50’000 Franken Ehemänner, die zwar für ihre Scheinehen entschädigt wurden, denen sie den privaten Kontakt mit ihren Ehefrauen aber untersagte. Sukorn war in thailändischen Kreisen bekannt und hatte eine dominante Stellung im thailändischen Verein inne. Sie nützte diese Position, um allfällige Abtrünnige ihrer Salons bei Bekannten anzuschwärzen, sodass die thailändischen Prostituierten keine Chance hatten, die Salons von Sukorn zu verlassen und das Etablissement ohne ihre Einwilligung zu wechseln. Hingegen half sie ihren Bekannten bei Bedarf aus und „lieh“ ihnen Prostituierte aus dem eigenen Salon, eine „Leistung“, die auch sie umgekehrt beanspruchte, wenn gerade zuwenig Prostituierte in ihren Salons zur Verfügung standen.

Die Frauen reisten ausnahmslos mit Touristenvisa in die Schweiz ein und mussten das Land jeweils nach drei Monaten wieder verlassen. Um einzelne Landsfrauen länger als Prostituierte beschäftigen zu können, bestach Sukorn den befreundeten Zollbeamten Markus, der die bezeichneten Frauen aus Thailand auch mit einem abgelaufenen Visum am Flughafen Zürich-Kloten passieren ließ.

Sukorn hatte früher selber als Prostituierte in einem Salon gearbeitet. Vor Gericht sagte sie, dass sie den vielen armen Thailänderinnen habe helfen und ihnen in der Schweiz eine Chance zum Geldverdienen oder Heiraten habe geben wollen.

Das Bezirksgericht Zürich sprach Sukorn mit Urteil vom 14. Februar 2000 frei von Vorwürfen des mehrfachen Menschenhandels und der mehrfachen Förderung der Prostitution (Art. 195 StGB, Abs. 1,2,4). Hingegen sprach es sie wegen Überwachung der Prostituierten schuldig (Art. 195 StGB Abs. 3) sowie wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das ANAG und Bestechung, und verurteilte sie zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus sowie einer Buße von 10’000 Franken. Die Verurteilte wie auch die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhoben gegen dieses Urteil Berufung. Das Obergericht verurteilte Sukorn am 24. Januar 2001 wegen mehrfachen Menschenhandels, mehrfacher Förderung der Prostitution, mehrfacher Bestechung, mehrfachen Vergehens gegen das ANAG u.a. Das Gericht ließ Bargeldbeträge in Höhe von 24’000 Franken einziehen. Dagegen erhob die Verurteilte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde, die das Kassationsgericht am 22. Dezember 2001 abwies, soweit es darauf eintrat. Dagegen führte Sukorn eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Im Lichte der neuen Spruchpraxis (543) bestätigte das Bundesgericht mit Urteil vom 26. November 2002 (544) weitgehend das Urteil des Zürcher Obergerichts, insbesondere die Verurteilung wegen Menschenhandels, hieß aber die Beschwerde wegen Festhaltens in der Prostitution gut und wies die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurück. Sukorn hatte Pech und wurde wegen Menschenhandels verurteilt. Wäre ihr Fall vom obersten Gerichtshof früher behandelt worden, hätte man sie nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung freisprechen müssen, da die Anwerbung fürs eigene Etablissement bis zur Spruchpraxisänderung im Fall Letha und Yussuf (vgl. Kap. 5.6.1) keinen Straftatbestand darstellte. Mit diesem Urteil bestätigt das Bundesgericht seine Auffassung, Menschenhandel bzw. Frauenhandel, wie es in unseren Fällen besser hieße, gemäß internationalen Abkommen strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Es verzichtet auf die Eruierung der Motivation der gehandelten Frauen und leistet einen Beitrag zur unbeschönigten Benennung von realen Verhältnissen, die junge Frauen aus Armutssituationen oft genug dazu zwingen, ihren Lebensunterhalt im eigenen oder in einem fremden Land mit Prostitution zu bestreiten. Ob diese Rechtsprechung den betroffenen Frauen hilft? Vielleicht nicht kurzfristig und vielleicht nicht direkt. Zumindest zeigt diese Rechtsprechung auf, dass die Schweizer Strafverfolgung nicht bereit ist, Menschenhandel und insbesondere Frauenhandel zum Zwecke der Prostitution zu tolerieren. Damit macht sie den Weg frei für sozialpolitische Projekte, die die Ressourcen von Frauen in Armutsländern nachhaltig und unter Wahrung der Menschenwürde zu schützen und zu entwickeln versuchen.

5.7 Die Basler Variante

Interessant ist, dass zur gleichen Zeit die Basler Justiz in vielen Fällen, wo ausländische Frauen in verschiedenen Arten von Etablissements ohne die erforderlichen Bewilligungen als Prostituierte tätig waren, bereits ohne den Anklagepunkt „Förderung der Prostitution“ oder „Menschenhandel“ auskam.

Im November 1998 kontrollierte die Polizei den Massagesalon von Emilia, einer ledigen Masseuse mit italienischer Staatsbürgerschaft. Bei der Razzia trafen die Beamten auf drei slowakische Frauen bei der Ausübung der Prostitution ohne erforderliche Bewilligung. Die Anklage lautete auf mehrfaches Arbeitenlassen ohne Bewilligung (ANAG). Mit Urteil vom 18. August 1999 bestrafte der Strafgerichtspräsident Basel-Stadt die Saloninhaberin wegen Verstoßes gegen das ANAG mit einer Buße von 20’000 Franken.

Die hohe Buße erklärt sich aus dem Umstand, dass die selber als Prostituierte tätige Emilia bereits im Jahr 1998 wegen des gleichen Delikts eine Strafe von 5000 Franken bezahlen musste.

Durch einzelrichterliche Verfügungen wurden eine Reihe weiterer Salonbetreiberinnen und -betreiber für das Delikt „Arbeitenlassen ohne Bewilligung“ (ANAG) gebüßt. So etwa

– der Schweizer CK (geb. 1950) am 27. September 1999 zu 500 Franken,

– der Schweizer BS (geb. 1949) am 2. August 1999 zu 3000 Franken,

– die mittlerweile mit einem Schweizer verheiratete Prostituierte und Saloninhaberin aus Thailand SC (geb. 1959) nach vorgängiger Verwarnung am 14. Juni 1999 zu 15’000 Franken,

– die mittlerweile geschiedene, ebenfalls aus Thailand stammende Prostituierte und Saloninhaberin PK (geb. 1971) am 1. November 1999 zu 2000 Franken,

– die Deutsche RS (geb. 1941) am 24. November 1997 zu 1500 Franken,

– die Ex-Jugoslawin mit österreichischer Staatsbürgerschaft JR (geb. 1972) am 30. August zu 2000 Franken,

– die Kolumbianerin GB (geb. 1964) am 19. April 1999 zu 2000 Franken,

– die Prostituierte und Saloninhaberin YO (geb. 1971) aus Brasilien wegen Übertretung des Wirtschaftsgesetzes am 21. Juni 1999 zu 300 Franken.

Die Grenz- und Fahndungspolizei wies die bei der Prostitution ohne erforderliche Bewilligung angetroffenen Frauen aus und belegte sie mit einer Einreisesperre. So etwa

– die Ungarin JR (geb. 1972) am 2.8.1999,

– die Russin mit französischer Staatsbürgerschaft EN am 10. August 1999,

– die Bosnierin SB (geb. 1950) am 29. Juli 1997.

