Weiterlesen: Frauenhandel
© ProLitteris, Rahel Zschokke
4.7 Frauenhandel und Prostitution in der Kriminal- und Strafurteilsstatistik
4.7.1. Gesetzliche Grundlagen
Der 5. Titel des Strafgesetzbuches „Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität“ wurde zu Beginn der neunziger Jahre total revidiert. (473) Anlass zur Revision gaben Normen, denen ein unzeitgemäßes Verständnis von Sexualität zwischen Eheleuten (z.B. sexueller Gewalt in der Ehe, ius in corpore) und weitere Normen zu Grunde lagen, die einer modernen Auffassung von Sexualität nicht mehr entsprachen (z.B. Strafbarkeit des homosexuellen Verkehrs, hohes Schutzalter). Aus diesem Grund stehen durchgehend vergleichbare statistische Zeitreihen für Sexualstraftaten erst ab 1993 zur Verfügung.
Obwohl Prostitution in der Schweiz bereits vor der Revision nicht strafbar war, ist in der kantonalen Praxis eine gewisse Kriminalisierung der Prostitution nach wie vor bekannt. So sind für das Jahr 2003 in der Zürcher polizeilichen Kriminalstatistik 468 Fälle von unzulässiger Ausübung der Prostitution aufgeführt (von 1911 Sexualdelikten überhaupt). (474) Deshalb erstaunt es auch nicht, dass sich in dieser Statistik der Anteil von weiblichen Tatverdächtigen unter dem Titel „Sexualdelikte“ auf 32% beläuft (verglichen mit 20% bei sämtlichen StGB-Tatverdächtigen).
An die Stelle der früher strafbaren Zuhälterei trat mit Art. 195 StGB der neue Straftatbestand „Förderung der Prostitution“. Dieser Artikel schützt unmündige Personen, Personen, die der Prostitution zugeführt werden, sowie die Handlungsfreiheit der Prostituierten. (475)
Menschenhandel wird mit Art. 196 StGB unter Strafe gestellt und schützt Personen, die unter Beeinträchtigung ihrer Autonomie der sexuellen Ausbeutung zugeführt werden. Trotz der Modernisierungsbemühungen im Rahmen der Revision des Sexualstrafrechts wurde der altertümliche Begriff der Unzucht zu Lasten einer operationalen Definition sexueller Ausbeutung im Text belassen. Die Strafbarkeit wird auf sämtliche Vorbereitungshandlungen ausgedehnt. Die Titelmarginale „Menschenhandel“ ist problematisch, da der Artikel nicht den Handel mit Kindern, etwa zur Adoption, oder den Handel mit Arbeitskräften, etwa im Zusammenhang mit illegaler Einwanderung und Beschäftigung, unter Strafe stellt. Im Zentrum der ratio legis steht jedenfalls der so genannte Frauenhandel. (476)
4.7.2. Kriminalstatistik, Daten für die gesamte Schweiz (477)
Die aktuelle „minimale“ polizeiliche Kriminalstatistik der Schweiz, die jeweils durch das EJPD (478) im Frühjahr für das vergangene Jahr publiziert wird, beruht auf Aggregaten, die von den Kantonen geliefert und im Bundesamt für Polizeiwesen addiert werden. Dieses unvollständige Aggregat der aufgenommenen Fälle ist nach Straftatengruppen zusammengefasst, die die Eigentumskriminalität stark aufgliedern, die Normen des Sexualstrafrechts jedoch zu zwei Kategorien zusammenfasst, nämlich Vergewaltigung und „Andere strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität“. Sie kann keine Aufschlüsse über die Verfahren nach Art. 195 und 196 StGB geben, da diese nicht erfasst werden.
Die Kantone selbst verfügen nicht über einheitliche Erhebungskriterien. In vielen Kantonen werden die Ergebnisse jeweils zum Jahresende von den einzelnen Dienststellen abgefragt und zusammengezählt. Diese Statistik gilt als Referenzstatistik für die INTERPOL und den internationalen Vergleich.
Für die Jahre 1997 bis 1999 hat das Bundesamt für Polizei (BAP) mittels Befragungen der Kantone zusätzliche Daten in diesem Bereich gesammelt, bezeichnenderweise auch Informationen über Verfahren nach Art. 199 StGB, also unzulässige Ausübung der Prostitution, die fünf Sechstel der Fälle ausmachen und so ein Schlaglicht auf den Schwerpunkt der Strafverfolgungstätigkeit werfen.
