Weiterlesen © ProLitteris, Josef Estermann
3 Rechtliche und institutionelle Entwicklung
In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts haben sich die Strafverfolgungsinstitutionen beträchtlich gewandelt. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Entwicklung der Drogenproblematik, die im Zusammenhang mit der Infektionskrankheit AIDS vermehrt in den Blick der Öffentlichkeit rückte. Ein weiteres bedeutendes Ereignis war der sogenannte „Fichenskandal“, der die Tätigkeit der präventiven (politischen) Polizei ans Tageslicht zerrte und, damit im (mindestens zeitlichen) Zusammenhang, die Differenzierung der Feindbilder der Geheimdienste, die mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion einen großen Teil ihres alten Tätigkeitsgebiets verloren haben. Die neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren in der Folge geprägt von der Thematisierung der organisierten Kriminalität und der Geldwäsche, während die dahinter stehenden Probleme des internationalen Steuerrechts, insbesondere des Zugriffs ausländischer Staaten auf in der Schweiz liegende Vermögen, in den Fachkreisen heftig, in der Öffentlichkeit hingegen kaum diskutiert wurden.
3.1 Recht
Die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Organisation und der Unterstützung einer kriminellen Organisation, Art. 260ter StGB1, gilt seit dem 1.8.1994. Eingeführt wurde die Norm im Rahmen des sogenannten zweiten Maßnahmepakets zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens. Die Gründe für die Einführung der Norm ist ausführlich in der Botschaft des Bundesrates vom 30. Juni 19932 dargestellt. Dort findet sich auch eine „Arbeitsdefinition“:
„Organisiertes Verbrechen liegt dort vor, wo Organisationen in Annäherung an die Funktionsweise internationaler Unternehmen hochgradig arbeitsteilig, stark abgeschottet, planmäßig und auf Dauer angelegt sind und durch Begehung von Delikten sowie durch Teilnahme an der legalen Wirtschaft möglichst hohe Gewinne anstreben. Die Organisation bedient sich dabei der Mittel der Gewalt, Einschüchterung, Einflussnahme auf Politik und Wirtschaft. Sie weist regelmäßig einen stark hierarchischen Aufbau auf und verfügt über wirksame Durchsetzungsmechanismen für interne Gruppennormen. Ihre Akteure sind dabei weitgehend austauschbar.“3
3.1.1 Die Einführung des Art. 260ter StGB
Schon in den frühen achtziger Jahren bestanden Pläne, eine entsprechende Norm im Zuge einer Strafrechtsrevision (Gewaltverbrechen) einzuführen.4 Diese Pläne scheiterten am Widerstand breiter Kreise, die Kritik an der Einführung von Organisationsdelikten im allgemeinen und an der damit verbundenen Ausweitung der Strafbarkeit übten und eine Beschränkung des Legalitätsprinzips mit dem Wegfall des Erfordernisses des Tatbeweises befürchteten. Im Jahre 1980 diskutierte dies der Bundesrat in seiner Botschaft offen: „Die neue Bestimmung, so wurde im Vernehmlassungsverfahren hauptsächlich argumentiert, schaffe ein dem Rechtsstaat unwürdiges Gesinnungsstrafrecht und leiste dem Spitzelwesen und Denunziantentum Vorschub. (…) Im einzelnen wurde gegen den Vorschlag folgendes vorgebracht: Er breche mit den Grundsätzen unseres Strafrechts, das die Strafbarkeit erst bei den Versuchshandlungen eintreten lasse. Ein bloß abstraktes Einvernehmen zwischen Personen im Hinblick auf die Vorbereitung von Straftaten werde schon mit Strafe bedroht. Die Umschreibung des objektiven Tatbestandes erlaube nicht, den strafwürdigen Kern der Gruppe von dem lose mit diesem verbundenen, nicht strafwürdigen Umfeld zu scheiden, so dass die Bestimmung des strafbaren Verhaltens weitgehend dem Richter aufgebürdet werde. … Bei den negativen Stellungnahmen zu den Artikeln 260bis StGB-E (kriminelle Gruppe) und 260ter StGB-E (strafbare Vorbereitungshandlungen) fällt auf, dass sie namentlich die strafprozessualen Auswirkungen der Vorverlegung der Strafbarkeit in den Vordergrund rücken.“5
Mit der zunehmenden Thematisierung organisierter Kriminalität in der Öffentlichkeit gelang nun dieses Gesetzgebungsvorhaben gut zehn Jahre später, die kritischen Stimmen verloren an Gewicht. Wie begründet die Bedenken waren, zeigt die vorliegende Analyse der Fälle. Bei dem zweiten, erfolgreichen Durchsetzungsversuch wurde Art. 260ter StGB als zentrales Element einer erfolgversprechenden Gesamtstrategie gegen das organisierte Verbrechen verkauft, bei dessen Bekämpfung „die traditionellen Zurechnungskriterien des Einzeltäterstrafrechts versagen“. Innerhalb von Verbrecherorganisationen ließe sich nämlich die Teilnahme an bestimmten Einzeldelikten nur schwer nachweisen.6 Die Aufweichung des Erfordernisses des Tatbeweises wird also als wichtigstes Argument für die Einführung dieses Artikels angeführt. Unter dem knappen Dutzend bis anhin erfolgten Schuldsprüchen nach Art. 260ter StGB findet sich gerade ein Urteil, bei dem nicht gleichzeitig auch Einzeldelikte nachgewiesen wurden. Zwei eher als Mitläufer zu bezeichnende Ausländer wurden zu je zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, die sie bei Eintritt der Rechtskraft bereits abgesessen hatten. Die Bosse im Hintergrund, die niemand kennt, die nach weit verbreiteter Ansicht jedoch irgendwo existieren, bleiben offensichtlich dort und lassen sich auch mit Hilfe des Art. 260ter StGB nicht ans Licht zerren. So sehen es eigentlich auch die Strafverfolgungsbehörden: „Ich behaupte, ich weiß zwar nicht recht, was OK ist, aber es gibt sie.“7
Ein wichtiges Argument für die Einführung war der Umstand, dass die Nachbarländer der Schweiz schon seit längerer Zeit Organisationstatbestände in das Strafgesetz aufgenommen haben, insbesondere Deutschland mit §129 und §129a StGB, die Beteiligung an einer kriminellen und die Beteiligung an einer terroristischen Organisation. Im deutschen Strafrecht tritt die Nähe dieser Delikte zu „politischer Kriminalität“ viel deutlicher in Erscheinung als in der Schweiz. Bis zur Inkraftsetzung des Art. 260ter StGB konnte die Schweiz in solchen Verfahren mangels Vorliegens des Erfordernisses doppelter Strafbarkeit weder Rechtshilfe leisten noch ausliefern.8 Die ausländischen Behörden mussten in ihren Rechtshilfegesuchen Tathandlungen des klassischen Strafrechts geltend machen.9
Nach wie vor bestehen aber die Befürchtungen, die Bestimmung könnte zu einer rechtspolitisch bedenklichen Ausweitung der strafprozessualen und polizeilichen Zwangsmittel missbraucht werden oder sich zu einer Verdachtsstrafe entwickeln, die dann zum Zuge kommt, wenn sich nichts beweisen lässt.10 Die Norm sei zu unbestimmt, die Kur könnte schlimmer sein als die Krankheit etc. Diese Bedenken konnten bis heute nicht ausgeräumt werden, sondern erhalten bei der Analyse der vorliegenden Fälle weitere Nahrung. Symptomatisch für die Unklarheiten des Straftatbestandes ist die Empfehlung Trechsels in seinem Kommentar an den Richter: „Der Richter sollte sich eher an den Leitbildern orientieren, die dem Gesetzgeber vorschwebten, also insbesondere Bekämpfung der Mafia und ähnlicher Phänomene (Drogenringe, Sem.jud. 1997 4), als versuchen, durch Auslegung eng am Wortlaut originelle Eigenständigkeit zu entwickeln.“11 Empfohlen wird also eine Definition basierend auf der kriminologischen Umschreibung des organisierten Verbrechens anstelle einer wörtlichen Auslegung. Diese kriminologische Umschreibung ist jedoch alles andere als klar, wie in den Abschnitten vier bis sechs dieser Arbeit gezeigt wird. Außerdem wird so die Definitionsmacht der Strafverfolgungsbehörden über die Maße ausgeweitet, bis hin zur Bankrotterklärung der richterlichen Kompetenz.