Ohne viel Aufhebens erkannte wohl die Basler Justiz, womöglich infolge der speziellen geopolitischen Lage am Dreiländereck, das sehr viele Grenzgänger kennt und damit auch häufig mit „Schwarzarbeit“ konfrontiert ist, den Trend, Prostitutionsmigrantinnen nach ANAG zu beurteilen (545) und ersparte den Strafverfolgungsbehörden und den Betroffenen immerhin aufwändige und kostspielige Verfahren. Die Frage nach dem „Gerechtigkeitsanspruch“ solcher Verfügungen lässt sich den vorliegenden Akten nicht entnehmen. Sicher jedoch wurde die Moralfrage beiseite gelassen, gültiges Recht angewendet und dem Markt mit der internationalen Prostitution Grenzen gesetzt. Jedenfalls erscheint diese Vorgehensweise schneller und wirkungsvoller als die strafrechtlichen Verfahren.

5.8 Kommentar zu den juristischen Debatten
5.8.1 Was wollte der Gesetzgeber schützen?

Vorerst sind drei Punkte festzuhalten:

1. Bei der Diskussion anlässlich der Revision des Sexualstrafrechts, das 1992 in Kraft trat, ging es den eidgenössischen Räten um den Schutzgedanken, insbesondere den Schutz vor sexueller Ausnützung von Personen in Abhängigkeitsverhältnissen. Abgesehen vom Schutz Minderjähriger stand bei dieser Debatte der Schutz der von ihren
Männern ökonomisch abhängigen Ehefrauen im Vordergrund. In diesem Zusammenhang war von der sexuellen Selbstbestimmung die Rede, womit die sexuelle Selbstbestimmung der Ehefrau gegenüber Übergriffen des Ehemanns angesprochen war. Als geschütztes Rechtsgut bezeichnete der Gesetzgeber die sexuelle Integrität, die damit Eingang ins Schweizerische Strafgesetzbuch fand.

2. Im Zuge der Revision des Sexualstrafrechts stimmten die Räte der ersatzlosen Streichung des Zuhältereiartikels zu. Gleichzeitig genehmigten sie die Formulierung des Straftatbestandes der Förderung der Prostitution (Art. 195 StGB) und bejahten diskussionslos die mehr oder weniger in der alten Formulierung belassene Norm betreffend Menschenhandel (Art. 196 StGB).

3. Mit diesem Vorgehen stiftete der Gesetzgeber Verwirrung bezüglich dem Inhalt sowie den Voraussetzungen des Schutzes und eröffnete den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten die Möglichkeit, ein bestimmtes Verhalten unter die Logik der sexuellen Selbstbestimmung oder aber unter die Logik des Schutzes zu subsumieren. Als Wegweiser für die Spruchpraxis hält der Bundesrat in seiner Botschaft zur Gesetzesrevision fest, dass entsprechendes Verhalten nach Art. 196 StGB unter Strafe stehe, auch wenn der „Handel“ zwecks Prostitution mit dem Einverständnis der Betroffenen erfolge. Zu dieser Verlautbarung sah sich der Bundesrat aus Gründen der internationalen Gesetzesharmonisierung verpflichtet, wollte er nicht den internationalen Abkommen über Menschenhandel, die bis heute in Kraft sind, die Grundlage der Anwendung entziehen.

Bleibt die Frage, was denn der Gesetzgeber schützen wollte. Ich stelle die Gegenfrage: Wie kann das Rechtsgut der sexuellen Integrität verstanden werden, wenn nicht als Schutz vor sexueller Ausnützung? Und ist Schutz vor sexueller Ausnützung nicht Schutz vor Instrumentalisierung von Sexualität? Das hieße, dass immer dann, wenn etwas anderes als reziproke Sexualität im Gegenzug zu signalisierter Sexualbereitschaft erwartet oder gefordert wird, von Instrumentalisierung der Sexualität, also von einer Verletzung des Rechtsguts der sexuellen Integrität die Rede sein müsste. Ohne sich auf einen psychoanalytischen Diskurs zum Thema Sexualität einlassen zu wollen, lässt die Debatte in den Räten doch auf einen grundlegenden Mangel in der bisherigen Rechtsauffassung von Sexualität schließen. Dieser Auffassung zufolge geht Sexualität vom Mann aus, vor der die Frau geschützt werden muss, wenn sie diese nicht will. Weibliche Libido scheint inexistent, Sexualität erscheint als Attribut des Mannes, der sie dem gesellschaftlichen Zugriff via individuelles Willenspostulat aussetzt. Damit besetzt die einseitig ausgerichtete, mit Machtansprüchen konnotierte
Kategorie des Willens den symbolischen Raum der Geschlechterverhältnisse und verdrängt die auf „den Andern“ ausgerichtete Kategorie des Begehrens aus dem sozial zu gestaltenden Raum der Sexualität. (546)

Der Gesetzgeber möchte wohl mit der lange gehegten, unzeitgemäßen und oft Weiblichkeit diskriminierenden Moral aufräumen, worin insbesondere dem Ehemann gegenüber der Ehefrau Privilegien im Sinne der Superiorität männlicher Sexualität qua Ehevertrag eingeräumt werden. Er folgt mit der Sexualstrafrechtsrevision einem sexualethischen Postulat, das in einer Gesellschaft, die die Gleichstellung der Geschlechter anstrebt als Antwort auf Instrumentalisierung durch einseitige sexuelle Ansinnen und Übergriffe auf Personen auch in Abhängigkeitsverhältnissen verstanden werden kann. So gesehen birgt der Ansatz der Sexualstrafrechtsrevision etwas
Fortschrittliches, wenn davon ausgegangen wird, dass sich die Geschlechter in sexuellen Dingen ebenbürtig sind, insbesondere auch Ehemann und Ehefrau.

Wenn sich die Logik des Gesetzes von einer idealtypischen Gleichheit aller Individuen auf der Welt leiten lässt, müsste der Gesetzgeber Abhängigkeits- bzw. Machtverhältnisse allerdings als wesentliche, unsere Gesellschaft strukturierende Realität anerkennen, Er käme nicht umhin, die aktuellen Geschlechterverhältnisse zu thematisieren und müsste versuchen, seine Aufgabe zur Herstellung von Recht im Sinne von sozialer Gerechtigkeit unter Berücksichtigung der geschlechtlichen Differenz wahrzunehmen im Bestreben, Diskriminierungen und Missachtung der sexuellen Integrität
aufgrund von Abhängigkeitsverhältnissen vorzubeugen und sozialen Unfrieden zu verhindern.

Wohl wissend, dass sich Abhängigkeits- bzw. Machtverhältnisse nicht per Erlass im Sinne einer Top-Down Strategie aufheben lassen, ist der Schweizer Gesetzgeber doch bestrebt, die sexuelle Integrität auch von Personen zu schützen, die in Arbeits- oder anderen Zusammenhängen in Abhängigkeitsverhältnissen leben. Dazu gehört etwa die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ebenso wie sexuelle Übergriffe in der Ehe. Letzteres wurde bis vor kurzem nur auf Antrag geahndet. Seit Kurzem gilt in der Schweiz Vergewaltigung in der Ehe als Offizialdelikt, das in jedem Fall strafrechtlich verfolgt wird. (547) Dies entlastet das Opfer insofern, als dass eine eindeutige Situation weder bagatellisiert noch eine Klage auf Druck einfach zurückgezogen werden kann. Angenommen, der Gesetzgeber begreift Prostitution als Instrumentalisierung der Sexualität zwecks Gelderwerbs, so geht es ihm offensichtlich nicht darum, den Angriff (durch Freier) auf die sexuelle Integrität (von Prostituierten) zu bestrafen. Aber er will gegen die Förderung der Prostitution durch Dritte vorgehen (Art. 195 StGB). Insbesondere will er der durch Dritte inszenierten bzw. unterstützten Instrumentalisierung der Sexualität von Personen Grenzen setzen, deren wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Ressourcen eine Instrumentalisierung opportun erscheinen lassen (Art. 196 StGB, Menschenhandel).

