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© ProLitteris, Rahel Zschokke
4.5 Die Freierbefragung
4.5.1 Konzeption
Im Rahmen des NFP40, des Forschungsprogramms des Schweizerischen Nationalfonds, welcher diese Studie finanzierte, regte die Expertenkommission an, die Freier Red und Antwort stehen zu lassen, um etwas über die Nachfrageseite des Sex-Marktes in Erfahrung zu bringen. Bei der Konzeption einer Freierbefragung zeigte sich, dass die meisten neueren empirischen Studien in der Schweiz und in Deutschland bei der Aids-Prävention ansetzen. Das zentrale Anliegen ist die Beeinflussung des konkreten Verhaltens in gesundheitlich riskanten Situationen. (442) Empirische Studien über soziale und psychische Charakteristika von Freiern sowie deren Motivationsstruktur und Sexualverhalten fehlen.
Weit davon entfernt, diese Lücke füllen zu können, will diese Befragung einen Aspekt des Prostitutionsmarkts näher beleuchten. Die Studie hat explorativen Charakter und ist in erster Linie qualitativ angelegt. Demographische Daten entsprechen allerdings denen anderer bzw. größerer Studien (Farago, 2000), sodass trotz der kleinen Anzahl Befragter (N=39) ein Querschnitt der „normalen“ Freierpopulation angesprochen werden konnte.
Forschungsleitend war die Annahme, dass Männer, die die Dienste weiblicher Prostituierter in Anspruch nehmen, grundsätzlich das Bedürfnis haben könnten, mit einer nicht nahestehenden Person über Prostituiertenkontakte zu sprechen; sei es, um sich in geschützter, anonymer Umgebung als Freier zu outen und zu testen, wie ihr Verhalten als Freier beurteilt wird, sei es, um sich von psychischen Belastungen, Schuldgefühlen, Gefühlen der Ausgegrenzung etc. zu entlasten, oder sei es, um einen Beitrag an die Wissenschaft zu einem Thema zu leisten, das als gesellschaftliches Tabu sonst nicht angesprochen wird. Das Konzept der Studie favorisiert ein niederschwelliges Angebot, das den Freiern einen leichten Zugang zu den Interviewpartnern sichert, und setzt auf ein kongruentes, empathisches Gespräch zwischen Befragtem und Befragern.
Für die Umsetzung der Forschungsziele war ein methodischer Ansatz gefragt, der ein ausgewogenes Verhältnis von „Interesse und Intimitätsschutz“ garantiert. (443) Ein Ansatz also, der Anreiz zur Teilnahme bietet, ohne dass die Teilnehmer eine Intimitätsverletzung bzw. einen Anonymitätsverlust befürchten müssen. Das Angebot sollte verschiedene Freier ansprechen, Barrieren vermeiden, Anreize bieten (Gesprächsmöglichkeit, wissenschaftliches Interesse, in Abgrenzung zu beratendem oder journalistischem Interesse) und nicht wertende Offenheit signalisieren. Eine Befragung per Telefon kommt dieser Konzeption entgegen, ist doch eine Unterstützungsmöglichkeit durch die Stimme und Nachfragen gegeben, ohne dass der Gesprächspartner gezwungen ist, die Kontrolle über seine Intimsphäre aufzugeben.
Ein Inserat sollte die akzeptierende, offene Haltung der Befrager gegenüber Prostitutionsbesuchern zeigen, was Kleiber und Velten als notwendige Voraussetzung zur Vertrauensbildung für die Befragung von Betroffenen eines sozial sensiblen Bereiches erachten (Kleiber, Velten: 40). Zusätzliche Möglichkeiten, Vertrauen aufzubauen, bietet das gewählte Konzept insofern, als dass die Gesprächsbereitschaft des Prostitutionskunden auf Eigeninitiative beruht, da sich der Informant selbst melden kann und die Möglichkeit hat, Ort, Zeit und die Zeitdauer des Gesprächs zu kontrollieren. Einzig der Anspruch einiger Anrufer, ihr Verhalten zu bewerten bzw. Als „normales“, männliches Verhalten bestätigen zu lassen, war ausgeschlossen, da wir auf jegliche Bewertung verzichteten.
4.5.2 Durchführung der Befragung
Folgendes Inserat erschien an drei bzw. zwei Tagen im Erotikteil zweier Deutschschweizer Tageszeitungen: (444)
Wissenschaftliche Umfrage
Schweiz. Nationalfonds Bern
Wir wollen wissen, was Freier wollen
Rufen Sie uns an! Gratis!
0800 300 369
Do Fr Sa: 10-22 Uhr
Im Free Call System, das heißt ohne Kostenfolge, konnten Prostitutionskunden an drei aufeinander folgenden Tagen während zwölf Stunden von einem beliebigen Ort aus, via Mobiltelefon oder von einem Festanschluss aus, anrufen und sich zu einem Gespräch mit drei Interviewerinnen und einem Interviewer bereit erklären. Der rege Rücklauf aufgrund des Inserats bestätigte das Konzeptdesign.
Ergebnisse der Kontaktphase der Freierbefragung, August 2000
Kontaktversuche 106
Verbindung hergestellt 48
Abgebrochene Interviews aus technischen Gründen 6
Abgebrochene Interviews aus anderen Gründen (Kinder am Apparat, Personen ohne Deutschkenntnisse, falsche Erwartungen) 3
Total vollständige Interviews (N) 39
Drei Linien, ein Festanschluss und zwei Mobiltelefone, ermöglichten eine gewisse Bewegungsfreiheit während des zwölfstündigen Dienstes, für den drei Frauen und ein Mann als Interviewpartner bereit standen. Ein Anrufer, der mit dem männlichen Gesprächspartner verbunden wurde, fragte nach, ob denn nicht Frauen für das Gespräch zur Verfügung stünden. Die Frauen wurden nicht mit vergleichbaren Wünschen konfrontiert.
Die zahlreichen Anrufe bestätigen, dass sich diese Form der Telefonbefragung gut eignet, Freier zu erreichen. Auf diese Weise ist eine kostengünstige, effiziente und ergiebige Befragung möglich. Obwohl ein Fragebogen vorlag, der auf standardisierten und offenen Fragen aufbaute, variierte die Gesprächsdauer von 20 Minuten bis zu einer Stunde. Die Absicht war, Raum zu lassen für Vertiefung der offenen Fragen, gleichzeitig das Interview aber auf die vorgegebenen Themen einzuschränken. Beratungen und Eingehen auf angrenzende Themen waren ausgeschlossen. Die Befragerinnen vermittelten Männern, die Beratung wünschten, Adressen von öffentlichen Fachstellen, die wir vorgängig kontaktierten. (446)
Da die Selektion aufgrund dieser Konzeption nicht zu kontrollieren war, ist anzunehmen, dass eher Männer anriefen, die die Gesprächsmöglichkeit suchten und folglich ein gewisses Mitteilungsbedürfnis hatten. Auf die entsprechende Frage nach der Motivation des Anrufs meinten viele, dass sie sonst mit niemandem darüber sprechen könnten. Andere sagten, dass sie einen Beitrag zu einer wissenschaftlichen Studie leisten oder ihre Position als Freier vertreten wollten. Wirksam war für einige auch die unausgesprochene Motivation, mit einer Frau über ein tabuisiertes Sex-Thema sprechen zu können, um damit indirekt ihre „normale männliche Sexualität“ unter Beweis zu stellen. (447)
Was die Validität der erinnerten sexuellen Ereignisse betrifft, stellen sich methodische Probleme, welche bei der Wahl und Konstruktion des Erhebungsinstruments sowie bei der Datenauswertung und -interpretation mit zu bedenken sind (Kleiber, Velten: 41). Wir versuchten den Schwierigkeiten der Erfassung retrospektiver Selbstbeschreibungsdaten dadurch zu begegnen, dass wir die Probanden konkret und detailliert zu ihrem letzten Prostituiertenkontakt befragten, ein Ereignis, das bei den meisten Anrufern zeitlich nicht lange zurücklag. Im Anschluss daran wurde die Frage nach der Ähnlichkeit bzw. den Unterschieden dieses Kontakts zu den übrigen gestellt. Dadurch konnten subjektive und willkürliche Verallgemeinerungstendenzen umgangen werden. Weitere Fehlerquellen sind in Betracht zu ziehen, die speziell bei der Erinnerung zurückliegender sexueller Begegnungen auftreten können. Dazu gehören das Vergessen respektive das Verdrängen konflikthafter oder aversiver sexueller Erlebnisse sowie die Diskrepanz zwischen sexuellem Selbstbild bzw. Sozialer Erwünschtheit und sexualisiertem Selbstideal (Clement: 291). Diese Fehlerquellverminderten wir dadurch, dass wir weniger Fragen zu Sexualpraktiken und Sexualerfüllung stellten. Vielmehr legten wir den Schwerpunkt auf das „Konsumverhalten“ wie bei einer Marktuntersuchung, was die Selbstdarstellung des Freiers als Mann weniger zu evozieren verspricht.
4.5.3 Resultate
Im Folgenden sind die Stellungnahmen numerisch zusammengefasst, um Hauptstoßrichtungen der Antworten ablesen zu können. Individuelle Aspekte sind in Form illustrativer Beispiele dargestellt. (448)
Aufbau und Themenschwerpunkte der einzelnen Fragenkomplexe:
Demographische Angaben: Alter, Beruf, Bildung, Nationalität, Wohnsituation, Wohnort, Einkommen.
Präferenzen des Freiers: Einschätzung der Entwicklung des Angebots, Prostituierte, Lokalitäten, Tageszeit der Kontakte, Häufigkeit der Kontakte.
Ablauf des Kontakts: Kontaktaufnahme, Auswahl, Preis-Leistung-Verhandlungen, Zahlungsmodus, Zeitrahmen, Praktiken, Bewertung des Kontakts.
Motive des Freiers: Unterschiede zu fester und zu nicht prostitutiver Beziehung, Freiertypen.
4.5.3.1 Demographische Angaben
Die 39 Interviews wurden ausschließlich mit Deutsch sprechenden Männern aus der Schweiz und mit einem Mann aus dem Fürstentum Liechtenstein geführt. Ein fremdsprachiger Mann hatte zwar ebenfalls angerufen, unterbrach das Interview aber nach kurzer Zeit, da er das Inserat falsch verstanden hatte.
Diese Selektion kann auf zwei Faktoren zurückgeführt werden:
1. Die Form des Aufrufs als Inserat in einer Tageszeitung erreichte vor allem diejenigen Männer, die sich über Printmedien informieren und sich dort auch für Sexangebote interessieren. Dieser Zugang schließt Freier aus, die Kontaktmöglichkeiten nicht den Tageszeitungen entnehmen, sondern von anderen Varianten des Sexangebots Gebrauch machen, also etwa den Straßenstrich, Kontaktbars oder Bordelle bevorzugen.
2. Interviews und die Erwähnung des Nationalfonds setzen ein gewisses Verständnis von wissenschaftlicher Vorgehensweise sowie ein Mitteilungsbedürfnis voraus, welches in engem Zusammenhang mit der Beherrschung der Landessprache steht. Dies schließt Freier aus, die mit der einheimischen Kultur und Sprache wenig vertraut sind; also etwa der Landessprache unkundige Touristen, Geschäftsleute auf der Durchreise, ausländische Einwohner, die keine deutschsprachige Zeitung lesen etc. (449) Es haben sich zwar ausschließlich Deutsch sprechende Männer gemeldet, die jedoch aus einem breiten Einzugsgebiet stammen; von Lausanne über Lugano bis aus dem Fürstentum Liechtenstein sind Anrufe eingetroffen. Innerhalb der Deutschschweiz sind beinahe alle Kantone vertreten. Der Kanton Zürich weist, wahrscheinlich aufgrund des Inserates in einer Zürcher Regionalzeitung, einen leichten Überhang von Anrufern aus.
Wegen des kleinen Samples wurden keine Korrelationen berechnet. Zu den demographischen Angaben werden dort, wo die Datenlage kompatibel ist, Vergleichsdaten präsentiert. Generell weicht das Freiersample nicht von der Grundgesamtheit ab. Im Vergleich zu den Schweizer Männern zeigt das Sample bei Freiern höhere Bildung und größeres Einkommen. Diese Abweichung kann teilweise mit der Untersuchungsanlage erklärt werden. (450)
Von den Befragten gaben 15 an, auf dem Land zu wohnen, ebenso viele (14) kommen aus einer Stadt. Eine Kleinstadt nennen 6 der Befragten als Wohnort und 4 die Agglomeration der Städte Zürich und Bern. Die Mehrheit der Befragten lebt mit der Partnerin (Ehefrau, Freundin) zusammen (23), 12 leben allein und 4 mit „anderen“ zusammen.
Die befragten Männer sind zwischen 25 und 67 Jahre alt. Die Alterssegmente der 31- bis 40-Jährigen (13) und der 51- bis 60-Jährigen (11) sind stärker vertreten als die Jungen (zwei 25- bis 30-Jährige) und die Älteren (sechs 61- bis 67-Jährige). Die Mittleren (sieben 41- bis 50-Jährige) sind untervertreten. Das Durchschnittsalter liegt bei 46 Jahren. Zum Vergleich dient die Altersverteilung (ab 20 Jahren) der männlichen Gesamtbevölkerung der Schweiz. Die Altersverteilung der Freier entspricht etwa der Normalverteilung.
Das Bildungsniveau ist mit 9 Akademikern, zwei HTL-Absolventen und 24 Berufsschulabgängern (mit und teilweise späterer Weiterbildung) leicht überdurchschnittlich. Ein Anteil von einem Drittel Akademiker trat auch in anderen Freierbefragungen auf (Kleiber und Velten: 55). Die Besonderheit dieser Freierpopulation führen Kleiber und Velten auf die Stichprobenselektion zurück, da „lesende Freier“ angesprochen werden. Die Berufe und die Tätigkeiten der befragten Freier decken ebenfalls ein breites Spektrum ab: So sind vom Gärtner bis zum Manager und vom kaufmännischen Angestellten bis zum Musiker die verschiedensten Berufe zu finden. Dementsprechend fallen auch die Einkommensklassen aus, wobei die höheren Kategorien (über 60’000 Franken Jahreseinkommen) eindeutig überwiegen.
Tabelle: Einkommen der Freier pro Jahr (N= 37)
In 1000 Franken; Freier (Anzahl); Freier (%); Vergleichsgruppe (451)
0-30 2 6% 7%
31-60 9 25% 43%
61-100 16 43% 37%
Über 100 10 26% 13 %
Insgesamt 37 100% 100%
Befragt zur Partnersituation, gibt bei N=37 die Mehrheit der Freier an, verheiratet zu sein (21) oder mit der Freundin zusammen zu leben (6). Nur 10 Freier sind Single. Die Dauer der Partnerschaft liegt im Durchschnitt um 15 Jahre und reicht bis zu einem Maximum von 42 Jahren.
Die Angaben zur Partnersituation können dahingehend interpretiert werden, dass den befragten Männern die Kontakte mit Prostituierten hauptsächlich als Zusatz oder Ergänzung zu ihrer regulären Beziehung dienen, also mehrheitlich nicht einem Beziehungsmangel entspringen. Dieser Befund entspricht wiederum den schon erwähnten anderen Studien (Kleiber und Velten, Farago et al., Ahlemeyer).
Da die publizierten Volkszählungsdaten weder den Zivilstand nach Alter noch den Zivilstand zusammenlebender Paare ausweisen, kann das Sample nicht direkt mit der Grundgesamtheit verglichen werden. Zieht man die unter 20-Jährigen und die über 79-Jährigen vom Total der männlichen Wohnbevölkerung ab, so ergibt sich ein etwa entsprechender Anteil verheirateter Männer wie bei den befragten Männern. Daraus kann abgeleitet werden, dass unser Freiersample in Bezug auf den Zivilstand in etwa der männlichen Wohnbevölkerung der Schweiz entspricht. Der durchschnittliche Deutschschweizer Freier dieser Befragung ist also um die 47 Jahre alt, wohnt auf dem Land oder in einer größeren Stadt, gehört der oberen Mittelschicht an, verdient 90’000 Franken im Jahr und lebt in einer auf Dauer angelegten Paarbeziehung.
4.5.3.2 Präferenzen der Freier
Ausgangspunkt zum Thema Präferenzen ist die These, dass die Nachfrage nach Prostitution eine Folge der Vermarktung der Sexualität ist und dadurch stimuliert wird. Die Stimulation der Nachfrage bedient sich des gängigen ökonomischen Know-Hows wie Expansion, Diversifizierung, Innovation und Kundenfreundlichkeit des Angebots. Es fehlt allerdings eine unterstützende populäre Marktstrategie, die potenzielle Käufer von der Legitimität, „Normalität“ und Unbedenklichkeit des Produkts überzeugt und Prostitutionskunden von ihren Skrupeln und moralischen Bedenken entlastet. Denn wenn auch Rechtsprechung und Gesetz nichts gegen „rechtmäßige“ Formen der Prostitution einzuwenden wissen, zeigt sich in den Aussagen der Prostitutionskunden (wie auch bei den Prostituierten selbst, wie ihre Aussagen in Kap. 4.4 deutlich machen) eine Hemmung, Prostitution als Dienstleistung oder „Arbeit wie jede andere auch“ aufzufassen. Vielmehr hängt man nicht „an die große Glocke“, „was nicht alle wissen sollen“, am wenigsten weiht man „die eigene Frau“ (und im Fall der Prostituierten die eigene Familie) in die Geheimnisse ein. Die markt- und kundenfreundliche Struktur des Angebots erleichtert aber den Zugang zu Prostitution und verdeckt die Beklemmung durch die suggerierte „Normalität“ einer nüchternen Tauschbeziehung „Ware“ gegen Geld. Denn die Preisstruktur, segmentiert durch die Vielfältigkeit des Angebots, simuliert eine „Warenpalette“, aus der der Kunde je nach Budget „auswählen“ kann, was er begehrt. Ein differenziertes Preisdispositiv wirkt also nicht nur einem generellen Preissturz entgegen, sondern hat vor allem die Funktion, Prostitution als Marktakt zu etablieren und damit sexuelles Begehren an den Markt zu binden. Denn Fokus und Motivation der Prostitution ist nicht etwa Sexualität — wie wir im Kapitel 1.4 gesehen haben — sondern der Versuch und Erfolg ihrer Vermarktung.