Der Rechtsanwalt Garbade sieht auch die Gefahr einer durch die Konzentration auf das „Vorfeld“ von Straftaten hervorgerufenen ungünstigen Mentalitätsentwicklung bei den Strafverfolgungsbehörden: „Und schließlich noch ein Hinweis auf eine Gefahr, die Gefahr die ich spüre, dass das Syndrom von Artikel 260ter sich ausweitet auf die gesamte Strafverfolgungsmentalität. Wir haben gesehen, dass bei der Verfolgung, dass bei Anwendung von Artikel 260ter, wenn man nicht von einer konkreten Straftat ausgeht, sondern von einer Vermutung, die Strafuntersuchung wird nicht mehr durch eine Straftat iniziiert, auch mit Geldwäscherei das gleiche, es geht um eine Vermutung, und von da an gibt es verdeckte Ermittlung, Überwachung usw., um einen Tatverdacht zu erhärten. Also man geht nicht mehr von einer konkreten Straftat aus, man sucht die Straftat, man glaubt sie zu erkennen und man fängt an zu ermitteln. Die Gefahr, die ich sehe, ist, dass diese Mentalität, schon einzugreifen bevor überhaupt eine Straftat besteht, sich ausweitet auf andere Straftaten. Nur ein Beispiel. Es gibt einen Bezirksanwalt in Winterthur, Bezirksanwalt R, ist auch Kabarettist. Und der hat im Internet Annoncen aufgegeben: ‚Gesucht Jünglinge zwischen 16 und 35 Jahren’. Da hat ein Zürcher Staatsanwalt Ermittlungen angefangen, bevor überhaupt eine Straftat begangen wurde und sich gefragt, ob Herr R nicht vielleicht auch nicht nur mit Personen zwischen 16 und 35 Jahren, sondern auch mit minderjährigen Personen unter 16 Jahren möglicherweise Sex gehabt haben könnte. Und das hat für diesen Bezirksanwalt, ich sage es Ihnen, sehr schwerwiegende Konsequenzen gehabt. Und das zeigt mir einfach die Gefahr, wenn man so in die Mentalität kommt, man fängt an zu untersuchen bevor überhaupt eine Straftat besteht. Bei Artikel 260ter muss man so auch vorgehen, das gehört zum Straftatbestand. Aber das gibt eine Mentalität, die dann eigentliche Barrieren abbauen lässt: Man fängt auch bei anderen Straftaten zuerst einmal an zu grübeln, bevor eine Straftat vorliegt.“12
3.1.2 Rechtspraxis und Lehre
Die Lehre hat sich ausführlich mit den Tatbestandsmerkmalen beschäftigt, die Rechtsprechung hingegen hatte kaum ausreichend Gelegenheit die Praxis zu festigen, abgesehen von einigen obergerichtlichen Freisprüchen. Auffällig ist, dass auch niedere Gerichte Freisprüche ausführlicher und mit großem Engagement begründen, so das Kreisgericht Bern-Laupen in seinem Urteil vom 15.-17. Januar 1999:
„Dieser Straftatbestand (Art. 260ter StGB) wurde durch das Bundesgesetz vom 18.3.1994 eingefügt und ist seit 1.8.1994 in Kraft. Dieses sogenannte ‚zweite Paket gegen das organisierte Verbrechen’ folgt auf die Gesetzgebung gegen die Geldwäscherei, die am 1.8.1990 in Kraft trat (Art. 305bis StGB), dem ‚ersten Paket’. Bis heute liegt keine höchstrichterliche Anwendung dieses Straftatbestandes vor, es ist demnach auf die Botschaft BBl III 277 ff und auf die bisher spärliche Literatur zu verweisen. Der neue Tatbestand der kriminellen Organisation bildet ein zentrales Element einer erfolgversprechenden Gesamtstrategie gegen das organisierte Verbrechen. Wo der Einzelne als leicht austauschbares Element in einer hochgradig arbeitsteiligen, straff organisierten und bis zur Undurchdringlichkeit abgeschotteten Verbrecherorganisation seinen Tatbeitrag leistet, müssen die traditionellen Zurechnungskriterien des Einzelstrafrechts versagen (Botschaft, S. 19). Bereits aus dieser Formulierung erhellt, dass der Straftatbestand auf mafiöse Gruppierungen abzielt. Auch das Postulat der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 21.11.1989, mit welchem der Bundesrat beauftragte wurde, zu prüfen, welche organisatorischen, personellen, finanziellen und rechtlichen Maßnahmen zu treffen sind, um die vernetzten, internationalen Verbrechensorganisationen wirksamer zu bekämpfen (Botschaft S. 10), erlaubt entstehungsgeschichtlich diesen Schluss. Mark Pieth rät in ZStrR 1995, Band 113, ‚Das zweite Paket gegen das Organisierte Verbrechen, die Überlegungen des Gesetzgebers’, S. 234, dass die Praxis, nachdem nun Recht gesetzt worden sei, versuchen solle, getreu der ratio legis, die kriminelle Organisation restriktiv auf die Fälle zu beziehen, die als wesentlich gefährlicher [eingeschätzt] werden, als die herkömmliche Bande. Nach Arzt, ‚Organisierte Kriminalität – Bemerkungen zum Maßnahmenpaket des Bundesrates vom 30. Juni 1993’, in AJP 1993, S. 1187, ist der Organisations-Tatbestand nur eine nützliche Ergänzung der traditionellen Aufklärungsmethoden, keine Alternative. Im Kontext der gegen Finanzierung des Drogenhandels und der Geldwäscherei gerichteten Straftatbestände sei die Erfahrung gemacht worden, dass sie nicht einmal primär gegen, die ‚großen Fische’ angewandt werden, an die der Gesetzgeber eigentlich gedacht hatte, sondern dass nur allzu oft atypische ‚kleine Fische’ in den Maschen hängen blieben (Arzt, a.a.O., S. 1187), auch Randnote 9, nach welcher die erste rechtskräftige Verurteilung wegen Geldwäscherei einen kleinen Drogenkonsumenten betraf, der angesichts einer drohenden Razzia in der offenen Szene Geld eines Händlers versteckte. Angesichts solcher Erfahrungen, so Arzt weiter, hätten wir nun Gelegenheit, den jetzt (1993) vorgeschlagenen Organisations-Tatbestand auf unerwünschte Anwendung auf relative Bagatellfälle zu überdenken. Banden und andere lockere kriminelle Organisationen fielen nicht unter die organisierte Kriminalität, wie sie dem Gesetzgeber in ihrer kriminologischen Umschreibung vor Augen stehe (Arzt, a.a.O., S. 1188). Das Gericht geht demnach davon aus, dass Art. 260ter StGB restriktiv auszulegen ist.“
Der objektive Tatbestand des Art. 260ter StGB umfasst vier Elemente:
a) Die Organisation.
b) Die Geheimhaltung des Aufbaus und der personellen Zusammensetzung.
c) Die Zweckverfolgung der Begehung von Gewaltverbrechen.
d) Die Tathandlung, die in der Beteiligung an der Organisation oder aber in der Unterstützung der verbrecherischen Tätigkeiten der Organisation besteht.
a) Organisation
Um eine kriminelle Organisation zu bilden, müssen sich mindestens drei (h.M.) bis sieben (Arzt, a.a.O.) Personen zusammenschließen, um auf Dauer arbeitsteilig und planmäßig tätig zu werden. Die Anzahl der erforderlichen Mitglieder ist umstritten, es liegt bisher kein entsprechender Entscheid des Bundesgerichts vor. In einer Bande wirken ganz bestimmte Personen zusammen, bei einer kriminellen Organisation können die Mitglieder ausgewechselt werden, ohne dadurch der Bestand der Organisation zu gefährden. Die kriminelle Organisation hat eine hierarchische, autoritäre und arbeitsteilige Struktur. Die Beweisanforderungen sind höher als bei einer Bande.13 Das Bestehen der sowie die Teilnahme an oder die Unterstützung einer kriminellen Organisation muss eindeutig und unzweifelhaft nachgewiesen werden.
Die Organisation ist das zentrale Tatbestandsmerkmal. Bei der kriminellen Organisation geht es um den dauerhaften Zusammenschluss einer Personenmehrheit mit der Zielsetzung, Gewinne sowie wirtschaftliche und politische Macht zu erlangen. Derartige kriminelle Vereinigungen verfügen entweder über eine hierarchische Organisationsstruktur, gekennzeichnet durch straffen Führungsstil, Disziplin der Mitglieder und durch planmäßiges arbeitsteiliges Vorgehen oder über eine Netzwerkstruktur.14
b) Geheimhaltung
Die Geheimhaltung, die fehlende Transparenz der Organisation ist ein wesentliches Tatbestandsmerkmal, das der Abgrenzung krimineller Organisationen von legalen Organisationen dient, in denen ebenfalls kriminelle Handlungen geschehen können oder geplant werden.
Betreffend Geheimhaltung des Aufbaus und der inneren Zusammensetzung sprechen Botschaft und Lehre von einer „qualifizierten, systematischen Abschottung“ mittels strengster Geheimhaltungspflichten der Mitglieder. Erforderlich ist, dass die Gruppennormen bisweilen mit brutalen Mitteln durchgesetzt werden.15 Nach Pieth muss es klar mehr sein, als das praktisch bei allen Straftätern bestehende Bemühen, ihre Verbindungen und Verflechtungen geheim zu halten. Sinngemäß sei darunter die süditalienische Omertà zu verstehen.16
Mit dem Tatbestandsmerkmal der Geheimhaltung des Aufbaus und der inneren Zusammensetzung der Organisation, versuchte der Gesetzgeber eine Abgrenzung der kriminellen Organisation von legalen Organisationen oder wirtschaftlichen Betrieben, in deren Bereich gelegentlich auch Delikte begangen werden. Gemeint ist die qualifizierte, systematische Abschottung, die insbesondere durch strengste Geheimhaltungspflichten der Mitglieder und brutalste Durchsetzung dieser Normen erreicht wird.17
Ein bloßes Geheimhaltungsversprechen reicht nicht. Es bedarf einer systematische Abschirmung gegen Strafverfolgungsmaßnahmen und des systematischen Einsatzes von Gewaltanwendung und Einschüchterung.18
Die Geheimhaltung der personellen Zusammensetzung könnte die Anklagebehörde jeweils ohne große Beweisschwierigkeiten darlegen. Eine qualifizierte Geheimhaltung liegt vor, wenn eine interne Geheimhaltungspolitik verfolgt wird, wenn die Mitglieder nur einige andere Mitglieder kennen und andere weder der Person noch der Funktion nach kennen und kennen sollen. Besteht dagegen nur eine externe Geheimhaltung, wie es bei einer kleinen, hochgefährlichen, Gewaltverbrechen planenden Organisation ohne weiteres vorstellbar ist, folgt eine solche Geheimhaltung schon aus der Zielsetzung.19
Jedenfalls geheim ist die Organisation, wenn interne Geheimhaltung besteht. Sollen sich die Mitglieder untereinander nicht kennen, ist auch der Aufbau der Organisation undurchsichtig. Bei einer bloß externen Geheimhaltung ist die Organisation geheim im Sinn des Art. 260ter StGB, wenn sie bei Bruch der Geheimhaltung systematisch schwerwiegende Sanktionen gegen Verräter aus ihren eigenen Reihen ergreift.
c) Gewaltverbrechen und Bereicherung als Ziel
Zweck der kriminellen Organisation nach Art. 260ter StGB ist, Gewaltverbrechen zu begehen oder sich mit verbrecherischen Mitteln zu bereichern. Dabei muss dies nicht der einzige Organisationszweck sein, was die Abgrenzung zu legalen wirtschaftlichen Unternehmen erschwert. Diese können sich zur Durchsetzung ihrer Interessen und zur Bereicherung ebenfalls gelegentlich verbrecherischer Mittel bedienen, ohne eine kriminelle Organisation zu sein.20
Die verbrecherische Zielsetzung der Organisation ist objektives Tatbestandsmerkmal. Art. 260ter StGB nennt Gewaltverbrechen und Bereicherung mit verbrecherischen Mitteln. Diese Umschreibung sollte, ähnlich dem Kriterium der Geheimhaltung, sicherstellen, dass der Tatbestand nur auf besonders gefährliche Organisationen angewandt wird. Gewaltverbrechen sind die mit Zuchthaus bedrohten Delikte, bei denen Gewalt im strafrechtlichen Sinn angewendet wird.21
Der Zweck der Bereicherung mit verbrecherischen Mitteln bezieht sich auf das organisierte Verbrechen im engeren Sinn. „Verbrecherisch“ ist im technischen Sinne zu verstehen, es muss sich um mit Zuchthaus bedrohte Delikte handeln.
d) Tathandlung: Beteiligung oder Unterstützung
Beteiligung an der kriminellen Organisation oder deren Unterstützung sind alternative Tathandlungen. Beteiligt ist, wer sozusagen als ständiger „Insider“ in der Organisation integriert und dort im Umkreis von Verbrechen tätig ist. Ob eine leitende oder eine untergeordnete Stellung eingenommen wird, ist nur für die Strafzumessung von Belang.
Unterstützung ist definiert als die Tätigkeit des „Outsiders“, der die kriminellen Akte der Organisation unmittelbar fördert. Es geht um Mittelspersonen in legalen Unternehmungen, Lieferanten, Schmuggler etc. Im Unterschied zur Gehilfenschaft muss ein kausaler Tatbeitrag im Hinblick auf ein konkretes Delikt nicht nachgewiesen werden.22
Bei der Unterstützung fällt es den Strafverfolgungsbehörden in der Praxis besonders schwer, der ratio legis gerecht zu werden. Dies zeigt insbesondere der durch die Zürcher Bezirksanwaltschaft zur Anklage aufgrund Art. 260ter StGB gebrachte Fall einer Prostituierten, die für eine kriminelle Organisation auf den Strich gegangen sein soll (siehe Falldarstellung in Abschnitt 6.10).
Bei der Bejahung der Existenz der kriminellen Organisation bleibt immer fraglich, ob die Sachverhalte überhaupt zusätzlicher Schuldsprüche wegen Art. 260ter StGB zugänglich sind. Die Frage der Konkurrenz muss geprüft werden; denn wenn dem Täter (auch) die strafbare Beteiligung an den von der Organisation verübten Verbrechen selbst zur Last gelegt werden kann und sich seine Mitwirkung in dieser Beteiligung erschöpft, wird Art. 260ter StGB konsumiert.23
Subjektiv wird Vorsatz verlangt. Der Täter muss wissen, dass er sich an einer kriminellen Organisation beteiligt bzw. eine solche unterstützt. Nach dem Grundsatz der Parallelwertung in der Laiensphäre, braucht er die gesetzliche Definition nicht zu kennen. Er muss aber bezüglich seiner Tathandlung zumindest eventualvorsätzlich damit rechnen, dass sie der kriminellen Zwecksetzung der Organisation dient.24
3.1.3 Zweck der Norm
In der juristischen Diskussion wird deutlich, dass die Strafbarkeit der kriminellen Organisation bestimmt nicht aus einer dogmatischen Notwendigkeit, sondern auf politischen Druck interessierter Kreise, in erster Linie aus den Bedürfnissen der Strafverfolgungsorgane unter der Vorgabe der Bekämpfung der organisierten Kriminalität entstanden ist. In der justiziellen Praxis ist Art. 260ter StGB kaum zu gebrauchen, vielleicht mit Ausnahme der Anknüpfungspunkte, die er bei Auslieferung, Rechtshilfe und Beweislastumkehr bei der Vermögenskonfiskation bietet. In der polizeilichen Praxis und in der Legitimation von Maßnahmen in der öffentlichen Diskussion spielt er jedoch eine wesentliche Rolle.