Wenn auch der Schweizer Gesetzgeber einer Diskussion über die sexuelle Selbstbestimmung in Verbindung mit Prostitution auswich und die Gesetzesvorlagen zu Prostitution und Menschenhandel „diskussionslos“ guthieß, kann daraus nicht gefolgert werden, dass sich die Zustimmung auch auf die nach fast 15 Jahren später geäußerte, der Botschaft widersprechende Auffassung des Bundesgerichts und eines Teils der Lehre bezieht. Allerdings bleibt das Dilemma zwischen Schutzgedanken und sexueller Selbstbestimmung, denn es gelingt dem Gesetzgeber nicht, über den Schatten der kurzlebigen political correctness zu springen. So weiß er der idealtypischen Gleichheit der Individuen und der daraus abgeleiteten Willensfreiheit, einen Vertrag abzuschließen oder nicht, nichts entgegenzusetzen als ihre Negation (Bundesrätliche Botschaft). Damit überlässt er es den Gerichten, Fälle bzw. Gesetzestexte nach dieser partiell zwar stringenten, aber umso realitätsferneren Logik zu klären und ermöglichtes den Gerichten, die Legitimität der Ökonomisierung von Geschlechtsbeziehungen zu begründen.

5.8.2 Prostitution als sexuelle Selbstbestimmung?

Die Frage stellt sich, auf welcher Grundlage Gerichte die Prostitution dem schützenswerten Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung zuordnen. Wie wir weiter vorne (Kap. 3.6) gesehen haben, vertritt dieses Postulat nur eine Minderheit von extremen Feministinnen hauptsächlich US-amerikanischer Provenienz, wo Prostitution verboten ist und Prostituierte teilweise Übergriffen und Diskriminierungen vor allem von polizeilicher Seite ausgesetzt sind. Prostitution wird in der feministischen Literatur überwiegend thematisiert als Möglichkeit von gesellschaftlich und finanziell
ungenügend abgesicherten Frauen (sehr junge Frauen, Hausfrauen mit Kindern ohne existenzsicherndes Einkommen, Frauen ohne Berufsperspektiven, arbeitslose Frauen, Frauen in Ausbildung, Migrantinnen und Migranten aus prekären ökonomischen, politischen, sozialen, finanziellen Verhältnissen, Unterschichtsfrauen etc.), ihre finanzielle Situation aufzubessern bzw. ihre Existenz zu fristen. Auch in der soziologischen Literatur wird Prostitution nicht unter „Sexualität“ abgehandelt, geschweige denn unter „sexueller Selbstbestimmung“ von Prostituierten. Allenfalls wird das
Freierverhalten, wenn nicht auf gesundheitliche Probleme hin thematisiert, am Rande mit Sexualität verknüpft.

Durch Art. 196 StGB wird der Handel mit Menschen unter Strafe gestellt, wenn er der Unzucht Vorschub leistet. Obwohl Prostitution in der Schweiz nicht verboten ist, fällt sie doch unter den Begriff Unzucht. Zwar gilt für selbständige Prostituierte die Gewerbefreiheit, die Übereinkunft, die sie mit dem Freier erzielt ist aber aus Gründen
der Sittenwidrigkeit nicht durch das Vertragsrecht geschützt. Nur die selbständige Prostituierte kann sich für die eigene Prostitutionstätigkeit auf die Gewerbefreiheit berufen. Da bei Menschenhandel Dritte ins Spiel kommen, wäre konsequenterweise ihre profitorientierte, professionelle Mitwirkung bei Prostitutionsgeschäften anderer unter Strafe zu stellen, da sie das Rechtsgut der sexuellen Integrität verletzen. Zuhälterei war bis 1992 strafbar, mit der Revision wurde der Artikel ersatzlos gestrichen. Die Streichung schuf ein Vakuum der Operationalisierung von Menschenhandel, das zwar mit Referenz auf die Botschaft des Bundesrats erkannt, aber vom Gesetzgeber nicht behoben wurde. Mit einer definitorischen Gleichsetzung von sexueller Ausbeutung mit einem Profitinteresse Dritter an der Prostitution beispielsweise hätte das Rechtsgut der personellen bzw. sexuellen Integrität operationalisiert werden können. Jede erwerbsmäßige Instrumentalisierung sexueller Ressourcen durch Dritte würde dann dieses Rechtsgut verletzen. Auch ließe sich argumentieren, dass bei Personen, die sich durch Dritte sittenwidrigen Verhältnissen ausgesetzt sehen, das Rechtsgut der Menschenwürde verletzt wäre.

Der Gesetzgeber beschäftigte sich engagiert mit der Forderung nach Qualifizierung von Vergewaltigung in der Ehe als Angriff auf das Rechtsgut der körperlichen Integrität und operationalisierte diesen Sachverhalt als Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung der Ehefrauen. Mit der Schaffung des Art. 195 StGB, Förderung der Prostitution, ließ der Gesetzgeber die Übertragung des Begriffs der sexuellen Selbstbestimmung auf die Prostitution diskussionslos zu und verknüpfte damit die Freiheit der Prostituierten, die Umstände der eigenen Prostitution selbst zu bestimmen. Damit stellt er die Verletzung eines wie und von wem auch immer definierten Selbstbestimmungsrechts unter Strafe. Überflüssigerweise, wie mir scheint, denn die Gewerbefreiheit erlaubt jeder niederlassungsberechtigten Person die Aufnahme der Tätigkeit als selbständige Prostituierte. Wenn aber der Begriff Selbstbestimmung schon inBezug auf Partner-Sexualität in oder außerhalb der Ehe einer Analyse nicht Stand hält, ist die Anwendung des Begriffs „sexuelle Selbstbestimmung“ zum Schutz der sexuellen Integrität Prostituierter bzw. zur Qualifizierung eines Straftatbestands Dritter fragwürdig. Das heißt, die Anwendung des Begriffs entzieht sich einer nachvollziehbaren Argumentation auf der Grundlage der geltenden Gesetze betreffend Menschenhandel und Vertragsrecht. (548)

Die Freiwilligkeit und die so genannte „sexuelle Selbstbestimmung“ der Beteiligten sind aber Schweizer Gerichten für die Qualifizierung der Tat und die Schuld des Täters maßgebend. Diese Argumentationsweise bedeutet einer Entlastung bzw. Belohnung des Täters, wenn sich das Opfer mit ihm und der Tat identifiziert und allfällige negative Konsequenzen der Tat werden den Prostituierten allein angelastet bzw. in die Herkunftsländer ausgelagert, Zu nennen sind gesundheitliche Schäden durch Alkohol oder Geschlechtskrankheiten, unerwünschte Schwangerschaften, physische Erschöpfung, psychische und soziale Folgen. Zu diesen gehören die Ausgrenzung von Rückkehrerinnen und psychische Traumata. Der soziale Schaden, den die hiesige bzw. die Herkunftsgesellschaft zu tragen hat, dürfte in diesen Fällen den kurzfristigen, individuellen Gewinn um ein Mehrfaches übersteigen. (549)

