Kampf ums Recht Eser Davolio

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Miryam Eser Davolio

Integration auf gesetzlichem Weg verlangen? Risiken einer Integrationspolitik im Zuge des „Fördern und Fordern“-Prinzips

Zusammenfassung

Im Zuge der „Fördern und Fordern“-Politik wurde mit dem neuen Ausländergesetz die Integrationsvereinbarung auch in der Schweiz eingeführt, wie dies auch in ande­ren europäischen Staaten zuvor schon geschehen war. Diese Vereinbarung macht den Nachweis von Integrationsbemühungen zu einer Bringschuld der Einwandernden aus Drittländern (alle Staaten außerhalb der EU/EFTA). Werden die Auflagen der Inte­grationsvereinbarung innerhalb eines Jahres nicht erbracht, drohen Sanktionen bis hin zur Ausweisung. Damit wird Integration individualisiert, bürokratisiert, diszipliniert sowie sanktioniert und damit problematisiert und politisiert mit den Risiken von Ungleichbehandlungen und Diskriminierungen. Dies ist aus rechtsstaatlicher Sicht als sehr bedenklich zu beurteilen. Die vorliegende Evaluation der Einführungsphase der Integrationsvereinbarung in fünf Kantonen versucht die Wirkungsweise mit einer Policy-Analyse sowie der Umsetzungsanalyse unter die Lupe zu nehmen.

A request for integration on a juridical level? Risks of integration politics in view of the “to promote and to demand”-principle

Summary

In the course of the actual Swiss integration policy, witch promotes integration by allocation of means and requires integration efforts of foreigners at the same time, a so called “integration agreement” was introduced with the new Foreign Laws as it had been in various other European states before. This agreement states that the proof of integration efforts lies with the immigrants from Third Countries (i.e. all countries outside the EU/EFTA). If the criteria for the integration effort are not met within a year, individuals may be penalised or even deported. This means that integration is in fact individualised, overlaid by bureaucracy, disciplined and sanctioned and with this problematized and politicised with a risk of leading to inequalities and discri­mination. From the point of the juridical system this is at least questionable. The present evaluation of the implementation period of the integration agreement in five different Cantons tries to investigate the impact of the Law using both policy analysis as well as implementation analysis.

1. Einleitung

Integration ist als gegenseitiger Prozess zu verstehen, mit welchem sowohl Rechte und Pflichten auf Seiten der Einwandernden als auch des Aufnahmestaates verbunden sind. Die neuen ausländerrechtlichen Bestimmungen, welche im neuen Jahrtausend in Österreich, in Deutschland, in den Niederlanden sowie in weiteren europäischen Län­dern eingeführt wurden, machen Integration in erster Linie zu einer Bringschuld auf Seiten der Einwandernden. Diesem Trend ist auch die Schweiz mit dem neuen Aus­ländergesetz (AuG) gefolgt, welches seit 1.1.2008 in Kraft ist und das Element der Integration als wirtschaftliche, soziale und kulturelle Teilhabe betont und rechtlich verankert. Als Kriterien für Integration gelten der Respekt gegenüber den Grundwer­ten der Bundesverfassung, die Einhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Wille zur Teilnahme am Wirtschaftsleben sowie zum Erwerb von Bildung sowie Kenntnisse einer Landessprache. Auf dieser juristischen Grundlage formulierte der Bund die Empfehlung an die Kantone, mit Migranten und Migrantinnen aus Dritt­staaten sogenannte Integrationsvereinbarungen abzuschließen. Damit sollen insbeson­dere allfällige Mängel bezüglich der Sprachkenntnisse sowie fehlende Erwerbsarbeit respektive Sozialhilfeabhängigkeit ins Visier genommen werden. Als Hauptzielgrup­pe sind Personen aus Drittstaaten im Familiennachzug sowie schon länger in der Schweiz lebende Personen, die Integrationsdefizite wie etwa Schulden, Sozialhilfebe­zug, oder Straffälligkeit aufweisen, vorgesehen. Als dritte Zielgruppe werden Perso­nen genannt, die eine Betreuungs- oder Lehrtätigkeit in den Bereichen Religion oder heimatliche Sprache/Kultur ausüben. Aufgrund der „Kann-Bestimmung“, bleibt es den Kantonen überlassen, das Instrument zu implementieren. Entsprechend dem vom Bund gesetzten weiten Gesetzesrahmen, erhielten die Kantone große Spielräume zur Umsetzung der Integrationsvereinbarung.

Die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung kann an die Bedin­gung geknüpft werden, dass Sprach- und/oder Integrationskurse besucht werden, oder aufgrund weiterer Integrationsdefizite Schulden abgebaut werden müssen oder die Ablösung von der Sozialhilfe erfolgen muss. Die Verpflichtungen werden dann in der Regel durch die Kantone in einer Integrationsvereinbarung zwischen ausländischen Personen und der zuständigen Behörde festgehalten.1

Wenn nun Integration auf gesetzlichem Weg verlangt und verordnet wird, was der Reduktion eines komplexen, auf Gegenseitigkeit beruhenden sozialen Prozesses gleichkommt, dann liegt es auf der Hand, dass eine solche Vorgehensweise einen ganzen Rattenschwanz von Problemen und Unklarheiten nach sich zieht.