Die Entwicklung des Rechts, welches Organisation, Datensammlungen und -bestände der Polizei und die rechtlichen Grundlagen für die Ermittlungstätigkeit der Strafbehörden regelt, hat sich in den letzten zehn Jahren enorm entwickelt. Immer neue Datenbestände wurden legitimiert und erweitert und immer mehr Ermittlungsmethoden, die ursprünglich in erster Linie von den Geheimdiensten verwendet wurden, sind in das Instrumentarium der Kriminalpolizei überführt worden. Begründet wurden alle Vorlagen und Rechtsänderungen in erster Linie mit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Diese Entwicklung und deren rechtliche Grundlagen sind im Abschnitt über die Polizei (3.3) dargestellt. Am 1. Januar 2002 traten im Rahmen des „Dritten Maßnahmepaketes zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens“ Regelungen in Kraft, die den Betrieb eines integrierten polizeilichen Informationssystems unter Einschluss bestimmter geheimdienstlicher Bereiche25 und einer Bundespolizei mit umfangreichen kriminalpolizeilichen Befugnissen ermöglichen.26
3.2 Justiz
Die Diskussionen um die Bekämpfung krimineller Organisationen (vgl. dazu auch Abschnitt 7), die das Wissen über deren außerordentliche Gefährlichkeit im Kopf der Zeitungsleser und Fernsehkonsumenten zur fast unverrückbaren Tatsache gemacht haben, mündeten nicht nur in Änderungen des materiellen Strafrechts, sondern führten auch zum Umbau der Staatsanwaltschaften und deren nachgeordneten Behörden. Sie bewirkten einen Modernisierungsschub weg von der dezentralen, geografischen Gebietszuständigkeit hin zu Sachzuständigkeiten. Insbesondere führten sie zu einer Schwächung der kantonalen Polizeihoheit und einer Stärkung der zentripetalen Kräfte. Diese Änderung zeigt sich sowohl auf Bundesebene mit der Stärkung der Bundesanwaltschaft und der Schaffung einer Bundeskriminalpolizei27 als auch auf kantonaler Ebene mit der Stärkung der Untersuchungsrichterämter (Bezirksanwälte, Amtsstatthalter, juge d’instruction etc).
3.2.1 Die Modernisierung der Strafverfolgung im Kanton Luzern
Die Gunst der Stunde nutzend, schritt der Kanton Luzern zu einer Reorganisation des Justizsystems. Das gesamte Strafverfolgungssystem wurde unter fachliche Aufsicht des Obergerichts gestellt, die Amtsstatthalter (so heißen die Untersuchungsrichter im Kanton Luzern) der Staatsanwaltschaft unterstellt. Die politische Ebene, zu der in diesem Zusammenhang die Exekutive, also das Justizdepartement zu rechnen ist, ist der Fachaufsicht enthoben. Damit ist ein Maximum an Gewaltenteilung erreicht. Bei dieser Gelegenheit wurden spezielle Untersuchungsrichterämter für Wirtschaftskriminalität und organisierte Kriminalität eingerichtet.28 Der politisch verantwortliche Justizdirektor Paul Huber: „Zur Entwicklung der organisationsrechtlichen Grundlagen für die Strafuntersuchung OK und WK-Kriminalität. Die hat bei uns eigentlich im Jahre 1989 eingesetzt. Bis dahin hatten wir im Kanton Luzern, wie in vielen anderen mittelgroßen Kantonen, eigentlich nur bezirksweise oder ämterweise organisierte Untersuchungsbehörden. Den verschiedenen selbständigen Untersuchungsrichterinnen und -richtern wurden die Fälle nach Rotationsprinzip zugeteilt. Es gab auch keine Spezialisierung im Bereich OK und Wirtschaftskriminalität. In einzelnen Fällen wurden dann schwierige Fälle ausgelagert und Anwälten, die zu außerordentlichen Untersuchungsrichtern bestellt wurden, zur Bearbeitung übergeben.
Im Jahre 1989 wurde dann ein Offizium Wirtschaftskriminalität geschaffen, und zwar eigentlich auf politische Anregung hin in Zusammenarbeit mit dem Obergericht. Wir hatten ja keine rechtlichen Grundlagen im streng formalen Sinn zur Schaffung eines solchen Offiziums. Die Rechtsgrundlage war die dauernde Bestellung eines außerordentlichen Amtsstatthalters, der bei einem Bezirk angesiedelt wurde. Die Ernennung erfolgte durch das Obergericht. Diesem außerordentlichen Amtstatthalter wurden […] komplexe Fälle von Wirtschaftskriminalität, die in anderen Bezirken angefallen sind, außerordentlicher weise zugeteilt. Dieses Amt wurde schrittweise ausgebaut, in dem am Schluss zwei Amtschreiber, also Untersuchungsbeamte, diesem Offizium zugeteilt worden sind und ein eigenständiges Sekretariat gehabt haben. Erst 1994 wurde dann durch eine Änderung des Organisationsgesetzes bei uns die rechtliche Basis gelegt dafür, dass ein kantonsweit operierender Untersuchungsrichter überhaupt tätig werden konnte, also die Basis geschaffen für die Überführung dieses außerordentlichen Offiziums in ein ordentliches. Als Wahlbehörde wurde der Große Rat bestellt. Die anderen Untersuchungsrichter werden bei uns durch Volkswahl bestimmt, ämterweise, bezirksweise. Ein anderes Wahlgremium wurde in der politischen Diskussion verworfen, zum Beispiel eine Ernennung durch den Regierungsrat, oder durch das Obergericht, oder durch die Staatsanwaltschaft.“29
Inhaltlich ist der Tätigkeitsbereich des neuen kantonalen Untersuchungsrichters für organisierte Kriminalität nicht genau definiert, sondern wird pragmatisch ausgefüllt: „Materiell sieht meine Zuständigkeit so aus: Ich habe Sachverhalte zu beurteilen, die in Richtung 260ter gehen. Wobei die Definition etwas abgewandelt wurde, Luzerner Pragmatismus. […] In der Realität zählt meine Kapazität und Sachüberlegungen: Soll man jetzt diesen Täter verfolgen auf dieser Stufe oder nicht? Wie sehe ich die organisierte Kriminalität oder wie kam es überhaupt zu meiner Tätigkeit? Die ordentlichen Amtsstatthalter im Kanton Luzern, die haben eine Flut von Sachverhalten zu beurteilen. Vor allem aus dem Bereich Straßenverkehrsdelikte. Ihre Alltagstätigkeit ist durch die Quantität gekennzeichnet, sie haben kaum Möglichkeiten, zusammenhängende Fälle genauer zu durchleuchten. Sie bewegen sich mehrheitlich auf der ersten Stufe der Kriminalität. Ich komme auf die anderen Stufen zurück. Das war sehr unbefriedigend und der Justizdirektor hat ausgeführt, wie es dann zur Reaktion kam. Die Untersuchungsrichter haben selber beantragt, dass man irgendeine Stelle haben muss, die auch die Vernetzungen anschauen kann, die Zeit und Fachwissen hat, das anzugehen. Da sind wir bei der zweiten Stufe der Kriminalität, also nicht mehr nur Einzeltäter, einzelne Sachverhalte, sondern zusammenhängende Fragen, Stichwort: Bandenmäßigkeit. Man kann sich fragen, ob das schon organisierte Kriminalität ist, ich bin der Meinung nicht, und offensichtlich auch die Mehrheit des Plenums hier. Die zweite Stufe ist natürlich noch nicht die Lösung aller Dinge. Wie ich meine Aufgabe verstehe, sollte ich eigentlich eine dritte Stufe erreichen. Also über die einzelnen Sachverhalte hinaus, über die zweite Stufe, bandenmäßig, hinauf zur dritten Stufe. Für mich ist das Merkmal dieser Stufe eigentlich die Unternehmensartigkeit, also Aufgabenteilung bei den Tätern, Hierarchie, Ersetzbarkeit der Täter, also irgendwie auch gefühlsmäßig eine Stufe weiter als die Bandenmäßigkeit. Ich will hier nicht Wortklauberei betreiben, wir haben einen sehr pragmatischen Ansatz. Bei uns in der Realität, kann ich ehrlich sagen, der 260ter ist in der Realität völlig bedeutungslos. Für mich ist entscheidend, ob ein Täterkonstrukt vorliegt, das nicht sofort durchschaubar ist und ob damit der ordentliche Statthalter überfordert ist. Das sind die pragmatischen Kriterien. Und hier kann ich an Herrn Professor Arzt anknüpfen, die dritte Stufe geht jetzt natürlich nahtlos über zur ordentlichen Wirtschaft und die Unternehmensartigkeit ist hier in diesem Gebilde erkennbar und gleich sieht natürlich auch ein wirtschaftliches Unternehmen aus. Es betätigt sich in der Regel mit anderen Sachen, in der Regel. Herr Oberholzer hat vorher die Schnittstellen auch sehr schön angetönt, CS und Roche usw. Und das ist dann die heikle Frage, wie weit kann man da gehen? Und dann sind auch die politischen Fragen hier. Soll man überhaupt Ressourcen schaffen, um bis an die obere Grenze zu gehen? Und dann wird es auch für gewisse Politiker gefährlich, Großräte usw. Soll man diese Ressourcen zur Verfügung stellen? Ganz heikle politische Fragen, die sich da stellen. Einfach zum Ausdruck, wie ich die OK verstehe: Eine Stufe mehr als Bandenmäßigkeit. Ganz einfach und plakativ.“30