Der Begriff Freiwilligkeit setzt voraus, dass ein Geschäft nach Gutdünken nicht abgeschlossen bzw. eine Arbeit nicht ausgeführt werden muss. Für Angestellte in regulären Verhältnissen trifft dies nicht zu. Mit der Unterschrift unter einen Arbeitsvertrag verpflichten sich Angestellte, bestimmten Anweisungen zu folgen, unabhängig davon, ob es sich um einen tamilischen Kinderarzt handelt, der in der Schweiz als Verkäufer bei MacDonalds arbeitet oder um seine Ehefrau, die als Raumpflegerin stundenweise bei einer Reinigungsfirma angestellt ist. Das Postulat, eine Prostituierte müsse „völlig frei in ihren Entscheidungen sein“ verwundert deshalb und ist aus einer Arbeits-Logik heraus nicht nachvollziehbar. Die Freiwilligkeit bezieht sich wohl eher auf die „sexuelle Selbstbestimmung“. Diese Wortschöpfung wurde außerhalb eines Arbeitszusammenhangs kreiert und diente der Abgrenzung von Angriffen auf die sexuellen Ressourcen einer Person. Demnach ist nur die selbständige Prostituierte juristisch unbedenklich, da eine Selbstbestimmung per definitionem nicht auf Dritte übertragen werden kann, da nur die betroffene Person selbst allfällige Übergriffe tolerieren kann, zum Beispiel von einem Freier gegen Entgelt, oder von einem Ehemann, dem es später vielleicht leid tut oder von dem sie sozial oder wirtschaftlich abhängig ist.

Wenn Prostitution selbst als „sexuelle Selbstbestimmung“ verstanden werden sollte, so müsste die/der sich Prostituierende diesbezüglich den Beweis erbringen und bereit sein, diese Tätigkeit grundsätzlich freiwillig, d.h. ohne Entgelt auszuüben (zum Beispiel Promiskuität oder im Sinne von Freiwilligenarbeit, Blut- oder Organspende, Zeugenaussagen in Medien, bei Gericht etc.). Und dies widerspricht sowohl der Definition von Prostitution im Gesetz wie auch der Motivation der Prostituierten, die diese Tätigkeit gerade zum Zweck des Gelderwerbs ausführen. Die „sexuelle Selbstbestimmung“ ist geradezu Gegenstand des Prostitutionsvertrages, nämlich das, was der Freier kauft. Prostitution mit „sexueller Selbstbestimmung“ rechtfertigen zu wollen, führt also zwangsläufig zu Widersprüchen.

Der ethisch verankerte Begriff der Integrität spielt auch in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens eine zentrale Rolle. Die Verletzung dieser Integrität findet als Bestechung, Bestechlichkeit, Korruption, Korrumpierbarkeit oder als Betrug Eingang ins Strafrecht. Bringt man beispielsweise ein gewisses Verständnis auf für die Korrumpierbarkeit von Polizeibeamten und Richtern in einem Land, wo die Löhne tief und die Verbrechen lukrativ sind, lässt sich solches Verhalten jedoch keineswegs mit demokratischer Rechtstaatlichkeit vereinbaren oder gar legitimieren, auch wenn sich die Beamten „freiwillig“ und aus wirtschaftlicher Not korrumpieren ließen. (550) Nun fand mit der Revision des Sexualstrafrechts die sexuelle Integrität als geschütztes Rechtsgut Eingang ins Schweizerische Strafrecht. Nimmt man diese Norm ernst, so ist aus juristischer Sicht die Legitimität des Verhaltens von Personen, die eine Verletzung der sexuellen Integrität Dritter organisieren und davon profitieren, nicht einzusehen. Denn Prostitution ist primär durch Gelderwerb und nicht etwa durch sexuelle Selbstbestimmung motiviert und stellt, wenn Sexualität als reziproke Geschlechtsbeziehung verstanden wird, in jedem Fall eine Verletzung der sexuellen
Integrität dar, unabhängig davon, ob es sich dabei um eine so genannte Professionelle handelt, bei der die Verletzung der sexuellen Integrität offenbar qua Bezeichnung „Prostituierte“ a priori dann ausgeschlossen wird, wenn sie jene freiwillig bzw. Gegen Entschädigung toleriert, oder ob es sich um eine Ehefrau handelt, deren sexuelle Integrität gegen Übergriffe des Ehemannes geschützt ist. Denn beachtet man das universelle Postulat der Gleichwertigkeit aller Personen, gilt der Schutz dieses Rechtsgutes auch für Personen, die ihre sexuelle Integrität aus verschiedenen Gründen
gegen Bargeld und andere materielle oder immaterielle Vorteile freiwillig feilbieten. Daraus lässt sich folgern, dass für das Strafrecht dort, wo keine unbeteiligten Dritten zu Schaden kommen, kein Handlungsbedarf entsteht, wenn eine Person über ihre sexuelle Integrität zu ihrem eigenen Nutzen oder Schaden verfügt, aber in jedem Fall intervenieren muss, wo ein Interesse Dritter bzw. eine Form von Abhängigkeit oder Minderjährigkeit vorliegt. Darunter fallen alle „Arbeitnehmer-Arbeitgeber“-Verhältnisse, Vorstrecken von (Reise-)Geld, Vermitteln, Anwerben, Verwalten des Dirnenlohns, Verrechnen von Kost und Logis mit dem Dirnenlohn, Legalisierung durch Einwilligung in Scheinehen etc. und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine inländische, europäische oder außereuropäische sich prostituierende Person handelt. Dass Prostituierte, denen aus Interesse Dritter Gelegenheit zur Prostitution geboten wurde, ihr Recht auf sexuelle Integrität jederzeit gegenüber diesen einfordern und gerichtlich gegen diese vorgehen könnten, versteht sich von selbst, auch wenn sich die Betroffenen vorgängig „freiwillig“ in diese Situation begeben und finanziell davon profitiert haben.

Die privaten Geschäfte von Prostituierten und Bordellinhaberinnen hören spätestens dann auf, „privat“ zu sein, wenn die Geschäfte nicht gut laufen und die Betroffenen auf die staatlichen Solidarnetze zurückgreifen müssen. Wenn diese gut ausgebaut sind, mag eine Existenz immerhin noch möglich sein. Die Legitimierung des Anspruchs auf Solidarleistungen dürfte aufgrund der privaten Entscheidung, sich für die Tolerierung von Verletzungen der eigenen sexuellen Integrität bezahlt haben zu lassen, schwierig sein. Auch dann, wenn die Verletzung der sexuellen Integrität zur Gewohnheit geworden ist und naturalisiert als „Arbeit“ missverstanden wird. Wenn auch bekannt ist, dass viele Frauen und Männer ihre Existenzgrundlage in der Prostitution finden, grenzt es an Zynismus, diese Tatsache euphemistisch als Arbeit zu bezeichnen. Diese Lesart von Prostitution dient vor allem der Entlastung von der Kenntnisnahme der Not- und Armutssituation von Betroffenen sowie von gesellschaftlich konstruierten Abhängigkeits- und Machtverhältnissen.