Da die Daten auf Befragung der kantonalen Behörden mit der bekannten beträchtlichen Variabilität in der Antwortdisziplin und der mangelnden Standardisierung beruhen, kann aus diesen Daten jedenfalls nicht auf einen signifikanten Anstieg der Fälle in diesem Zeitraum geschlossen werden. Jedenfalls sind die Fallzahlen in Anbetracht der Zahl durch das BAP geschätzten 14’000 Prostituierten in der Schweiz (479) nicht gerade hoch. Die durchschnittlich ca. 30 jährlich erfassten Opfer des Menschenhandels entsprächen dann nach Schätzung des BAP etwa zwei Promille der Gesamtzahl der sich prostituierenden Frauen, die sich häufig nur wenige Monate in der Schweiz aufhalten.
Tabelle: Fälle und Tatverdächtige nach Art 195 und 196 StGB in den Jahren 1997-1999 (480)
StGB-Artikel | Jahr | Fälle | Täterinnen und Täter | Täterinnen und Täter pro Fall | Opfer | Opfer pro Fall
Art. 195 StGB, Förderung der Prostitution: 1997 49 60 1,22 51 1,40
1998 71 79 1,11 60 0,85
1999 69 92 1,33 59 0,86
Art 196 StGB, Menschenhandel: 1997 20 21 1,05 20 1,00
1998 43 40 0,93 36 0,84
1999 25 46 1,84 29 1,16
4.7.3 Kriminalstatistik, kantonale Daten
Bezüglich polizeilicher Ermittlungen und deren Ergebnisse steht leider nur eine zuverlässige Datenquelle zur Verfügung, die von der Zürcher Kantonspolizei geführte Kriminalstatistik des Kantons Zürich (KRISTA). Obwohl die kantonalen Daten nicht ohne weiteres auf nationale Verhältnisse übertragbar sind, kann der Kanton Zürich in Bezug auf den Straftatbestand Menschenhandel und Förderung der Prostitution als zuverlässiges Beispiel für die Situation in der Schweiz gelten. Jedenfalls zeigen die Statistiken der Strafverfolgung des Menschenhandels und der Förderung der Prostitution kleine Fallzahlen.
Die KRISTA publiziert erfasste Straftaten, also die im Meldezeitraum angezeigten und für die Statistik weitergemeldeten Straftaten als so genannte Input-Statistik. Publiziert ist auch der Anteil geklärter Straftaten. Eine Straftat ist geklärt, wenn der oder die Tatverdächtige bekannt ist (Output-Statistik). Diese Daten sind Stichtag bezogen zum Jahresende ausgewertet und unterliegen einem Zeitverzug, der sich aus dem Auseinanderfallen des Anzeige- und des Aufklärungszeitpunktes ergibt. Die dritte publizierte Dimension sind die ermittelten Täterinnen und Täter der aufgeklärten Straftaten. Pro Straftat sind mehrere Täter möglich. Obwohl Täter pro Straftatenart nur einmal gezählt werden, kann ein Täter oder eine Täterin mehrmals pro Jahr und in mehreren Straftatenarten gezählt werden. Dies bedeutet, dass erfasste Straftaten, aufgeklärte Straftaten und ermittelte Tatverdächtige in den einzelnen Deliktsgruppen numerisch auseinander fallen. Die Zahlen der einzelnen Erfassungsdimensionen in den einzelnen Zeiträumen stimmen nie überein, Verhältniszahlen sind rein rechnerische Werte sind, die allerdings trotzdem zuverlässige Aussagen zulassen.