In der Befragungssituation machen sich die meisten Männer allerdings nichts vor und bezeichnen die Frauen mehrheitlich nüchtern als Prostituierte (20 Nennungen), Sexworkerin (2), Salonfrauen (2), Liebesdienerin (1), Freudenfrauen (1) oder benutzen landesübliche Ausdrücke wie Hure, Nutte, Schlampe, Dirne, was in diesem Kontext nicht abwertend, sondern eher als eindeutige „Berufsbezeichnung“ zu verstehen ist. Sieben befragten Männern ist offenbar nicht ganz wohl bei der Sache; sie möchten die Prostituierten kurzerhand als „Frauen wie andere auch“ sehen, und andere geben Fantasienamen wie „Königin“ oder „Lady“.
Nach Ansicht der befragten Prostitutionskonsumenten hat sich der Sexmarkt in den letzten zehn Jahren nicht nur rasant entwickelt, wobei sowohl das Angebot wie auch die Nachfrage stark zugenommen haben, sondern er hat sich auch bemerkenswert diversifiziert, ist offener und zugänglicher geworden. Es gäbe viele neue Angebote und Orte, wo man Prostituierte kennen lernen könne, wie zum Beispiel Swinger-Clubs und Wellness-Clubs. Dabei sind viele Tabus wie Küssen oder weitergehender Körperkontakt gefallen. Überdies sind die Preise gleich geblieben oder sogar gesunken. Einige Freier meinen, dass die Konkurrenz unter den Prostituierten gestiegen sei, da es vor allem viel mehr Ausländerinnen habe und deshalb die Preise gedrückt würden. Andere vermuten, das größere Angebot an sauberen Etablissements, von denen es früher weniger gegeben habe, sei geeignet, die Preise zu regeln und zu vereinheitlichen. Einige Freier beobachten, dass der Straßenstrich zurückgehe. Auch wird die Ansicht vertreten, dass es viel mehr Prostitution auf dem Land gäbe als früher, als diese vor allem in den Städten angeboten wurde.
„Das Angebot hat zugenommen. Die Vielfalt wird größer. Ständig. Es ist einfacher geworden. Saubere Etablissements unterscheiden sich klar von billigen, es gibt keine Mittelklasse“ (seit 10 Jahren Freier). „Die Nachfrage ist gestiegen, wenn ich schon nur im eigenen Freundeskreis schaue, jeder geht einmal. Meine Freunde sind wie ich beruflich engagiert, da braucht es zuviel Zeit, eine Partnerin für Sex zu suchen. Es ist viel normaler geworden. Man spricht auch mit Kollegen darüber, die auch gehen“ (seit 6 Jahren Freier). „Das Angebot ist sehr groß. Die Damen sind bereitwilliger geworden, auch Schweizerinnen, wegen der Konkurrenz“ (Freier seit 15 Jahren). „Die Preise sind noch gleich wie vor 30 Jahren, finde ich verrückt. Es gibt eine massive Zunahme von Ausländerinnen, zum Teil sind sie unter Druck. Auch im Sexanzeiger sieht man es, es gibt immer mehr Sado-Maso-Angebote. Nach dem ersten Mal war es wie eine Sucht“ (seit 5 Jahren Freier). „Ein größeres Angebot fand man früher nur in Städten, heute auch auf dem Land. Auch von den Frauen her. Nachteil: Es gibt viele osteuropäische Frauen, die keine Deutschkenntnisse haben. Da gibt es Kommunikationsprobleme. Früher hatte es mehr Schweizerinnen. Ostblock, Thais und Brasilianerinnen gab es nicht. Heute ist alles möglich. Früher war es beschränkt“ (Freier seit 14 Jahren).
Das Angebot hat bezüglich Vielfalt und Quantität deutlich zugenommen, bei gleich bleibenden oder sogar sinkenden Preisen. Die Konkurrenzsituation unter den Anbietern wird von den Kunden als Anreiz zur Nachfrage und als Etablierung eines Status der Normalität von Prostitution verstanden.
Wir befragten die Männer nach dem Ort ihrer zwei letzten Prostituiertenkontakte. Ihre Nennungen ergaben folgende Rangliste (N=39, Mehrfachnennungen): An erster Stelle steht der „Massagesalon“ mit 26 Nennungen, gefolgt von „Privatwohnung“ (19 Nennungen) und das „Bordell“ mit 15 Nennungen. „Sauna/Wellness“ erreicht 10 Nennungen und der Rest verteilt sich auf „Hotel“, „Cabaret/Nightclub“, „Escort“ und „Straßenstrich“. Die wichtigste Eigenschaft eines Ortes für den Prostituiertenkontakt ist die Sauberkeit (32 Nennungen), gefolgt von der guten Atmosphäre (29 Nennungen), der Anonymität (25 Nennungen) sowie dem speziellen Angebot, das von 23 Freiern gesucht wird.
Aus einer Liste von zehn Eigenschaften sollten die Befragten diejenigen nennen, die eine Prostituierte vorzugsweise aufzuweisen hat (Mehrfachnennungen, N= 39). Oben auf schwingt mit 29 Nennungen die Gesprächsmöglichkeit, die bei einer Frau, mit der man sexuelle Kontakte sucht, gegeben sein muss. Dies erklärt, warum deutschsprachige Freier Schweizerinnen, Österreicherinnen und Deutsche bevorzugen, fragt man sie nach der Nationalitätenpräferenz (19). Dicht darauf folgt die Sauberkeit (28) und die mit der Gesprächsmöglichkeit verbundenen Deutschkenntnisse (27). Das Aussehen einer Prostituierten ist für 23 Freier wichtig, wobei die Ausstrahlung (17) vor speziellen Körpereigenschaften (14) wie „schlank“, „gute Figur“, „großer Busen“, „mollig‘“ rangiert. Die Hautfarbe spielt eine bedeutende Rolle (18), wobei eine kleine Gruppe von Freiern speziell die „farbige Frau“ sucht. Ziemlich wichtig (24) ist den Männern auch das Alter (meiste Nennungen zwischen 18 und 30 Jahren). Gerade ältere Freier möchten nicht eine zu große Altersdifferenz, da es ihnen unangenehm ist, mit Frauen zusammen zu sein, die das Alter ihrer Töchter haben. Diese Freier bevorzugen dann ältere Frauen, Altersgrenze gegen oben offen. An letzter Stelle steht die Bildung, auf die aber immerhin 9 Freier Wert legen, dies vor allem des Gesprächsniveaus wegen.
Bei einem Kontakt mit Prostituierten ist die Sauberkeit des Ortes, die gute Atmosphäre und die Anonymität ausschlaggebend, sie rangiert vor dem Aussehen der Prostituierten. Die „gute Atmosphäre“ bezieht sich für die befragten Männer nicht nur auf die Ambiance der Lokalität, wo gute Stimmung, aber keine „Abzockermentalität“ herrschen sollte, sondern vor allem auf das Verhalten der Prostituierten selbst. Diese sollten zeigen, dass „sie Freude am sexuellen Kontakt haben“ und den Mann nicht „kaltschnäuzig abfertigen“.
Der ideale Prostituiertenkontakt spielt sich für unseren Durchschnittsfreier an einem sauberen, anonymen Ort bei guter Atmosphäre mit einer etwa 30-jährigen Frau ab, die kommunikativ und eine gute Gesprächspartnerin ist. Die Prostituierte ist zudem sauber und gepflegt, geht auf die Wünsche des Mannes ein und hat Freude am sexuellen Kontakt.
Für den Kontakt mit Prostituierten relevante Präferenzen (N= 35)
Präferenz sehr wichtig; weniger wichtig; unwichtig; weiß nicht
Sauberkeit des Ortes 32 2 1 –
Gute Atmosphäre 29 3 3 –
Anonymität 25 10 – –
Aussehen der Frau 24 11 – –
Spezielles Angebot 23 5 7 –
Abwechslung 20 12 3 –
Bestimmter Frauentyp 17 5 10 3
Bestimmter Ort 10 9 15 1
Bildung 6 11 12 6
Im Anschluss an das quantitative Sammeln von Eigenschaften, die den Freiern bei Prostituierten wichtig sind, wurde die gleiche Frage offen gestellt. Die folgenden Aussagen geben ein Bild von der Vielfältigkeit der Vorstellungen und veranschaulichen die Breite der Sex-Konsum-Palette, die den Markt — mit andern Konsumgütermärkten vergleichbar — am Laufen hält:
Sie muss mich ansprechen und sich verständigen können. Sie muss mir gefallen, attraktiv und sympathisch sein, sollte eine gute Figur haben.
Mir gefallen muskulöse und sehnige Frauen, wo man die Arterien sieht. So groß und schlank. Der Dominatyp. Sie muss dominieren und schlagen. Sie muss nicht unbedingt schön und jung sein.
Ich bin nur 1,63m groß, habe aber gerne große, schlanke Frauen über 1,70 m. Sie sollte eine Superfigur haben und einen großen Busen. Ich will mich unterhalten können, schmusen und küssen und ein gutes Gespräch führen.
Sie muss naturgeil sein. Zwischendurch bringt es auch einmal schwarz.
Attraktivität ist mir wichtig, das Gesamtpaket. Sie darf nicht zu jung sein. Will mich mit ihr unterhalten können.
Sie sind eh alle jung. Ostblock-Frauen sind o.k. wenn sie Deutsch sprechen. Ich achte auch auf die Figur. Aber das ist abhängig von meiner Stimmung.
Sie muss zeigen, dass sie Freude daran hat.
Ich will keine Routine, darf nicht abgelöscht sein. Sie muss Liebe zum Beruf haben. Ich will einen speziellen Service.
Es soll ganz normal sein, wie wenn man sich irgendwo kennen lernen würde.
Ich suche Schweizerinnen, speziell mit St. Galler oder Walliser-Dialekt.
Ich suche Russinnen, ich interessiere mich für die russische Sprache und Kultur. Aussagen befragten Männer, die Kontakt mit Frauen aus Osteuropa hatten (N=28):
Im Club. Die Abrechnung lief über den Clubbesitzer, es waren Russinnen, Tschechinnen, Polinnen da. Sie hatten schlechte Deutschkenntnisse, schienen teilweise unter Druck zu sein (Kaufm. Angestellter, 37 Jahre alt, verheiratet).
Waren aus Lettland, konnten deutsch, arbeiteten in Salons, aber nicht selbständig. Alles Geld ging an den Puffbesitzer. In billigeren Salons hat es mehr Ausländerinnen (Finanzchef, 37 Jahre alt, Freundin).
Ja, ich hatte mit einer Ungarin und mehreren Russinnen Kontakt. Mit der Ungarin war es ganz schön. Mit den anderen war es schwierig. Nicht wegen den Deutschkenntnissen, sondern die Art war schwierig. Habe den Osttyp nicht so gerne. Sind abgelöscht, kühl. Der Verdacht ist groß, dass sie genötigt werden, machen es einzig wegen des Geldes (Sozialmanager, 53 Jahre alt, Single).
Es war eine Russin. Sie konnte Deutsch und Englisch. Ihr Mann hatte zwei Etablissements und war ihr Zuhälter (Textilkaufmann, 67 Jahre alt, verh.).
Ja, ehemalige Kommunisten sind die radikalsten Kapitalisten geworden: große Risikobereitschaft. Machen auch Sex ohne Präservative. Sie träumen vom großen Geld. Leute im Elend werden durch Agenturen vermittelt, aber die Frauen wissen schon, um was es geht (Mechaniker, 31 Jahre alt, Single).
Es gibt halt sprachliche Barrieren. Aber das sind schöne Mädchen aus Ungarn, die sind alle geil. Habe gute Erfahrungen gemacht. Alle sind sauber (Maschinentechniker, 66 Jahre alt, verh.).
Die Meinungen über die osteuropäischen Prostituierten sind unterschiedlich. Sieben Männern ist aufgefallen, dass die Frauen unter Druck stehen, fünf ärgern sich über die schlechten Arbeitsverhältnisse und ebenso viele sprechen von „armen Frauen“. Dass es diesen Frauen nur ums Geld gehe, meinen vier, und weitere vier berichten von Schnellabfertigung, mechanischer und kühler Behandlung oder dass sie „abgelöscht“ gewirkt hätten. Sieben Freier schwärmen von jungen, hübschen und sauberen „Ostmädchen“, die nicht so verwöhnt seien wie die Schweizerinnen, gut arbeiteten, sich Mühe gäben und auch phantasievolle Wünsche befriedigten. Einer bemerkt, dass sie ein höheres Risiko als Einheimische einzugehen bereit seien (Kondomgebrauch). Das Bild, das sich Freier von Osteuropäerinnen auf dem Prostitutionsmarkt machen, zeigt, dass die befragten Männer es nicht schätzen, wenn Frauen den sexuellen Kontakt unter Druck anbieten. Schlechte Arbeitsbedingungen der Prostituierten und die „freiwillige Unfreiwilligkeit“ wirken sich negativ auf das Geschäft aus, da die Freier Zwangssituationen durchaus wahrnehmen und offenbar nicht bereit sind, mit „unwilligen“ Frauen vorlieb zu nehmen und dafür auch noch zu bezahlen.
4.5.3.3 Ablauf des Kontakts: Häufigkeit des Kontakts, Schätzung der Anzahl der Freier
Auf die Häufigkeit des Prostituiertenkontakts angesprochen, gehen von den 39 Befragten drei Männer zwei bis viermal pro Woche zu einer Prostituierten und acht suchen einmal pro Woche den Kontakt. Die meisten Männer, nämlich 21, wollen einbis zweimal pro Monat käuflichen Sex und fünf begnügen sich mit drei- bis sechsmal pro Jahr. Zwei Männer packt die Lust auf Prostituiertenkontakt bloß ein- bis zweimal pro Jahr.
Während die Schätzungen über die Anzahl Prostituierte sich in einem bestimmten Rahmen bewegen (13°000 bis 17’000 in der Schweiz) klaffen die Schätzungen über Freier beträchtlich auseinander (von 10% bis 60% der erwachsenen männlichen Bevölkerung), je nach Grundlagen, von denen Schätzer und Schätzerinnen ausgehen. Diese Frage ist eine eigene Studie wert, und es würde hier zu weit führen, einzelne Methoden näher zu erläutern oder einzelne Schätzungen wiederzugeben. Trotzdem soll hier ein Versuch gewagt werden, aufgrund der erhobenen Daten die Anzahl zu schätzen.
In unserem Sample von rund 40 Freiern generieren diese rund 1000 Kontakte pro Jahr. Das heißt, ein Freier generiert nach diesem Muster durchschnittlich 25 Kontakte pro Jahr. Geht man von einer geschätzten Anzahl registrierter, legaler und illegaler Prostituierter von 15’000 in der Schweiz aus, die pro Tag in einer 5 Tage-Woche 2 Freier bedienen, so kommt man im Jahr auf 7’500’000 Kontakte generiert von 300’000 Freiern, was verteilt auf 2,5 Mio. Männer zwischen 20 und 79 Jahren einem Anteil von 12% der männlichen, volljährigen Schweizer Bevölkerung entspricht. Diese Schätzung fällt insofern konservativ aus, als dass das Kontaktgenerierungsmuster auf dem „Alltagskonsum“ von Deutschschweizer Freiern in der Schweiz beruht und Abweichungen vom Muster wie Messen, Ferien im Ausland, Parlamentssessionen etc. nicht berücksichtigt.
Freierauslagen beim letzten Prostituiertenkontakt (N=39)
in Franken pro Kontakt; Anzahl Freier; Anteil
50-100 4 10%
100-150 10 25%
150-200 7 19%
200-300 12 30%
300-500 3 8%
über 500 3 8%
Insgesamt 39 100 %
Dauer des letzten Kontakts (N = 39)
Zeitdauer; Anzahl Freier; Anteil
6-8 Stunden 2 5%
2-3 Stunden 6 15%
1% Stunden 3) 13,5 %
1 Stunde 8 20%
45 Minuten 4 10%
30 Minuten 9 23%
15 Minuten 5 13,5 %
Insgesamt 39 100%
Drei Viertel der Freier gaben beim letzten Kontakt mit einer Prostituierten zwischen hundert und dreihundert Franken aus. Vier Männer bezahlten etwa hundert Franken und sechs Männern war der „Spaß“ über 300 Franken wert.
Entsprechend den Preisen variiert auch die Dauer des Kontaktes, wobei meist ein linearer Zusammenhang zwischen diesen beiden Dimensionen besteht, also je länger ein Kontakt dauert, desto teurer ist er. So finden sich die höchsten Auslagen bei denjenigen Freiern, die mehr als drei Stunden bis zu einer ganzen Nacht mit einer Prostituierten verbrachten. Auf der anderen Seite stehen die „Schnellverbraucher“, welche in fünf Fällen lediglich 15 Minuten und in neun Fällen nur 30 Minuten mit der Prostituierten zusammen waren. Die meisten Freier bleiben zwischen einer halben und einer ganzen Stunde bei einer Prostituierten.