5.8.3 Wie ist das Verhältnis zwischen Art, 195, Förderung der Prostitution und Art. 196 StGB, Menschenhandel?

Wenn auf der einen Seite die Strafbarkeit der Zuhälterei ersatzlos aufgehoben und auf der anderen Seite „Menschenhandel“ im Strafgesetzbuch verbleibt, muss sich der Gesetzgeber wohl den Vorwurf einer gewissen Widersprüchlichkeit gefallen lassen. Wie aus den Debatten der eidgenössischen Räte zur Gesetzesrevision hervorgeht,
wurde weder die Problematik der international organisierten Prostitution noch die der Prostitutionsmigrantinnen diskutiert. Es ist zu vermuten, dass die Räte der Ansicht waren, mit der gestrafften Formulierung von Art. 196 StGB sei der Neuzeitlichkeit und mit dem Belassen des Artikels sei den ratifizierten internationalen Abkommen Genüge getan. Mit dem Hinweis der Botschaft, dass auch unter den Schutz falle, wer voll einverstanden sei, sei die Richtung der Spruchpraxis ausreichend geklärt.

Dass der eine Artikel vom Schutzgedanken ausgeht und der andere von einem wie auch immer definierten Selbstbestimmungsrecht, muss den Gerichten insofern Kopfzerbrechen bereiten, als dass zwei verschiedene Herangehensweisen angewendet werden können, um einen Sachverhalt zu klären. Denn aus welchem Grund sollte eine einheimische junge Frau, die sich aus Geldnot von einer „Kollegin“ anwerben und von einem Vermittler oder einer Vermittlerin in ein Etablissement platzieren und den Inhaber an der Verwertung der Verletzung ihrer sexuellen Integrität teilhaben lässt, weniger des Schutzes ihrer sexuellen Integrität bedürfen, als eine Gleichaltrige, sagen wir aus der Ukraine? Oder geht man davon aus, dass die Willensäußerung einer Schweizerin oder Europäerin bzw. einer Inhaberin einer B-Bewilligung qua Nationalität a priori ihrem tatsächlichen Willen entspricht? Oder davon, dass je nach Nationalität und Gutdünken der Richter Prostitution einmal als sexuelle Selbstbestimmung wahrgenommen wird und ein andermal als sexuelle Ausbeutung? Oder andersherum gefragt: Was anderes unterscheidet eine schweizerische oder westeuropäische Prostituierte von einer ukrainischen Prostituierten in Bezug auf die Prostitution, als dass die eine ihr Gewerbe legal ausübt, während es die andere illegal betreibt?

Es drängt sich die Vermutung auf, dass sich der Gesetzgeber hier der politischen Verantwortung entzog, indem er weder auf die Kompatibilität der beiden Artikel noch auf die Anwendung des Rechtsgutes der sexuellen Integrität bezüglich Prostitution bzw. Prostitutionsmigration/Menschenhandel einging, sondern die Problematik „diskussionslos“ der Jurisdiktion überließ.

5.8.4 Wie soll eine Willensäußerung vom tatsächlichen Willen unterschieden werden?

Im Bestreben, den Gegenstand (Prostitution/Menschenhandel) nach einem einheitlichen Kriterium beurteilen zu können, dient dem Bundesgericht der Begriff der Selbstbestimmung als Gradmesser für die Qualifikation des Tatbestandes Menschenhandel. Wenn die Vermittlung dem Willen der Betroffenen entspricht, liegt also kein Menschenhandel vor. Dieses Verständnis legitimiert den Menschenhandel mit Einwilligung der Betroffenen, was klar dem Schutzgedanken der internationalen Abkommen widerspricht. Zudem verliert die Begriffe Freiwilligkeit und Selbstbestimmung die Konturen. Oft setzen sich die Betroffenen aus Eigeninteresse auchgegen Zwangsverhältnisse nicht offensiv zur Wehr. Es ist nicht zu erwarten, dass sie bereitwillig mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren.

Selbstbestimmung oder Freiwilligkeit muss somit für jeden Fall neu definiert werden. Das höchste Gericht verlangt, die Übereinstimmung einer Willensäußerung mit dem tatsächlichen Willen zu überprüfen, ein Unterfangen, das wohl nicht nur das Instrumentarium der Strafverfolgungsbehörden und Gerichtsinstanzen überfordert, sondern auch der Rechtssicherheit abträglich ist. Objektive Kriterien, diese beiden Willenszustände auseinander zu halten, sind schwer zu eruieren. Das Gericht schlägt denn auch vereinfachend vor, nicht von Selbstbestimmung zu sprechen, wenn vielfältige
Abhängigkeiten vorliegen, wie sie besonders bei illegal in der Schweiz tätigen Prostituierten anzutreffen sind. Wenn also der Schutzgedanke des Menschenhandelsartikels fallen gelassen wird bzw. den Fällen „mit einer gewissen Schwere“ vorbehalten bleibt, ist es den einzelnen Gerichten überlassen, Selbstbestimmung zu definieren. Während Schweizerinnen, EU- und EFTA-Angehörige selbst bestimmen können, was sie tun und lassen wollen, wäre die Motivationen von Personen aus anderen Ländern zu prüfen, insbesondere ob die Willensäußerung dem tatsächlichen Willen entspricht — ein wohlwollend bevormundender Ansatz denjenigen gegenüber, deren Herkunftsland außerhalb der EU/EFTA liegt.

Damit tritt auch die gesetzliche Regelung in den Hintergrund, die Prostitution im Sinne der Gewerbefreiheit grundsätzlich als selbständige Erwerbstätigkeit versteht. Denn nur selbständig Erwerbende können entscheiden, ob sie die eigene Sexualität instrumentalisieren und verwerten und damit die Verletzung der eigenen sexuellenIntegrität zulassen wollen. Unter dem Schutz der Gewerbefreiheit und des allgemeinen Vertragsrechts können die Betroffenen das Recht auf sexuelle Integrität einfordern, und zwar unabhängig davon, ob sie sich in dem Staat, der dieses Rechtsgut
kennt, legal oder illegal aufhalten, oder ob sie bei einem Zuhälter Schulden haben oder nicht. Dies böte ein Instrument, der Naturalisierung von Menschenhandel und Prostitution als „Arbeit wie jede andere auch“ entgegenzuwirken und das sozialethische Postulat der Gleichwertigkeit aller Personen, auch bezüglich deren sexuellerIntegrität, zu unterstützen, ohne auf Verbote (der Prostitution) oder diskriminierende Praktiken der „Doppelmoral“ oder Bevormundung zurückgreifen zu müssen.

5.8.5 Täter-Opfer-Problematik

Die Gerichte beurteilen das Verhalten von Tätern im Hinblick auf die Situation des Opfers. Identifiziert sich das Opfer mit der Tat bzw. mit dem Täter, wiegt dessen Tat leichter. Das Verhalten des Opfers (Freiwilligkeit, vorherige Prostitutionstätigkeit) wird für die Beurteilung des Täters maßgebend und die Tat, wie sie Art. 196 StGB, Menschenhandel, beschreibt, tritt in den Hintergrund. (551) Damit wird der Schutzgedanke für Opfer von Frauenhandel (wie er noch in der Botschaft und in den internationalen Abkommen aufscheint) zugunsten der „sexuellen Selbstbestimmung“ und zulasten der „nicht zeitgemäßen“ Rechtsgüter „Sittlichkeit“ und „öffentliche Ordnung“ fallengelassen. Weder im Menschenhandelsartikel noch in den diesbezüglichen rechtskräftigen Urteilen ist von Verstößen gegen die Sittlichkeit und die öffentliche Ordnung die Rede — ein längst abgeschnittener alter Zopf. Die „sexuelle Selbstbestimmung“ hingegen ist ein Begriff, der unglücklich und im Eifer der political correctness im Hinblick auf einen Angriff innerhalb der Ehe formuliert worden war.