Die nachfolgenden Überlegungen zu politischen, juristischen und soziologischen Friktionen dieses neuen Verwaltungsinstruments basieren auf den Ergebnissen der Evaluationsstudie zur Pilotphase der Integrationsvereinbarung in fünf Kantonen (BS, BL, AG, SO, ZH). Die Tatsache, dass jeder Kanton ein etwas unterschiedliches Vor­gehen und eigene Zielgruppenbestimmungen wählte, bot der Studie eine fruchtbare Ausgangsbasis für eine vergleichende Perspektive und vertiefte Analyse der Wirkung und Nebeneffekte dieses Instruments im Grenzgebiet zwischen öffentlicher Verwal­tung, Justiz, Polizei und Politik. Zur Evaluation der Pilotphase der Integrationsverein­barung verwendeten wir qualitative und quantitative Verfahren (vgl. Tov/Piňeiro/ Eser Davolio/Schnurr 2010). Die Datengrundlage bestand aus:

– 240 Vereinbarungen (Dokumentenanalyse),

– 14 Interviews mit Amtspersonen und Behördenverantwortlichen,

– 25 Interviews mit Kooperationspartnern/innen (Sprachschulen, Beratungsstel­len) und zuweisenden Stellen (regionale Sozialdienste, Einwohnerkontrollstel­len),

– 14 teilnehmenden Beobachtungen beim Abschluss von Integrationsvereinba­rungen,

– 43 Befragungen von betroffenen Migranten/innen.

Der Auftrag unserer Evaluationsstudie (April 2009 – Mai 2010) bestand darin, einen systematischen Überblick über die Umsetzungspraktiken in den einzelnen Kantonen zu schaffen und Empfehlungen für die zukünftige Implementierung der Integrations­vereinbarung an die politischen Behörden zu formulieren.Sie gibt Aufschluss über die der Integrationsvereinbarung zugrunde liegenden Policies, vor allem in Bezug auf Zielgruppen, Zuständigkeiten, Maßnahmen sowie Aufwand und Ertrag.

Die Diskussion der Ergebnisse unserer Evaluation zu Entstehungszusammenhängen und Implikationen dieses neuen Integrationsinstruments verläuft entlang folgender Schwerpunktthemen: Ausgehend von Politisierung und Problematisierung der Inte­grationsthematik werden die Individualisierung und Bürokratisierung durch die Inte­grationsvereinbarung und der damit verbundenen Disziplinierung, welche zu Ungleichbehandlung und Diskriminierung führen kann, diskutiert.

2. Problematisierung und Politisierung

Der politische Druck, in diesem Fall insbesondere von rechtspopulistischen Kräften, der zum verwaltungstechnischen Instrument der Integrationsvereinbarung geführt hat, läuft klar auf eine Assimilationsforderung gegenüber Migrantinnen und Migranten hinaus. Doch gilt es hier grundlegende Fragen zu stellen: Wie kommt es dazu, dass Individu­en vorgeladen werden, um den Grad ihrer Integration zu überprüfen und um sie zu zusätzlichen Leistungen zu verpflichten bis hin zur Androhung von aufent­haltsrechtlichen Konsequenzen? Und wieso gab es kaum politischen Widerstand?

Die Entwicklung von Integrationsmaßnahmen in Europa muss historisch in Zusam­menhang mit der „nachholenden Integrationspolitik“ (Bade 2005) und der zentralen Leitidee des „Fördern und Fordern“, welche seit den 1990er Jahren als ein „Prinzip des Geben und Nehmen“ propagiert wird (Piňeiro et al. 2009) gesehen werden. Die­ser Kurs, welcher als Reaktion auf die Kritik an der angeblich misslungenen Integra­tionspolitik von rechtspopulistischer Seite als auch von Mittelinkskräften unterstützt wird und somit mehrheitsfähig ist, kann zu Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre von Migranten und Migrantinnen führen. Dieser Trend hin zu ver­pflichtenden Integrationsmaßnahmen in verschiedenen EU-Staaten (Chahrokh 2006) ist mit der Schwierigkeit verbunden, den Integrationsgrad eines jeden Ausländers/-in festzustellen und allfällige Fortschritte zu überprüfen. Dies wurde in den meisten Ländern, wie etwa in Deutschland, Österreich, den Niederlanden oder Frankreich, so gelöst, dass der Schwerpunkt praktisch aller Programme auf die Vermittlung bzw. den Erwerb von Sprache gelegt wurde (Achermann/Künzli 2009: 6). Dabei erfolgte eine Problematisierung bezüglich angeblich weit verbreiteter Integrationsdefizite und einer anscheinend versagenden Integrationspolitik auf Seiten des Gastlandes. Beide Anschuldigungen beruhen auf Annahmen, welche weder wissenschaftlich überprüft noch belegbar sind und entbehren somit objektiver Grundlagen.