Tabelle: Aufgenommene und geklärte Straftaten mit Vorwurf der Verletzung von Art. 195 und 196 StGB im Kanton Zürich (KRISTA) (481)
Förderung der Prostitution, Art. 195; Menschenhandel, Art. 196
Jahr | 195 aufgenommen | geklärt | Aufklärungsquote | 196 aufgenommen | geklärt | Aufklärungsquote
1992 2 2 100,0 1 1 100,0
1993 6 6 100,0 12 12 100,0
1994 13 12 92,3 7 6 85,7
1995 15 15 100,0 6 6 100,0
1996 15 14 93,3 5 5 100,0
1997 26 26 100,0 20 20 100,0
1998 17 16 94,1 10 9 90,0
1999 16 16 100,0 8 7 87,5
2000 10 9 90,0 1 1 100,0
2001 9 7 77,8 7 7 100,0
2002 12 12 100,0 7 7 100,0
2003 8 8 100,0 4 4 100,0
Insges. 149 143 95,9 88 85 96,5
Die polizeilichen Daten für den Kanton Zürich zeigen eine mit 96% sehr hohe Aufklärungsquote, was sich aus dem Umstand ergibt, dass Ermittlungen wegen Frauenhandel und Förderung der Prostitution nur aufgenommen werden, wenn sich Hinweise auf bestimmte Vorkommnisse ergeben. Es versteht sich von selbst, dass Fälle auch dann als geklärt gelten, wenn sich der Verdacht im Zuge der Ermittlungen nicht bestätigt oder der oder die vermuteten Täter sich als Nichttäter herausstellen oder mangels Beweisen freigesprochen werden.
Die Zahl der Fälle ist in Anbetracht der Vielzahl der in Clubs, Cabarets und im Begleitservice beschäftigten Frauen als eher gering zu bezeichnen. Betrachtet man den gesamten Erhebungszeitraum, so wird ein An- und Abschwellen der Häufigkeitszahlen mit einem Höhepunkt im Jahr 1997 sichtbar.
4.7.4 Ermittelte Täterinnen und Täter
Der Kanton Zürich trägt je nach Spezifikation der Untersuchungshandlungen 15-30% des nationalen Aufkommens an Ermittlungshandlungen. In bestimmten Bereichen kann dieser Anteil sogar fast die Hälfte betragen. Bei Menschenhandel und Förderung der Prostitution ist Zürich ein zuverlässiges Beispiel für die Situation in der Schweiz. Die Zahl der Fälle ist gering. In Zürich werden jährlich 20-30 Fälle von Förderung der Prostitution und ca. 10 Fälle von Menschenhandel geklärt. Dies entspricht einer Häufigkeitszahl von einer bis drei Straftaten pro hunderttausend Einwohner pro Jahr.
Tabelle: Ermittelte Täterinnen und Täter mit Vorwurf der Verletzung von Art. 195, Förderung der Prostitution, im Kanton Zürich (KRISTA) (482)
Jahr | Total | Männer | Frauen | SchweizerInnen | AusländerInnen
1992 0 0 0 0 0
1993 8 5 3 6 2
1994 16 14 2 9 7
1995 26 21 5 17 9
1996 17 14 3 10 7
1997 35 23 12 15 20
1998 34 28 6 14 20
1999 25 16 9 16 9
2000 13 11 2 9 4
2001 15 12 3 11 4
2002 12, 8 4 5 7
2003 18 14 4 5 13
Insgesamt 219 166 53 117 102
Anteile % 75,8 24,2 53,5 46,5
Die Zahl der ermittelten Täterinnen und Tätern liegt um etwa die Hälfte höher als die Zahl der Straftaten (219 gegenüber 143). Die meisten Straftaten werden also nicht von Einzeltätern und Einzeltäterinnen begangen. Der Männeranteil von 76% ist vergleichbar mit dem Männeranteil von 80 bzw. 81% in der Statistik aller in der KRISTA nach StGB bzw. dem Betäubungsmittelgesetz (BetmG) gemeldeten Straftäter und Straftäterinnen im Jahre 1997. Der Unterschied ist zwar gering, aber signifikant. Frauen sind als Täterinnen im Vergleich mit anderen Straftaten also überrepräsentiert. Die Tatverdächtigen sind im Vergleich zu anderen Straftatengruppen, etwalich älter. Der Anteil von Täterinnen und Tätern mit Schweizer Staatsbürgerschaft von 53,5% liegt höher als derjenige bei Verstößen gegen das StGB überhaupt, Ausländer sind bei der Förderung der Prostitution verglichen mit den übrigen Straftatbestände
Tabelle: Ermittelte Täterinnen und Täter mit Vorwurf der Verletzung von Art. 196 StGB, Menschenhandel, im Kanton Zürich (KRISTA) (483)
Jahr | Total | Männer | Frauen | SchweizerInnen | AusländerInnen
1992 0 0 0 0 0
1993 4 2 2 4 0
1994 8 8 0 4 4
1995 17 13 4 11 6
1996 9 6 3 4 3
1997 22 16 6 13 9
1998 28 25 3 11 17