Was die Preisverhandlungen und -abmachungen betrifft, so berichten 12 von 27 Freier von einer mündlichen oder schriftlichen Menükarte, die im betreffenden Etablissement existiert, von der die fixe Leistung abgelesen und der fixe Preis an der Kasse beglichen wird. Das funktioniert zum Beispiel mit einem Bon-System. Nur wenige Männer verhandeln den Preis und die Leistung. Während einzelne Kunden finden, dass bei ihnen die Diskussion um den Preis mit den Prostituierten ein Teil des Spieles sei, meinen andere, dass die Stimmung durch das „Märten“ kaputt gehe.
Verbale Menükarte. Ich habe den Preis mit dem Besitzer verhandelt (kaufmännischer Angestellter, 37).
Ich äußere klar meinen Wunsch und wähle zum Beispiel auf der Menükarte im Bordell (Mechaniker, 31).
Für den Eintritt zahle ich inklusive Getränke 50 bis 100 Franken, mit Frau 250 bis 300 Franken. Sie haben eine Menükarte, manchmal bezahle ich an der Theke direkt der Besitzerin. Dann gehe ich an den Pool und frage eine Frau, ob wir etwas machen. Dann geht man aufs Zimmer. Früher waren es 500 Franken pro Stunde. Jetzt sind es 350 bis 400 Franken. Wenn ich es der Rezeption melde, kann ich manchmal auch zwei Stunden bleiben, mit Gespräch, dann ist es keine Schnellabfertigung. Die Frauen verdienen ja auch nicht so viel. Sie müssen mehr Zeit einsetzen und zahlen auch Eintritt. Heute herrscht ein anderer Geist als früher. Für den Kunden ist das ein Vorteil (Geschäftsinhaber, 34 Jahre alt, Single).
Ich mache das im Gespräch ab. Ganzkörpermassage mit erotischem Abschluss. Ich sagte den Preis, sie war einverstanden. So ist es bei mir üblich. Entweder der Preis stimmt oder nicht. Die Zitrone zu spielen, die man pressen kann, passt mir nicht. Ich ‚märte’ den Preis nicht. Die Stimmung geht dann kaputt (Personalchef, 52, geschieden).
Ich zahle nur 50 Franken und nie mehr. Den Preis zu drücken gehört bei mir zum Spiel dazu. Das erhöht die Spannung. Manchmal ist die Suche erfolglos, vielleicht klappt es neun Mal nicht und erst beim zehnten Mal. Ich bin Stammgast und gehe oft zur gleichen Frau (Küchenchef, 48, verh.).
Gelegenheitsstruktur
Bezüglich der Gelegenheitsstruktur ergab sich bei 38 Antworten folgendes Bild: Die meisten Freier (20 Antwortende) suchen Prostituierte werktags auf und nur zwölf am Wochenende, wobei in dieser Gruppe vermehrt Singles zu finden sind. Die andern erinnerten sich nicht mehr an den Wochentag. Was die Tageszeit betrifft, so macht sich die Mehrheit nachmittags frei (22). Entweder gehen sie während der Arbeit weg, sofern die Tätigkeit dies zulässt, oder sie verlassen den Arbeitsplatz früher. Gewisse Freier nützen die Mittagszeit aus (5 Nennungen), sechs Männer gehen am Abend und fünf in der Nacht.
Es zeigt sich hier die Tendenz, Prostituiertenkontakte dem vom privaten Bereich getrennten beruflichen Bereich zuzuordnen und dort auch inhaltlich zu verknüpfen. Sex mit Prostituierten auf Geschäftsreisen oder Gastfreundschaft gegenüber Geschäftspartnern aus einer anderen Stadt bzw. aus dem Ausland, zu der der gemeinsame Besuch eines Bordells auf Geschäftsrechnung gehört, ist offenbar unter Geschäftsfreunden im höheren Kader gang und gäbe. (452)
Zufriedenheit mit dem Prostituiertenkontakt
Der Kontakt mit einer Prostituierten wird allgemein positiv bewertet (27), und zwar, weil die Erwartungen erfüllt wurden und die Frau „gut überspielt hat, dass sie es nur für Geld tut“, weil sie den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden nachgekommen ist und weil das Preis-Leistungsverhältnis stimmte. Fünf Freier waren nur einigermassen zufrieden, weil sie entweder gerne mehr Zeit mit der Frau verbracht hätten, ihnen das Gespräch gefehlt hat oder der Frauentyp nicht stimmte, „sodass sie zwar befriedigt waren, aber nicht wirklich zufrieden“, wie es einer der befragten Männer ausdrückte. Einzelne gehen schon längere Zeit zur gleichen Frau und wissen, dass sie ihren Wünschen mit einem Spezialservice nachkommt.
Es war eine sympathische junge Dame. Sie hat gut überspielt, dass sie es nur für Geld tut. Aber manchmal ist es mir egal, dass sie es nicht gerne macht. Ich habe auch einen Hang zu leichterem SM (kaufmännischer Angestellter, 37, lebt mit Freundin).
Das Ambiente entsprach mir. Entsprach auch dem Betrag. Ich habe Erwartungen und bezahle auch dafür. Es hat gestimmt. Ich bekam das, was ich erwartet habe (Personalchef, 52, geschieden).
Ich fand das, was ich suchte. Kontakt ist sehr schön gewesen und hat meinen Vorstellungen entsprochen (Angestellter in höherer Position, 32, verheiratet).
Es war recht. Würde aber nicht gerade wieder gehen. Frauentyp passte mir nicht (Elektroinstallateur, 55, verheiratet).
Die Gründe der Freier, die mit dem Kontakt nicht zufrieden waren (7), sind vielfältig und reichen von der Feststellung, dass sie zuviel Geld ausgegeben haben, über das Unbehagen, nicht der einzige Liebhaber der Frau zu sein, bis hin zu der Beobachtung, dass die Frau keine Lust gehabt hat.
Dass nachher gerade wieder der nächste kommt, passt mir nicht (Ingenieur, 63, verh.).
Ich bin nicht immer zufrieden. Es stört mich, dass es nicht immer die gleiche Frau ist. Sonst war es, wie es abgemacht war, mit Gefühl. Es war eine Ausländerin. Holländerin. Sie sprach Deutsch (kaufmännischer Angestellter, 37).
Unsauberkeit empfinden zwölf der antwortenden 39 Männer als sehr störend, acht nennen Perversitäten oder „ordinäres, gekünsteltes Getue“ als störend, Teilnahmslosigkeit ärgert sechs Männer, Zeitdruck und Abriss erwähnen fünf Befragte. Drei Männer sind unzufrieden, wenn der Service nicht, wie abgemacht, ausgeführt wird, weitere drei sind nicht zufrieden, wenn die Partnerin unattraktiv ist und zwei stören sich an Frauen, die drogenabhängig oder alkoholisiert sind, zwei zusätzliche Nennungen erwähnen Konflikte.
Wenn etwas versprochen und es dann nicht eingehalten wird, fühle ich mich übers Ohr gehauen (Graphiker, 35, verheiratet).
Ungepflegt, geschäftlich tun, hischhisch. Dann enttarnt sie sich selber (Prokurist, 36, Single).
Wenn die Frau nicht die Richtige ist, sich primitiv benimmt, Drogen nimmt oder Alkohol, dann löscht es mir ab (Schlosser, 49, verheiratet).
Ich hasse gekünsteltes Stöhnen, arrogant mir den Willen aufzwingen wollen, wie eine Domina. Oder wenn sie abschätzig wird (Personalchef, 52, geschieden).
Mir löscht es bei 08.15-Sex ab. Wenn sie daliegt wie ein Brett (Landwirt, 64, verheiratet).
4.5.3.4 Motive für den Prostituiertenkontakt
Was treibt denn überhaupt Freier zu Prostituierten? Als Motiv, Kontakt mit einer Prostituierten anzuknüpfen, werden folgende Gründe genannt: Über ein Drittel der 39 Befragten gaben an, „plötzliche Lust“ und ein Bedürfnis, das gestillt werden musste, habe sie das letzte Mal zu einem Prostituiertenkontakt bewogen. Einen „Spezialservice“ suchten neun Männer. „Ersatz“ für fehlende Liebesbeziehung oder fehlende sexuelle Befriedigung zuhause nannten sechs der Befragten und „Abwechslung“ suchten vier Männer. Andere Gründe wie „Bestätigung als Mann“ oder die „Traumfrau“, die total attraktiv war, nannten vier Befragte.
Dass mehrheitlich „plötzliche Lust“ zu einem Sexualkontakt mit einer Prostituierten führt, kann sicher teilweise auf das große und vielfältige Angebot und den leichten Zugang zu Prostituierten zurückgeführt werden. Dass sich in der „plötzlichen Lust“ ein Suchtpotenzial manifestiert, ist ebenfalls denkbar (vgl. auch Spielsucht). Eine wesentliche Rolle dürfte auch die Verfügbarkeit über Geld spielen, denn 200 bis 300 Franken ausgeben zu können, ohne zuhause darüber Rechenschaft ablegen zu müssen, ist zumindest bei den verheirateten Freiern eine Voraussetzung zum Prostituiertenkontakt, denn die befragten Freier hüten sich mit einer Ausnahme davor, ihren Frauen etwas von den kostspieligen Vorlieben zu erzählen. Die Nennung „Spezialservice“ und „Abwechslung“ weist in die Richtung einer Trennung von sozialen, emotionalen, langfristigen Beziehungsgefügen und sexuellen Kontakten. Dieser Befund lässt auf ein inneres Konfliktpotenzial schließen, das sich durch das Arrangement mit Prostituierten im Moment unter Kontrolle halten lässt.
„Ich gehe zu einer Prostituierten, wenn die Lust und die Kasse stimmen“ (Maler, arbeitslos, 27, verheiratet).
„Das Prickeln, sie kennen zu lernen, ihren schönen weiblichen Körper sehen“ (Ingenieur, 63, verheiratet).
„Man kann dort Sachen machen, die man zuhause nicht kann“ (Musiker, 45, mit Freundin).
„Der Kontakt zu einer Frau ist so schwierig, da zahlt man ein Nachtessen und alles, und dann gibt es vielleicht nur ein Küsschen“ (Textilkaufmann, 67, verheiratet).
„Es ist wie eine Sucht. Wenn man einmal gegangen ist, muss man immer wieder gehen. Das erst Mal war aus Neugierde“ (kaufmännischer Angestellter, 37, verheiratet).
Auf die Frage, was sie unabhängig von einem Prostituiertenkontakt zum Sex reizt, nennen die meisten befragten Männer Erotik, den Frauenkörper allgemein oder spezielle Merkmale eines Frauenkörpers als auslösende Momente für sexuelle Regungen. Drei Männer nennen Fetische oder Spezialservice.
„Erotik, romantische Atmosphäre, bestimmte Kleidungsstücke reizen mich“ (Lehrer, 57, verheiratet).
„Frauenkörper mit allem Drum und Dran. Möchte sie auf ihre Rechnung bringen. Oft passiert das“ (Maschinentechniker, 66, verheiratet).
„Biorhythmus, Lust, Anblick von schönen Frauen, wenn sie meinem Bild entsprechen. Das heißt, wenn sie ihre Reize zur Schau stellt und modisch ist“ (Angestellter in höherer Position, 32, verheiratet).
„Der ganze Körper, alles, die Haut der Frau, weich und geschmeidig, der Herzschlag. Küssen ist das Erotischste. Nähe, Geborgenheit“ (Mechaniker, 31, Single).
Macht es für die befragten Männer einen Unterschied, ob sie sexuelle Reize bei ihrer Frau und Freundin oder bei einer Prostituierten wahrnehmen? Sieben Männer lassen sich eher von Prostituierten sexuell erregen, während acht eher von ihren Partnerinnen angeregt sind. Neun antworteten mit sowohl als auch. Der Rest hat keine feste Partnerin oder lässt es auf die Situation ankommen.
Für die befragten Männer ist die Kontrolle über den sexuellen Kontakt eine wichtige Voraussetzung, ohne die sie sich ihren sexuellen Regungen nicht hingeben können. Das Bedürfnis nach der Kontrollierbarkeit einer sexuellen Paarsituation drückt sich im Wunsch nach Ungestörtheit und Regelung des sexuellen Kontaktes aus. In einer nicht prostitutiven Beziehung werden sexuelle Kontakte von den Befragten oft als Bedrohung erlebt, weil sie sich der Kontrolle entziehen. Deshalb zeigt sich der Prostituiertenkontakt bei der Mehrzahl der befragten Freier als eine Tendenz zur Trennung von fester Beziehung und Sexualität.
„In der Beziehung kann ich Sex nicht genießen. Mit Prostituierten schon“ (Textilkaufmann, 67, verheiratet).
„Im Club ist man an gewisse Regeln gebunden: Man ist an die Zeit gebunden und auch der Service ist vorher abgemacht worden. Da müssen sich beide daran halten“ (Geschäftsinhaber, 34, Single).
„Die Partnerin habe ich für eine gute Beziehung und die Prostituierte für spezielle Dienstleistungen“ (Küchenchef, 48, verheiratet).
„Ich habe spezielle Wünsche. Ich möchte diese sexuellen Praktiken nicht mit meiner Partnerin machen. Ja, es würde die Beziehung gefährden. Ich muss die Beziehung schützen. Ich liebe meine Frau. Dann gehe ich halt zu einer Prostituierten, die macht, was ich will, ich bezahle und fertig“ (Angestellter in höherer Position, 32, verheiratet).
Ein Befragter erwähnt diesen Konflikt direkt und ein anderer spricht seine Angst vor Frauen an: „Ich habe das Gefühl, meine Frau zu hintergehen. Ich fühle mich immer so schlecht hinterher“ (Schreiner, 34, verheiratet).
„Am Anfang musste ich mich überwinden. Ich hatte Angst. In der Zwischenzeit habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht, erlebe auch Momente der Liebe und spüre, dass etwas zurückkommt. Es stört mich, wenn die Frau ungeduldig wird, arrogant oder schnippisch. Oder wenn sie mir etwas vormacht“ (Personalchef, 52, geschieden). Diese Aussagen lassen die Tragweite der Not erahnen, die im Konsum von schnellen, marktschreierischen Sex-is-fun-Angeboten Ausdruck sucht. Denn mit dem Versprechen, Prostitution garantiere einen unproblematischen Zugang zu Frauen, lässt sich zwar gute Geschäfte machen, aber die Sehnsucht nach Liebe, Anerkennung und Geborgenheit und die Beklemmung oder Angst vor dem anderen Geschlecht lassen sich durch Prostitution und deren Konsum wohl kaum nachhaltig stillen bzw. vermindern.
Durch die aktuelle, naturalisierte „Normalität“ prostitutiver Beziehungen wissen sich aber sowohl Prostituierte als auch Freier als Teilhaber der freien Marktwirtschaft, die kulturell und institutionell abgestützt proklamiert, Probleme über den Markt zu lösen. Damit besteht wenig Anlass, nach alternativen Ansätzen zu suchen, sodass es nahe liegt, aufkommendes Unbehagen auf Mechanismen von Angebot und Nachfrage zu reduzieren. Ob damit die ursprüngliche Unruhe und Angst tragfähig zur Ruhe kommt, ist allerdings fraglich.
Motive zu „kein Prostituiertenkontakt“
Auf die Frage, aus welchen Gründen sie den Wunsch nach einem Prostituiertenkontakt das letzte Mal nicht in die Tat umsetzten, nannten die Männer finanzielle Gründe an erster Stelle, gefolgt von Bedenken wegen der eigenen Partnerbeziehung. Als dritter Grund wurden äußere Umstände geltend gemacht, wie zum Beispiel fehlende Atmosphäre, Zeitfaktor und Ungepflegtheit der Frau. Eine Handvoll Männer erwähnten innere Impulse, wie etwa moralische Gründe oder kritische Überlegungen, und zwei befürchteten eine Verletzung ihrer Anonymität.
„Das ist dann eine Zeitfrage. Ich bin geschäftlich sehr engagiert“ (Finanzchef, 37, Freundin).
„Das Geld. Aus diesem Grund habe ich keine Kreditkarte“ (Landwirt, 48, verheiratet).
„Geld. Es ist unvernünftig, wenn man nicht bei Kasse ist. Ende Monat kommt man dann auf die Welt“ (er meint, den Freierlohn mit der Kreditkarte zahlen) (Maschinentechniker, 49, verheiratet).
„Ich hatte grausam Angst, dass mich jemand sieht. Es war eine blöde Situation“ (Ökonom, 49, verheiratet).
Es erstaunt wenig, dass die befragten Freier mehrheitlich angeben, sich durch das Budget in ihrer Nachfrage nach Prostituiertenkontakten limitiert zu fühlen. Wird allerdings im Konjunktiv nachgehakt, ob sie denn ihren Konsum bei unbeschränktem Budget entsprechend erhöhen würden, fallen die Antworten nicht mehr so klar aus. Eher nicht, und das aus den verschiedensten Gründen, lautet der Tenor der Antworten. Das heißt, dass die beschränkten Finanzen zumindest bei einigen der Befragten als willkommene Entlastung bei der Entscheidfindung für oder wider einen Prostituiertenkontakt fungieren. Andere hingegen handeln sich Probleme ein, wenn sie das Kreditkartenlimit überschreiten oder die Ehefrau wissen will, wo das für andere Zwecke benötigte Geld geblieben ist. Das schlechte Gewissen gegenüber der (nicht informierten) Partnerin belastet denn auch viele der befragten Freier. Und wenn mehrere Männer angeben, mit Freunden oder Kollegen über Prostituiertenkontakte zu sprechen, so ist es gerade ein Befragter, der seine Partnerin darüber informiert.