Zudem richtet sich die erfolgte Problematisierung einzig auf die Einwandernden und ihre ungenügenden Integrationsbemühungen. Dabei wird die Integrationsbereitschaft der Aufnahmegesellschaft weitgehend ausgeblendet und ist somit juristisch nicht ein­klagbar. Diese Doppelbödigkeit zeigt sich in einer Integrationspolitik, welche zwar eine Öffnung gegenüber Ausländer/innen nahe legt, indem die „Teilhabe an den ge­sellschaftlichen Systemen“ betont wird (D’Amato 2007: 14).2 Gleichzeitig wird aber auch die Forderung deutlich, dass sich das Individuum sozial und kulturell der Mehr­heitsgesellschaft angleichen soll (D’Amato/Gerber 2005: 15). Zudem versucht die In­tegrationsvereinbarung, so wie sie in den meisten Kantonen gehandhabt wird, nicht etwa erfolgte Integrationsanstrengungen zu belohnen, sondern beschränkt sich auf das Bestrafen nicht geleisteter Vereinbarungen. Und anders als das Wesen einer ech­ten Vereinbarung, handelt es sich bei diesem Vertrag nicht um echte Gegenseitigkeit (vgl. Achermann 2007), sondern um eine einseitige Forderung unter Androhung ein­schneidender Sanktionen. Hier haben Kantone folglich die Möglichkeit, in der Aus­gestaltung und Umsetzung der Integrationsvereinbarung eine „harte Linie“ gegenüber vermeintlich wenig anpassungsbereiten Einwanderern zu fahren.

Somit konzentriert sich die Vereinbarung auf die Integrationsdefizite. Wie auch Schwarz kritisiert, geht es stets um die negativ definierte Bestimmung von Integrati­on während eine positive Definition von „Integration“ aussteht: „Die Beschreibung von gesellschaftlichen Phänomenen wie Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, Kriminalität usw. ist dann die Beschreibung eines Mangels − an Integration.“ (Schwarz 2010: 206). Dass auch Schulden oder soziale Notlagen als ungenügende Integrationsbemü­hungen ausgelegt werden, welche im Zeitraum eines Jahres bewältigt oder zumindest verbessert werden müssen, stellt das Prinzip der Selbstverantwortlichkeit und Selbst­verschuldung ins Zentrum. Eine defizitäre Integration eines Einzelnen stellt demnach eine Gefahr und Belastung für die Gesellschaft als Ganzes dar. Ausgehend vom Pos­tulat, dass fehlende bzw. verweigerte Integration den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft und die Sozialwerke bzw. sozialen Unterstützungssysteme gefährden würde, wird der Verfolgung solcher Defizite Priorität in der Integrationspolitik einge­räumt (vgl. ebd.).

Auf der Grundlage der behaupteten Integrationsdefizite wird eine Integrationspflicht abgeleitet, die sowohl für die Einzelnen bindend sind, sofern sie über einen unsiche­ren Rechtsstatus verfügen und in die Pflicht genommen werden können, als auch für die Gesellschaft, welche Integrationsdefizite dieser Personengruppe ahnden und be­heben soll. Auf gesellschaftlicher Ebene werden bei der Propagierung der Integrati­onsvereinbarung falsche Vorstellungen geweckt: Auf der einen Seite wird das Bild von Inte­gration als einseitiger Prozess durch Anpassung der Eingewanderten geför­dert. Auf der anderen Seite werden überhöhte Erwartungen bezüglich der Lösung des angebli­chen „Integrationsproblems“ geweckt, indem deviante, sozialkostenintensive und integrationsunwillige Subjekte ihre Defizite beheben müssen, respektive im Falle der Nichterfüllung ausgewiesen werden. So einfach kann jedoch solchen Forderun­gen nach hartem Durchgreifen aufgrund der Rechtsstaatlichkeit nicht Folge geleistet wer­den, müssen doch eine ganze Reihe von Bedingungen für eine Ausweisung erfüllt sein, damit ein solch massiver Eingriff gerechtfertigt ist und keine relevanten Gründe dagegen sprechen.

3. Individualisierung der Integration

Die gesellschaftliche Verantwortung für gelingende Integration, welche als Gegen­satz zu Separation und Marginalisierung zu verstehen ist (vgl. Esser 2001), besteht aus den zwei Hauptkomponenten der Öffnung der Aufnahmegesellschaft einerseits und der Bereitschaft der Einwandernden, Beziehungen zum Gastland aufzunehmen. Ein wichtiger Faktor für die Ermöglichung und Favorisierung von Integration besteht in der sozialräumlichen Kontaktnahme im Wohnumfeld, welches dafür heterogen sein sollte. Ebenso wichtig sind der Arbeitsplatz und die Beziehungen, die dort ent­stehen können, respektive für Kinder und Jugendliche die Ausbildungsstätte. Wäre diese Art von Integrationsförderung im Vordergrund gestanden, dann hätten Stadtpla­nungsverantwortliche, Arbeitgeberverbände und Schulleitende in die Pflicht genom­men werden müssen. Hingegen zielt die Integrationsvereinbarung einzig und allein auf die eingewanderten Einzelpersonen und fordert von ihnen konkret überprüfbare Integrationsbemühungen, wie etwa den Besuch von Integrations- und Sprachkursen, die sie zudem selber finanzieren müssen.