1999 15 10 5 10 5
2000 1 1 0 0 1
2001 7 5 2 4 3
2002 4 4 0 4 0
2003 18 17 1 6 12
Insgesamt 133 107 26 71 62
Anteile % 80,5 19,5 53,4 46,6
Die Zahl der Fälle von Menschenhandel ist deutlich niedriger als diejenige von Förderung der Prostitution. Auch hier liegt die Zahl der ermittelten Täterinnen und Täter um etwa die Hälfte höher als die Zahl der Straftaten (133 gegenüber 85). Menschenhandel ist also in der Regel kein Delikt von Einzeltätern und Einzeltäterinnen. Der Männeranteil liegt mit gut 80% im Durchschnitt aller durch die KRISTA rapportierten Deliktsarten. Männer sind im Vergleich mit anderen Straftaten nicht überrepräsentiert. Die Tatverdächtigen sind allerdings im Vergleich zu anderen Straftatengruppen älter. Der Ausländeranteil liegt beim Menschenhandel etwas niedriger als bei der Förderung der Prostitution und deutlich niedriger als bei anderen Verstößen gegen das StGB. Ausländerinnen und Ausländer sind beim Menschenhandel verglichen mit den übrigen Straftatbeständen untervertreten.
Die sinkende Zahl der Fälle nach 1998 hat ohne Zweifel etwas mit der Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Bedingungen der Strafbarkeit des Menschenhandels bei der Strafverfolgungsbehörden zu tun. Der in Aussicht stehende Leitentscheid des Bundesgerichtes im Jahre 2004 bzw. die Entscheide des höchsten Zürcher Strafgerichts lassen jetzt die Bereitschaft der Ermittlungsbehörden ansteigen, im Hinblick auf Menschenhandel überhaupt wieder zu ermitteln.
4.7.5 Zusammenhang mit kriminellen Organisationen
In der Kriminalstatistik des Kantons Zürich wird auch die Information aufgenommen, ob eine Straftat nach Kenntnis der Polizei im Zusammenhang mit kriminellen Organisation stehe oder nicht.
Tabelle: Straftaten, die nach der Zürcher polizeilichen Kriminalstatistik kriminellen Organisationen zugeordnet werden (484)
Jahr Art. 195 StGB, Förd. der Prostitution | Art. 196 StGB, Menschenhandel
Jahr aufgenommen | dav. in Verbindung mit krimineller Org. | aufgenommen | dav. in Verbindung mit krimineller Org.
1992 2 – 1 –
1993 6 – 12 –
1994 13 – 7 –
1995 15 4 6 4
1996 15 2 5 1
1997 26 8 20 7
1998 17 15 10 13
1999 16 0 8 0
2000 13 2 1 0
2001 15 3 7 2
2002 12 2 4 0
2003 18 9 18 7
Insges. 168 47 99 36
Der Straftatbestand „Beteiligung an einer kriminellen Organisation“ wurde im Jahre 1994 in Kraft gesetzt. Seither steigen die Anteile der Fälle von Menschenhandel und Förderung der Prostitution, die von der Zürcher Polizei im Zusammenhang mit kriminellen Organisationen gesehen werden. Im Jahre 1998 stehen nach Angaben der Zürcher Kantonspolizei alle Fälle von Menschenhandel im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität. Dies ist in erster Linie ein definitorisches Problem. Weder Menschenhandel noch Förderung der Prostitution sind Straftatbestände, die von Einzelpersonen begangen werden, da sich geteilte Rollen aufdrängen (Kontakte im Ausland, Platzierung, Transport, Finanzierung etc.). Es scheint, dass von der Zürcher Polizei in den Jahren 1997/98 gemeinsame Begehung ohne weiteres kriminellen Organisationen zugeordnet werden, was seit 1999 wohl nicht mehr opportun erschien. (485)
4.7.6 Strafurteilsstatistik
Das Datenmaterial der Urteilsstatistik des Bundesamtes für Statistik bezieht sich auf rechtskräftige Urteile gegen einzelne Personen, die Zähleinheit sind also Verurteilte. Die Statistik ist mit einem strukturellen Meldeverzug behaftet, der sich mit dem Einsatz des elektronischen Strafregister allerdings beträchtlich vermindert hat. Allerdings kann beispielsweise ein Amtsgerichtsurteil aus dem Jahre 1999, welches bis vor Bundesgericht weitergezogen wird, erst Jahre später rechtskräftig werden, das bedeutet, dass eine provisorische Erfassung eventuell erst Jahre später durch die rechtskräftige ersetzt wird.