„Das Schlimmste, was mir passieren könnte, ist, wenn meine Frau davon erfährt“ (Maler, 27, verheiratet).
„Ich spreche mit niemandem darüber, zuletzt würde ich meine Freundin informieren. Das wäre mir irgendwie peinlich“ (Landwirt, 64).
„Das müssen ja nicht alle wissen“ (Musiker, 45, Freundin).
„Das geht niemanden etwas an“ (Ingenieur, 37, Single).
Viele der befragten Freier leben in einem Unrechtgefühl hinsichtlich ihrer Prostituiertenkontakte, sei es, weil sie ihr Budget strapazieren oder ihre Frau „hintergehen“, oder sei es die Unzufriedenheit mit sich selbst, weil sie sich wieder haben „hinreißen“ lassen, wie sich einer der Freier ausdrückte. Was in Bezug auf den letzten Kontakt als schön und befriedigend geschildert wurde, bekommt im gesellschaftlichen Kontext einen unbehaglichen Nachgeschmack. In zwei Fällen wollten die Befragten von den Interviewerinnen ausdrücklich wissen, ob sie dieses Verhalten noch „normal“ fänden. Vier der Befragten gaben an, überhaupt keine Probleme mit Prostituiertenkontakten zu haben und verstanden diese als Bereicherung. Drei davon legten allerdings Wert auf eine strikte Informationssperre gegenüber Dritten, da sie ihre sexuellen Präferenzen als Privatangelegenheit betrachten. Auf die Anonymität des Prostituiertenkontakts legen denn auch die meisten der befragten Freier großen Wert und sind bereit, auf einen Kontakt zu verzichten, wenn diese nicht gewährleistet ist.
4.5.3.5 Skizze einer Freier-Typologie
Aus der Befragung geht hervor, dass sich die Männer mit Prostituiertenkontakt, die sich für ein Gespräch zur Verfügung gestellt haben, von der übrigen männlichen Bevölkerung demographisch nicht unterscheidet, abgesehen von den oben erwähnten Einschränkungen. Über die Unterschiede zu Männern, die keine Prostituiertenkontakte pflegen, wird hier bezüglich sexuellen Präferenzen, Einstellung zu Prostituierten, Motivation zu einem Nicht-Kontakt etc. nichts ausgesagt, da die Befragung einer entsprechenden Kontrollgruppe den Rahmen dieser Arbeit gesprengt hätte. Vorliegende Studie hat explorativen Charakter und dient der Beleuchtung des Prostitutionsmarktes aus der Nachfrageperspektive.
Grob zeichnen sich drei Freier-Figuren ab, wobei diese Figuren nicht als Individualisierung zu verstehen sind. Ein Freier kann Elemente aus allen drei Varianten haben. Der selbstbewusste Konsument
Er ist marktfroh, möchte gern alles ausprobieren, was es auf dem Markt gibt und kalkuliert Prostituiertenbesuche wie andere Konsumgüter in sein Budget ein. Er ist modern, urban und konform, hat aber Angst, etwas zu verpassen. Er akzeptiert Prostituierte als Frauen wie andere auch und hat keine moralischen Bedenken, die Dienstleistung Prostitution für seine Bedürfnisse zu nutzen. Er trennt seine sexuellen Bedürfnisse tendenziell von der Beziehung mit seiner Partnerin, weil diese die Beziehung gefährden könnten. Auch wenn er sich sexuelle Spezialwünsche erfüllen möchte, geht er zu Prostituierten, die anbieten, was er seiner Partnerin nicht zumuten will. Trotz selbstbewusstem Auftreten hütet er sich davor, seine Präferenzen an die große Glocke zu hängen. Vor allem will er nicht mit der Partnerin über seine Abstecher ins Milieu sprechen. Die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse betrachtet er als Privatsache. Er ist ein typischer Vertreter des Phänomens Sexualität als Konsumgut.
Der Leidende
Dieser Typus ist sensibel, fühlt sich zu kurz gekommen und unverstanden. Vor allem hat er Probleme mit Frauen, die sich ihm verweigern oder nicht (mehr) auf ihn ansprechen. Die Frauen machen ihm Angst, und er findet keinen Zugang zu ihnen. Er leidet unter der Situation und findet Verständnis bei Prostituierten, die nicht so kompliziert sind wie andere Frauen. Bei Prostituierten kann er die Situation kontrollieren, und die Frau macht, was er will. Er muss keine Rücksicht nehmen und nicht mit Überraschungen rechnen. Allerdings fühlt er sich durch den Geschäftscharakter des sexuellen Kontaktes mit Prostituierten gestört und zuweilen betrogen, wenn ihm klar wird, dass sie es nur für Geld machen. Er hat ein schlechtes Gewissen und sehnt sich nach Liebe und Geborgenheit, die er manchmal bei Prostituierten findet. Diese Freierfigur vertritt die Variante von Sexkonsum als Ersatz.
Der standesbewusste Konservative
Er orientiert sich an einem Bild der Mächtigen und Reichen in grauer Vorzeit, wo „schöne Frauen, Musik und üppige Tafel“ zum Inbegriff eines guten Lebens eines Mannes gehörte. Er schätzt die Frauen vor allem in ihrer Funktion als sexuelle Glücksverheisserinnen, wobei sie selbstverständlich freiwillig und ganz natürlich den Wünschen des Mannes zu entsprechen suchen. Er wertet seine sexuelle Potenz hoch, weil sie Frauen glücklich macht, unabhängig davon, ob es sich um die Ehefrau oder um eine Prostituierte handelt. „Frauen“ gehören einfach zu seinem Leben. Allerdings ist er standesbewusst, was ihn im Normalfall hindert, seine Kontakte zu Prostituierten öffentlich zu machen. Findet er allerdings Prostituierte, die seinen Vorstellungen von Schönheit, Stand und Bildung entsprechen, kann er Frauen durchaus als Trophy-girl präsentieren und die prostitutive Beziehung verdecken, unter der Voraussetzung, dass er über das nötige Geld zur Inszenierung von „natürlichen“ Situationen verfügt und Frauen ganze Nächte, Tage oder Wochen bezahlen kann. Ist das Budget limitiert, sucht er trotzdem eine „natürliche“ Art von Kontakt, wobei er auf ihm entsprechende, individuelle Eigenschaften der Prostituierten achtet. Dieser Freiertyp sucht im Prostituiertenkontakt die Bestätigung seiner Männlichkeit und steht für Sex als Ausdruck des männlich dominierten, „natürlichen“ Geschlechterverhältnisses.
4.5.3.6 Zusammenfassung der Freier-Studie
Auch wenn nicht von einer repräsentativen Untersuchung gesprochen werden kann, sind die Resultate mit 39 interviewten Freiern im Rahmen unserer quantitativen und qualitativen Evaluation aussagekräftig.
Zusammenfassend kann man den durchschnittlichen Freier dieser Befragung als verheiratet, im mittleren Alter und über ein höheres Einkommen verfügend charakterisieren. Mehrheitlich gehen die Freier seit über 10 Jahren zu Prostituierten, die sie ein bis zweimal pro Monat, vorzugsweise werktags am Nachmittag während oder nach der Arbeit aufsuchen, und geben jeweils zwischen 100 und 300 Franken aus. Sie bevorzugen Salons und Privatwohnungen, wo sie vor allem Wert auf Sauberkeit, gute Atmosphäre und Anonymität legen. Es ist ihnen wichtig, dass man mit der Prostituierten ein Gespräch führen kann, dass sie sauber ist und eine angenehme Ausstrahlung hat.
Die Entwicklung des Schweizer Sexmarktes führte nach Einschätzung unserer Interviewpartner zu einem gestiegenen Angebot, welches dazu führt, dass der Zugang zum Sexmilieu einfacher ist, dass es sauberer ist und mehr Spezialservice anbietet. Die Preise sind gleich geblieben oder gesunken, was die Attraktivität des Angebots erhöht, vor allem aber das Freiertum als Massenphänomen erst möglich macht.
Als Motiv, den Kontakt mit einer Prostituierten anzuknüpfen, wird plötzliche Lust sowie das Bedürfnis nach Abwechslung genannt. Oft dient der Kontakt als Ersatz für eine fehlende oder schwierige Beziehung. Etliche Freier nehmen spezielle Dienstleistungen in Anspruch, um Wünsche zu befriedigen, die sie in ihrer eigenen Beziehung nicht leben können.
Am Kontakt mit Prostituierten gefällt allen Freiern der ultimative Kick, das ungehemmte Anbringen von Wünschen, der Reiz der Ästhetik und die Unverbindlichkeit. Störend dabei wirkt neben dem Zeitdruck und den Kosten vor allem das schlechte Gewissen gegenüber der Partnerin zuhause. Oft bleibt nach dem Kontakt ein Unbehagen über das eigene Tun. Limitiert werden die Prostituiertenkontakte vor allem durch diese Faktoren, allen voran das Geld.
Bezüglich des Unterschiedes zwischen sexuellen Kontakten in einer festen Beziehung und dem Kontakt mit einer Prostituierten sprechen sich etwa die Hälfte der befragten Freier für die Vorteile des Prostituiertenkontakts aus, da dieser unkomplizierter, unverbindlicher und kontrollierbarer erlebt wird als eine unter Umständen fordernde Beziehung. Die andere Hälfte der Freier gewichtet den sexuellen Kontakt in einer festen Beziehung höher.
Zufrieden sind die befragten Männer, wenn ihre Erwartungen von der Prostituierten erfüllt werden, und diese dabei gut überspielen können, dass sie bloß ihren Job machen. Auch sollen sie den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden nachkommen, und das Preis-Leistungsverhältnis muss stimmen. Der Preis wird oft nicht mit der Prostituierten direkt verhandelt, da fixe Leistungen und Preise anhand einer mündlichen oder schriftlichen Menükarte im betreffenden Etablissement festgelegt sind.
Was Erfahrungen mit Prostituierten aus Osteuropa betrifft, äußern sich 21 der befragten Freier zu deren Sprachkenntnissen, welche sehr unterschiedlich wahrgenommen wurden. Oft wird dies als Sprachbarriere beschrieben. Einige Freier geben Hinweise auf das Beschäftigungsverhältnis der Frauen. Sie beobachten, dass das Geld direkt an die InhaberInnen der Etablissements geht. Einige Freier nehmen wahr, dass die Frauen unter Druck stehen.
Was die Motivation der Frauen zur Prostitution betrifft, so schätzen die befragten Männer die „Zwangslage“ der Ostfrauen aufgrund finanzieller Notlagen etc. als stärker ein als bei Schweizerinnen. Diese Sensibilität scheint den Freier jedoch nur dann zur Intervention zu veranlassen, wenn der Kontakt für ihn unbefriedigend verlaufen ist, das heißt, wenn aufgrund der „abgelöschten“ oder teilnahmslosen Haltung der Prostituierten oder wegen des Zeitdrucks die gewünschte Atmosphäre nicht aufkommen konnte.
Man könnte vorsichtig daraus schließen, dass der durchschnittliche Freier die prostitutive Beziehung ganz aus seiner Egozentrik heraus wahrnimmt und deutet, wodurch kritisches Bewusstsein in den Hintergrund tritt. Mit Rechtfertigungen, „Prostitution ist eine Arbeit wie jede andere auch“ oder, dass die Frauen für ihre Leistungen recht bezahlt würden, entzieht sich der Freier einer weitergehenden Verantwortung. Lediglich einer der interviewten Männer gab an, dass er den Sexkontakt nur genießen könne, wenn es auch die Prostituierte genieße, was bei Prostitutionsmigrantinnen oft nicht der Fall sei: Diese widmeten sich der Prostitution aus einer Notlage heraus und nicht aus „Berufung“ und Freude am Beruf.
Diese Resultate ergeben ein Bild aus der Sicht der interviewten Männer, ein Bild des reibungslosen Funktionierens des Sexbusiness, wo alle zufrieden sind, wenn das Preis-Leistungsverhältnis stimmt, die Etablissements sauber sind und eine breite Angebotspalette bereitsteht, die den Bedürfnissen der potenziellen Freier mit ihren unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten entgegenkommt. Für die meisten der befragten Freier stellt der Prostituiertenkontakt eine sexuelle Variante zu ihrer sozial deklarierten Paarbeziehung dar — ein Ersatz oder Zusatz, um die bestehende Beziehung nicht durch unkontrollierbare sexuelle Begehren zu gefährden.
Eine an das moderne Leben (Mobilität, Freizeitgestaltung, Wellness, hohe Kaufkraft der Berufstätigen) angepasste Angebotsstruktur, die bezüglich Anonymität und zeitlicher Flexibilität das Risiko entdeckt zu werden minimiert, erleichtert die Zugänglichkeit und ist in hohem Maße geschäftsfördernd.
Im Verhältnis zur festen Beziehung wird für sexuelle Kontakte mehrheitlich der Prostituierten vor der Partnerin der Vorzug gegeben. Diese ist eben für „die Beziehung“ zuständig, welche aus der Sicht der Freier gerade durch out sourcing der sexuellen Wünsche geschützt und erhalten werden soll.
Dennoch bleibt als wichtigste wünschenswerte Eigenschaft an Prostituierten deren Gesprächspotential, wie die Präferenzanalyse ergeben hat, was bei Prostitutionsmigrantinnen Fremdsprachenkenntnisse voraussetzt.
Diese Ergebnisse müssen selbstverständlich immer im Verhältnis zum befragten Freiersegment gesehen werden, bei welchem die Inanspruchnahme des oberen Preissegments des Angebots überwiegt. So wurden beispielsweise keine ausländischen Freier befragt, die eventuell Hinweise auf untere Segmente des Preisniveaus von Prostitutionsangeboten hätten geben können, wie etwa der Straßenstrich, wo vermutlich Kommunikationspotentiale eine untergeordnete Rolle spielen.
Die Selbstverständlichkeit, mit der Freier Ansprüche an fremde Personen formulieren, setzt beim Freier einerseits die Gewissheit voraus, das Gewünschte gegen entsprechendes Entgelt jederzeit bekommen zu können, andererseits verlangt das Geschäft der Prostitution von den Frauen das unbedingte Akzeptieren dieser Selbstverständlichkeit, wenn sie Kasse machen wollen. Es ist die Aufforderung an Männer, ihre Ansprüche an Frauen grundsätzlich in sexueller Form zu stellen, was die Frau zur Prostituierten macht. Denn dieses Setting kann sie zu ihren Gunsten bearbeiten, indem sie signalisiert, dass sie auf Verlangen die Ansprüche von Männern vor eigene Ansprüche an Männer zu stellen bereit ist, sich allerdings dafür abfinden lässt. Die sexuelle Konnotation dieses Verhältnisses der Subjektbestätigung durch Subjektnegierung zwischen Freier und Prostituierter ist eine Funktion der Praktikabilität dieses Geschlechterverhältnisses. Es ist nämlich die Deklaration der männlichen Ansprüche an Frauen als „sexuelle“, die die Männer deshalb zu Freiern macht, weil sie sich die Durchsetzung ihrer Ansprüche nur in dieser „sexualisierten“ Form zutrauen, denn ihre Wünsche nach „Gesprächsmöglichkeit“ und „guter Atmosphäre“ sprechen eine andere Sprache. Damit unterwerfen sich Männer in ihrem Verhältnis zu Frauen dem Deklarationszwang „Sex“, der ihre Sehnsucht nach Anerkennung auf sexuelle Leistung reduziert, für die sie auch noch zur Kasse gebeten werden.
Diese Befragung gibt Auskunft über Motivation und Gelegenheitsstruktur von Schweizer Freiern und erhellt Aspekte bezüglich prostitutiver Relationen, die in bisherigen Studien aufgrund ihrer Ausrichtung auf die Aids-Prävention außer Acht gelassen wurden. Deshalb ist es hier möglich, weitere und andere Erkenntnisse über den Prostitutionsmarkt zu gewinnen.
4.6 Geschäfte mit der Prostitutionsmigration: Fallbeschreibungen
Die folgenden acht Fälle repräsentieren verschiedene Muster von Geschäftspraktiken mit Prostitutionsmigration. Gerichtsurteile dienen als Informationsquelle. (453)
4.6.1 Der Klassiker: Champagneranimation
Der 1949 geborene Alfons wuchs in geordneten Verhältnissen auf einem Bauernhof in der Schweiz auf und schloss eine kaufmännische Ausbildung ab. Er arbeitete in verschiedenen Banken und Versicherungen als Kaufmann bevor er das Wirtepatent erwarb und 1989 das Gasthaus seiner Mutter als Geschäftsführer übernahm. Seine Freundin Mathilda aus der Dominikanischen Republik hatte früher in der Schweiz als Tänzerin gearbeitet und war von einem Schweizer geschieden. Zusammen mit ihr funktionierte er das Gasthaus mit dazugehörendem Personalhaus zu einem Nachtclub mit Striptease-Show um. Dabei handelte es sich um einen bordellartigen Betrieb mit Animation, wo sich sowohl im Personalhaus als auch in den Separees Prostituierte anboten. Eine beauftragte Agentur wählte Tänzerinnen aus verschiedenen Ländern, vor allem aber aus der Dominikanischen Republik, Brasilien und später aus Osteuropa aus. Die Frauen waren im Besitze einer L-Bewilligung und Arbeitsverträgen, die sie zu Tanzdarbietungen in Cabarets berechtigte. (454)
Die Frauen hatten von 17 Uhr bis 2 Uhr morgens in der Bar verfügbar zu sein. Für ihren Auftritt als Tänzerin waren 30 Minuten vorgesehen. Sie mussten Kunden an der Bar um ein Glas Champagner bitten und danach die Männer intim berühren. Ließen sich die Kunden anregen, mussten sie eine 3,5 dl-Flasche Champagner zu 140 Franken bestellen, um mit der Dame die Aktion im Separee fortzuführen. Die Freier hatten auch die Möglichkeit, in ein Zimmer des Personalhauses mitzugehen, wo die Frauen allein oder zu zweit logierten. Auch diese Variante war mit dem Kauf von mindestens einer Flasche Champagner verbunden, auf den sich die Frauen eine Provision gutschreiben lassen durften. Was der Freier für seinen Besuch bezahlte, konnte die Prostituierte behalten. Nach getaner Arbeit erwartete sie der Chef wieder an der Bar.