Bei dieser individualisierten Betrachtungsweise von Integrationsleistungen geht gerne vergessen, dass Integration als generationenübergreifender, langfristiger Sozial- und Kulturprozess verstanden werden muss, welcher mitunter auch bis zu drei Generatio­nen in Anspruch nehmen kann, und sich im Wechselprozess mit der Aufnahmegesell­schaft vollzieht (vgl. Bade/Oltmer 2004: 136). Hier stellt sich die Frage, wie und ob dieser Prozess überhaupt beschleunigt werden kann. Darüber hinaus gilt es auch zu hinterfragen, weshalb eine solche Beschleunigung für derart dringlich angeschaut wird und welche effektiven Absichten und Interessen dahinter stecken, das Phänomen von vermeintlich anpassungsunwilligen „Integrationsverweigerern“ ins Rampenlicht der Öffentlichkeit zu rücken.

Integration als komplexer, zeitaufwändiger, sozialer und gesellschaftlicher Prozess kann folglich gar nicht auf ein Individuum und einen festen Zeitabschnitt festge­schrieben und quantifiziert werden. Vielmehr könnten verschiedene Rahmenbedin­gungen für eine gelingende Integration gefördert werden, wie etwa schulische Förde­rung von Migrantenkindern oder Gemeinwesen- und Quartierarbeit. Erbrachte, respektive zu erbringende Integrationsleistungen an einem Individuum festzumachen bedeutet somit eine Reduktion, indem einzelne Drittstaatenangehörige für einen all­fällig ungenügend beurteilten Integrationsgrad zur Rechenschaft gezogen, während andere am Integrationsprozess beteiligte Akteure, wie etwa Arbeitgeber oder Ge­meinden für fehlende Unterstützungsleistungen nicht in die Verantwortung genom­men werden.

Integration setzt auch innere Bereitschaft und Freiwilligkeit voraus. Integrationsauf­forderungen können sonst Widerstände, Abwehr oder lediglich vordergründige Anpassung bewirken. Ein solches ganzheitliches Integrationsverständnis lässt sich mit dem „Fördern und Fordern“-Ansatz nur schwer vereinbaren. Liegt der integrati­onspolitische Schwerpunkt auf dem Fordern, so fungiert der Begriff meist als Deck­mantel für klare Assimilationsforderungen (Gross 2007: 315). Meist wird beim Fordern-Ansatz Integration als individualisierter Prozess des handelnden, selbstver­antwortlichen Subjekts verstanden (Schwarz 2010: 212), welches seine Integrations­defizite aus eigener Anstrengung und ultimativ beheben soll.

Der „Fördern und Fordern“-Ansatz, wie er auch in Deutschland und Österreich seit Beginn des neuen Jahrtausends verwendet wird, nimmt immer neue Formen an, wie etwa wenn für den Nachzug des Ehegatten eines Ausländers oder einer Ausländerin ausreichende Deutschkenntnisse nachgewiesen werden müssen (§ 30/1 Nr.2 des Deutschen Aufenthaltsgesetzes). Die Klausel, wonach bestimmte Berufsgruppen und Ausländer/innen aus privilegierten Herkunftsländern von dieser Regelung ausgenom­men sind, wird damit begründet, dass man mit dieser Forderung Zwangsehen verhin­dern wolle. In die gleiche Richtung gehen auch neue Forderungen der deutschen Regierungsparteien, wonach mangelhafte Deutschkenntnisse der Eltern eine Beein­trächtigung des Kindeswohls bedeuten. In der Folge kann die Verweigerung des Besuchs eines Deutschkurses seitens der Eltern einschneidende Konsequenzen zur Folge haben. „Die Beherrschung der deutschen Sprache wird zur Gretchenfrage, zum Offenbarungseid des Integrationswillens. Und immer stärker liegt die Betonung nun auf dem Willen: dem Willen zum Lernen, dem Willen zum Arbeiten.“ (Schwarz 2010: 213)

4. Institutionalisierung und Bürokratisierung

Angesichts des hohen Aufwands des individualisierten Vorgehens, der Schwierigkeit zur Eruierung aller in Frage kommenden Personengruppen, den Problemen bei der Kontaktanbahnung für ein Erstgespräch etc. und die damit verbundenen notwendigen personellen Ressourcen, machen die Integrationsvereinbarung zu einer großen Her­ausforderung für die öffentliche Verwaltung. Hier stellt sich die Frage, ob dieser Auf­wand gemessen an der Wirkung, gerechtfertigt ist. Denn wie die Wirkungsanalyse unserer Evaluation (vgl. Tov et al. 2010) zeigen konnte, hatten die meisten Betroffe­nen von sich aus die Initiative zum Erlernen der Landessprache ergriffen.