Die Spruchpraxis mit Argumenten der „sexuellen Selbstbestimmung“ ermöglicht es, Frauenhandel im Sinne von Art. 196 StGB als Vermittlung an einen „Arbeitsplatz“ zu verstehen und Menschenhandelsaktivitäten als Förderung der Prostitution nach Art, 195 StGB zu ahnden, aber nur dann, wenn sich die Geschäftspraktiken des internationalen Prostitutionsmarktes allzu grober und bevormundender Methoden bedienen. Damit ist Frauenhandel naturalisiert und kann als „Arbeit wie jede andere auch“ verstanden werden, wenn sich die „Händler“ und Etablissementinhaber an die durch die Spruchpraxis festgelegten zulässigen „Arbeitsbedingungen“ halten, eine Ermunterung, nicht nur für Zuhälter und Clubbetreiber, sondern auch für in- und ausländische Frauen, sich an und durch Prostitution zu bereichern.

In der juristischen Diskussion stehen sich zwei Positionen gegenüber. Die Botschaft des Bundesrates und die internationalen Abkommen wollen auch Frauen schützen, die sich freiwillig in die Prostitution und Abhängigkeit begeben; ein Teil der Doktrin will nur dann von Menschenhandel sprechen, wenn über Personen wie über eine Ware verfügt wird, wenn sie schlecht oder gar nicht informiert oder unfähig sind, sich zu wehren. (552)

5.8.6 Aspekte der Jurisdiktion und der Gesetzgebung

Die Einführung einer neuen Rechtsnorm bzw. die Abschaffung oder Revision einer bestehenden setzen langwierige, in verschiedene Richtungen diffundierende Prozesse in Gang. Was dem juristischen Laien und dem von der Sache nicht näher Betroffenen klar und deutlich erscheint und angesichts der ihn umgebenden Realitäten einen unmittelbaren Sinn ergibt, nämlich dass Menschenhandel und auch die Förderung der Prostitution verboten sind und je nach Schwere des Falls angemessen bestraft werden sollen, löst bei den Strafverfolgungsbehörden, bei den gerichtlichen Instanzen und in
der Lehre, aber auch bei den „Menschenhändlern“, Vermittlern und Saloninhabern samt Prostituierten und Anwälten emsiges Forschen, Recherchieren, Abwägen, Klären, Vergleichen, Mutmaßen, Ausprobieren, Überlegen und Diskutieren aus, was denn genau verboten sei und was nicht, also was als erlaubtes Geschäft gilt. Diese Aktivitäten bezeichnen einen Diskurs, der innerhalb von bestimmten Strukturen einen modus operandi zur Qualifizierung des Tatbestandes entwickelt, der einerseits von den am Diskurs Beteiligten als nachvollziehbar anerkannt und andererseits von den Akteuren an ihrem Platz umgesetzt werden kann.

Die Entwicklung dieses modus operandi findet keineswegs im „luftleeren Raum“ statt: Das zu beurteilende Verhalten oder reale Vorkommnis muss von den Strafverfolgungsbehörden so dokumentiert und belegt sein, dass die Anklage das fragliche Verhalten in Form eines Falles aufbereiten und die mögliche Subsumtion unter den neuen oder revidierten Artikel für die Gerichtsbarkeit glaubwürdig vertreten kann. Das Gesetz legt den Strafrahmen für Menschenhandel mit „Gefängnis nicht unter 6 Monaten“ bzw. „Zuchthaus bis zu 5 Jahren“ unhandlicher und tiefer als für die Förderung der Prostitution, wo „Zuchthaus bis zu 10 Jahren oder Gefängnis“ vorgesehen ist, Faktoren, die die Anwendung von Art. 196 StGB, Menschenhandel, unattraktiv machen. Von der Vorstellung krimineller Organisationen, die nach dem Vorbild der Mafia/Cosa Nostra von Osten her operierend westliche Demokratien unterwanderten, war man offenbar schon früher abgekommen. (553)

Obwohl die Spruchpraxis der Gerichte in den verschiedenen Landesregionen bzw. Kantonen ziemlich eigenständig ist und der Tatbestand Menschenhandel auch ohne bundesgerichtliche Klärung etabliert werden konnte, kommt der Zürcher Rechtsprechung eine besondere Bedeutung zu. Der Prostitutionsmarkt in Zürich weist gesamtschweizerisch ein bedeutendes Volumen auf und die Zürcher Urteile stoßen auch deshalb auf überregionales Interesse. Maßgebend für die vom Bundesgericht später bestätigte Sichtweise des Bündner Obergerichts (vgl. Kap. 5.5.5) war die sorgfältig das Kriterium „sexuelle Selbstbestimmung“ überprüfende Argumentation der Zürcher Oberrichter in den Fällen Tibor und Edgar (BGE 126 IV 76, vgl. Kap. 4.6.2, 5.5.2, 5.5.3). Die Sicht der Bündner Staatsanwaltschaft, die mit dem Schutzgedanken von Menschenhandelsopfern argumentierte, wies das Bundesgericht damals zurück.

Im Fall Sukorn (vgl. Kap. 5.6.2) hatte das Zürcher Bezirksgericht auf eine Anwendung des Menschenhandelsartikels verzichtet. Das Zürcher Obergericht ließ es sich nicht nehmen, die Beschwerdeführerin doch wegen Menschenhandels schuldig zu sprechen, und bestätigte die Sicht der Bezirksanwaltschaft. Das kantonale Kassationsgericht wies die Beschwerde der schuldig Gesprochenen ab, worauf sie mit einer eidgenössischen Beschwerde ans Bundesgericht gelangte. Im Lichte der präzisierten und geänderten Spruchpraxis (BGE 128 IV 117) bestätigten die Bundesrichter die Rechtsprechung des Zürcher Obergerichts in der Hauptsache, legten aber Wert auf eine Korrektur und verwarfen eine Verurteilung wegen Festhaltens in der Prostitution. Während das Verhalten der Angeklagten Sukorn eine Subsumierung unter Menschenhandel bereits in der ersten Instanz zugelassen hätte und zum Beispiel in den Fällen Tibor und Edgar ebenso vertretbar gewesen wäre, trifft dies für die Fälle Goran und Ernesto bzw. Beat (vgl. Kap. 5.2.2, 5.4.4 Akzessorietät) erst im Lichte der geänderten Spruchpraxis (Anwerbung für das eigene Geschäft) zu. Da seit Inkrafttreten des revidierten Sexualstrafrechts ein juristisch einheitlicher Begriff von Handel fehlte, verwundert, dass es 10 Jahre dauerte, bis das Bundesgericht diesen Punkt klärte. Denn auch bei der Anwerbung des Inhabers oder Betreibers für das eigene Geschäft handelt es sich immer um die Unzucht Dritter — sofern unter Unzucht auch Prostitution verstanden wird, was weder Lehre noch Rechtsprechung infrage stellen.

Einen verblüffend einfachen Weg fanden die Basler Strafverfolgungsbehörden mit der Anwendung des ANAG für Personen, die ausländische Frauen ohne Aufenthaltsberechtigung als Prostituierte beschäftigen. Mit z.T. hohen Bußen bestraften sie Bordellbetreiber und leisteten damit einen kostengünstigen und rasch wirkenden Beitrag zur Bekämpfung von Frauenhandel.