Die ersten drei Tage galten als Probezeit. Hielten sich die Frauen nicht an die Instruktionen von Mathilda, mussten sie mit der Entlassung rechnen. Die Einhaltung der Regeln kontrollierte der abends immer anwesende Alfons streng. Auch mussten ihm die Frauen ihre Pässe abgeben. Am Ende des Monats rechnete Alfons vorzugsweise in den frühen Morgenstunden nach dem letzten Geschäft mit den Frauen ab. Er verlangte nicht nur horrende Preise für die kleinen Zimmer, spärlichen Dienstleistungen und das Essen, er betrog die Frauen auch, indem er Provisionen nicht auswies oder sonstige Abzüge machte. Zum Beispiel setzte er zu hohe Beträge für die Abgaben an die Fremdenpolizei ein. Dabei ging er so vor, dass er die Beträge mit Bleistift eintrug und sie nach erhaltener Unterschrift der alkoholisierten und schläfrigen Frauen mit Kugelschreiber zu seinen Gunsten abänderte.
Das Geschäft blühte über fünf Jahre und Alfons konnte auf diese Weise ein ansehnliches Vermögen erwirtschaften, bevor die Strafverfolgungsbehörde eingriff und die Gerichte ihn in die Schranken wiesen. Laut Gerichtsakten soll er durch die Ausbeutung von 927 Tänzerinnen einen Champagnerumsatz von 7,4 Mio. Franken erwirtschaftet haben. Die Bezirksanwaltschaft legte ihm zur Last, die Frauen der Prostitution zugeführt, die genauen Modalitäten ihrer Tätigkeit festgelegt und sie gewerbsmäßig betrogen zu haben. Alfons sah seine Schuld nicht ein, transferierte sein Vermögen ins Ausland und kämpfte bis vor Bundesgericht, das aber die Verurteilung der Vorinstanz im Wesentlichen bestätigte. #5 Yor Gericht konnten nur einzelne Frauen als Zeuginnen gehört werden, die meisten waren bereits abgereist und standen den Gerichten nicht mehr zur Verfügung.
Dieser Fall zeigt nicht nur, dass Prostitution in der Schweiz ein lukratives Geschäft ist, sondern auch, dass viel Geld mit Frauen aus dem Ausland verdienen kann, wer deren ökonomische Bedürftigkeit und kulturell-sprachliche Unterlegenheit ausnützt. Da die Frauen in den meisten Fällen volljährig waren und sich freiwillig für den legalen Job als Striptease-Tänzerin beworben hatten, waren der Anwendung des neuen Strafgesetzes enge Grenzen gesetzt. Die Nachfrage auf dem internationalen Sexmarkt weckt bei vielen jungen Frauen die Hoffnung auf ein besseres Leben und nährt die Hoffnung, durch Prostitutionsmigration der wirtschaftlichen Not oder Perspektivlosigkeit im eigenen Land zu entrinnen. Deshalb begeben sie sich meist freiwillig und oft gut informiert auf die Reise ins Milieu oder kehren immer wieder an ihren alten Arbeitsplatz zurück. Sie passen sich den vorgefundenen Bedingungen in ihrem Interesse an, weil sie möglichst viel Geld verdienen wollen. In diesem Fall waren sie leichte Beute für Alfons, dessen Geschäftstüchtigkeit allerdings die Grenzen der Toleranz gesprengt hat.
Die Gerichte befassten sich sechs Jahre lang bis ins Jahr 2001 mit dem Fall, doch es zeichnete sich ab, dass es sich bei diesen „klassischen“ Geschäftsmethoden um ein Auslaufmodell handelt und sich neue Möglichkeiten ergaben, Prostitutionsmigration als lukratives Geschäft zu organisieren.
4.6.2 Auf die harte Tour: Das schnelle Geld
Mitte der 90er Jahre führte Tibor, ein im Tessin vorbestrafter 35-jähriger gebürtiger Jugoslawe und Staatsbürger Österreichs, zusammen mit Edgar, einem in Deutschland mehrfach vorbestraften um fünf Jahre älteren österreichischen Hilfsarbeiter den arbeitsteilig organisierten Begleitservice „Escort“. Zu diesem Zweck mieteten die beiden mehrere Wohnungen in Zürich und der weiteren Umgebung, die den Prostituierten und anderen am Begleitservice beteiligten Personen wie zum Beispiel Chauffeuren und Überwachern als Unterkünfte dienten. Sie warben junge Frauen aus wirtschaftlich ärmlichen Verhältnissen vor allem aus Ländern des ehemals kommunistischen Osteuropa und aus Brasilien an und brachten sie mit einem Touristenvisum in die Schweiz. In verschiedenen renommierten deutschschweizerischen Tageszeitungen und in einschlägigen Anzeigern schalteten sie laufend Inserate. Edgar nahm die zahlreichen Anrufe in einer Telefonzentrale entgegen und vermittelte die Aufträge an die Chauffeure weiter, die für den Betrieb tätig waren. Er bestimmte, wer, wann, wo zum Einsatz kam. Die Chauffeure machten sich dann mit den Frauen auf den Weg zu den Kunden, und leiteten Tibors Instruktionen betreffend Art der Bestellung, Zeitdauer und Preis an die Frauen weiter. Über die Telefonzentrale standen die Chauffeure via Mobiltelefon in Kontakt mit den Freiern, die Sonderwünsche oder Unzufriedenheit mit dem Service sofort äußern konnten. Nach Erledigung des Geschäfts mussten die Frauen den wartenden Chauffeuren den Freierlohn aushändigen und zum nächsten Kunden fahren. Edgar bekam von den Chauffeuren die Tageseinnahmen und rechnete mit ihnen ab und leitete das Geld an Tibor weiter. 10 bis 15% der Einnahmen waren für die Chauffeure bestimmt, die Frauen erhielten 40 bis 50%. Tibor behielt ihren Anteil ein und zahlte sie erst Ende Monat aus, nachdem er die Kosten für Kost und Logis sowie weiteren Auslagen abgezogen hatte. Der Rest floss den Chefs zu.
In einem Zeitraum von zwei Jahren beschäftigte Tibor mindestens 26 Prostituierte in diesem Begleitservice. Laut Gerichtsprotokoll erzielte er innerhalb eines Jahres allein im Stützpunkt Aarau einen Umsatz von 1,3 Mio. Franken.
Einige Frauen konnten sich vor der Abschiebung ins Herkunftsland äußern. Sie stammten aus ärmlichen Verhältnissen in Lateinamerika oder Osteuropa, insbesondere aus Polen und der Ukraine, wo sie teilweise bereits in der einschlägigen Branche, sei es als Striptease-Tänzerinnen oder in einem Bordell tätig waren. (456) Die Strafverfolgungsbehörden wiesen Edgar die Anwerbung mehrerer polnischer Frauen zwecks illegaler Prostitution in der Schweiz nach. Edgar knüpfte selber Kontakt in Polen und beschäftigte weitere Anwerber, besonders in ländlichen Gebieten. Mit Zürcher Kontrollschildern führte er die Frauen zum Teil selbst über die Schweizergrenze, teils reisten sie auch selbständig mit dem Car oder sie fuhren in Begleitung von weiteren Mitarbeitern in die Schweiz. Um die Grenze unbehelligt passieren zu können, hatten sie teilweise gefälschte Ausweise. Tibor und Edgar gaben den Frauen genaue Anweisungen für ihre künftige Tätigkeit im Rahmen des Begleitservices. Da sich die Frauen ohne die erforderlichen Bewilligungen prostituierten, instruierten sie die beiden Herren bezüglich ihres Verhaltens der Polizei gegenüber. Sie drohten ihnen mit der Rückführung und Abschiebung ins Heimatland, falls sie ihren Anweisungen nicht nachkämen, namentlich, wenn sie den gewünschten Service verweigerten und damit einen ungenügenden Umsatz erbringen würden. So verlangten Tibor und Edgar von den Frauen auch dann einen vollen Einsatz, wenn sie krank oder unpässlich waren, oder wenn sie sich aus Furcht oder Ekel weigerten, einen bestimmten Freier zu bedienen. Zwar bemühte sich Edgar in solchen Fällen andere Frauen zu schicken. Wenn sich jedoch keine andere Möglichkeit bot, den Kunden zufrieden zu stellen, wies er die Frauen an, ihre Leistungen trotzdem zu erbringen. So erreichte Edgar, dass sie sexuelle Praktiken gegen ihren ausdrücklichen Willen vornahmen, wenn der Kunde dies wünschte.
Obwohl die Frauen stets die Möglichkeit hatten, aus der Schweiz auszureisen, da sie immer ihren Pass auf sich trugen, um sich bei allfälligen Personenkontrollen durch die Polizei als Touristinnen ausweisen zu können, waren sie faktisch in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Abgesehen von den finanziellen Verpflichtungen ihren Zuhältern gegenüber waren sie ständig unter Kontrolle der Chauffeure, die bei ihnen wohnten, sie zu den Freiern fuhren, den Lohn abkassierten und sie auch in der Freizeit begleiteten. Die Frauen durften die Wohnung nicht ohne Einwilligung der Chauffeure verlassen und mussten der Zentrale alle 30 Minuten ihren Aufenthaltsort mitteilen, wenn sie zum Beispiel zum Einkaufen oder zum Coiffeur gingen. Sie mussten jederzeit und sofort für einen neuen Einsatz bereit sein.
Die Frauen des Begleit-Services standen während sieben Tagen pro Woche praktisch rund um die Uhr zur Verfügung. In den ersten drei Monaten war ein Monatsfixum von 2000 Franken zuzüglich Kost und Logis vereinbart. Nach einer von den Zuhältern unterschiedlich gesetzten Frist konnten die Frauen für eine Umsatzbeteiligung von 20% arbeiten, durften ihren Anteil direkt von den erzielten Einnahmen abziehen und mussten den Chauffeuren nur noch den Rest abgeben. Wer mit einer Umsatzbeteiligung arbeitete, bekam in der Regel weniger Kunden zugeteilt und war somit eher bereit, unangenehme Aufträge anzunehmen. Die Kunden bezahlten für einen eineinhalbstündigen Service 500 Franken, längere Einsätze kosteten bis zu 1000 Franken und eine ganze Nacht das Doppelte.
Das Geschäft flog auf, als ein Verkehrspolizist einen Chauffeur anhielt und eine Personenkontrolle der Insassen vornahm. Die Stadtpolizei Zürich leitete dann die Ermittlungen mit Verdacht auf Menschenhandel ein. (457)
Dieser Fall war aufs schnelle Geld angelegt. Es ist die althergebrachte Methode des Zuhälters, der seinen „Mädchen“ einerseits „Schutz“ (vor Armut und der Fremdenpolizei) gewährt, indem er ihnen Unterkunft, Essen und eine Arbeitsmöglichkeit bietet, sie aber andererseits stark kontrolliert und keine Abweichungen von seinen Regeln duldet. Typisch für diese Form sind auch die intimen Beziehungen, die der Zuhälter zu einer oder mehreren „seiner“ Frauen unterhält. Da diese Form des Geschäfts in der Schweiz wohl nur noch aus Filmen bekannt sein dürfte, wurde die ersatzlose Streichung des entsprechenden Strafartikels betreffend Zuhälterei von niemandem beklagt. Dies wussten allerdings Zuhälter mit einschlägigen Erfahrungen im Ausland und Beziehungen zur Schweiz bald zu ihrem Vorteil auszunutzen.
Keine der betroffenen Frauen war vor Gericht anwesend. Sie waren wegen der ANAG-Vergehen schon längst ausgewiesen. Das Gericht nahm nur am Rand über polizeiliche Verhörprotokolle Kenntnis von ihrer Existenz. Menschliche Tragödien im Zusammenhang mit Prostitutionsmigration wie Alkoholsucht, gesundheitliche Schäden aufgrund von Geschlechtskrankheiten, psychische und soziale Schäden wie Verlust von Selbstachtung und erschwerte Integration der Rückkehrerinnen, spielen sich in den allermeisten Fällen außerhalb der Landesgrenzen und außerhalb der Reichweite von Schweizer Gesetzen ab. (458)
4.6.3 Das männliche Pendant: Der Call-Boy-Ring
Vincent, der 21-jährige Student aus der Slowakei reist 1996 in die Schweiz ein, um hier zu studieren. Die nötigen Bewilligungen hat er eingeholt. Die Mittel für sein Studium beschafft er sich durch Prostitution. Dabei lernt er den Deutschen Werner kennen, der in seiner Wohnung in Zürich einen Call-Boy-Ring betreibt. Als dieser auszieht übernimmt Vincent das Geschäft und bricht sein Studium ab. Die nächsten zwei Jahre führt er zusammen mit seinem Landsmann Tomasz und seinem Freund Lew, der ebenfalls aus der Slowakei stammt, den Betrieb erfolgreich weiter. Durch Kollegen lässt er sich junge Männer aus der Slowakei sowie aus Prag und Umgebung vermitteln, streckt ihnen Geld für die Reise und Kleidung vor und beherbergt sie in seiner Wohnung, die auch als Bordell genutzt wird. Nebst einem Beitrag für Kost und Logis liefern die jungen Männer 40 bis 50% ihrer Einnahmen an Vincent ab. Vincent finanziert damit nicht nur seinen aufwendigen Lebensstil, sondern kommt auch für die Stoffbeschaffung seines drogenabhängigen Freundes auf. Oft werden die „Boys“ auswärts zu einem Freier geschickt, während Vincent Ort, Zeit, Preis und Leistung direkt mit den Kunden aushandelt. Tomasz wird als Bodyguard und „Aufpasser“ angestellt. Er kontrolliert, ob die Kunden zu ihrer Zufriedenheit bedient werden und hilft Vincent, seine Vorstellungen von einem guten Geschäft durchzusetzen. Wollte ein Stricher einen bestimmten Kunden nicht bedienen oder weigerte er sich, bestimmte Praktiken auszuführen, „führte“ ihn Tomasz zum Kunden, wo er das Geschäft mittels Mobiltelefon überwachte. In anderen Fällen verweigerte der Bodyguard den jungen Männern den Zutritt zur Wohnung.
Als der junge Zevo den geforderten Anteil nicht abliefern und sich mit seinem Verdienst in die Slowakei absetzen wollte, organisierte Tomasz Freunde in der Slowakei, die Zevo bei Ankunft am Busbahnhof abpassten und ihm das Geld abnahmen.
Einer von Vincent gefertigten Liste zufolge arbeiteten 22 junge Männer in einem Zeitraum von 18 Monaten für ihn. Die Preise für die erbrachten Leistungen variierten zwischen 100 Franken für eine halbe Stunde zuhause mit einem Stammkunden und bis zu 600 Franken für eine Nacht auswärts mit einem Neukunden. Nebst den monatlichen Aufwendungen, die Vincent für Kost und Logis seiner „Boys“ auslegte (11-14’000 Franken), konnte er aus den abgelieferten Anteilen eine beträchtliche Summe zurücklegen. Das Geschäft florierte, bis die Zürcher Polizei aufgrund von Ermittlungen des deutschen Kriminalamtes betreffend Werner die Wohnung überwachte.
Nach längeren Ermittlungen wegen Menschenhandels sprach das Bezirksgericht Zürich Vincent im Mai 1998 u.a. wegen Förderung der Prostitution schuldig und bestrafte ihn mit 18 Monaten Gefängnis auf Bewährung sowie mit einer Buße von 30’000 Franken. Er wurde für die Dauer von sieben Jahren des Landes verwiesen und musste 20’000 Franken vom unrechtmäßig erlangten Vermögen an die Staatskasse abliefern. Vom Vorwurf des Menschenhandels wurde er freigesprochen. In einem separaten Verfahren wurde sein gleichaltriger Helfer Tomasz des Menschenhandels und der Förderung der Prostitution angeklagt. Das Zürcher Bezirksgericht sprach ihn von diesen Vorwürfen frei.
Der Vollständigkeit halber darf bei einer Darstellung der typischen Fälle von Prostitutionsmigration die männliche Prostitution nicht fehlen. Obwohl in einschlägigen Kreisen bekannt, spielt sie sich in verdeckten Strukturen ab und wird von der Öffentlichkeit meist erst wahrgenommen, wenn Gewalt eskaliert. Laut Sittenpolizei Zürich boomt die männliche Prostitutionsmigration aus dem ehemaligen Ostblock, entzieht sich aber noch erfolgreicher der Kontrolle als das Geschäft mit ausländischen Frauen. Die einzigen uns zugänglichen Gerichtsurteile männlicher illegaler Prostitution betreffen den oben dargestellten Call-Boy-Ring, der in den späten 90er Jahren in Zürich während zweier Jahre florierte. Dieser Fall zeigt nicht nur die Ähnlichkeit der Geschäftspraktiken zu weiblicher Prostitutionsmigration, er öffnet auch die Sicht auf die rigiden Geschäftsmethoden, die im Milieu unter Männern vorherrschen. Nach Auskunft des „Mannebüros Zürich“ setzt sich der Trend nach immer jüngeren männlichen Prostituierten fort, sodass angenommen werden muss, dass ein ansehnlicher Teil von Vincents „Boys“ minderjährig waren.