Mit der Integrationsvereinbarung, welche ausgehend von einem gedolmetschten Erst­gespräch über den Kontakt mit Sprachschule bis zum Monitoring und Controlling der vereinbarten Maßnahmen reicht, entsteht ein hoher Betreuungsaufwand. Die Evalua­tion zeigte, dass im Schnitt insgesamt eineinhalb Arbeitstage für jede einzelne Inte­grationsvereinbarung aufgewendet werden müssen. Es entstehen somit hohe Bearbei­tungskosten und gleichzeitig müssen die Betroffenen selber für die vereinbarten Maß­nahmen (Kosten für Sprachkurse etc.) aufkommen, was für einige der befragten Betroffenen eine erhebliche ökonomische Belastung darstellte.

Ein Blick zur Integrationspolitik anderer Einwanderungsländer (z.B. Australien, Kanada) zeigt, dass diese in der Regel keine derart individualisierenden und proble­matisierenden Verfahren vorsehen, sondern zum Beispiel verbindliche Gratis-Sprach­kurse im ersten Aufenthaltsjahr anbieten. Folglich werden die vorhandenen Ressour­cen in die Angebotsstruktur investiert, wodurch positive Anreize für deren Nutzung geschaffen werden. Die Teilnahme wird als mehr oder weniger verpflichtend postu­liert, ohne jedoch ein aufwändiges Controlling einzurichten.

Bei der Institutionalisierung zeichnen sich zwei Wege in den untersuchten Kantonen ab, der eine sieht als durchführende Instanz zum Abschluss und Monitoring der Inte­grationsvereinbarung das Migrationsamt vor, während der andere Weg die Integrati­onsfachstelle mit der Durchführung betraut. Letztere setzt in der Regel Fachpersonal mit interkulturellen und sozialarbeiterischen Kompetenzen ein, während das Migrati­onsamt vorwiegend Sachbearbeitungspersonal beschäftigt. Diese beiden Kompetenz­profile unterschieden sich deutlich bei der Gesprächsführung und beim Umgang mit den Betroffenen, wie wir mit der Auswertung der teilnehmenden Beobachtungen im Rahmen unserer Untersuchung aufzeigen konnten. Hier stellten wir auf der einen Sei­te unterstützende und interkulturell kompetente Beratungspraktiken fest und auf der anderen Seite fordernde und konfrontative Vorgehensweisen. Insbesondere bei letzte­ren gilt es auf das Risiko von paternalistischen, ethnozentrischen sowie einschüch­ternden Interventionen hinzuweisen. Dies kann die Integrationsvereinbarung für die Betroffenen angesichts der Machtposition der Verwaltungspersonen sehr schwierig und belastend werden lassen. Folglich müsste der professionelle Hintergrund der durchführenden Amtsperson bezüglich interkultureller Kompetenz und sozialarbeite­rischem Knowhow vorausgesetzt werden können.

5. Ungleichbehandlung und Diskriminierung durch die Handhabung der Integrationsvereinbarung

In der Schweiz richtet sich die Integrationsvereinbarung grundsätzlich an Personen aus Drittstaaten mit B-Bewilligung, denn der Aufenthaltsstatus von Ausländern/innen mit C-Bewilligung3 sowie solchen aus EU/EFTA-Ländern oder auch solche, die mit Schweizern/innen verheiratet sind, kann nicht an die Erfüllung solcher Bedingungen geknüpft werden. Wir haben es folglich mit einem dualen Zulassungssystem zu tun, welches Einwandernden je nach Staatszugehörigkeit unterschiedliche Rechtsstellun­gen zuweist. Aufgrund der bilateralen Verträge mit der EU gilt seit Anfang 2008 das traditionelle Schweizer Ausländerrecht (AuG)4 nur noch für einen Teil der ausländi­schen Bevölkerung, nämlich für Bürger und Bürgerinnen aus Drittstaaten (Piguet 2006: 145), welche rund 40% der ausländischen Wohnbevölkerung in der Schweiz ausmachen. Rechtlich gesehen können nur letztere für Integrationsleistungen behörd­lich aufgeboten und notfalls sanktioniert werden. Dadurch wurde ein spezifisches Segment von Ausländer/innen „als Parallelgesellschaft rechtlich festgeschrieben“ (Wicker 2009: 45). Bereits hier muss also die Frage der Ungleichbehandlung gestellt werden – umso mehr, als Personen aus Drittstaaten tendenziell als Risiko für die hiesige Gesellschaft negativ stigmatisiert werden könnten (Prodolliet 2009: 56ff).

Zudem trifft die Integrationsvereinbarung insbesondere Neuzuzüger/-innen, welche von einzelnen kantonalen Selektionspraktiken in erster Linie für den Abschluss einer solchen Vereinbarung ins Auge gefasst werden. Neuzuziehende kommen meist über Familiennachzug in die Schweiz und sind deshalb vorwiegend Frauen. Dies führt dazu, dass in den untersuchten Kantonen der Frauenanteil bei den abgeschlossenen Integrationsvereinbarungen 75% (Stand 2009) betrug. Hier stellt sich nun die Frage, ob dies nicht zu einer geschlechterspezifischen Ungleichbehandlung führt (siehe auch die weiteren Überlegungen hierzu im Beitrag von Susanne Bachmann in diesem Band).