Tabelle: Auf Grundlage von Art. 195 und 196 StGB verurteilte Personen (486)
Jahr Art.195, Förderung der Prostitution, Ort der Verurteilung | Art. 196, Menschenhandel, Ort der Verurteilung
Jahr Zürich Übrige CH insgesamt | Zürich Übrige CH insgesamt 1992 0 2 2 0 0 0
1993 0 9 9 0 0 0
1994 0 5 5 0 0 0
1995 2 6 8 0 0 0
1996 3 5 8 2 2 4
1997 5 8 13 3 1 4
1998 10 24 34 0 1 1
1999 4 15 19 0 7 7
2000 4 13 17 0 3 3
2001 3 13 16 0 2 2
2002 1 10 11 0 3 3
2003 1 4 5 1 6 7
Insgesamt 33 114 147 6 27 33
Auf Grund von Art. 195 StGB, Förderung der Prostitution, wurden in dem Zeitraum 1992-2003 insgesamt 147 Personen verurteilt. Die regionale Verteilung spiegelt nicht die Bevölkerungsdichte und die Verteilung der Zahl der Prostituierten in der Schweiz wider: 33 Verurteilungen in Stadt und Agglomeration Zürich, 29 im Wallis, 16 in Bern, 12 in Genf, 11 im Tessin und 10 in St. Gallen, 8 in der Waadt, 5 in Luzern und lediglich je 4 in Basel, im Thurgau und im Aargau. Die übrigen Kantone weisen ein bis zwei oder gar keine Verurteilungen aus.
Auf Grund von Art. 196 StGB, Menschenhandel, wurden 33 Personen verurteilt, davon 9 im Tessin, 8 in Bern, 6 in Zürich, 3 im Thurgau und in der Waadt und je 1 in Basel, Aargau, St. Gallen und Graubünden. Für Zürich ergibt sich eine Verurteilungsquote von unter 5 Prozent. Dies ist ein Hinweis darauf, dass sich die polizeiliche Einschätzung des Straftatbestandes von der juristischen Beurteilung unterscheidet oder dass die Polizei einen wesentlichen Teil der ermittelten Täterinnen und Täter nicht hat den Gerichten überstellen können.
Von sämtlichen Verurteilten sind wegen Förderung der Prostitution 22% und wegen Menschenhandels 18% im Kanton Zürich abgeurteilt worden. Die Anzahl der in den Jahren nach der Revision des Sexualstrafrechts insgesamt nach Art. 195 und 196 StGB verurteilten Personen ist erstaunlich niedrig, wobei Zürich im Verhältnis zu der übrigen Schweiz zum Straftatbestand „Förderung der Prostitution“ zwar die meisten Urteile liefert, die Verurteilungen zu „Menschenhandel“ im Vergleich etwa mit dem Tessin oder Bern hingegen auffallend tief liegen.
Tabelle: Verurteiltenquote im Kanton Zürich bei ermittelten Tatverdächtigen, Art. 195 und 196 StGB.
Jahr Art. 195 StGB, Förderung der Prostitution | Art. 196 StGB, Menschenhandel
Jahr Ermittelte Tatverdächtige Verurteilte Quote | Ermittelte Tatverdächtige Verurteilte Quote
1992 0 0 – 0 0 –
1993 8 0 0 4 0 0
1994 16 0 0 8 0 0
1995 26 2 0,08 17 0 0
1996 17 3 0,18 9 2 0,22
1997 35 5 0,14 22 3 0,14
1998 34 10 0,29 28 0 0
1999 25 4 0,16 15 0 0
2000 13 4 0,31 1 0 0
2001 15 3 0,20 7 0 0
2002 12 1 0,08 4 0 0
2003 18 1 0,06 18 1 0,06
Insges. 219 33 0,15 133 6 0,05
Zurzeit liegt die errechnete Verurteiltenquote, das direkte Verhältnis Verurteilte pro ermittelte Täterinnen und Täter in Zürich bei 15 Prozent für die Förderung der Prostitution und bei 5 Prozent für Menschenhandel. Dabei sind allerdings Nachmeldungen und wesentlich spätere Verurteilungen von ermittelten Tatverdächtigen zu berücksichtigen. Die echten Verurteiltenquoten dürften also etwas höher liegen. Was Menschenhandel angeht, sind sie allerdings außerordentlich gering.