Es verwundert deshalb nicht, dass die Strafverfolgungsbehörden in diesem Fall besonders sorgfältig ermittelt haben. Anfänglich mit Verdacht auf Menschenhandel wurden aufwendige Telefonkontrollen sowie Maßnahmen zur Kontrolle der Geschäfte von Vincent angeordnet. Die Urteilsfindung des Gerichts, das Vincent dann relativ hart bestrafte, beruhte vor allem auf dessen Schuldeinsicht, Kooperation und Geständnis, ein eher ungewohntes Verhalten eines Beschuldigten im Vergleich zu den Nutznießern weiblicher Prostitutionsmigration.
4.6.4 Der soziale Aufstieg: Das eigene Geschäft
Die Polin Zusanna, ohne Beruf, kam im Jahre 1979 als 26-jährige Frau über Bruxelles in die Schweiz, wo sie während längerer Zeit als Tänzerin in einem Cabaret in Lausanne arbeitete. Sie betätigte sich auch als Prostituierte und lernte bei dieser Gelegenheit ihren zukünftigen Ehemann kennen. Durch die Heirat mit dem Schweizer erlangte sie das Schweizer Bürgerrecht. Nach einer längeren Trennungsphase ließ sich das Paar scheiden, worauf die Frau alleine nach Zürich zog. Sie hatte während der Ehe weitere Erfahrungen als Prostituierte gesammelt und war bereit, diese jetzt nutzbringend anzuwenden. Sie begleitete Geschäftsleute aus dem In- und Ausland in Zürich und anderen Städten der Schweiz, pries per Inserat vor allem in ausländischen, englisch- und französischsprachigen Zeitungen ihre Dienste an und empfing ihre „Freunde“ auch bei sich zuhause. Als Kunden nach jüngeren Frauen fragten, lud sie ihre „Kolleginnen“ und „Bekannten“ aus Polen ein. Ein paar Jahre nach der politischen Wende begann das Geschäft mit Prostitutionsmigrantinnen aus dem ehemaligen Ostblock zu boomen, wovon die bisher nicht sehr geschäftstüchtige Zusanna profitierte. Schon bald konnte sie ein Haus in einer renommierten Wohngegend Zürichs beziehen, wo sie immer zwischen zwei und fünf junge „Kolleginnen“ und „Bekannte“ beherbergte. Nach eigenen Aussagen lud sie Mitte der 90er Jahre 200 junge Frauen ein, die ihre „Freunde“ dort empfingen oder sie in Hotels aufsuchten. Sie holte auch einen Polen nach Zürich, der für sie als Chauffeur arbeitete und „die Bekannten als Freund ein bisschen in der Stadt herumführte“, bzw. die Prostituierten zu den Kunden fuhr und sie wieder abholte. Manchmal bot sie auch selbst ihre Dienste an. Oft benützte sie aber Taxidienste, um die Prostituierten zu einem Kunden und wieder zurück fahren zu lassen. Sie beschäftigte weitere Chauffeure, die auch Kontrollfunktionen ausübten. Die Frauen mussten nebst einer Beteiligung an den Haushaltskosten auch 50% ihres Verdienstes abliefern. So lebte Zusanna einige Jahre gut, bis ein Taxichauffeur über das rege Kommen und Gehen an ihrer Adresse stutzig geworden, bei der Zürcher Stadtpolizei Anzeige erstattete. Diese leitete eine Untersuchung wegen Menschenhandels ein, überwachte Zusanna und führte Telefonkontrollen durch. Sie kam in Untersuchungshaft. Nach ihrer Entlassung konnte sie das Geschäft nicht mehr weiterführen, musste die Wohnung aufgeben, war bei Prozessbeginn mittellos und lebte von der Fürsorge. Die Frauen waren verschwunden, da sie sich wohl über die Grenze abgesetzt hatten oder Schweizer Männer heirateten um ihren Aufenthaltsstatus zu legalisieren. Über Provisionszahlungen ist dem Gericht nichts bekannt, Zeuginnen konnten keine gefunden werden. Das Bezirksgericht Zürich sprach Zusanna Ende 1997 mangels Beweisen, mangels Zeuginnen und mangels Geständnis vom Vorwurf der Förderung der Prostitution und Widerhandlung gegen das Aufenthaltsrecht von Ausländern frei.
Zusanna legte kein Geständnis ab. Sie fühlte sich völlig unschuldig und war sich keines Unrechts bewusst. Zu den vom Bezirksanwalt erhobenen Vorwürfen sagte sie „Die Schweiz ist so schön! Ich wollte meinen Bekannten helfen, dass sie auch hier leben können, wo es schön ist.“ Oder: „Wenn sich meine Kolleginnen mit Freunden trafen und diese ihnen Geschenke machen wollten, ja auch Geldgeschenke, war das reine Privatsache. Das war nie professionell.“ Und: „Meine Bekannten haben mir manchmal etwas gegeben. Ich musste ja all diese vielen Rechnungen bezahlen.“ Dass die Frau nicht sehr geschäftstüchtig war, zeigte sich nach Meinung des Gerichts darin, dass Zusanna zum Zeitpunkt des Gerichtsverfahrens mittellos war und von der Fürsorge lebte. Dass und wie viel Geld sie laut eigenen Aussagen an befreundete Landsmänner verloren hatte, konnte mangels Zeugen ebenso wenig schlüssig nachgewiesen werden wie Förderung der Prostitution oder gar Menschenhandel. Mangels Zeuginnen konnten ihr nicht einmal Vergehen gegen das ANAG angelastet werden, obwohl mit größter Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden muss, dass es sich bei den „Bekannten“ und „Kolleginnen“ um Frauen handelte, die ohne die erforderlichen fremdenpolizeilichen Bewilligungen in Zürich der Prostitution nachgingen, und dass Zusanna von diesen illegalen Tätigkeiten massiv profitierte. Die Stadtpolizei Zürich begann die Ermittlungen ursprünglich wegen Verdachts auf Menschenhandel. Zu diesem Zeitpunkt (erste Hälfte der 90er Jahre) war das revidierte Sexualgesetz in der Praxis noch nicht erprobt, sodass sich der große Ermittlungsaufwand mittels Telefonkontrollen und Überwachung rechtfertigen ließ. Der Vorwurf des Menschenhandels gelangte aber nicht zur Anklage. Das Gericht sprach Zusanna von der Förderung der Prostitution und Widerhandlungen gegen das ANAG aufgrund Verjährung und mangels Beweisen frei.
4.6.5 Die Umnutzungsvariante: Tourismusattraktion
An einem größeren Ort im französischsprachigen Teil des Wallis betrieb Jean ein Hotel. Als das Geschäft mit dem Tourismus in der ersten Hälfte der 90er Jahre zu wünschen übrig ließ, kam er, frisch verheiratet mit der Brasilianerin Angela auf die Idee, das Hotel umzufunktionieren, um eine Steigerung der Bettenbelegung zu erreichen und die Einnahmen an der Hotelbar zu erhöhen. Angela hatte selbst während vier Jahren in der Schweiz als Tänzerin in Cabarets gearbeitet und kannte sich im Milieu gut aus. Durch „Mund-zu-Mund -Propaganda traf dann eine Reihe von „entraineuses“ vor allem aus Brasilien ein. Die Frauen waren größtenteils als Touristinnen ohne Arbeitserlaubnis in die Schweiz eingereist. Jean verlangte, dass sie jeden Abend von 17 Uhr bis Mitternacht in der Bar waren. Bevor die Frauen mit einem Freier auf das Zimmer gehen konnten, mussten sie die Konsumation von teuren Getränken wie Champagner, Whisky etc. vorweisen und selber einen Tagespreis für Zimmermiete und Mahlzeiten bezahlen. Ihr Umsatzanteil allein reichte nicht zur Deckung ihrer Auslagen aus, sodass sie faktisch gezwungen waren, der Prostitution nachzugehen. Weder Jean noch seine Frau kümmerten sich um die erforderlichen Bewilligungen der Behörden. Angela war für die Instruktion der Frauen und die Einhaltung der von Jean erlassenen Richtlinien zuständig. Sie war es auch, die den Frauen erlaubte, in der Bar zu „arbeiten“ und Hotelzimmer zu beziehen. Der Untersuchungsrichter stellte fest, dass die Hotelbesitzer durch diese „Innovationen“ ihr Ziel von 50% mehr Umsatz im Barbetrieb und eine bessere Auslastung der Hotelbetten problemlos erreichten. Das Geschäft lief gut und man hätte gern in der Art weiterwirtschaften mögen. Aber die Behörden wurden auf das Hotel und den Barbetrieb aufmerksam und fanden bei Kontrollen Frauen vor, die sich ohne erforderliche Bewilligung prostituierten. Die Frauen wurden vernommen und diejenigen ohne gültige Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung in ihre Heimatländer zurückgeschickt.
Der Einzelrichter des Distrikts Sion sprach Angela der Förderung der Prostitution nach Art. 195 StGB schuldig. Auch handelte sie wider den Art. 23 al. 2 LSEE (ANAG), indem sie den Aufenthalt von Ausländerinnen ohne Bewilligung erleichterte. Sie wurde zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 30 Tagen und zu einer Buße von 1000 Franken verurteilt, zog aber das Urteil weiter an das Tribunal du Iieme arrondissement pour le district de Sion, das nach Anhörung einer Zeugin, die in der Bar gearbeitet hatte, die Buße angesichts Angelas prekärer finanziellen Lage auf 500 Franken senkte, ansonsten aber die Schuld und das Urteil bestätigte.
Die mittlerweile geschiedene Angela bestritt ihre Schuld und machte vor Gericht geltend, dass sie auf Anweisung von Jean gehandelt habe. Das Bundesgericht wies ihre Beschwerde mit der Begründung ab, dass die Provisionen für die Getränke nicht genügt hätten, um die Zimmermiete und die Mahlzeiten zu bezahlen. Die Frauen seien deshalb zur Prostitution gezwungen gewesen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Es bestätigte im Entscheid vom November 1997 das Urteil der Vorinstanz und verpflichtete die Rekurrentin zusätzlich zur Übernahme der Gerichtskosten. (459)
Der Fall zeigt, dass auch außerhalb der Ballungszentren gute Geschäfte mit der illegalen Prostitutionsmigration gemacht werden. Das Beispiel des Ehepaares im Wallis ist kein Einzelfall. In Regionen, wo „man sich kennt“, funktioniert die soziale Kontrolle gut. Die Toleranz für Geschäfte, die Bekannte oder Nachbarn als illegitim empfinden, ist klein. Personen aus dem Umfeld erstatten Anzeige, sodass eine nicht akzeptierte Geschäftstätigkeit meist von kurzer Dauer ist. In bekannten Tourismusorten wie Zermatt, St. Moritz oder Davos florieren nach Aussagen der Interviewpartner die Geschäfte mit der Prostitution vor allem saisonal in Bars und Hotels. (460) Übereinstimmend ‚geben die Auskunftspersonen an, dass nicht alle in diesem Bereich tätigen Frauen im Besitz der erforderlichen Bewilligungen seien. Wenn periodisch die Anzahl Touristen die einheimische Bevölkerung um ein Mehrfaches übersteigt und die Einheimischen fast ausschließlich von der kurzen aber intensiven Tourismus-Saison leben, mag die Toleranz für Geschäfte mit Fremden größer sein und die behördlichen Kontrollen durchlässiger.
In den Gerichtsakten von Jean und Angela ist weder von Gewalt und Zwang noch von physischer oder psychischer Bedrohung die Rede. Ausschlag gebend war einzig die finanzielle Zwangslage der Prostituierten und die daraus folgende Abhängigkeit der Frauen von einem „Arbeitsplatz“ und der in Kauf zu nehmenden „Arbeitsbedingungen“, den Richtlinien und der damit verbundenen Kontrolle. Vergleicht man dieses Urteil mit dem folgenden Fall, stellt sich die Frage, worin die markanten Unterschiede im Verhalten der Betreiber liegen, die in einem Fall zu einer Verurteilung wegen Förderung der Prostitution und im andern zum Freispruch geführt haben.
4.6.6 Der Trendsetter: Erotische Wellness
Im Juli 1999 standen die drei Aktionäre der Firma La Luna und die Geschäftsführerin Erna vor dem Kantonsgericht Graubünden, angeklagt der mehrfachen Förderung der Prostitution. Seit Mai 1998 betrieben sie einen Sauna-Club mit dazugehörigen Zimmern, der bereits bei seiner Projektierung als Bordell konzipiert war. Die unternehmerische Führung erfolgte gemeinsam durch die Aktionäre. Anton, einem 55-jährigen als Geschäftsmann wiederholt gescheiterten Hochbauzeichner unterstand als spiritus rector primär Verwaltung und Buchhaltung. Der 40-jährige bereits wegen Urkundenfälschung und Betrugversuchs verurteilte selbständige Elektriker Walter regelte die Personalfragen. Verwaltungsratspräsident war Christoph, ein erfolgreicher Geschäftsinhaber, der drei Jahre mit der Tochter des mitangeklagten Anton verheiratet war. Geschäftsführungsentscheidungen trafen die drei gemeinsam und teilten sie Erna mit, die bereits Erfahrungen als Kassiererin in einem Zürcher Bordell gesammelt hatte und die Betriebsordnung durchsetzte. Die damals 25-jährige Mutter dreier Kinder war bereits zweimal geschieden und lebte von ihrem dritten Ehemann getrennt. Eigenen Angaben zufolge war sie mittellos und mit 30’000 Franken verschuldet. Sie verdiente während der Anstellung beim Sauna-Club (Mai 1998 bis Februar 1999) 6500 Franken netto monatlich.
In dem Sauna-Club waren die Leistungen streng nach Tarif geregelt, die Preise bewegten sich je nach Inanspruchnahme des Whirlpools oder Konsumation zwischen 100 und 500 Franken Nach erbrachter Dienstleistung hatten die Prostituierten ihren gesamten Lohn der Geschäftsführung auszuhändigen, die 40% einbehielt und nach täglicher Abrechnung 60% den Prostituierten überließ. Nebst der Miete der hauseigenen Zimmer zahlten diese die üblichen 60 Franken Eintritt in den Club. In einem Zeitraum von drei Monaten verbuchte der Betrieb auf diese Weise einen Umsatz von rund 150’000 Franken, wovon die Prostituierten über Saunaeintritte, Zimmermieten und die 40% Beteiligung 90’000 Franken beitrugen, der Getränkeumsatz lag bei rund 40’000 Franken Täglich waren zwei bis fünf Frauen im Club anwesend, in den drei Monaten insgesamt mindestens 30 verschiedene Frauen.
Es lag im Geschäftsinteresse, permanent eine Mindestanzahl Frauen verfügbar zu halten, welche periodisch ausgewechselt werden konnten. Um dies zu gewährleisten, wurden Vermittlungsdienste von drei verschiedenen Personen in Anspruch genommen. Man einigte sich darauf, gegen Bezahlung von 12’000 Franken pro Monat täglich fünf bis sechs Frauen zur Verfügung zu haben. Seither wurden die Prostituierten mehrheitlich von Lili und Hilde (separate Strafverfahren) zugeführt. Die Mehrheit der Frauen war aus dem Ausland eingereist und betätigten sich ohne verwaltungspolizeiliche Bewilligungen, obwohl bei Betriebsaufnahme auf diese Erfordernis seitens der Polizei hingewiesen worden war.
Anton reiste zusammen mit Erna und Attila nach Ungarn, wo sie unter Vermittlung von Attila vier aus schwachen wirtschaftlichen Verhältnissen stammende Frauen für 2000 Franken, freie Kost, Logis und Reise anwarben. Von zwei Frauen, darunter Ilona, wurde dort auch eine Fotodokumentation erstellt. Einen Monat später brachte Attila die junge Ilona in den Sauna-Club, wo sie sich an drei Abenden illegaler weise prostituierte und 1500 Franken erwirtschaftete. Bei ihrer Festnahme am 16. September, am vierten Tag nach ihrer Ankunft, verfügte sie weder über einen Pass noch über ein Flugticket. Lohn hatte sie nach eigenen Angaben bisher keinen erhalten. Sie gab zu Protokoll vorher als Verkäuferin gearbeitet und sich noch nie prostituiert zu haben. Nach der Vernehmung durch die Polizei wurde die Frau in ihr Heimatland zurückgeschickt und stand dem Gericht während des Prozesses nicht zur Verfügung.
Obwohl die Staatsanwaltschaft die Verurteilung aller Angeklagten wegen Förderung der Prostitution verlangte, sprach das Gericht die Angeklagten von diesem Vorwurf frei. Hingegen sprach es alle Angeklagten der mehrfachen Widerhandlung gegen Art., 23 ANAG, schuldig. Gegen dieses Urteil gelangte die Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden mit einer Nichtigkeitsbeschwerde ans Bundesgericht, welches die Beschwerde abwies. (461)
Die Churer Staatsanwaltschaft und das Gericht interpretierten das Geschehen unterschiedlich. Die Staatsanwaltschaft sah in den Anordnungen und Vorschriften die Handlungsfreiheit der Frauen tangiert und ermittelte gegen Erna wegen Menschenhandels, brachte diesen Punkt aber nicht zur Anklage. Die Richter folgten der Auffassung der Angeklagten, die nach ihrer Meinung bloß den selbständigen Frauen das Infrastrukturangebot des Clubs zur Verfügung stellten. Betriebswirtschaftliche Kontrollen wie Anwesenheit während der Öffnungszeiten, Preislisten zur Verhinderung von Dumpingangeboten etc. seien überdies frei vereinbart worden. Dass die dort tätigen Prostituierten diese Leistungen des Betriebs in Form einer 40% Beteiligung bezahlen mussten, entspreche einem normalen Geschäftsgebaren und verletze die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen nicht. Außerdem seien die Prostituierten jederzeit frei gewesen, das Etablissement zu wechseln oder aus der Prostitution auszusteigen, da ihre Bewegungsfreiheit weder kontrolliert noch eingeschränkt gewesen sei.