Die Wirkung der Gerichtsbarkeit beruht auf der Glaubwürdigkeit der Spruchpraxis im Verhältnis zur wahrgenommenen Realität, aber auch auf der nachvollziehbaren Beziehung zu der durch den politischen Gesetzgeber legitimierten bzw. zu legitimierenden Norm. Die Glaubwürdigkeit entfaltet sicher dann ihren größtmöglichen Effekt, wenn in umstrittenen Sachfragen eine Kohärenz der Spruchpraxis sichtbar wird. Stehen Änderungen oder Präzisierungen an, so ist zu erwarten, dass diese aufgrund von neuen Erkenntnissen oder neuen Sachverhalten vorgenommen und die Kriterien, die dazu geführt haben, nachvollziehbar kommuniziert werden. Im Fall der Änderung der Spruchpraxis bezüglich Anwerbung von Prostituierten für das eigene Etablissement (Eigenbedarf) trifft dies zu, es bleibt lediglich die Frage offen, warum es etliche Fälle und Jahre brauchte, bis die Spruchpraxis geändert wurde.

Auf die Operationalisierung der sexuellen Integrität trifft dies nicht zu. Mit der Präzisierung der Rechtsprechung wird den internationalen Abkommen, die den Schutzgedanken favorisieren, Rechnung getragen, ohne dass die Norm der sexuellen Integrität auf ihre Anwendbarkeit auf Prostitution überprüft worden wäre. Die „Freiwilligkeit“ und die „sexuelle Selbstbestimmung“ tragen weiter dazu bei, inkohärente und nicht nachvollziehbare Gerichtsurteile zu generieren. Das Verhältnis zwischen den Artikeln 195 (Förderung der Prostitution) und Art. 196 StGB (Menschenhandel) und die verschiedenen Ansätze zur Qualifizierung der angesprochenen Tatbestände bleiben
ungeklärt.

Der Gesetzgeber hat es versäumt, die rechtliche Durchsetzung seiner Intentionen zur Bekämpfung des Menschenhandels vorzubereiten. Indem die Gesetzgebung auf die Prüfung der Kompatibilität der zur Diskussion stehenden Gesetzesartikel verzichtete und eine Anwendung der neuen Norm „sexuelle Integrität“ weder für Menschenhandel noch für Prostitution diskutierte, überließ sie die Operationalisierung „diskussionslos“ der Gerichtsbarkeit, die ihrer eigenen Logik folgte. Die Politik muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sich der Herausforderung von Frauenhandel und Prostitutionsmigration in den boomenden 90er Jahren des 20. Jahrhunderts mit der Delegation an die Gerichtsbarkeit weitgehend entzogen zu haben und damit eine politische Antwort auf die Problematik schuldig geblieben zu sein.