4.7.7 Schlussfolgerungen
Auffallend bei der statistischen Analyse ist als erstes die geringe Anzahl von Verfahren wegen Förderung der Prostitution und Menschenhandel. Auf Grundlage der Zürcher Kriminalstatistik geschätzt, dürften dies für die gesamte Schweiz 60 bis 100 Fälle von Förderung der Prostitution und 30 bis 60 Fälle (bzw. verfolgte Tatverdächtige) von Menschenhandel jährlich sein, die von Seiten der Ermittlungsbehörden in der Schweiz angegangen werden.
Die Aufklärungsquote liegt nahe 100 Prozent, da die Anzeige oder die Aufnahme der Ermittlungen an die Täterin oder den Täter selbst gebunden ist.
Zweitens ist auffällig, wie wenige dieser ermittelten Tatverdächtigen verurteilt werden. Über Anzahl oder Anteil der Freisprüche existiert keinerlei gesicherte Information, da sich sämtliche Daten entweder auf ermittelte Tatverdächtige oder aber auf Verurteilte beziehen, nicht aber auch Freigesprochene oder Personen, bei denen sich der Tatverdacht nicht bestätigt.
Da Freisprüche im formellen Verfahren relativ selten sind und nie die Anzahl der Verurteilungen erreichen, ist anzunehmen, dass gegen den größten Teil der ermittelten Tatverdächtigen keine Anklage erhoben wird oder sie, vielleicht der Einfachheit alber, wegen Delikten angeklagt werden, die leichter zu beweisen und dogmatisch eniger problematisch sind. Die Analyse der einzelnen Fälle bestätigen diese Hypothese.
In Anbetracht der Zahl der Ausländer unter den Tatverdächtigen (die allerdings in diesem Zusammenhang nicht überrepräsentiert sind) und der zum Teil bedeutenden ökonomischen Potenz einiger unter Umständen schwer greifbarer Täter und der Beweisschwierigkeiten ist der niedrige Anteil von Verurteilten erklärbarer, als es auf den ersten Blick erscheint.
Jedenfalls geben die Daten einen Hinweis darauf, dass das Dunkelfeld sehr umfangreich sein dürfte.
Anmerkungen
442 Kleiber, D. und Velten, D. (1994): Prostitutionskunden. Eine Untersuchung über soziale und psychologische Charakteristika von Besuchern weiblicher Prostituierter in Zeiten von Aids; Ahlemeyer, H.W., (1996): Prostitutive Intimkommunikation. Zur Mikrosoziologie heterosexueller Prostitution; Landert, Farago, Davatz & Partner (2000): Kondomverweigernde Freier, im Auftrag der Aids-Hilfe Schweiz. Zürich; (2002): Prostitution und ungeschützter Verkehr in der Schweiz. Institut für Konsumenten und Sozialanalysen, im Auftrag von Aids-Hilfe Schweiz. Zürich. 443 Clement, Ulrich (1987): Sexualität im sozialen Wandel. S. 296.
444 Im Tages Anzeiger für die Region Zürich am Donnerstag, Freitag und Samstag; im Blick für die ganze Deutschschweiz am Mittwoch und am Samstag. 445 Die meisten Interviews wurden von Frauen (einer Sozialwissenschafterin, einer erfahrenen hot-line Telefonistin und der Autorin) durchgeführt, nur 5% von einem Soziologie-Studenten. Abgesehen von der Entlastung der Hauptinterviewerinnen entspricht es dem Konzept der Untersuchung, sowohl Männer als auch nicht vorbelastete, neutrale Interviewerinnen einzubeziehen. Nach sorgfältiger Einführung waren die zugezogenen Personen an einem bis drei Tagen während vier bis zwölf Stunden am Telefon bereit.
446 Z.B. das „Mannebüro“ in Zürich, u.a.
447 Vgl. den ausgesprochenen Wunsch nach weiblicher Gesprächspartnerin, oder die oft an die Interviewerinnen gestellte Rückversicherungsfrage: „Finden Sie das jetzt pervers?“ oder „Finden Sie das normal?“
448 Die ausführlichen Interviewprotokolle und Fragebogen werden aus Umfanggründen dem Bericht nicht beigelegt, können aber bei der Autorin nachgefragt werden.