Die Staatsanwaltschaft griff die Problematik der unterschiedlichen Sichtweisen auf und wies auf Mängel im Verfahren selbst hin. Sie kritisierte die ungriffige Formulierung des Art. 195 Abs. 2 und 3 StGB und bedauerte das weitgehende Fehlen von klärenden Bundesgerichtsurteilen zu diesen „noch jungen Bestimmungen“. Sie verwies in ihrer Begründung auf Zürcher Urteile (Kap. 4.8.5.1, 2 und 3). Immerhin waren sieben Jahre seit Inkrafttreten der neuen Gesetze vergangen und das Geschäft mit Frauen aus dem Ausland, die sich ohne Bewilligung prostituierten, boomte seit der politischen Wende in Osteuropa und den neuen europäischen Einreisebestimmungen.
Die Ungarin Ilona beteuerte bei der polizeilichen Einvernahme, dass sie früher nicht im Erotik-Bereich gearbeitet hätte und dies hier in der Schweiz zum ersten Mal mache. Aufgrund widersprüchlicher Aussagen in den beiden polizeilichen Einvernahmen und infolge Fehlens einer Konfrontation mit der Angeklagten, wertete das Gericht die Glaubwürdigkeit der Angeklagten höher nach dem Grundsatz, dass nicht sie ihre Unschuld sondern die Behörden ihr Verschulden zeigen müssten. Da Ilona freiwillig eingereist und über ihre zukünftige Tätigkeit informiert gewesen sei, wobei ihr die Anwerberin Erna eine Bedenkfrist von zwei Tagen eingeräumt hat, wäre die Möglichkeit des Gerichts, anders zu entscheiden, auch unter Einbezug von Ilona als Zeugin eingeschränkt gewesen. Das Bundesgericht bestätigte die Sichtweise der Vorinstanz. (462)
Der Fall La Luna zeigt die Diffusion des Know-How der lukrativen Vermarktung illegaler Prostitution ohne gravierende Straffolge. Erna arbeitete bereits in Zürich in einem Bordellbetrieb und inspirierte die Gründung weiterer Betriebe. Auf Gewalt und Drohungen konnten die Geschäftsleute verzichten, für alle Beteiligten angenehmer und effizienter. Bedrohliche Chauffeure und Bodyguards ließen sich ersatzlos von der Lohnliste streichen. Ein Geschäft wie jedes andere auch, von dem beide Teile ihren Gewinn haben, solange die Warteschlange von geeigneten Frauen aus Armutsländern, wo 2000 Franken einem Jahresverdienst entspricht, nicht abbricht? (463)
4.6.7 Die private Variante: Das Dienstmädchen
Der Kosovare Mehmet lernte in einem Restaurant im Jura im September 1997 die Slovakin Jelena kennen und erzählte ihr, dass er ein Au-Pair-Mädchen für seine Kinder suche. Sie bot sich daraufhin an, ihm ein solches Mädchen zu vermitteln, unter der Bedingung, dass er sie nach Bratislava begleite und die Reisekosten übernehme.
Dort angekommen, vermittelte sie ihm die junge Dora, die einwilligte, für 300 Franken Monatslohn zuzüglich Kost und Logis in der Schweiz als Babysitterin zu arbeiten. Daraufhin beauftragte er Jelena, eine weitere junge Frau für einen seiner Freunde in der Schweiz zu suchen, worauf sie mit Zeljana und Mara in die Schweiz zurückreiste.
Mehmets Freund erhielt Zeljana, über die er sich aber schon bald beklagte, worauf Eva aus der Slowakei geholt und an ihn vermittelt wurde. Ein weiterer kosovarischer Freund und Nachbar, meldetet ebenfalls seinen Wunsch nach einer slowakischen Babysitterin an, worauf Mehmet am Telefon antwortete, es sei eine Frau verfügbar (er meinte Zeljana), er könne das Mädchen aber nur zum Küssen verwenden. Auch dieser beklagte sich in der Folge über die mangelnde „Arbeitsbereitschaft“ Zeljanas und stellte in Aussicht, dass er sie nur solange behalten würde, bis er eine Neue bekäme. Worauf Mehmet erwiderte: „Aber du kannst mit ihr alles machen, was du willst.“
Aus weiteren abgehörten Telefongesprächen geht hervor, dass sich Zeljana geweigert hatte, mit ihrem Arbeitgeber zu schlafen. Dieser versuchte in der Folge zu verhindern, dass sich Zeljana und die neue Frau begegneten.
Die beiden Kosovaren unterhielten sich daraufhin miteinander und diskutierten darüber, dass man die Frauen vorher besser informieren müsse, dass sie nicht selbst die Männer aussuchen dürften, sondern dass Mehmet und sein Freund sie ihnen vermittelten. Mehmet versuchte auch, seinen Freund zu beruhigen, der keine Probleme mit den Frauen haben wollte und meinte, dass er sich Mädchen wie Dora wünschte, weil diese sofort Bekanntschaften zu Freiern gemacht habe. Er riet ihm: „Ecoute, des qu’elle arrive, tu dois baiser avec la nouvelle fille, car moi, la mienne, je l’ai baisee des son arrivee et je suis satisfait. De plus, elle travaille et fait tout la maison.“ Sein Freund meinte darauf: „Tu dis a la nouvelle fille, qu’elle doit premierement vendre son trou. C’est promis? Avant qu’elle vienne.“ Und fügte hinzu: „II faut lui expliquer qu’elle doit d’abord baiser avec moi, sinon elle reste ou elle est.“
Aus einem Telefongespräch des Au-pair-Mädchens Dora mit ihrem Bruder geht hervor, dass sie nach 20 Uhr mit Mehmet „arbeiten“ gehe, der ihr jeweils zwischen 50 und 100 Franken dafür gebe.
Mit Ausnahme von Zeljana, die offen über die peinlichen Momente, die sie in der Familie des Kosovaren erlebt hatte, berichtete, gaben die anderen Frauen zurückhaltende Erklärungen ab, machten aber nicht den Eindruck, dass sie sich in ihren Aussagen frei fühlten.
Das erstinstanzliche Gericht kam zum Schluss, dass eine Organisation existiert habe, die junge Frauen unter dem Vorwand einer Au-pair-Stelle zur Prostitution in die Schweiz brachte. Es bezeichnete Mehmet als Kopf dieser Organisation und verurteilte ihn wegen Menschenhandels, Verstößen gegen das Aufenthaltsrecht von Ausländern, Vermittlung von Scheinheiraten und verschiedener kleinerer Delikte. In einem Appellationsverfahren im Oktober 1999 sprach das Berner Obergericht Mehmet hingegen vom Menschenhandel frei mit dem Hinweis auf ein Bundesgerichtsurteil, wonach der Tatbestand Menschenhandel nicht erfüllt sei, wenn es sich nur um die Vermittlung einer Person handelt. In den beiden anderen Fällen sei Menschenhandel nicht erwiesen, da Mehmet aus der Vermittlung von Zeljana und Mara keinen finanziellen Gewinn erzielte. (464)
Es handelt sich bei diesem Fall um krasse Ausbeutung junger Frauen. Die Männer haben nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern auch ihre sexuelle Verfügbarkeit schamlos ausgenützt. Die Situation erinnert stark an Zustände in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, wo Hausangestellte, die mit der Herrschaft unter einem Dach lebten, oft auch zu sexuellen Dienstleistungen für die Herren des Hauses herangezogen wurden. (465) Die Vermutung, dass diese Praxis bis heute weitergeführt wird, wo sich Gelegenheit dazu bietet, ist nicht von der Hand zu weisen. Das Strafrecht stößt hier aber an seine Grenzen, denn es ist in solchen Fällen auf die Anklage des Opfers angewiesen, das sexuelle Belästigung und Nötigung am Arbeitsplatz einzuklagen bereit wäre, was von jungen Frauen ohne Sprachkenntnisse, ohne nötige Informationen, wie sie sich zur Wehr setzen können, ohne Arbeitsbewilligung und ohne Hilfe von betreuenden Organisationen schwerlich zu erwarten ist.
Obwohl aufgrund des hohen Personalbedarfs und der hohen Kosten im Pflege-, Betreuungs- und Hausarbeitsbereich eine große Nachfrage besteht und kleinere Geschäfte, private Alters- und Pflegeheime, Privathaushalte oder Landwirtschaftsbetriebe der Verlockung der Kosten senkenden „Schwarzarbeit“ nicht immer widerstehen, hat ‚dieses Thema seinen Weg ins öffentliche Bewusstsein noch nicht gefunden. (466)
4.6.8 Der Familienclan: Patriarchale Geschäftsmethoden
Ende der 90er Jahre sorgte im Kanton Bern ein größerer Fall für Aufsehen. Der in den 50er Jahren in Bangkok geborene Thailänder Sam hatte zusammen mit seinem jüngeren Bruder, der verschwägerten, von einem Schweizer geschiedenen Cima und der verwandten Landsfrau Vilma einen Salonbetrieb mit mehreren Geschäftsstellen in Bern und weiteren Orten im Kanton aufgebaut und betrieben. Sam, von allen Beteiligten als Kopf der Organisation respektiert, wurde in seiner Führungsfunktion von seinem Bruder und Vilma, die selbst auch einen Salon betrieb, unterstützt.
Cima besaß in Bern einen Salon und ließ sich von Sam und seinen Helfern Frauen aus Thailand vermitteln, die sie dann als Prostituierte selber beschäftigte oder an andere Salons weitervermittelte. Sie bezahlte pro Frau an Sam direkt, via seinen Bruder oder an Vilma. Sie kassierte als Salonbesitzerin bei den Prostituierten die Freierlöhne ein, behielt 50% selbst und leitete 50% weiter. Die jungen Thailänderinnen wohnten im Salon, wo sie auch zu essen und die nötige Berufskleidung bekamen.
Über Beziehungen in Bangkok wurden junge Frauen aus ärmlichen Verhältnissen angeworben und zum Teil von Sam selbst oder von seinem Bruder und Vilma in die Schweiz gebracht. Sam bezahlte für die Frauen, die mit einem Besuchervisum in die Schweiz kamen, das ihnen keinerlei Arbeitstätigkeit gestattete, jeweils 16’000 Franken Um die Einreise in die Schweiz zu erleichtern, fälschte Sam mit seinem Bruder mehrere Ausweispapiere und Pässe.
Sam, sein Bruder oder Vilma brachten die Frauen vom Flughafen direkt in die Salons, wo sie sich nach den Instruktionen ihrer Landsleute prostituieren mussten. Manchmal nahmen sie ihnen auch die Pässe ab. Ansonsten konnten sie sich frei bewegen. Die Frauen, direkt aus thailändischen Dörfern oder aus Bangkok kommend, sprachen nur Thai, eventuell etwas Englisch. Sie waren mit Sitte und Kultur in der Schweiz nicht vertraut. Angesichts der hohen Schulden bei Sam blieb als einzige Möglichkeit, als Prostituierte Geld zu verdienen. Sie hofften nach Abzahlung der Schulden in die eigene Tasche wirtschaften zu können. Aber soweit kam es nicht, denn die Frauen verließen die Schweiz jeweils nach wenigen Monaten.
Die Aussagen der vor Gericht zitierten Thailänderin, wonach sie in der Schweiz habe Ferien verbringen wollen, scheinen dem Gericht widersprüchlich und unglaubwürdig. Sie bezeichnete Sam zwar als ihren Freund, brachte aber noch in der Einvernahme durch den Untersuchungsrichter zum Ausdruck, dass sie große Angst vor ihm hatte. Ihr war klar, dass sie für die Reisevorbereitungen, das Ticket und die Aufnahme in der Wohnung von Sam 16’000 Franken bezahlen musste. Dieses Geld hatte sie aber nicht, ihr war bewusst, dass sie nicht einfach zu einem Touristenaufenthalt in die Schweiz eingeladen worden war, sondern dass Sam eine Gegenleistung von ihr erwartete. Dieser Fall unterscheidet sich nicht von den übrigen Fällen, wo sich Frauen ebenfalls in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit von Sam befanden, was ihnen kaum erlaubte, sich seinen Ansinnen zu widersetzen. Da die Thailänderinnen zum Teil weder Papiere noch Geld besaßen, kam für sie ein Abbruch der Tätigkeit oder Flucht nicht in Frage.
Auf diese Weise wurden während eines Jahres mindestens 20 Frauen aus Thailand in die Schweiz gebracht, wo sie sich ohne die erforderliche Bewilligung prostituierten. Davon hat der Familienverband von Sam jedenfalls so gut gelebt, dass keiner von ihnen eine andere Arbeit suchen musste.
Aufmerksam auf das Treiben wurde die Polizei, als eine der Frauen sich abzusetzen versuchte. Sam, sein Bruder, Cima und Vilma wurden in Untersuchungshaft genommen, wo sich Sam, der Hauptangeklagte, das Leben nahm. In erster Instanz wurden die andern drei Beschuldigten durch das Kreisgericht Aarwangen-Wangen des mehrfachen Menschenhandels bzw. der Gehilfenschaft, der Widerhandlungen gegen das ANAG, der Bruder von Sam der Fälschung von Ausweisen und Vilma der Geldwäsche und des Wuchers für schuldig befunden und zu Gefängnis, Bußen und Landesverweisung verurteilt. Vilma akzeptierte ihr Urteil, der Bruder von Sam und Cima appellierten ans Obergericht des Kantons Bern. Dieses bestätigte die Urteile weitgehend. Am 19. November 1999 verurteilte die 4. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern Sams Bruder wegen Menschenhandels, Widerhandlungen gegen das ANAG und Fälschung von Ausweisen zu einer Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren, zu 2000 Franken Buße, zu sechs Jahren Landesverweisung und zur teilweisen Übernahme der Verfahrenskosten. Cima erhielt wegen Gehilfenschaft zu Menschenhandel und Widerhandlungen gegen das ANAG eine Gefängnisstrafe von drei Monaten, eine Buße von 3000 Franken und musste die Verfahrenskosten teilweise übernehmen. (467)
Das Muster des Familienclans zur Organisierung von Prostitutionsmigration ist als typische Variante der ethnisch verbundenen Formen von „Frauenhandel“ charakteristisch für die Schweiz. Die Beziehungen zum eigenen Herkunftsland im Land selber (bei der Anwerbung der Ausreisewilligen, bei der Beschaffung von Ausweispapieren und beim Transport) und in der Schweiz (Aufnahme, Instruktion und Weitervermittlung) spielen eine große Rolle. Der Vorteil dieses Systems liegt auf der Hand: Das Verhältnis zwischen den herbeigeschafften Frauen und den „Arbeitgebern“ baut auf den kulturellen Mustern des Herkunftslandes auf und muss weder erklärt noch kann es hinterfragt werden. Der Konsens ist vorausgesetzt und beide Seiten verstehen, was gemeint ist.
Die „Arbeitgeber“, von denen mindestens einer im Besitz eines Schweizer Passes oder einer Arbeitsbewilligung ist, kennen sich im Geschäft aus und ergreifen die Gelegenheit, unter bestmöglicher Einhaltung der Schweizer Regeln, ihre Landsfrauen auszubeuten und damit ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Wie das Beispiel zeigt, gehen sie dabei so weit, dass die Behörden ihnen Gesetzesbrüche nachweisen und sie dafür verurteilen können. Die Vorsicht, sich nicht gegen das Strafgesetz zu vergehen nimmt zu und es bleiben die Widerhandlungen gegen das Aufenthaltsgesetz für Ausländer als wichtigste Klippe, die es zu umschiffen gilt.
Die Prostituierten sind von Landsleuten umgeben und sehen oft keine Veranlassung oder Möglichkeit, die Sichtweisen und Gepflogenheiten des fremden Landes wahrzunehmen. Das heißt, sie sind sich ihrer Rechte oder ihres Unrechts meist wenig bewusst und neigen dazu, die Verantwortung z.B. für ihre illegale Tätigkeit oder ihren illegalen Aufenthalt den Personen abzutreten, die sie hergeholt haben und arbeiten lassen. Dabei gehen sie von der Annahme aus, dass ihre Landsleute, bei denen sie beschäftigt sind und die sich schon länger in der Schweiz aufhalten, sich mit den Gesetzen, Sitten und Gebräuchen besser auskennen als sie selbst. Die Abhängigkeit ist also eine doppelte: Die sprachliche und kulturelle Abhängigkeit von den Landsleuten in einem fernen und fremden Land und ihre große finanzielle Verschuldung gegenüber den „Arbeitgebern“ vor dem Hintergrund ihrer eigenen schwachen ökonomischen Stellung im Herkunftsland.
4.6.9 Zusammenfassung: Geschäfte mit der Prostitutionsmigration
1. Marktentwicklung und Strukturen der Organisation von Prostitutionsmigration
Im Vordergrund stehen Marktentwicklung und Strukturen der Organisation von Prostitutionsmigration, Akteure, Möglichkeiten und Grenzen der Strafverfolgung sowie die Entwicklung und Intentionen der Rechtsprechung.