Anmerkungen 487 Hier vor allem Art. 196 StGB, Menschenhandel, Art. 195 StGB, Förderung der Prostitution,ANAG, Gesetz über den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländern, das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung des Mädchenhandels vom 4. Mai 1910 (SR 0.31 1.32) und das Internationale Abkommen über die Unterdrückung des Handels mit volljährigen Frauen vom 11. Oktober 1933 (SR 0.311,34).
488 Art. 202 aStGB. Aus BGE 96 IV 118 ergibt sich sinngemäß, dass eine einzige Vermittlung oder Teilakte wie Anwerben, Verschleppen, Entführen zur Qualifizierung des Tatbestands genügen, soweit diese im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Weitergabe an Dritte geschehen. Allerdings bezicht sich der BGE 96 IV 118 auf den Menschenhandelsartikel vor der Gesetzesrevision, als der Zuhältereiartikel noch nicht gestrichen, Zuhälterei also strafbar war.
489 Altes Strafgesetzbuch (aStGB) Art. 252 Ziff. 2 a.F. Vgl. BGE 81 IV 36. 490 Stratenwerth, G. (1995): Schweizerisches Strafrecht. Besonderer Teil 1, Straftaten gegen Indi-
vidualinteressen, BTI,$ 9 N 18, S. 19,
491 Rehberg, J., Schmid, N. (1994): Grundriss Strafrecht III, Delikte gegen den Einzelnen, $ 59, 2.1.
492 Empfehlung des Europarates 1395 (1997).
493 Bezirksgericht Bülach vom 20. Mai 1996, DG 9600004 S. 9. Dieses Zitat bezieht sich auf Ernesto (Kap 5.4.4), separates Verfahren gegen das Ehepaar Ernesto und Esmeralda am gleichen Gericht, O/SB 960615.
494 Rehberg, Jörg und Schmid, Niklaus (1994, 1997): Grundriss, Strafrecht III, Delikte gegen den
Einzelnen, 3.,7. Aufl., Zürich: Schulthess.
495 „Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung des Mädchenhandels“ vom 4. Mai 1910, von der Schweiz ratifiziert am 30. Januar 1926 (SR 0.311.32) und „Internationales Abkommen über die Unterdrückung des Handels mit volljährigen Frauen“ vom 11. Oktober 1933, von der Schweiz ratifiziert am 17. Juli 1934 (SR 0.31.34). 496 BGE 125 IV 269; Wiprächtiger, Hans (1999): Aktuelle Praxis des Bundesgerichts zum Sexualstrafrecht, in: ZStR 117/1999, S. 146 f.
497 Trechsel, Stefan (1997): Schweizerisches Strafgesetzbuch, S. 698 ff.
498 Vgl. Botschaft, BBl. 1985 II, S. 1082; S1/U/O/SB980789/eh, S. 14 f.
499 Bundesrätliche Botschaft des Bundesrates vom 26. Juni 1985 über die Änderung des Sexualstrafrechts, BBI 1985 II, S. 1086.
500 Rehberg, Jörg und Schmid, Niklaus (1997): Grundriss, Strafrecht III, Delikte gegen den Einzelnen, 7. Aufl., Zürich: Schulthess.
501 Botsch. S. 1085f.
502 Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Richtlinie 64/221/EWG. Zit. nach BfA,
Bern, Oktober 2002.
503 Botschaft des Bundesrats, S. 1085 und Botschaft, Separatdruck Nr. 85.047, S. 74f.
504 6S.. 356/2000/bue; BGE 126 IV 225.
505 21. Juni 1991, AS 1992 1670 1678.
506 AB 1987 S 356 ff. und AB 1990 N 2252 ff.
507 AB 1987 $ 401 und AB 1990 N 2329.
508 BBI 1985 II, S. 1086. 509 Stratenwerth, G. (1997): N 18, S. 174f.
510 Strafgericht Basel-Stadt, Urteil vom 18. April 1996.
511 Urteil des Kreisgerichts X, Thun, vom 24. Juni 1997.
512 Bundesgerichtsentscheid 68. 45/1997.
513 DG 9600004, S. 9 und das separate Verfahren gegen das Ehepaar Ernesto und Esmeralda,
O/SB 960615.
514 Urteil S2/U/0/SB960709/yb, Urteil vom 2. Oktober 1997, $. 29.
515 BGE 96 IV 118; Rehberg/Schmid, (1994): Strafrecht III, 6. A., Zürich, S. 401; Stratenwerth,
G. (1995): Schweizerisches Strafrecht, BT I: Straftaten gegen die Individualinteressen, S. 175.
516 Urteil des Bundesgerichts vom 30. Januar 1998.
517 Artikel 202 des alten Schweizerischen Strafgesetzbuches (aStGB).
518 BGE 128 IV 117.
519 Trechsel, Stefan (1997): N 3 ad art. 196 StGB.
520 BGE 96 IV 118 vom 11. Dezember 1970.
521 Stratenwerth (1997): $ 9 N 19; Trechsel (1997): N 2 ad art, 196 StGB, Jenny/Schubarth/Albrecht (1997): N 5 ad art. 196 StGB.
522 Rehberg/Schmid, (1997):Strafrecht III, Delikte gegen den Einzelnen, Zürich, $. 414.
523 Kreisgericht IV Aarwangen-Wangen, Urteil vom 2.6.1999,
524 Botschaft des Bundesrats, BI 1985, S. 1086.
525 Bundesgerichtsentscheid zum „St. Galler Ehepaar“ 68.445/1997/bri.
526 Trechsel, S.(1997): Art. 195 N 1; Stratenwerth, G. (1995): $ 9 N 2, N 7, Jenny, G. (1997): Art, 195 N 2, Rehberg/Schmid (1994). S. 410.
527 Gerichtssitzung vom 16. Februar 1998.
528 Das Bundesgericht führt eine Reihe von juristischer und sozialwissenschaftlicher Literatur zu diesem Punkt an, u.a.: Lischetti-Greber/S&quin/Stampfli (1986): Prostitution; Studer, Peter (1999): Kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz, S. 66 und S. 78; Heller, Heinz (1999), S. 135.
529 Vgl. auch die Besprechung desselben Fallkomplexes unter dem Aspekt organisierter
Kriminalität in Estermann (2002): Organisierte Kriminalität in der Schweiz, S. 150-153 und
S. 179-180. 530 Als Au Pair wird eine Person bezeichnet, die gegen Kost und Logis in einem Privathaushalt mitarbeitet und die Hausfrau entlastet. In der Schweiz waren es vor allem Töchter des Mittelstandes, die nach der Schule für ein Jahr in die französischsprachige Schweiz geschickt wurden, um dort die Sprache und die Haushaltsführung zu lernen. Heute ist diese Arbeitsform weit verbreitet.
531 Wie allerdings zwei Lohnpfändungen, dem Betreibungsamt verschwiegene Mehreinnahmen,
verschiedene Stellenwechsel, Bezug von Arbeitslosengeld als „Wohlverhalten“ qualifiziert
werden kann, bleibt unklar.
532 Bundesgerichtsentscheid Nr. 68.765/1999, BGE 126 IV 76.
533 Bundesgerichtsentscheid 6S. 737/1999odi.
534 Es ist eine Untersuchung wert, zu zeigen, dass es sich in der Schweiz für einen großen Teil aus- und inländischer Frauen finanziell weit mehr lohnt, in den privaten „Dienst am Mann“ zu treten, und sich bei allfälliger Auflösung des Verhältnisses ins soziale Sicherheitsnetz fallen zu lassen, als in die eigene berufliche, von privaten Männerbeziehungen unabhängige Selbständigkeit zu investieren und sich dort zu behaupten. Ein Thema, das auf die unbezahlte und nicht einkalkulierte Subsistenzarbeit vieler Frauen für sich und ihre Familien verweist und seine sozialpolitische Brisanz dann entfaltet, wenn „Gleichstellung der Geschlechter“ als Politikum statt als private Entscheidung verstanden wird. Dazu etwa die Vereinbarkeitsstudie des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) und des Bundesamtes für Versicherung (BSV) (2005), wo Susanna Bühler et al. in einer Untersuchung über die Familien- und Berufsarbeit von Frauen von einem Abhalteeffekt spricht, da Familien meist günstiger fahren, wenn die Frauen zuhause für Mann und Kinder sorgen, anstatt einer Berufsarbeit nachzugehen, besonders wenn Frauen Teilzeit arbeiten und schlechter qualifiziert sind als die „Ernährer“,
535 Botschaft, Separatdruck, S. 75.
536 BGE 125 IV 269; Wiprächtiger, Hans (1999): Aktuelle Praxis des Bundesgerichts zum Sexualstrafrecht, in: ZStR 117/1999, S, 146 f.
537 Bundesgerichtsentscheid Nr. 65. 7635/1999; BGE 126 IV 76.
538 Bundesgerichtsentscheid Nr. 68.737/1999/odi. Das Urteil ist nicht publiziert.
539 Bundesgerichtsentscheid Nr. 65. 765/1999/hev, BGE 126 IV 76.
540 BGE 128 IV 117.
541 Dass diese Art von Existenzführung auch bei Männern Schule macht, ist durch persönliche Berichte besonders aus touristisch attraktiven afrikanischen und asiatischen Ländern belegt.
Dabei handelt es sich ebenso um homosexuelle wie auch heterosexuelle Nachfrage.
542 Vgl. Fallbeschreibung von Zschokke und Estermann, in Estermann, J. (2002): Organisierte
Kriminalität, Der Fall G. S. 147-150.
543 BGE 128 IV 117.
544 BGE 129 IV 81.
545 Bundesgerichtsentscheid vom 24. Januar 2000, 68. 765/1999/hev, BGE 126 IV 76.
546 Bourdieu führt den Begriff der libido dominandi ein, von der die männliche Libido nie ganz
frei sei. Die Sexualbeziehung als Herrschaftsverhältnis konstruiert die weibliche Libido als
Wunsch nach männlicher Dominanz, als erotisierte Unterordnung oder im Extremfall als ero-
tisierte Anerkennung der Herrschaft, in Bourdieu, Pierre (2005): Die männliche Herrschaft, S. 41f.
547 Revision von Art. 190 StGB (Art. 123, 189 StGB) vom 10.4. 2001, BB1 2001 1424. 548 Die Überflüssigkeit eines besonderen Schutzes der „Arbeitsbedingungen“ von Prostitution zeigt sich im Vertragsrecht, wo der freie Wille bei einem Vertragsabschluss vorausgesetzt
wird. Niemand kann also zu einem Vertrag gezwungen werden, ohne eine Norm zu verletzen,
auch nicht zu einem unsittlichen Vertrag.
549 Siehe dazu auch Erdheim, Mario (1988): Psychoanalyse und Unbewusstheit in der Kultur.
Insbesondere das Kapitel zum ethnopsychoanalytischen Verständnis der Gewalt. Die Faszination der Gewalt, über die Identifikation mit dem Stärkeren, S. 279-283.
550 Frank Ledwidge, OSCE-Presence in Tirana, Office of the Legal Counselor, persönliche Mit-
teilung (Juli 2001): Es existiert eine inoffizielle „Preisliste“ für Verbrechen. Wird der zustän-
digen Amtsperson der entsprechende Preis bezahlt, wird der Verbrecher von Verurteilung und
Gefängnisstrafe verschont,
551 Mit dem Argument der „sexuellen Selbstbestimmung“ hob das Bundesgericht am 28. Juli 2004 (68. 148/2004) das Urteil des Schaffhauser Obergerichts auf, das einen Lehrer zu einer
zweijährigen Freiheitsstrafe wegen Sex mit zwei seiner minderjährigen Schülerinnen verur-
teilte. Nach Meinung der Bundesrichter habe das einwilligende Verhalten der beiden 14- und
15-jährigen Schülerinnen ebenso wenig ausgeblendet werden dürfen wie das Verhalten des
Lehrers, der keinerlei Druck auf die Mädchen ausgeübt habe. Auch hier tritt der Schutzge-
danke gegenüber einer wie auch immer definierten „sexuellen Selbstbestimmung“ in den
Hintergrund.
552 Stratenwerth, Günter (1997): $ 9 N 18; Jenny/Schubarth/Albrecht (1997): Kommentar zum
Schweizerischen Strafrecht, BT 4, N5 ad art. 196 StGB; Trechsel, Stefan (1997): Schweizeri-
sches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, N 1 ad art. 196 StGB. Jenny et al. nennen hierzu
noch jugendliches Alter der Opfer, eine Notsituation oder eine Abhängigkeit anderer Art.
553 Vgl, dazu Estermann, J. (2002): Organisierte Kriminalität in der Schweiz.

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