Interessant an der Entwicklung im Kanton Luzern ist die Verbindung der Themen Wirtschaftskriminalität und organisierte Kriminalität. Sie entspricht dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Interessenlagen des linken (Steuerfragen und Wirtschaftsethik) und des rechten politischen Spektrums (effiziente klassische Kriminalitätsbekämpfung). Damit erwuchs der Modernisierungsvorlage kein Widerstand der Parteien. Die Verquickung der politischen Diskussion mit organisatorischen Bedürfnissen wird vom Justizdirektor verhalten angesprochen: „Einer der wichtigsten Gründe war sicher, dass in weiten Kreisen die Sensibilität für die Problematik ,organisierte Kriminalität’ erhöht wurde. Über die Gründe dafür haben wir heute morgen schon einiges gehört. Wir haben auch von Mythen gehört, die sich um diesen Begriff rankten. Ich mag gar nicht ausschließen, dass das auch wesentlich zu der Entwicklung in unserem Kanton beigetragen hat. Es war aber doch im Wesentlichen die wachsende Einsicht auch der Bevölkerung und der Politiker, dass langfristig die Verletzungen von weitgehend ungeschriebenem oder privatem Verhalten, Verhaltenscodices, wie sie bei der Wirtschaftskriminalität ja offen oder oft zu Tage treten, dass das für die Gesellschaft insgesamt schädlich sei und dass dagegen etwas gemacht werden müsse. Und dass die bestehenden Organisationen dazu eben nicht in der Lage seien.“31
Die eigentlichen Gründe für die Modernisierung lägen allerdings an der Untauglichkeit der bisherigen, lokalen Organisationsform: „Dann gab es auch eine klare Einsicht bei den Strafverfolgungsbehörden, dass eine Professionalisierung notwendig sei. […] Es gab mangelnde Routine mit diesen vielen, mit diesen zunehmenden Einzelfällen, die aber einmal da, einmal da bei den Untersuchungsrichtern anfielen, die dann in der Regel auch ein wenig überfordert waren, sogar sehr überfordert. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich einmal an einem ordentlichen Monatsrapport die Frage stellte: ‚Was macht ihr eigentlich so lange an diesem Fall?’ hat man mir dann gesagt, man würde mich schon orientieren, dann hat man mir auf einem großen Tisch ein riesiges Spinnennetz ausgebreitet von Beziehungen im Zusammenhang mit irgendeinem Drogenfall. Was ist denn jetzt schon passiert? Es ist noch nichts passiert. Wann passiert etwas? Vielleicht in einem Jahr schnappt dann die Falle zu, hat man mir gesagt. Die Falle ist dann nie zugeschnappt. Der Fall ist nach sehr viel Arbeit im Nichts, im Sande verlaufen. Weil die Leute, die auf diesem Schemata waren, schon wieder verschwunden waren. Als dann wirklich die Falle zuschnappen sollte, blieb nur sehr, sehr wenig übrig. Und das hat man bei den Strafverfolgungsbehörden auch gesehen, man wollte da irgendwo aus dieser unguten Situation ausbrechen und dann kam noch hinzu, dass überall, in den anderen Kantonen, die Entwicklung auch war, dass man Wirtschaftskriminalitäts- und OK-Spezialeinheiten bei den Untersuchungsbehörden gebildet hat.“32
Ein zweiter wichtiger Grund liegt in dem politischen Willen, Polizei und Strafverfolgung tatsächlich präventiv einzusetzen, im Vorfeld und mit abschreckender Wirkung: „Wir sind umgeben von steuergünstigen Kantonen, die auch viele Wirtschaftskriminelle anlocken und wir wissen, dass im Kanton Zug recht vehement gegen diese Erscheinungen Front gemacht wird. Mindestens von der Polizei- und Justizdirektion, dort wurden ziemlich viele Stellen geschaffen, um dieser Wirtschaftskriminalität Herr zu werden und auch das Auswuchern von organisierter Kriminalität zu behindern. Und wir befürchteten hier in Luzern, dass ein gewisser Ausweicheffekt sich einstellen könnte. Deshalb wollte man eigentlich schon von Anfang an im Sinne einer Dissuasion ein Abwehrdispositiv errichten. Während nun dieser Anstoß bei der Wirtschaftskriminalität stark von der politischen Seite her kam, auch von Behördenseite, politischer Behördenseite, war es bei der organisierten Kriminalität etwas anders. Da kam der Druck dann von den Strafverfolgungsbehörden her, innerhalb dieser Strafverfolgungskonferenz, die ich schon erwähnt hatte. Einmal hatte man dort die Vorteile dieses Untersuchungsrichteramtes ,Wirtschaftskriminalität’ erkannt, und die Fähigkeit, wirklich Wirkung zu erzeugen. Dann war es auch die Zahl der Fälle und die Qualität der Fälle und das Zunehmen von Bandenkriminalität. […] Kurz gesagt war es dann eigentlich die Staatsanwaltschaft und die Untersuchungsrichter, die gesagt haben, man müsste eigentlich, bevor wir die Rechtsgrundlagen haben, auch noch ein Offizium ,Organisierte Kriminalität’ schaffen.“33 „Die Zielsetzung war bei uns von Anfang an nicht, einem überbordenden Verbrechertum Herr zu werden, sondern hatte von Anfang an eher präventive Gründe, die zur Schaffung dieser Offizien geführt hat.“34
Mangelndes Problembewusstsein lässt sich den politischen Verantwortlichen jedoch nicht nachsagen: „Wir haben uns bei der Vorbereitung zur Schaffung eines spezialisierten Untersuchungsrichteramtes für Verbrechen der organisierten Kriminalität durchaus mit den kritischen Einwänden befasst, wie sie heute morgen erwähnt wurden. Nämlich, dass die Entwicklung in der Schweiz tendenziell dramatisiert werde und dass organisierte Kriminalität nicht als wirklich relevantes Problem erscheine, vielmehr auch der polizeilichen und kriminalistischen Aufrüstung dienen könnte oder zu einem Frontalangriff auf die Freiheitsrechte missbraucht werden könnte. Damit haben wir uns in der Tat auch in dieser Strafverfolgungskonferenz auseinander gesetzt. Andererseits wollten wir uns aber auch nicht der Gefahr aussetzen, durch endlose und unfruchtbare Diskussionen um die definitorische Schärfe und Abgrenzung zwischen organisierter Bandenkriminalität und organisierter Kriminalität und den unscharfen Begriff der Wirtschaftskriminalität, die notwendigen organisatorischen Maßnahmen zur Eindämmung dieser realen Kriminalitätsformen nicht zu ergreifen.“35
Die Modernisierung führt zu einem Aufbrechen tradierter organisatorischer Strukturen, die geografisch kleinräumig oder nach Rotationsprinzip funktionieren. Die neuen Strukturen sind spezialisiert und fachbezogen. Sie mögen vorab effizienter sein, bergen aber die Gefahr der Einengung des Blickfelds, einer Fixierung auf den Gegenstand, wie sie auch bei den Drogendezernaten festzustellen sind. Sie bergen die Gefahr der Verselbständigung, verhindern Entkriminalisierung und tendieren im schlechtesten Falle zur Problemaufrechterhaltung.
Zur Entwicklung der Justiz und Strafverfolgung in Luzern jedenfalls wurde die organisierte Kriminalität funktionalisiert: „Eine Würdigung der Auswirkungen der politischen Diskussion und der konkret ergriffenen Maßnahmen hier in Luzern rund um die organisierte Kriminalität, führt mindestens zu einer positiven Feststellung oder man kann auch sagen, zu einem positiven Nebeneffekt. Die Tatsache oder der Mythos organisierte Kriminalität hat mindestens dazu beigetragen, dass zunehmend komplexere Formen der Kriminalität in einem globalisierten Umfeld besser bekämpft werden können. Auch hier in der Provinz, weil mit dem Begriff OK längst überfällige Strukturen der Strafverfolgung und der Polizeiarbeit schrittweise modernisiert werden konnten. Das war ein politisches Hilfsmittel, um gewisse Barrieren, die einfach unverrückbar schienen, zu überwinden. Und wenn ich dann das Fazit ziehe, das ist doch eigentlich gar nicht so schlecht, oder, und hilft dann auch vielleicht denjenigen den Frust zu verdauen, die bisher nur von ganz wenigen Verurteilungen im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität zu berichten wussten.“36
Es besteht aber durchaus die Bereitschaft, negative Auswirkungen dieser Funktionalisierung zu überprüfen und, sofern überhaupt möglich, zu korrigieren: „Als Polizei- oder als Justizdirektor, der irgendeinen Antrag stellt ans Parlament und wenn man ein Offizium für organisierte Kriminalität schafft, hat man ja auch nach dem heutigen Tage zum Teil ein schlechtes Gefühl. Ich muss sagen, es hat in gewissen Bereichen als Nebenprodukt etwas gebracht. Nachweisen kann man nicht mehr, als was gesagt worden ist. Ich habe das Gefühl, dahinter wäre etwas, aber wir können es letztlich nicht nachweisen, dort wo es dann in diese dritte Stufe ginge. Und das einzige Konkrete, das gesagt wurde, aber dann auch nicht belegt, von Ihnen glaube ich und dann auch noch von Herrn Oberholzer, dass es eigentlich am Schluss nur darum gegangen sei und darum gehe, die Beweissituation auf der Seite der Strafverfolgung zu Lasten der kleinen Würstchen zu verbessern. Und das wäre ja das Schlimme daran. Da müsste man ja dann sagen, dieser 260ter hat eigentlich als Effekt nur dies. Ich kann es ihnen nicht beweisen, aber ich verlange jetzt an diesem Tisch auch, dass man einmal sagt, dass man Evidenz hat dafür. Dass die Strafverfolgungsbehörden diesen 260ter, wenn er schon für nichts anderes brauchbar gewesen ist, dafür wenigstens gebraucht oder missbraucht haben. Gibt es dafür wirklich auch Evidenz? Das macht die ganze Sache ja nicht grundsätzlich besser, sie ist dann einfach noch überflüssiger.“37Die hier vorliegende Forschungsarbeit liefert einen Teil dieser Evidenz.