Ein weiteres Diskriminierungsrisiko besteht darin, dass die Kenntnisse der Landes­sprache im Zentrum der Integrationsvereinbarung stehen, was bildungsferne Migran­ten und Migrantinnen (insbesondere Analphabeten/-innen) zur Erfüllung der Anfor­derungen respektive des Nachweises von Lernfortschritten vor kaum zu überwinden­de Herausforderungen stellen kann. Bei dieser Zielgruppe lässt sich deren Lernzu­wachs kaum oder nur schwer quantifizieren. Auch wenn die befragten Sprachschulen deren Lernbereitschaft als recht hoch einschätzten, so erachteten sie die Zeitspanne von einem Jahr als zu kurz, um sprachliche Lernfortschritte feststellen zu können. Auch bei älteren, arbeitslosen Personen über 50 Jahre sei die Lernmotivation gering, denn es bestünden nur wenige Chancen zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Insbe­sondere bei nichtalphabetisierten, kranken, traumatisierten oder psychisch belasteten Personen müssten die Anforderungen der Integrationsvereinbarung grundsätzlich überdacht werden. Ganz anders stellt sich die Frage der Anforderungen bei bildungs­starken, gut qualifizierten jüngeren Neuzuziehenden: Sie verfügen häufig über die notwendigen Voraussetzungen, um Lernleistungen zu erbringen und sind es gewohnt, mit solchen Anforderungen umzugehen. Dieses ungleiche soziale Kapital kann sich schlussendlich ganz konkret auf die Erfüllung respektive Nicht-Erfüllung der Integra­tionsvereinbarung auswirken und mit einschneidenden Konsequenzen bis hin zu einer Ausweisung verbunden sein. Es kann folglich von einer Ungleichbehandlung mit existenzbedrohenden Auswirkungen gesprochen werden.

Je nach Zielgruppe bestehen auch unterschiedliche behördliche Arrangements, die diese einzelnen Zielgruppen ungleich mehr fordern. So werden mit länger anwesen­den Betroffenen mit sozialen und ökonomischen Problemen häufig nicht bloß Sprachkurse vereinbart, sondern auch Maßnahmen zur Bewältigung von Schulden, von Erziehungsschwierigkeiten oder von Arbeitslosigkeit. Die an sie gestellten An­forderungen sind ungleich größer. Damit akzentuiert sich ihr Druck weiter. Zudem leiden sie häufig unter gesundheitlichen Einschränkungen und sozialen Belastungen, welche die Erfüllung von Integrationsleistungen zusätzlich erschweren können.

Wie dual das Aufgebot für die Integrationsvereinbarung ist, zeigt sich auch darin, dass innerhalb der Drittstaatenangehörigen in einzelnen Kantonen weitere Differen­zierungen vorgenommen werden, indem zum Beispiel gut ausgebildete Personenkrei­se davon ausgenommen werden. Dies geschieht mit der Begründung, dass es sich um Ausländer und Ausländerinnen handelt, welche in Zweigstellen internationaler Unter­nehmen tätig sind und sich nur vorübergehend in der Schweiz aufhalten. Der wahre Grund wird aber vielmehr darin liegen, dass diese Kategorie Ausländer/innen starke Partner im Rücken hat und die entsprechenden Arbeitgeber, meist Großkonzerne, sich für sie stark machen, damit sie mit solchen Formalitäten und Auflagen nicht belästigt werden. Daran lässt sich erkennen, dass nur diejenigen Ausländerinnen und Ausländer aufgeboten werden, welche sich nicht oder kaum auf rechtlichem Weg dagegen wehren werden.

Im Weiteren gilt bezüglich des Problems der Ungleichbehandlung zu bedenken, dass die Kantone unterschiedliche Vorgehensweisen bei der Integrationsvereinbarung wählen. Da es sich um eine Kann-Bestimmung handelt, sind sie auch nicht zur Anwendung verpflichtet und einige Kantone sehen bislang davon ab, dieses verwal­tungstechnische Instrument einzusetzen. Zur Ungleichbehandlung tragen auch Unter­schiede bei der Fokussierung der Zielgruppe und Ziele bei, so dass eine große Band­breite unterschiedlicher Praktiken und damit auch Rechtsungleichheit entsteht.

„Der Begriff ‚Integration‛ nimmt dabei eine Fülle bedrohlicher und dysfunktionaler Entwicklungen in sich auf und bindet sie an die Wir-Sie-Binarität in der Migrations­gesellschaft an. Unter dem Blickwinkel der Desintegration als Gefahr ist die ungenü­gende Integration nicht eine Folge gesellschaftlicher Prozesse, sondern sie ist deren Begründung“ (Schwarz 2009: 206).