449 Kleiber und Velten beziehen in ihrer Freierstudie auch türkische Freier mit ein, indem sie spezielle Aufrufe lancierten und türkisch sprechende Interviewer zur Verfügung stellten.
450 Kleiber und Velten bestätigen in ihrer Studie einen leichten Überhang der Faktoren Bildung und Einkommen bei deutschsprachigen Freiern, die Printmedien benutzen, im Vergleich zu anderen Freiern.
451 Quelle: Bundesamt für Statistik: Volkszählung. Wohnbevölkerung Schweiz 2000.
452 Persönliche Mitteilung eines außerhalb der Studie befragten Freiers. Er ist Informatiker in einer leitenden Position, 51 Jahre alt und lebt mit seiner Freundin.
453 Die Fälle beruhen auf Schweizer Gerichtsurteilen. In der Schweiz gibt es kein Zentralarchiv für Gerichtsurteile. Jeder Gerichtshof hat sein eigenes System der Archivierung. Die Beschaffung der Gerichtsurteile mit Präferenz Frauenhandel und Osteuropa erwies sich als äusserst schwierig und zeitraubend, obwohl Damen und Herren Gerichtspräsidenten, Archivare und Sachbearbeiter hilfsbereit und entgegenkommend waren, was an dieser Stelle nochmals herzlich verdankt sei. Da oft nur nach Datum abgelegt wird, Archivare unterdessen gewechselt hatten oder Fälle an höhere Instanzen weitergezogen und im Berichtszeitraum nicht abgeschlossen waren, kann hier keine Vollständigkeit erwartet werden. Die gesammelten Fälle erfüllen aber Kriterien wie Überblick, Chronologie von Gerichtsurteilen, Vertretung verschiedener gerichtlicher Instanzen und der Landessprachregionen, „Stadt und Land“ sowie „Wichtige Fälle“. Die Leitentscheide des Bundesgerichts liegen vollzählig vor. Der Informationsgewinn bei Vorliegen weiterer Urteile dürfte gering sein.
454 Es handelt sich hier um Standardverträge, wie sie der Bund für die Kontingentzuteilung fordert. Darin werden Lohn, Sozialabgaben, Steuern und Versicherungen geregelt. Die acht Monate gültige L-Bewilligung erlaubt weder Animation zu Alkoholkonsum noch Prostitution.
455 Bundesgerichtsentscheid 68.446/2000/hev.
456 Wegen ihres illegalen Status bekamen die wenigsten Frauen vor ihrer Abschiebung ins Heimatland die Gelegenheit zu einer Stellungnahme vor Gericht. Die Feststellungen beruhen hier auf den Aussagen der vor Gericht angeklagten Tibor und Edgar.
457 Für die ausführliche rechtliche Würdigung des Falles vgl. Kapitel 5.5.2 und 5.5.3.
458 Aufsteigende Geschlechtskrankheiten mit möglichen Langzeitfolgen nehmen laut persönlicher Mitteilung von Frau Dr. med. Zemp, Basel zu. Abtreibungen sind bei Sexmigrantinnen keine Seltenheit. Die Kantonsrätin Noi-Togni berichtet von Fällen schwerer Alkoholsucht im Zusammenhang mit Prostitutionsmigration.
459 Bundesgerichtsentscheid 68.570/1997/flo.
460 Kantonspolizei Chur, Aids-Hilfe Schweiz in Chur, Polizeistelle Sion, Wallis.
461 BGE 126 IV 76. Die juristische Fortsetzung ist hier im Kap. 4.8.5.4 beschrieben.
462 Rechtliche Würdigung des Falles vgl. Kapitel Rechtsprechung, 4.8.5.4, BGE 126 IV 76.
463 Juchler, Jakob (2001): Zum Kontext der postsozialistischen Länder.
464 Für die ausführliche rechtliche Würdigung des Falles vgl. Kapitel 5.4.5.
465 Bochsler, Regula und Gisiger, Sabine (1998): Dienen in der Fremde. Dienstmädchen und ihre Herrschaften in der Schweiz des 20. Jahrhunderts.