3.2.2 Die Gerichte
Bei Richtern herrscht teilweise eine beträchtliche Skepsis gegenüber der Anwendung des Art. 260ter StGB, dem Ausbau der strafprozessualen Maßnahmen und der präventiven Polizei. So äußert sich zum Beispiel Hans Wiprächtiger, Richter am Kassationshof des Schweizer Bundesgerichts: „Es ist auffallend, dass wir hier wenig Urteile haben, auch am Bundesgericht. Da gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten, meine persönliche reine Spekulation, Wissenschafter sollen das untersuchen: In der Schweiz operierende kriminellen Organisationen gehen so raffiniert vor, dass die Untersuchungs- und Gerichtsorgane ihrem Vorgehen nicht gewachsen sind. In diese Richtung dürfte die Aussagen des Bundesanwalts Valentin Roschacher deuten, der, auf die Zunahme des Rechtsextremismus angesprochen, anführte, dass die organisierte Kriminalität nach wie vor die Bedrohung Nr. 1 für die Schweiz sei. Diese Kriminalität geschehe oftmals unsichtbar und sei schon deshalb gefährlicher als der Rechtsextremismus, Wirtschaftskriminelle seien intelligente, spezialisierte Täter. Das wäre eine Möglichkeit. Eine andere Möglichkeit wäre, dass sich eigentliche mafiöse Strukturen mit flächendeckender Gebietskontrolle und Einfluss auf die gesellschaftlichen Machtverhältnisse in der Schweiz bisher noch nicht etablieren konnten, sieht man mal von der Geldwäscherei ab, wo, wie Herr Pieth gesagt hat, logistisch die Schweiz benutzt wird. Dass also hier eigentlich noch die alte, klassische Straflehre mit der individuellen Tatschuld, Teilnahmelehre usw. reichen könnte, noch, meine ich. Dass es nicht so dramatisch ist, haben schon die Publikationen Vest, Killias, Bertossa usw. erwähnt. Das würde nämlich bedeuten, dass man einen weiteren – ich sage nicht: Aufrüstung – einen weiteren Ausbau des materiellen Strafrechts, aber auch des Verfahrensrechts, einen weiteren Ausbau mit Effizienzvorlagen welcher Art auch immer, nicht brauchen würde. Ich habe eher den Eindruck, dass man diese Instrumentarien benützen sollte, die man hat und nicht noch mehr. Es würde hier, meine ich auch, etwas vorgegaukelt werden von Effizienz, die gar nicht zu erreichen ist, aus verschiedensten Gründen.“38
Ähnlich äußert sich auch Niklaus Oberholzer, Präsident der Anklagekammer des Kantons St.Gallen: „OK ist die Weiterführung des Kalten Krieges mit anderen Mitteln. Sie schürt Emotionen, weckt Ängste und grenzt das Böse aus. Die Diskussionen darüber zeigen, dass es sich nicht um einen rechtlich fassbaren Begriff handelt, sondern eben um ein politisches Programm. Jeder und jede versteht darunter das, was ihm oder ihr eben gerade passt. In den Diskussionen gibt es einen gemeinsamen Nenner, die gemeinsame Überzeugung von der großen Gefahr. Und diese große Gefahr kommt, wie könnte es anders sein, einmal mehr aus dem Osten. Die Heraufbeschwörung dieser Gefahr verfolgt ein ganz bestimmtes Ziel. Es geht nicht darum, ein vorhandenes Problem mit adäquaten Mitteln zu lösen, sondern es geht darum eine Legitimationsbasis abzugeben für eine Kriminalisierung des Alltages und für eine Erweiterung der polizeilichen Einsatzkompetenzen. Alle rechtsstaatlichen Garantien, die bei der normalen Kriminalität geboten erscheinen, zählen eben nichts mehr, wenn es gilt, dem übermächtigen Gegner des organisierten Verbrechers gegenüber zu treten. Nur, und das ist aufgrund meiner persönlichen Erfahrung das Leidige an der ganzen Sache, dies trifft einmal mehr mit praktisch sämtlichen Mitteln des Strafrechts nicht die Großen, sondern es trifft einmal mehr die Kleinen und die Dummen. Dem Kleindealer, der keine Auskunft darüber geben kann, woher er die 500 Franken bezogen hat, dem werden die abgenommen unter Hinweis auf die erleichterten Einziehungsmöglichkeiten, dem Hehler, der aus dem Automaten Münz in Banknoten umwechselt, dem Beamten, der sich im Rahmen seiner sozialen Kontakte allenfalls zu einem Nachtessen einlädt.“39
Dass die Diskussion um die organisierte Kriminalität tatsächlich ein Surrogat für den kalten Krieg darstellt, zeigt eine Erwiderung aus dem Tagungspublikum: „Ich möchte auf die provokativen Thesen des Herrn Oberholzer auch provokativ antworten. Ich bin überzeugt, die russische Marine hätte noch einen Job als Sprecher für Sie bereit. Es heißt doch nicht, wenn man die Mittel nicht hat, wenn etwas geschehen und man es nicht nachweisen kann, dass es überhaupt nicht existiert. Sie haben ja dort gesehen, wenn die Mittel fehlen, dann wird so oft nur ein bisschen darüber gewaschen, und dann sagt man, es ist überhaupt nicht so schlimm.“40
Was die materielle Behandlung des Straftatbestandes der kriminellen Organisation angeht, hat die Analyse ergeben, dass die Gerichte ihre Funktion als Korrekturinstanz ausufernder Interpretationen der Ermittlungsbehörden durchaus wahrnehmen. So ist dem Kreisgericht Bern-Laupen durchaus klar, dass mit den hohen Forderungen an die Beweisbarkeit eine schwer zu nehmende Hürde für die Beweisbarkeit der kriminellen Organisation gesetzt wird. Aber gerade weil die Vorverlegung der Strafbarkeit rechtspolitisch nicht unproblematisch ist, ist solches auch nötig. Wenn, wie im vorliegenden Fall, der gewerbs- und bandenmäßige Betäubungsmittelhandel, also die Mehrfachqualifikation, bereits klar bewiesen ist, so lässt sich um so leichter vertreten, dass der zusätzlich überwiesene Tatbestand der kriminellen Unterstützung einer Organisation eindeutig und unzweifelhaft nachgewiesen werden muss.
Es ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, wie der Untersuchungsrichter und die Staatsanwaltschaft zu einer Überweisung wegen Unterstützung einer kriminellen Organisation kommen konnte, wurden doch keine brauchbaren Abklärungen und Ermittlungen diesbezüglich unternommen. Die etwas eigenartige Argumentation des Untersuchungsrichters geht davon aus, dass nur deshalb, weil man über gewisse vermutete Tätigkeiten keine Kenntnis hat, es sich dabei um eine Geheimhaltung im Sinne der kriminellen Organisation handeln müsse.
„Eine solche Logik würde ja bedeuten, dass je weniger man weiß, um so geheimer ist eine Tätigkeit und umso eher ist der Tatbestand der kriminellen Organisation erfüllt. Geheimhaltung kann sicher nicht bedeuten, dass die Untersuchungsbehörden es unterlassen, die notwendigen Abklärungen zu treffen, um dann grade diese fehlende Kenntnis als Kennzeichen der Tatbestandsmäßigkeit [zu] sehen. Wenn – wie im vorliegenden Fall – die Tatbestandsmäßigkeit in der banden- und gewerbsmäßigen Begehung des Drogenhandels liegt, so ist zwar durchaus kumulativ auch eine Unterstützung einer kriminellen Organisation denkbar. Aber wie das offenbar der Untersuchungsrichter und die Staatsanwaltschaft machen, einfach ohne nähere Abklärungen einen bis heute kaum je angewandten Tatbestand anzunehmen, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar. Es ist zwar durchaus denkbar, dass am Anfang eines solchen Drogenhandels in Kolumbien eine Professionalität vorherrscht, die als kriminelle Organisation im Sinne des schweizerischen Strafgesetzbuches angesehen werden könnte. Dabei handelt es sich aber ausschließlich um eine Vermutung, die bewiesen werden müsste, wenn sie im vorliegenden Fall strafrechtliche Relevanz hätte. Die Logik resp. fehlende Logik der Überweisungsbehörden hätte ansonsten zur Folge, dass letztlich sehr viele gewerbs- und bandenmäßige Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz auch eine Unterstützung einer kriminellen Organisation mit einschließen, steht doch vermutungsweise in jedem größeren Drogenhandel zu Beginn eine vermutete, verbrecherische Organisation.“
„Dass tatsächlich eine kriminelle Organisation bestand, ist nicht erwiesen und steht lediglich als reine Vermutung im Raum. Dass die Vorgänge in Kolumbien nicht von einer Bande, sondern von einer kriminellen Organisation in die Wege geleitet worden sind, wird zwar vermutet, ist aber nicht bewiesen. Insbesondere ist aber ein Zusammenhang zwischen einer kriminellen Organisation in der Schweiz und einer solchen in Kolumbien nicht erstellt. Wie bereits erwähnt, sind denn auch nie irgendwelche Abklärungen in dieser Richtung vorgenommen worden. Das Gericht hält nochmals klar fest, außer den widersprüchlichen und völlig nebulösen Behauptungen des Angeschuldigten über eine angebliche Organisation Schweiz, Italien und Kolumbien liegen überhaupt keine Beweise für das Vorliegen einer kriminellen Organisation vor.“41
3.3 Polizei
(unter Verwendung eines Berichts von Heiner Busch)42
Zentraler Agent bei der Entwicklung des Themas „organisierte Kriminalität“ ist ohne Zweifel die Polizei. Deshalb wird ihr auch ein umfangreicher Abschnitt gewidmet.
3.3.1 Entwicklung der Datenstrukturen und -bestände
Den Übergang von der klassischen reaktiven, sich auf Anzeigen aus der Bevölkerung stützenden Polizeiarbeit, zur präventiven, auf polizeiliche Aktionen zum Aufspüren kriminellen Verhaltens beruhende Tätigkeit, verläuft parallel zur Entwicklung von Informatikmitteln, Strukturierung von Dateibeständen und Integration der Polizeikräfte auf Bundes- und internationaler Ebene. Die Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung durch die Polizei wird im folgenden beschrieben.
Bereits in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts begann der Kanton Zürich ein EDV-System (Journal-Fahndung-Rapporte) zu entwickeln und einzusetzen. Der Bund entwickelte Ende siebziger und Anfang achtziger Jahre ein Kriminalinformationssystem (KIS). Der Widerstand einiger Kantone und die Diskussion um die Einrichtung einer Kriminalpolizei des Bundes (BUSIPO, das entsprechende Gesetz wurde in einem Referendum durch das Volk abgelehnt), ließen das Projekt scheitern. In Anwendung kamen in der Folge nur der Zentrale Aktennachweis des Bundes (ZAN), das noch heute sich im Gebrauch befindliche Fahndungssystem RIPOL und ein System zur Speicherung und Abrufung von Fingerabdrücken (AFIS). Auf das ZAN konnten nur Bundesbehörden zugreifen. Es enthielt nur den Nachweis von Akten aus den Bereichen des Zentralpolizeibüros (ZEPO), später der Zentralstellendienste (ZSD) und des Interpol-Büros. Ausführliche Akteninhalte selbst waren auf der Ebene der elektronischen Datenverarbeitung nicht greifbar.
3.3.1.1 DOSIS, die Mutter aller modernen ermittlungstechnischen elektronischen Datensammlungen in der Schweiz
Die Einführung der ersten leistungsfähigen und inhaltsbezogenen, bundesweiten Datenbank in der Schweiz erfolgte wegen der Drogenproblematik, deren Thematisierung schon seit den späten sechziger Jahren für die Entwicklung polizeilicher Mittel die zentrale Rolle spielt. Drogenkriminalität stellt das klassische Gebiet der sogenannten organisierten Kriminalität dar, und zwar seit der Alkoholprohibition in den Vereinigten Staaten in der Zwischenkriegszeit. Nach Art. 29 Abs. 3 BetmG43 müssen die Kantone seit 1970 alle eröffneten Betäubungsmittelstrafverfahren mit Namensangabe und inhaltlichen Angaben der Zentralstelle mitteilen.44 Diese Datenstruktur diente der statistischen Aufarbeitung im Rahmen der Betäubungsmittelstatistik45 und bildete den Rohstoff für das Fahndungssystem DOSIS. Die Forcierung der Drogenpolitik Ende achtziger und Anfang neunziger Jahre führte zur Stärkung der Repression, also der polizeilichen Mittel, nicht zuletzt als Gegenstück zur Stärkung des Gesundheitswesens (Prävention, harm reduction, Betäubungsmittelverschreibung, erst Methadon und dann auch Heroin). Der Mitteleinsatz im Repressionsbereich war allerdings höher als im Gesundheitsbereich.
DOSIS ging im Januar 1993 in eine Testphase. Die Rechtsgrundlage für die Datenbank, eine Verordnung,46 trat 1994 in Kraft. In dieser Phase konnten die zuständigen Abteilungen von acht Kantonspolizeien Daten online bearbeiten. Gegen Widerstand des Datenschutzbeauftragten wurde mit dem Zentralstellengesetz47 auch das Aus-kunftsrecht faktisch abgeschafft. Die definitive gesetzliche Grundlage, die das Da-tenschutzgesetz48 von 1992 für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten verlangt, trat 1996 in Kraft.49 Parallel zu DOSIS wurde das System ISIS für die Bedürfnisse der politischen Polizei, des Staatsschutzes und der Geheimdienste entwickelt.50
Schon zu Beginn der Planung betonten die Verantwortlichen, dass DOSIS nur für den Drogenhandel gedacht sei und insbesondere kein Konsumentenregister geführt werden solle und dürfe.51
Da aber alle Konsumenten aus dem Drogenhandel Nutzen ziehen und die Weitergabe des Stoffes unter Konsumierenden üblich ist, steht eigentlich auch der Registrierung von Konsumierenden nichts entgegen. Also könnten auch jegliche Drittpersonen, die für die Ermittlung nützlich sind, registriert werden. Außerdem bestimmt Art. 4 DOSIS-Verordnung (Herkunft der Daten): „Die im DOSIS registrierten Daten stammen: a. von polizeilichen Ermittlungen vor der Eröffnung eines gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens; …“, eben gerade aus der Meldepflicht nach Art. 29 BetmG, die faktisch ein Konsumentenregister begründet. DOSIS bildet eine umfassende, weitreichende Datenquelle zur Überwachung der Drogenszene durch die Polizei.