6. Disziplinierung und Sanktionierung

Von Integrationsdefiziten Betroffene erhalten mit der Integrationsvereinbarung eine letzte Chance, ihre Mängel durch die Erfüllung der vereinbarten Maßnahmen, meist den Besuch von Integrations- und Sprachkursen, innerhalb eines Jahres zu beheben und dadurch ihren Integrationswillen zu bekunden. Im Rahmen des Erstgesprächs wird ihnen in der Regel eröffnet, dass der Grad ihrer Integration bei Zulassungs-, Bewilligungs-, Widerrufs- oder Wegweisungsverfahren berücksichtigt werde.5

Was solche Sanktionsmöglichkeiten betrifft, so bestand schon unter altem Recht die Möglichkeit, eine Aufenthaltsbewilligung respektive deren Verlängerung nur mit Auflagen zu erteilen. Was jedoch einen Paradigmawechsel der Einwanderungspolitik darstellt, ist die Postulierung von Integrationsverpflichtungen von Ausländern/innen gegenüber dem Staat, ohne dass dieser erstens zu Gegenleistungen verpflichtet wäre und zweitens mit einem großen behördlichen Ermessensspielraum zur Beurteilung dieser Integrationsleistungen (vgl. Achermann 2007). Weiterreichende Verpflichtun­gen von Betroffenen mit Integrationsdefiziten und sozioökonomischen Pro­blemlagen, wie etwa die Aufforderung zum Aufsuchen einer Schuldenberatungsstel­le, stellen zu­dem einen rechtlich fragwürdigen Eingriff in ihre persönliche Freiheit dar (vgl. ebd.). Dieselbe Problematik entsteht auch bei der Verpflichtung zum Besuch eines Sprach­kurses, was in Abhängigkeit von Umfang und Kosten einen Eingriff in die Grund­rechte darstellen kann. Nur wenn diese Verpflichtung sowohl zeitlich als auch finan­ziell als zumutbar einzustufen ist, ist dies lediglich als leichter Eingriff zu qualifizie­ren (Von Büren/Wyttenbach 2009).

Wie die Ergebnisse unserer Evaluationsstudie zeigen, eröffnen sich den Behörden bei der Anwendung der Integrationsvereinbarung große Ermessensspielräume. Dies muss auch in Zusammenhang mit der zurzeit noch ungenügenden Klärung des Rechtsbe­griffs der Integration gesehen werden (Achermann 2007; Bianchi 2003). Aufgrund des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU ist die Gruppe der Drittstaatenan­gehörigen von behördlichen Sanktionsrisiken in grundsätzlicher Hinsicht eher be­troffen.

Das Disziplinieren von vermeintlichen „Integrationsverweigerern“ ist mit einem ho­hen verwaltungstechnischen Aufwand verbunden und macht das Großaufgebot von mehrheitlich integrationswilligen Personenkreisen für die Integrationsvereinbarung notwendig, um die wenigen „schwarzen Schafe“ ausfindig zu machen. Gegenüber der ganzen Zielgruppe wird nun insgesamt ein Misstrauensvotum ausgesprochen, indem man sie als für nicht genügend selbstverantwortlich beurteilt, ihren Integrationsweg selbstbestimmt zu gehen. Den Betroffenen wird ein äußerer Rahmen unter zu Hilfe­nahme der Festlegung von Integrationszielen, von Controlling der vereinbarten Inte­grationsmaßnahmen sowie möglichen Sanktionsfolgen auferlegt. Dies führt den Betroffenen die Verletzlichkeit ihres Rechtsstatus vor Augen, bedeutet Unterordnung und Befolgung der „gemeinsam getroffenen Vereinbarung“. Sanktionen werden als gesellschaftspolitisch notwendiges Instrument zur Durchsetzung einer raschen und widerstandslosen Integration und gleichzeitig als Mittel zur Verhinderung angebli­cher Parallelgesellschaften eingesetzt (vgl. Schwarz 2009: 207ff). Sanktionen werden als angemessen und zulässig deklariert, indem Integration als eine „Bringschuld“ deklariert wird. Die Androhung möglicher Sanktionen hängt als Damoklesschwert über dem unsicheren Aufenthaltsstatus der Betroffenen. Da ihnen ihre rechtlichen Möglichkeiten zur Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte meist nicht bewusst sind, oder sie aufgrund ihrer Anpassungsbereitschaft von einer solchen Selbstbehauptung absehen, riskieren die Behörden wenig Gegenwehr.