466 Garbade, Jean-Pierre (2000): Les droits des employes de maison.
467 Für die ausführliche rechtliche Würdigung des Falles vgl. Kapitel 5.4.6.
468 Nach Anfrage bei der Opferhilfestelle Zürich ist kein Fall bekannt, wo sich ausländische Prostituierte mit Opferhilfe-Anspruch bei der Stelle gemeldet hätten.
469 Ein Fall betrifft zwei Minderjährige aus ländlicher Umgebung, die sich von einem Salonbesitzer als Prostituierte anstellen ließen, ein anderer Fall betrifft eine schwer alkoholabhängige Frau, die sich von ihrem arbeitslosen ausländischen Ehemann zwecks Finanzierung der Existenz in der Prostitution festhalten ließ (beide Fälle aus Basel).
470 BGE 128 IV 117.
471 vgl. BGE 126 IV 225.
472 Einigten sich in unserem Fall Rechtslehre und Rechtsprechung auf eine Interpretation des Menschenhandelsartikels laut Botschaft des Bundesrats, wäre dies kompatibel mit einer Norm gegen Zuhälterei.
473 Bundesgesetz vom 21. Juni 1991, in Kraft seit 1. Okt. 1992 (AS 1992 1670 1678; BBl 1985 II 1009.
474 Kantonspolizei Zürich (2004): KRISTA 2003, Kriminalstatistik des Kantons Zürich, S. 68.
475 Art. 195 StGB hat folgenden Wortlaut: Wer eine unmündige Person der Prostitution zuführt, wer eine Person unter Ausnützung ihrer Abhängigkeit oder eines Vermögensvorteils wegen der Prostitution zuführt,
wer die Handlungsfreiheit einer Person, die Prostitution betreibt, dadurch beeinträchtigt, dass er sie bei dieser Tätigkeit überwacht oder Ort, Zeit, Ausmaß oder andere Umstände der Prostitution bestimmt,
wer eine Person in der Prostitution festhält, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Gefängnis bestraft.
476 Art. 196 StGB hat folgenden Wortlaut:
Wer mit Menschen Handel treibt, um der Unzucht eines anderen Vorschub zu leisten, wird mit Zuchthaus oder mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft.
Wer Anstalten zum Menschenhandel trifft, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft. In jedem Fall ist auch auf Buße zu erkennen.
477 Vergleiche die Darstellung der kriminalstatistischen Daten bei Josef Estermann (2002): Organisierte Kriminalität in der Schweiz, S. 104-116 und 134-153.
478 EJPD: Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement.
479 BAP: Szene Schweiz, Lagebericht 1999, S. 54. Unklar ist, ob es sich um eine Stichtagsschätzung handelt. In Anbetracht der häufig kurzen Aufenthaltsdauer könnte in diesem Falle durchaus um mehr als 30’000 Prostituierte handeln, die im Verlaufe eines Jahres ihre Dienste anbieten.
480 Datenquelle: Bundesamt für Polizeiwesen (BAP), Kriminalpolizeiliche Zentralstelle: Szene
Schweiz, Lagebericht 1999, Bern, 0.J. S. 59.
481 Quelle: KRISTA. Kriminalstatistik des Kantons Zürich, herausgegeben von der Kantonspolizei Zürich, Jahrgänge 1992-2003.
482 Quelle: KRISTA. Kriminalstatistik des Kantons Zürich, herausgegeben von der Kantonspolizei Zürich, Jahrgänge 1992-2003.
483 Quelle: KRISTA. Kriminalstatistik des Kantons Zürich, Jahrgänge 1992-2003.
484 Quelle: KRISTA. Kriminalstatistik des Kantons Zürich, herausgegeben von der Kantonspolizei Zürich, Jahrgänge 1992-2003.
485 Die Daten der Sonderauszählung und der publizierten KRISTA bezüglich Art. 195 und 196nStGB sind nicht vollumfänglich konsistent. Eine Klärung steht aus. Vgl. KRISTA 1999, S. 68 und S. 72, Textteil gegenüber S. 10, S. 41 und S. 57 Tabellenteil, insbesondere die Vergleichsangaben für das Jahr 1998. Eine mögliche Erklärung liegt im Auseinanderfallen des Erfassungs- und des Aufklärungszeitpunktes.
486 Urteilsstatistik des Bundesamtes für Statistik, Stand der Datenbank: 3.7.03, ab 1998: Sonderauszählung aufgrund des elektronischen Strafregisters, Stand 12.8.2004.