3.3.1.2 Von DOSIS und ISOK zu JANUS
Inzwischen ist DOSIS mit zwei anderen Systemen (ISOK und FAMP52) zum System JANUS53 zusammengefasst. Es dürfen in diesen Systemen Daten in- und ausländischer Urteile, Daten aus gerichtspolizeilichen Ermittlungen und aus Vorfeldermittlungen gespeichert werden. Die Quellen sind vielfältig, eingegeben wird aus allen Kantonen und von Bundesbeamten. Ergebnisse von Vorfeldermittlungen stammen manchmal aus privaten Quellen, manchmal vom bloßen Hörensagen, manchmal handelt es sich um Missverständnisse und manchmal um gesicherte, unbestrittene Daten. Daten aus gerichtspolizeilichen Ermittlungen und aus Vorfeldermittlungen sind immerhin durch eine dichotome Speichervariable getrennt.
Auch die Unterscheidung zwischen gesicherten und ungesicherten Daten bleibt. Als gesicherte Daten gelten sämtliche Informationen, die aus polizeilicher Tätigkeit resultieren. Für diese gilt eine Löschungsfrist von zehn Jahren. Sachbearbeiter können die Information „downloaden“. „Gesichert“ bedeutet auch nicht etwa gerichtsverwertbar, sondern sozusagen nur „polizeibekannt“. Ungesichert sind in der Regel bloße Vermutungen oder Drittinformationen. Bei den in diesem System gespeicherten Personen handelt es sich nicht notwendigerweise um Beschuldigte oder Angeklagte im technischen Sinne der strafprozessualen Terminologie. Verdachtsgründe reichen für die Aufnahme.54 Dies ist den Ermittlungsbeamten bewusst: „Für uns stellt sich das Problem als Anwender an der Front. Wenn ich natürlich hier ein System im Hause habe, und es geht und ich mache Vorermittlungen, dann habe ich ja kein Interesse, dass ich sämtliche Datenstämme und alle Information nochmals prüfen muss, wenn ich dann ins ISOK komme. Wenn ich dann einmal an einem bestimmten Tag das Gefühl habe, das würde jetzt die Kriterien erfüllen, um ins ISOK aufgenommen zu werden. Dies ist auch so eine Frage, so eine intelligente Frage. Wann habe ich OK? Das kann ich dann sagen, während den Ermittlungen. Vorher kann ich dies doch nicht wissen. Wenn ein Auto wegkommt, irgendwo, das kann eine Strolchenfahrt sein, dann ist das: Entwendung zum Gebrauch. Das kann von einem Einzeltäter gestohlen sein, als Diebstahl, oder es kommt in einem OK-Zusammenhang weg. (…) Ich sehe doch dem Umstand, dass das Fahrzeug weg ist, nicht an, in welchem Umfeld das passiert. Das ist das Problem. Wir haben damit die größte Auseinandersetzung. Ich war ja damals dabei, als es darum ging, die ISOK-Verordnung zu machen (…). Der Datenschützer vom Bundesamt ist gekommen und hat dieses und jenes gesagt: Da habe ich gesagt: Ihr habt keine Ahnung von Polizei. Ihr wisst nicht wie das geht. Wenn wir mit der Arbeit beginnen, haben wir hier etwas und da etwas. Unser Auftrag ist es dann, aus diesen Mosaiksteinen ein Bild zu machen. Ich kann doch dem einzelnen Mosaikstein nicht ansehen, ob ich ihn ins ISOK aufnehmen darf. Aber wenn ich es dann mache, habe ich es sicher dort drin. Und es ist doch ganz klar, es gibt Kantone, die fahren rigoros auf ihrem kantonalen System. Mit dieser Begründung und die zweite Begründung ist der Sicherheitsaspekt, weil ja doch ein gewisses Misstrauen gegenüber der Bundesbehörde herrscht, gestützt auf gewisse Erfahrungen die gewisse Leute gemacht haben.“55
Eine „Scheinvertatbeständlichung“ der Erhebung des Verdachts oder des Gerüchts zu polizeirelevanten Sachverhalten wird in der Literatur bezüglich der Bundesrepublik Deutschland thematisiert. Sie findet immer dort statt, wo die Polizei präventive und proaktive Tätigkeiten wahrnehmen will, also nicht flagrante Straftaten verfolgt, sondern „vorbeugende Bekämpfung“ betreibt, die zwangsläufig Freiheitsrechte stärker beeinträchtigt und einer erhöhten Legitimation bedarf.56 Dies sind typische Merkmale des polizeilichen Umgangs mit Drogen- und organisierter Kriminalität. Sie schließen im Rahmen der ausgedehnten Vorfeldermittlungen die Aufnahme von Drittpersonen in die Datenbestände ein.
Im operationellen Bereich sind DOSIS57 und das neue System JANUS (Zusammenfassung von ISOK, FAMP und DOSIS) in einen personenorientierten (PV) und einen aktionsorientierten (JO) Teil untergliedert. Das personenorientierte Subsystem enthält einen Stamm mit Angaben zur Identität der betreffenden Person. An diesen Stamm gekoppelt sind die Vorgänge, Texteinheiten, die bis zu 14’000 Zeichen umfassen können. Während die bloßen Registerdateien aus den Anfängen der polizeilichen EDV nur Hinweise auf zugrundeliegende Akten ermöglichten, können nun ganze Rapporte elektronisch verfügbar gemacht werden. Auf einer weiteren unteren Gliederungsstufe befinden sich die Subfelder, die im Anhang 1 der DOSIS-Verordnung benannt werden. Sie erfassen unter anderen:
– Personen, die mit der im Stamm genannten Person in Beziehung stehen,
– Telefonnummern und Personalien des Abonnenten, sofern dieser nicht mit der im Stamm genannten Person identisch ist,
– Fahrzeuge und deren Halter,
– Firmen,
– Bank oder Postkonti,
– Finanztransaktionen,
– Ausweis oder Passnummern,
– Adressen,
– Reisebewegungen mit Ausgangsort, Etappen und Bestimmungsort,
– gegen die Person ergriffene Zwangsmaßnahmen.
Mit diesen Subfeldern kann ein sehr komplettes Bild der Kontakte und Bewegungen einer Person erstellt werden. Bei einer polizeilichen Recherche mit diesen Eintragungen sollen Verbindungen zwischen den verschiedenen Vorgängen und den im Stamm gespeicherten Personen sowie Drittpersonen aufgezeigt werden.58
3.3.1.3 Kontrolle und Zugang
Die Daten aus dem Subsystem PV werden von den Kantonen oder den Zentralstellen unmittelbar eingegeben. Sie laufen dann über den Kontrolldienst. Das heißt, die Eingabe ist vorerst provisorisch und erst nach der Kontrolle definitiv. „Die Systeme unterscheiden zwischen personenorientierten Vorgängen und aktionsorientierten Vorgängen. Die personenorientierten Vorgänge, das ist ein Stamm, und entsprechende Vorgänge laufen über den Kontrolldienst. Das heißt, die Erfassung ist vorerst provisorisch. Eine Kontrolle erfolgt und es gibt dann einen definitiven Eintrag. Der Kontrolldienst schaut: Sind die wichtigsten Facts vorhanden, die wichtigsten Voraussetzungen erfüllt? Fehlen gewisse Bemerkungen oder Indexierungen? Sobald dies in Ordnung ist, wird der Stamm respektive der Vorgang gesichert. Der Kontrolldienst macht das schon so.“59
Der Kontrolldienst ist zwar innerhalb des BAP unabhängig von den Zentralstellen angesiedelt. Seine Kontrollen können jedoch nicht mit einer datenschutzrechtlichen Überprüfung gleichgesetzt werden. Es handelt sich vielmehr um eine Qualitätskontrolle, bei der es vor allem um die Plausibilität der Daten geht. Für den Datenschutz relevant ist allenfalls die Kontrolle, ob die Daten zurecht als gesicherte Erkenntnisse bewertet wurden, denn diese Frage entscheidet über die Dauer der Speicherung.
Wesentlich geringer ist die Kontrolle des Dienstes bei den Vorgängen des aktionsorientierten Subsystems (Journal, JO). Eintragungen im Journal enthalten jeweils einen Kopf, in dem der Fall oder die Aktion sowie die ermittlungsführende Stelle etc. benannt werden. In den Details folgen auch hier wiederum Freitexte zu den von den entsprechenden Diensten vorgenommenen Operationen wie Observationen, V-Leute-Einsätze, Telefon- oder Postkontrollen und anderes. Daten aus Telefonüberwachungen bilden dabei einen besonderen Schwerpunkt. Erfasst werden nicht nur Zusammenfassungen, sondern auch ganze Gesprächsprotokolle. „Sie müssen sich vorstellen: Für eine Telefonkontrolle müssen Entscheidungen eines Untersuchungsrichters vorhanden sein. Also werden mal diese Informationen erfasst in einem Stammblatt, so sagt man dem. Und an diesen Stamm werden dann verschiedene Gespräche angehängt. Das ist immer ein Dialog, der da protokolliert wird, ein Gespräch eins zu eins oder eine Zusammenfassung. Aber gerade im Drogenbereich sagt der Dialog, also die einzelnen Sätze, viel aus, und daher wird dieser Dialog erfasst. A hat gesagt, B hat gesagt ….“60
Zwar wurden bis 1998 alle Kantonspolizeien an DOSIS angeschlossen. Alle Benutzer haben aber nur zu den Personen-Stammdaten ständigen Zugang. Bei den Inhalten der personenorientierten Vorgänge und erst recht bei den Daten aus den Journalen kann der Zugriff auf die Mitarbeiter der Zentralstellen und die ermittlungsführenden Dienststellen der Kantone beschränkt werden. Dieses eingebaute Misstrauen entspricht dem Charakter der Datenbank als Ermittlungssystem. Es unterscheidet sich damit grundsätzlich von Fahndungsdateien wie RIPOL.61 Bei letzterer geht es darum, möglichst vielen polizeilichen Benutzern den Zugang zu eröffnen. Das Ziel von Fahndungsdateien besteht darin, die Kontrolldichte zu erhöhen. Personen oder Fahrzeuge sollen an jeder beliebigen Stelle und von jedem beliebigen Polizeibeamten darauf überprüft werden können, ob sie ausgeschrieben sind oder nicht. Eben weil die Daten eines Fahndungssystems zu diesem Zweck innerhalb der polizeilichen Organisation breit gestreut werden, ist ihr Inhalt auch nur rudimentär. Polizeibeamte an der Basis erfahren nur die Personalien einer ausgeschriebenen Person sowie den Fahndungszweck, also die Aufforderung, die Person festzunehmen, ihren Aufenthaltsort festzustellen oder die bei der Kontrolle gemachten Beobachtungen an die ausschreibende Dienststelle zurückzumelden (Ü Vermerk in RIPOL). Die Polizisten und Grenzbeamten folgen den Anweisungen oder sammeln weitere Daten.