7. Fazit

Bereits das duale Zulassungssystem schreibt eine Ungleichbehandlung von Migran­ten/innengruppen fest, und der große Ermessensspielraum der Behörden stellt eine weitere Gefährdung der Gleichbehandlung dar. Dies muss auch in Zusammenhang gesehen werden, dass der Rechtsbegriff der Integration zurzeit nicht hinreichend ge­klärt ist (Achermann 2007; Bianchi 2003). Dies gilt auch für die Integrationsverein­barung, deren Rechtsform und deren instrumenteller Charakter nicht abschließend festgelegt wurden (Hunziker 2009; Wyttenbach/von Büren 2009). Werden das be­hördliche Vorgehen und die Interventionsmöglichkeiten nicht substantiell definiert und standardisiert, so leistet dies der Ungleichbehandlung von Migranten/innen Vor­schub, was aus rechtsstaatlicher Sicht bedenklich ist. Dieses die Integration indivi­dualisierende Instrument birgt auch das Risiko einer Überforderung, wenn die Inte­grationsanforderungen an die Betroffenen nicht im Einzelfall geprüft werden, indem etwa psychische und physische Voraussetzungen, familiäre Belastungen oder biogra­phisch bedingte Schwierigkeiten berücksichtigt werden, wie wir das im Rahmen unserer Evaluationsstudie aufzeigen konnten (vgl. Piňeiro/Eser Davolio/Tov 2010: 207f). Die Androhung von Sanktionen akzentuiert dann den unsicheren Aufent­haltsstatus der Betroffenen noch weiter und belastet sie zusätzlich, was ihre Hand­lungsfähigkeit meist nicht erhöht, sondern lähmen kann (vgl. ebd.). Hier entstehen Folgeprobleme eines Integrationsverständnisses, welches gleichzeitig nach einer stär­keren Individualisierung und Rücksichtnahme als auch nach einer weiterführenden Standardisierung zur Verhinderung von Willkür ruft. Dieses Dilemma könnte nur durch eine Integrationspolitik, welche Integration als komplexen, langwierigen und wechselseitigen Sozial- und Kulturprozess versteht, aufgelöst werden.

Die Implementierung eines solchen Integrationsinstruments birgt wie andere sozial­politische Innovationen, insbesondere wenn sie eine moralische Komponente enthal­ten und Menschen verändern möchten, die Gefahr, ihr Ziel zu verfehlen (Friedland/ Alford 1991: 255). Meist gibt es weder einen Konsens über die eigentlichen Ursachen des fraglichen Verhaltensproblems noch über das zu erreichende Ziel. Die politische Auseinandersetzung der konkurrierenden Meinungen und moralischen Ansichten führt zur Formulierung von gesellschaftlichen Kompromissen und der Forderung nach regulierenden Praktiken und institutionellen Logiken (vgl. ebd.: 255f). Die Um­setzung führt dann in der Regel zum Einsatz von Instrumenten, die mit Anreizen und Sanktionen operieren, welche jedoch die komplexen Entstehungszusammenhän­ge des Problems und der Heterogenität der Lebenszusammenhänge der Betroffenen zu wenig berücksichtigen (Hasenfeld 2010: 410). Außerdem lässt die Integrationsver­einbarung den intervenierenden Instanzen einen großen Ermessensspielraum für viel­fältige Interpretationen und Umsetzungspraktiken, was einerseits die Möglichkeit eröffnet, das Instrument vor allem zur konstruktiven Förderung von Einwandernden zu nutzen aber andererseits auch dem willkürlichen, paternalistischen oder ethnozen­trischen Umgang mit Betroffenen Tür und Tor öffnet (vgl. Eser Davolio/Tov 2011: 12f). All diese Kritikpunkte legen die Schlussfolgerung nahe, dass es sich bei der In­tegrationsvereinbarung aufgrund der vielfältigen Risiken von Ungleichbehandlungen vielmehr um ein Ausgrenzungs- als um ein Integrationsinstrument handelt. Somit muss die Ausgangsfrage, ob Integration verlangt und verordnet werden kann, zwar nicht grundsätzlich verneint werden, doch löst die Umsetzung solcher Integrations­forderungen derart viele grundsätzliche Fragen und Probleme aus, dass ihre Sinnhaf­tigkeit und juristische Praktikabilität ernsthaft angezweifelt werden muss. Hier bräuchte es folglich keine technischen Lösungen für konkrete Umsetzungsprobleme, sondern ein grundsätzliches Überdenken, wie Integration als gegenseitiger Prozess gefördert und unterstützt werden kann. Oder es bräuchte vor allem auch Gelassenheit im Wissen, dass Integration Zeit braucht und so komplex ist, dass Beschleunigungs­instrumente wie die Integrationsvereinbarung kaum effektive Wirkungen erzielen können.

Literatur

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1Art. 54 AuG.

2Den längerfristig und rechtmäßig anwesenden Ausländerinnen und Ausländern soll damit die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht ermöglicht werden (Art. 4 Abs. 2 AuG).

3Die B-Bewilligung ist eine Aufenthaltsbewilligung mit einer Gültigkeitsdauer von fünf Jahren, zu deren Verlängerung bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen, die C-Bewilligung ist eine permanente Niederlassungsbewilligung.

4Mit dem Inkrafttreten des neuen Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG) am 1.1.2008 wurde das alte Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) ersetzt. Als wichtige Neuerung wurde das Element der Integration von Ausländerinnen und Ausländern verstärkt und rechtlich verankert.

5Art. 96 AuG.

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