Vor der Revision des Sexualstrafrechts bestimmten weitgehend Strukturen den Sexmarkt, wo Sextouristen in lateinamerikanischen und später in asiatischen Ländern (vor allem Brasilien und Thailand) die Verbindung zur Schweiz herstellten. Typische Fälle dafür sind Sams Salons in Bern und das Hotel-Bordell von Urs und Angela. Mit der Öffnung Osteuropas und der Abschaffung der Zuhälterei als Straftatbestand änderte sich der Markt und die Organisationsformen von Prostitutionsmigration. Typisch hierfür sind die Begleit-Agenturen mit Chauffeuren und Telefonzentrale. Auf dem Hintergrund eines wachsenden Marktes treten, nebst den traditionellen Formen von Nachtclubs, Cabarets und Barbetrieben mit Separ&es und Zimmern, neue Angebotsvarianten in Erscheinung. Im Escort-Geschäft organisieren sich die Zuhälter arbeitsteilig, funktionieren als Chauffeure, Kontrolleure, Telefonisten oder Einkassierer und gruppieren sich lose um einen „Chef“. Diese haben meistens das Schweizer Bürgerrecht und durch Herkunft oder Heirat Beziehungen in die Länder Osteuropas, Südamerikas, Afrikas oder Asiens. Dort organisieren sie einen Großteil des Nachschubs.
Diese neuen Geschäftsmethoden zeichnen sich ganz im Gegensatz zum herkömmlichen Rotlichtmilieu durch Unauffälligkeit, Mobilität und moderne Hilfsmittel aus, wie etwa die gängige Überwachung von Prostituierten mithilfe von Mobiltelefonen zeigt.
Neben diesen beiden Ausprägungen von Geschäften mit Prostitutionsmigration setzt sich allmählich ein neuer Trend durch. Wie der Fall des Sauna-Clubs zeigt, blühen neuerdings Einrichtungen, die Prostitution zusammen mit Fitness und Körperkultur an den Mann bringen. Dabei kann weitgehend auf Drohungen und rigide Kontrollen verzichtet werden. Stattdessen reicht die sozio-kulturelle Vermittlung von Prostitution als „natürlich“ und „Arbeit, wie jede andere auch“, um die Frauen entsprechend unter Druck zu setzen und zum „Arbeiten“ zu veranlassen. Die Geschäftsmethoden sind denen anderer Geschäftszweige angeglichen, modern und transparent. Oft als Aktiengesellschaft organisiert, entheben sich Zuhälter, Vermittler, Anwerber und Bordellinhaber beiderlei Geschlechts durch arbeitsteilige Zuständigkeiten der direkten Verantwortlichkeit. Dass dahinter akribisches Kalkül steht und mehrheitlich mit kostengünstigen Prostituierten aus Armutsverhältnissen gerechnet wird, kratzt allerdings bedenklich am hochgehaltenen Image des „sauberen“ Geschäfts.
Die Auferstehung einer weiteren Variante, die sexuelle und materielle Ausbeutung von Dienstpersonal im privaten Betrieb oder Haushalt, die hierzulande weitgehend als abgeschafft galt, gibt zu Besorgnis Anlass. Wie aus dem beschriebenen Fall des Kosovaren Mehmet hervorgeht, sind Ermittlungen und Kontrollen durch Strafverfolgungsbehörden im privaten Bereich von Haushalt oder Kleinbetrieb mit großem Aufwand verbunden und, wo sich keine Kläger melden, schwierig. Einige aufgedeckte Fälle im Bereich Hausangestellte/Schwarzarbeit lassen jedoch den Schluss zu, dass es sich hier um ein großes, bislang weitgehend unbeachtetes Feld handelt.
2. Die Akteure
An der Ausbeutung der sozialen und ökonomischen Notlage von Frauen beteiligen sich nicht nur Männer, auch Frauen (oft Landsfrauen der Prostitutionsmigrantinnen) übernehmen Funktionen im arbeitsteiligen Geschäft oder treten selber als „Chefin“ auf, wie der Fall von Zusanna zeigt. Je nach Geschäftstyp treten eher Schweizer oder eher Ausländer, Frauen oder Männer auf. Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie kurzoder längerfristig am Sexgeschäft mit ausländischen Personen ohne entsprechende Bewilligungen profitieren wollen und dabei in Kauf nehmen, gegen Schweizer Gesetze und Verordnungen zu verstoßen. Die meisten zeigen sich keiner Schuld bewusst und rechnen nicht mit einschneidenden Sanktionen. Dies steht vermutlich im Zusammenhang mit der wahrgenommenen Liberalisierung und Toleranz des Schweizer Umfelds, wonach Prostitution generell der sozialen Kontrolle unzugänglich ist und auch die gesetzlichen Hindernisse weitgehend entfallen sind.
Aus den beschriebenen Fällen geht hervor, dass die Prostitutionsmigrantinnen höchstens 40% des Freierlohns bekommen, viele von ihnen mussten am Schluss auch mit leeren Händen zurückkehren, da ihnen der Lohn vorenthalten wurde. Ihr illegaler Aufenthaltsstatus in der Schweiz und ihre Unkenntnis machen sie zu manipulierbaren Opfern der Betreiber und Organisatoren, welche kaum rohe Gewalt anwenden müssen, um die Frauen „bei der Stange“ zu halten.
Die betroffenen Frauen und Männer geraten in der Regel aus dem Fokus der Behörden, werden in ihr Heimatland geschickt und ihrem Schicksal überlassen, sobald feststeht, dass sie nicht Opfer von massivem Druck und Gewalt sind. In diesem Fall hätten sie über das Opferhilfegesetz Anspruch auf Unterstützung. (468)
Abgesehen von wenigen Fällen, in denen Schweizerinnen als Opfer von Vergehen gegen Art. 195 StGB (Förderung der Prostitution) gerichtlich in Erscheinung treten, (469) handelt es sich bei den Betroffenen fast durchwegs um Personen aus dem Ausland, die ohne die erforderlichen Bewilligungen in der Schweiz der Prostitution nachgingen. Damit handelten sie wider geltendes Recht (ANAG), sodass fremdenpolizeiliche Maßnahmen ergriffen werden mussten.
Da Prostitution und deren Konsum in der Schweiz nicht strafbar ist, liefern Gerichtsentscheide keine Informationen über die Freier. Einzig die zum Teil beträchtlichen Geldbeträge, die über den Konsum von Prostitution umgesetzt werden, sind aktenkundig und geben Anlass zu Fragen nach diesen Akteuren. Da sie es sind, die das ganze Geschäft bezahlen und so am Laufen halten, kommt ihnen eine Schlüsselposition zu (vgl. Kap. 4.5, Freierbefragung).
3. Möglichkeiten und Grenzen der Strafverfolgung
Die dargestellten Fälle wurden aufgrund ihrer typischen Organisationsstrukturen von Prostitutionsmigration ausgewählt. Außer bei Alfons und Mathilda wurden die Ermittlungen bei allen Fällen zuerst aufgrund des Verdachts auf Menschenhandel aufgenommen, was mit großem Aufwand verbunden war. Davon wurde aber nur in drei Fällen Menschenhandel angeklagt (Call-Boy-Ring, Mehmet und Sam, wobei nur der letztere wegen Menschenhandels verurteilt wurde und sich der Haupttäter der irdischen Gerichtsbarkeit durch Suizid entzog. Unter diesen Umständen zeigt sich das Instrumentarium der Strafverfolgungsbehörden zur Verfolgung von Menschenhandel einmal durch die Erfahrung mit den Strafverfahren und aufgrund spärlicher höchstrichterlicher Jurisdiktion als beschränkt und gibt zu Verunsicherungen und zur Reorganisation der polizeilichen Agenda Anlass. Die lange Zeitdauer vom Anfang der Ermittlungen (wegen Menschenhandels) bis zum Abschluss der Verfahren läuft außerdem der Ahndung der Widerhandlung gegen das ANAG entgegen, da dieses eine viel kürzere Verjährungsdauer kennt und so, wie im Fall Zusanna, gegen die mit großem Aufwand wegen Menschenhandels ermittelt wurde, am Ende in einen Freispruch münden kann.
Geht man davon aus, dass neue Gesetze immer eine gewisse „Anlaufzeit‘“ brauchen, um deren Praktikabilität auszutarieren und die Intention des Gesetzgebers in ihrer praktischen Konsequenz zu etablieren, scheinen auf unser Thema bezogen gleich drei Faktoren auf, die diesen Prozess zusätzlich beeinflussen:
a) Das zeitliche Zusammenfallen der Abschaffung des Zuhältereiartikels mit der Öffnung Osteuropas und der damit verbundenen neuen Welle der organisierten Prostitutionsmigration,
b) die vor allem durch Diskussionen um sexuelle Gewalt in der Ehe inspirierte Fokussierung des Gesetzgebers auf das Rechtsgut „sexuelle Selbstbestimmung“, die spezifische richterliche Interpretation des Begriffs und seine Anwendung auf Prostitutionsmigration,
c) die veraltete und ungriffig belassene Formulierung des Menschenhandelsartikels aufgrund der fehlenden politischen Antizipation von organisierter Prostitutionsmigration bzw. die kontroverse Auslegung dieses Artikels in der Lehre.
Der Fall des Sauna-Clubs beispielsweise zeigt, dass sich die Rechtsauffassung verschiedener Instanzen bei gleicher Beweislage diametral entgegenstehen können. Das Rechtsempfinden einer breiteren Öffentlichkeit zu einem brisanten Thema ist unbefriedet, wenn eine Legitimierung ausbleibt und das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren geht. Andere Wirtschaftsbranchen, die mit günstigen, saisonalen Arbeitskräften aus dem Ausland rechnen, wie Landwirtschaft, Gastgewerbe, Bauindustrie könnten sich durch die liberale, sexgeschäftfreundliche Rechtspraxis ungleich behandelt vorkommen.
Die Verpflichtung gegenüber den internationalen Abkommen zur Bekämpfung von Menschenhandel und die Auflagen zur Intoleranz gegenüber jeglicher Art von Frauen verachtender und Frauen Diskriminierung fordert Politik und Rechtspraxis auf, Akzente zu setzen und dem Geschäft mit ausländischen Frauen, die sich aus materieller Not oder Perspektivlosigkeit im eigenen Land veranlasst sehen, sich als Prostituierte anwerben zu lassen, Grenzen zu setzen. Von „sexueller Selbstbestimmung“, die geschützt werden müsste, oder von Prostitution als „Arbeit, wie jede andere auch“ kann bei solchen Geschäften nicht die Rede sein. Das Bundesgericht nimmt Rücksicht auf diese Realitäten, wenn es in einem kürzlich gefällten Leitentscheid (470) den Begriff „der wirksamen Einwilligung“ (effettivamente libero da costrizioni) (471) einführt und internationalen Vereinbarungen über Menschenrechte den Vorzug vor nationalen Regelungen einräumt. Ein ungelöstes Problem besteht allerdings in den Fällen, wo ein Verhalten nach internationalem Recht zwar strafbar ist, die entsprechende Norm in der nationalen Gesetzgebung aber fehlt (nullum crimen sine lege). (472)
Anmerkungen
442 Kleiber, D. und Velten, D. (1994): Prostitutionskunden. Eine Untersuchung über soziale und psychologische Charakteristika von Besuchern weiblicher Prostituierter in Zeiten von Aids; Ahlemeyer, H.W., (1996): Prostitutive Intimkommunikation. Zur Mikrosoziologie heterosexueller Prostitution; Landert, Farago, Davatz & Partner (2000): Kondomverweigernde Freier, im Auftrag der Aids-Hilfe Schweiz. Zürich; (2002): Prostitution und ungeschützter Verkehr in der Schweiz. Institut für Konsumenten und Sozialanalysen, im Auftrag von Aids-Hilfe Schweiz. Zürich. 443 Clement, Ulrich (1987): Sexualität im sozialen Wandel. S. 296.
444 Im Tages Anzeiger für die Region Zürich am Donnerstag, Freitag und Samstag; im Blick für die ganze Deutschschweiz am Mittwoch und am Samstag. 445 Die meisten Interviews wurden von Frauen (einer Sozialwissenschafterin, einer erfahrenen hot-line Telefonistin und der Autorin) durchgeführt, nur 5% von einem Soziologie-Studenten. Abgesehen von der Entlastung der Hauptinterviewerinnen entspricht es dem Konzept der Untersuchung, sowohl Männer als auch nicht vorbelastete, neutrale Interviewerinnen einzubeziehen. Nach sorgfältiger Einführung waren die zugezogenen Personen an einem bis drei Tagen während vier bis zwölf Stunden am Telefon bereit.
446 Z.B. das „Mannebüro“ in Zürich, u.a.
447 Vgl. den ausgesprochenen Wunsch nach weiblicher Gesprächspartnerin, oder die oft an die Interviewerinnen gestellte Rückversicherungsfrage: „Finden Sie das jetzt pervers?“ oder „Finden Sie das normal?“
448 Die ausführlichen Interviewprotokolle und Fragebogen werden aus Umfanggründen dem Bericht nicht beigelegt, können aber bei der Autorin nachgefragt werden.
449 Kleiber und Velten beziehen in ihrer Freierstudie auch türkische Freier mit ein, indem sie spezielle Aufrufe lancierten und türkisch sprechende Interviewer zur Verfügung stellten.
450 Kleiber und Velten bestätigen in ihrer Studie einen leichten Überhang der Faktoren Bildung und Einkommen bei deutschsprachigen Freiern, die Printmedien benutzen, im Vergleich zu anderen Freiern.
451 Quelle: Bundesamt für Statistik: Volkszählung. Wohnbevölkerung Schweiz 2000.
452 Persönliche Mitteilung eines außerhalb der Studie befragten Freiers. Er ist Informatiker in einer leitenden Position, 51 Jahre alt und lebt mit seiner Freundin.
453 Die Fälle beruhen auf Schweizer Gerichtsurteilen. In der Schweiz gibt es kein Zentralarchiv für Gerichtsurteile. Jeder Gerichtshof hat sein eigenes System der Archivierung. Die Beschaffung der Gerichtsurteile mit Präferenz Frauenhandel und Osteuropa erwies sich als äusserst schwierig und zeitraubend, obwohl Damen und Herren Gerichtspräsidenten, Archivare und Sachbearbeiter hilfsbereit und entgegenkommend waren, was an dieser Stelle nochmals herzlich verdankt sei. Da oft nur nach Datum abgelegt wird, Archivare unterdessen gewechselt hatten oder Fälle an höhere Instanzen weitergezogen und im Berichtszeitraum nicht abgeschlossen waren, kann hier keine Vollständigkeit erwartet werden. Die gesammelten Fälle erfüllen aber Kriterien wie Überblick, Chronologie von Gerichtsurteilen, Vertretung verschiedener gerichtlicher Instanzen und der Landessprachregionen, „Stadt und Land“ sowie „Wichtige Fälle“. Die Leitentscheide des Bundesgerichts liegen vollzählig vor. Der Informationsgewinn bei Vorliegen weiterer Urteile dürfte gering sein.
454 Es handelt sich hier um Standardverträge, wie sie der Bund für die Kontingentzuteilung fordert. Darin werden Lohn, Sozialabgaben, Steuern und Versicherungen geregelt. Die acht Monate gültige L-Bewilligung erlaubt weder Animation zu Alkoholkonsum noch Prostitution.
455 Bundesgerichtsentscheid 68.446/2000/hev.
456 Wegen ihres illegalen Status bekamen die wenigsten Frauen vor ihrer Abschiebung ins Heimatland die Gelegenheit zu einer Stellungnahme vor Gericht. Die Feststellungen beruhen hier auf den Aussagen der vor Gericht angeklagten Tibor und Edgar.
457 Für die ausführliche rechtliche Würdigung des Falles vgl. Kapitel 5.5.2 und 5.5.3.
458 Aufsteigende Geschlechtskrankheiten mit möglichen Langzeitfolgen nehmen laut persönlicher Mitteilung von Frau Dr. med. Zemp, Basel zu. Abtreibungen sind bei Sexmigrantinnen keine Seltenheit. Die Kantonsrätin Noi-Togni berichtet von Fällen schwerer Alkoholsucht im Zusammenhang mit Prostitutionsmigration.
459 Bundesgerichtsentscheid 68.570/1997/flo.
460 Kantonspolizei Chur, Aids-Hilfe Schweiz in Chur, Polizeistelle Sion, Wallis.
461 BGE 126 IV 76. Die juristische Fortsetzung ist hier im Kap. 4.8.5.4 beschrieben.
462 Rechtliche Würdigung des Falles vgl. Kapitel Rechtsprechung, 4.8.5.4, BGE 126 IV 76.
463 Juchler, Jakob (2001): Zum Kontext der postsozialistischen Länder.
464 Für die ausführliche rechtliche Würdigung des Falles vgl. Kapitel 5.4.5.
465 Bochsler, Regula und Gisiger, Sabine (1998): Dienen in der Fremde. Dienstmädchen und ihre Herrschaften in der Schweiz des 20. Jahrhunderts.
466 Garbade, Jean-Pierre (2000): Les droits des employes de maison.
467 Für die ausführliche rechtliche Würdigung des Falles vgl. Kapitel 5.4.6.
468 Nach Anfrage bei der Opferhilfestelle Zürich ist kein Fall bekannt, wo sich ausländische Prostituierte mit Opferhilfe-Anspruch bei der Stelle gemeldet hätten.
469 Ein Fall betrifft zwei Minderjährige aus ländlicher Umgebung, die sich von einem Salonbesitzer als Prostituierte anstellen ließen, ein anderer Fall betrifft eine schwer alkoholabhängige Frau, die sich von ihrem arbeitslosen ausländischen Ehemann zwecks Finanzierung der Existenz in der Prostitution festhalten ließ (beide Fälle aus Basel).
470 BGE 128 IV 117.
471 vgl. BGE 126 IV 225.
472 Einigten sich in unserem Fall Rechtslehre und Rechtsprechung auf eine Interpretation des Menschenhandelsartikels laut Botschaft des Bundesrats, wäre dies kompatibel mit einer Norm gegen Zuhälterei.