Im Gegensatz dazu sind Ermittlungssysteme wie DOSIS von vornherein auf Mitarbeiter von Spezialdienststellen beschränkt. Aber selbst diese sollen nicht immer und zu allen Informationen zugreifen dürfen. Gerade da, wo sich die eingegebenen Daten auf geheime Ermittlungsmethoden beziehen, wird im allgemeinen eine weitere Sperre eingebaut. Diese soll verhindern, dass z.B. durch eine vorschnelle Festnahme das Weiterführen einer längerfristigen Überwachung gefährdet wird. „Die aktionsorientierten Daten (die Journaldaten) sind grundsätzlich nur dem Kanton, der die Aktion führt, zugänglich. Oder nur dem Sachbearbeiter, es kann sich bis auf eine Person reduzieren. Hier gibt es kaum Probleme und Ängste, es könnte Missbrauch damit betrieben werden. Ich weiß nicht, wie oft diese Daten durch den Kontrolldienst kontrolliert werden – wenig. Diese Daten sind absolute Rohlinge.“62 Die Offenlegung der Stammdaten dagegen zeigt dem anfragenden Benutzer, dass bereits ein anderer Dienst gegen diese Person Ermittlungen führt. Sie ermöglicht also einerseits eine Warnung vor einem nicht abgesprochenen Zugriff, eröffnetaber andererseits die Möglichkeit, ebenfalls interessierte Dienste an den laufenden Ermittlungen zu beteiligen. „Wir erfassen eine Telefonüberwachung und wir sehen, dass es da einen Zusammenhang gibt mit der ganzen Schweiz, mit einem anderen Kanton. Dann können wir diesem Polizeikorps Zugriff geben auf die Daten. Man kann dann gemeinsam in einem Fall erfassen.“ Wenn sich Bezüge zu anderen Kantonen ergeben, „können wir diese Sachbearbeiter innerhalb von Sekunden dazuschalten. Auf eine Sekunde haben die alle Informationen.“63
Das Ziel dieser Instrumentarien besteht darin, die Strafverfolgung zusammenzuführen. Es ist „das wesentliche bei diesen Systemen, zu erfahren, wer hat bereits welche Informationen und Erkenntnisse“.64 Genau diese Möglichkeit, Informationen bei Bedarf anderen zu eröffnen, macht DOSIS zu einer Datenplattform für die Drogenermittlungen in der gesamten Schweiz. In diesem System der Kooperation waren die Zentralstellen bis zur Integration in das neue System allerdings privilegiert. Sie definierten nicht nur die technische Ausgestaltung des Systems, ihre Mitarbeiter hatten im Gegensatz zu den Kantonen ständigen Zugriff auf alle im System gespeicherten Daten. Während die Kantone nur eingabe- und abfrageberechtigt waren und darüber hinaus einfachere Recherchen durchführen konnten, konnte das EJPD speziell ermächtigten Personen der Zentralstellen erlauben, spezielle Auswertungen vorzunehmen. Nur die Zentralstellen waren also berechtigt, mit dem Datenbestand von DOSIS operative Kriminalanalysen durchzuführen.65
Der Charakter von DOSIS als polizeiliche Ermittlungsdatei bestimmt schließlich auch die sonstigen Regelungen der Verordnung hinsichtlich der Datenweitergabe an andere Stellen. Untersuchungsbehörden sind grundsätzlich nicht am online-Verfahren beteiligt. Nach Art. 8 Abs. 2 der DOSIS-Verordnung können auf Antrag spezialisierte Strafverfolgungsbehörden der Kantone angeschlossen werden. Davor konnte eine Weitergabe von Daten an Untersuchungsrichter nur auf konventionelle Art erfolgen und auch nur im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens (Art. 11 der DOSIS-Verordnung in der Fassung von 1996).
Auch sonstige Übermittlungen werden deutlich vom polizeilichen Interesse dominiert. Die Zahl der Behörden, die auf konventionellem Wege mit DOSIS-Daten versorgt werden, ist enorm: Ausländische und internationale Polizeidienste, inländische Polizei- und Strafverfolgungsorgane, Fremdenpolizeien, die Bundesämter für Ausländerfragen und Flüchtlinge, das eidgenössische Finanzdepartement. Die Zentralstelle kann, muss aber nicht, unaufgefordert Daten weitergeben. Maßgebend für die Übermittlung dürfte nicht bloß die in der Verordnung genannte Unterstützung der gesetzlichen Aufgaben der Empfänger sein. Die gesetzliche Aufgabe rückt die entsprechenden Behörden nur in den Kreis der legitimen Empfänger. Die Übermittlung an Fremdenpolizeien dürfte beispielsweise dann stattfinden, wenn die Zentralstellen diese zum Vorgehen gegen die betreffende Person motivieren will. Der Regelfall der Weitergabe zielt darauf ab, weitere Informationen zu beschaffen.66
Nach DOSIS, dem für die Drogenfahndung bewährten Informationssystem, folgten 1997 ISOK67 und 1998 FAMP68. Mit dem Verbund dieser Dateien (JANUS) sind alle angenommenen Tätigkeitsgebiete der organisierten Kriminalität abgedeckt. Der Unterschied zwischen DOSIS und FAMP einerseits und ISOK andererseits besteht in der Definition der bearbeiteten Deliktsfelder. ISOK ist nicht auf ein konkretes Deliktsfeld eingeschränkt, es stützt sich auf Art. 260ter StGB, ein Organisationsdelikt, dessen Strafdrohung nicht an eine eigentliche materielle Straftat gebunden ist, sondern an die Teilnahme oder an die Unterstützung einer kriminellen Organisation. Es kann in diesem Zusammenhang ermittelt und Anklage erhoben werden, ohne dass eine konkrete Straftat vorliegt. Technisch ist ISOK sozusagen identisch mit DOSIS, Kompatibilitätsprobleme gibt es keine.
3.3.1.4 Die Erfassungskriterien
Die Voraussetzungen für eine Speicherung in der ISOK-Datenbank nach ISOK-Reglement sind in einem Flussdiagramm im Lagebericht des BAP dargestellt.69
Es ist nicht augeschlossen, dass auch unbeteiligte Personen in den Bestand aufgenommen werden, wenn ein bloßer Bezug zu einer bereits vorhandenen Person oder einem bereits vorhandenen Sachverhalt besteht.
Als einziges zusätzliches Kriterium muss eines der folgenden gegeben sein:
– Scheinorganisation
– Scheinaktivitäten
– Aktive/passive Korruption
– Anwendung von Gewalt zur Einschüchterung
– Gruppendisziplin, mafiöse Strukturen oder arbeitsteiliges Vorgehen
– Anzeichen von ungewöhnlichem Reichtum.
Arbeitsteiliges Vorgehen ist in der Regel schon bei einer einfachen Bande gegeben (einer passt auf, einer bricht das Schloss auf, einer wartet im Auto). Damit ist die Möglichkeit der Erfassung so weit gesteckt, dass ein Ausufern wahrscheinlich wird.
Dies bestätigt auch die Aussage eines leitenden Beamten des BAP: „Wenn jemand in Geschäftskontakt tritt mit einer Person, die bei uns im Informationssystem Organisierte Kriminalität registriert ist, besteht bereits ein gewisser Verdacht.“ Auf den Einwand, es könnte sich auch um einen legalen Kontakt handeln: „Das wissen wir ja nicht. Wenn sich der Verdacht nicht erhärtet, wird die Information nach zwei Jahren wieder gelöscht.“70 Im Gegensatz zu der klassischen, repressiven Tätigkeit der Polizei löst hier nicht der Verdacht eine polizeiliche Überprüfung aus, sondern die polizeiliche Überprüfung führt gegebenenfalls zum Verdacht. Nur wenn sich dieser Verdacht nicht innerhalb von zwei Jahren erhärtet, erfolgt eine Löschung und damit die Bestätigung, dass die betreffende Person unverdächtig ist. Bis zur Löschung kann dieser Eintrag zu weiteren Einträgen in die Datenbank führen, wenn eine weitere dritte Person zu der aufgrund eines bloßen Kontaktes eingetragenen zweiten Person in Verbindung tritt. Eine intensiv genutzte Quelle ist nach dem Lagebericht 2/98 die Überprüfung der Visaanträge aus den GUS-Staaten. In drei Jahren wurden insgesamt 150’000 überprüft.71 Das entspricht bei jährlich ca. 60’000 Visumsgesuchen einem Anteil von ungefähr 80 %.
Vor allem seitens der Kantone werden die Eingabevoraussetzungen bei ISOK allerdings als zu unklar und zu umständlich bezeichnet:
„Beim ISOK sind es die Kriterien für die Erfassung: Bezogen auf den 260ter gibt es viele Interpretationsfragen, die manchen Erfasser vor Schwierigkeiten stellen. Also darf ich das jetzt erfassen oder nicht. Diese Systeme kennen einen Kontrolldienst und das ist auch gut, also ich schätzte diesen Kontrolldienst. Bei DOSIS, welches ausschließlich den Betäubungsmittelhandel erfasst und nur das, sind die Kriterien bekannt und dann kann man wirklich erfassen, wenn diese Kriterien erfüllt sind. Bei ISOK gibt es eben diese tausend Fragen und da hat man an diversen Sitzungen in Bern darüber gesprochen und noch keinen Nenner gefunden. Weil der Erfasser an der Front, der muss genau wissen, Buchstabe A bis Z kann ich erfassen, was rechts oder links ist, darf ich nicht erfassen.“72
Den Polizeipraktikern ist offensichtlich nicht klar, welche Vorermittlungserkenntnisse ISOK-würdig sind und wären geneigt, die Vorermittlungsinformationen auch in ihren eigenen Systemen zu halten: „Ein Problem, das sich jetzt im Zusammenhang mit ISOK abzeichnet, ist die Verordnung, die jetzt in Revision ist. Und dort hat es gewisse Vorschriften darin, dass wir für gewisse Daten das Einverständnis beim Datenschutzbeauftragten einholen müssen. Wenn das allenfalls Schule machen sollte, dann könnte ich mir vorstellen, dass unsere Begeisterung für dieses System auch nachlässt. Also da hat der eidgenössische Datenschutzbeauftragte mit dem verlängerten Arm bitter zugeschlagen. Das ist klar, wenn ich dann in Bern fragen muss, ob ich in diesem System Daten nicht länger drin behalten darf oder löschen muss oder ich weiß nicht was, dann arbeite ich nicht mit diesem System. Wir haben eine andere Vorstellung im Hinterkopf, nämlich ein Konkordat über den Datenaustausch, so wie wir das planen, und zwar innerhalb von den Kantonen, ein kantonales Konkordat. Man könnte sogar, bei denen, die das AMI haben, die Stecker zusammenfügen und dann hätten wir ein anderes System. Dann hätten wir da auf einen Streich ein Mega-Polizeiinformationssystem. Das ist noch eine Vision, aber das wird auch früher oder später zum Thema.“73
Wenn man die Ergebnisse der Vorermittlungen zunächst in die eigene Vorermittlungsdatenbank eingebe und erst dann in ISOK nacherfasse, sobald sich Hinweise auf OK-Relevanz ergäben, müsse man doppelte Arbeit leisten. „Wenn ich hier ein System habe, bei uns, ein eigenes, und ich mache Vorermittlungen, dann habe ich ja nicht das Interesse, alle Datenstämme und all das Zeug ins ISOK nachzuspitzen. Zumal, wo ich doch von Anfang an das Gefühl hatte, das erfülle die Kriterien, um im ISOK erfasst zu werden.“ Es gibt deshalb eine ganze Reihe von kantonalen Polizeien, die nach wie vor ihre eigenen Systeme vorziehen. Im Rahmen der Vernehmlassung wurde von Seiten der Polizei vorgeschlagen, ISOK für kantonale Ermittlungen ohne die Vorbedingung der OK-Relevanz zu öffnen, also Erfassung zunächst im geschlossenenRahmen des kantonalen ISOK Teils, dann, bei klaren Bezügen zu organisierter Kriminalität, Übermittlung der Daten an den Bund: „Sollten sich dann OK Bezüge ergeben, könnte man den Schieber öffnen.“74
Falls die Bedingungen in der neuen Verordnung nicht zufriedenstellend seien und der Datenschutzbeauftragte einen zu großen Einfluss geltend mache, haben die Kantonspolizeien noch die Möglichkeit, auf dem Konkordatswege die kantonalen Datenbanken zusammenzuführen. Die meisten Kantone arbeiten mittlerweile mit einem Büroautomationssystem namens ABI. Diese Software, die in verschiedenen Versionen im Einsatz ist, ermöglicht diverse Anwendungen – vom Rapportsystem und Journaldaten über personenbezogene Vorgänge bis hin zur Photodatenbank.
3.3.1.5 Die Menge der gesammelten Daten
Mit der JANUS-Verordnung, die am 1. Juli 2000 in Kraft trat (in ihrer neuen Fassung am 1. Januar 2002 als Teil des „Dritten Maßnahmepaketes zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens“, die sogenannte „Effizienzvorlage“), sind die Systeme DOSIS, FAMP und ISOK zu einem zusammengefasst. Nun sind auch die Kantone berechtigt, ihre bereits vorhandenen Daten in JANUS überzuführen.75 Die neue integrierte Datenbank kennt die bisherige Trennung zwischen den verschiedenen Teilbereichen nicht mehr. In Art. 3 (Anwendungsbereiche) nennt die Verordnung zwar noch die verschiedenen rechtlichen Gegenstandsbereiche der alten Datenbanken. In der Praxis jedoch spielt die Frage, ob die Daten aus deliktspezifischen Ermittlungen in Drogen-, Falschgeld- oder Menschenhandelsfällen kommen oder ob sie von vornherein als OK-Fälle geführt wurden, kaum mehr eine Rolle, weil die Datenplattform identisch ist. Für die zugelassenen Bearbeiter in den Kantonen und im Bund heißt dies, dass sie nicht mehr in verschiedenen deliktspezifischen Dateien (Drogen, Falschgeld oder Menschenhandel) und einer für organisierte Kriminalität suchen müssen, sondern nur noch in einem einzigen System.
Auch die Unterscheidung zwischen gesicherten und ungesicherten Informationen verliert in JANUS ihren Stellenwert. Es gibt keine verschiedenen Speicherungsfristen mehr. Die Daten bleiben unabhängig von ihrer Qualität acht Jahre lang gespeichert. Erfolgen Neueingaben, verlängert sich die Frist um jeweils vier Jahre.76 Eine Gesamtprüfung des Datenkorpus erfolgt alle vier Jahre, sofern die Daten nach der ersten Prüfung noch als erforderlich erachtet wurden. Bei der Löschung eines ganzen Datenblocks muss das BAP „spätestens, nachdem der letzte dazugehörende Vorgang oder das letzte dazugehörige Detail im JANUS gelöscht worden ist“, die Daten dem Bundesarchiv anbieten.77 Die Bevölkerung kann also sicher sein, dass nichts Relevantes jemals in endgültige Vergessenheit geraten wird, ganz abgesehen von den regelmäßigen Sicherungen des Gesamtdatenbestandes, die bis zur physischen Auflösung des Trägermediums erhalten bleiben.
Wenn für die in den Vorgängen registrierten Kontaktpersonen nach drei Jahren kein eigener Stamm angelegt wurde, müssen diese bei der Gesamtüberprüfung des jeweiligen Datenblocks anonymisiert werden und werden dadurch für die weitere Recherche untauglich.78 Entscheidend für den integrierten Aufbau des Systems sind also polizeiliche Effizienzkriterien, die in der JANUS-Verordnung offensichtlich erste Priorität haben.
Die quantitative Entwicklung des Datenbestandes in DOSIS, ISOK und FAMP gibt einen Eindruck von der Datenflut, welche die Polizei unter der JANUS-Oberfläche bearbeitet.79 Die meisten Polizeistellen befürworten eine noch breitere Aufnahme von Vorfelddaten. Die wenigen Angaben, die über den Umfang der erfassten Daten vorliegen, stammen aus parlamentarischen Anfragen von Nationalrat Paul Rechsteiner und Nationalrätin Margrith von Felten,80 aus den Staatsschutzberichten und den Lageberichten der Zentralstellendienste sowie aus eigenen Recherchen.
Im Oktober 1993, also zur Halbzeit der BAP-internen Phase, waren in DOSIS 2’700 Personenstämme und ca. 4’500 Vorgänge registriert. Bis August 1996, also bis zum Ende der Pilotphase mit acht angeschlossenen Kantonen, hatte sich diese Zahl auf 56’037 Personenstämme erhöht. Davon waren 2’363 von den Pilotkantonen online erfasst worden, 6’934 stammten aus den eigenen Quellen der Betäubungsmittel-Zentralstelle, 46’740 aus Polizeirapporten anderer Kantone, die per Formular nach Bern gemeldet und von der Zentralstelle eingegeben wurden. Ein großer Teil davon dürfte aus nacherfassten Anzeigen wegen Drogenhandels und -schmuggels aus den Jahren seit 1987 herrühren. Die Zahl der an die Stämme angehängten personenbezogenen Vorgänge belief sich auf ca. 150’000, die Eintragungen im Journal auf 100’000, davon kamen drei Viertel von den Zentralstellendiensten und der Rest von den Pilotkantonen. In den Vorgängen waren ca. 20’000 Kontaktpersonen verzeichnet.
Im November 1996 erfolgte die erste Gesamtüberprüfung des Datenbestandes und damit eine Reduktion der Personenstämme um 23’000, die nicht mehr als erforderlich eingestuft wurden. In der Regel handelte es sich dabei um Daten, die seit der Eingabe nicht weiter ergänzt und auch nicht weiter verwendet worden waren. Dem verbliebenen Bestand von 33’000 Personenstämmen entsprachen nunmehr 60’000 Vorgänge und 15’000 Kontaktpersonen. Die Zahl der Einträge im Journal blieb gleich.
Erst im März 1999 ergab eine weitere Anfrage neue Informationen über den Datenbestand. Diese beziehen sich auf alle drei Datensysteme der Zentralstellendienste. Der gemeinsame Index von DOSIS, ISOK und FAMP wies danach insgesamt 64’028 Stämme aus. Davon waren 41’863 für DOSIS-Benutzer, 17’718 für ISOK-Benutzer und 7’249 für FAMP-Benutzer zugänglich, was einer Überlappung von 2’802 Stämmen beziehungsweise erfassten Personen entspricht. Die Zahl der ISOK-Personenstämme hatte sich seit dem Start des Systems Ende 1997 um rund 7’000 erhöht, die der DOSIS-Stämme in den zweieinhalb Jahren seit November 1996 um rund 8’000.
Die Angaben zu den Vorgangs- und Journaldaten wurden in der Antwort des Bundesrates nicht weiter auf die drei einzelnen Datensysteme heruntergebrochen. Insgesamt waren 119’146 personenbezogene Vorgänge und 114’599 Journalinformationen verfügbar. Während sich die Zahl der personenbezogenen Vorgänge mit dem Aufbau der zwei neuen Systeme ISOK und FAMP verglichen mit den in DOSIS 1996 verfügbaren verdoppelt hat, hat sich die Zahl der darin registrierten Kontaktpersonen mehr als verfünffacht, nämlich auf insgesamt ca. 80’000. Der größte Teil dieser Personen dürfte dabei in ISOK Vorgängen registriert sein.81
Über die zwischenzeitlichen Löschungen und effektiven Neueingaben existieren keine Angaben. Das integrierte System JANUS würde „jährliche Neuerfassungen in der (…) Größenordnung von 280’000 Einträgen durchaus zulassen. Wie viele Einträge ein zukünftiger Vollbetrieb voraussichtlich mit sich bringen wird, lässt sich nur schwer abschätzen, zumal gesamtschweizerisch heute erst DOSIS im Vollbetrieb steht. Mit der Inbetriebnahme von JANUS würden die zur Zeit nur dem Bundesamt für Polizeiwesen zugänglichen Datenkategorien des FAMP auch kantonalen Stellen erschlossen, womit sich die Zahl der sich heute auf ca. 15’000 Stammeinträge belaufenden Neuerfassungen in den ersten Betriebsjahren auf etwa 20’000 erhöhen dürfte. Von den jährlichen Neuerfassungen gilt es allerdings die mit fortschreitendem Alter zunehmend ins Gewicht fallende Zahl der Löschungen in Abzug zu bringen.“82
Selbst wenn sich die Datenbestände in den kommenden Jahren stabilisieren würden, so bleiben sie dennoch in Anbetracht der epidemiologischen Daten zum Umfang der Drogenszene unverhältnismäßig hoch. Dass die Zahl der des Drogenhandels verdächtigen in DOSIS gespeicherten Personen (41’000) über die der überhaupt polizeilich erfassbaren regelmäßigen Konsumentinnen und Konsumenten von Kokain und Heroin hinausgeht (ca. 30’000), ist schlicht und einfach absurd, selbst wenn man berücksichtigt, dass Strafverfolgung und sonstige polizeiliche Repression nicht nur den harten Drogen gelten und es neben polizeilich erfassbaren eine große Zahl von gelegentlichen Drogenkonsumierenden gibt.83
Ein absolutes Missverhältnis zeigt sich ebenso im Vergleich zum tatsächlichen Output der Ermittlungen, erkennbar in den Kriminal- und Urteilsstatistiken. Für die Zahl der 1996 in DOSIS gespeicherten Stamm-Personen, 56’000 vor der Gesamtüberprüfung im November, lässt sich ein solcher Vergleich noch vornehmen.84 Diese Daten beziehen sich auf aktuelle Eingaben aus den Kantonen und der Zentralstelle von 1993-1996 sowie auf rückerfasste Anzeigen und Rapporte aus den Jahren 1987-1993. Nicht erkennbar ist die Zahl der vorzeitig gelöschten Daten. Diese dürfte aber in dieser ersten Phase des Datensystems relativ niedrig gewesen sein. Die Laufzeit für ungesicherte Daten betrug vor dem Inkrafttreten der JANUS-Verordnung zwei Jahre. Die interne Versuchsphase für DOSIS hatte im Januar 1993 begonnen. Für die ersten vom BAP erfassten ungesicherten Daten endete die Speicherungsdauer also im Januar 1995. Die Pilotphase mit acht Versuchskantonen startete im März 1994. Für die ersten von diesen Kantonen eingegebenen Daten war die Laufzeit im März 1996 beendet. Tatsächlich wurden in dieser Zeit alle den Zentralstellendiensten relevant erscheinenden Angaben aus der Meldepflicht nach Art. 28 Abs. 1 und Art. 29 Abs. 3 BetmG85, der Grundlage der sogenannten Betäubungsmittelstatistik, in DOSIS eingegeben. Es handelt sich dabei per definitionem um gesicherte Daten, obwohl viele der angehobenen Verfahren mit Einstellungen oder Freisprüchen endeten. Ein Großteil des mit der Erfassung nach Meldepflicht beschäftigte Personal wurde zum Aufbau des Datenbestandes von DOSIS herangezogen.
Bei den 56’000 in DOSIS gespeicherten Personen aus den Jahren 1987-1993 handelt es sich offensichtlich um eine fast totale Erfassung der polizeilichen Datenbestände, also inklusive Kleinsthandels und Weitergabe durch Konsumierende, wohl unter Einschluss einiger bloß Konsumierenden. In diesem Zeitraum ergingen nämlich 7’791 Anzeigen wegen Handels, 1’433 Anzeigen wegen Schmuggels sowie 36’226 sogenannte „gemischte Fälle“ (Fälle mit gleichzeitigem Konsum), insgesamt 45’450 Anzeigen. Wegen bloßen Konsums ergingen in diesem Zeitraum knapp 120’000 Anzeigen, über die Hälfte davon wegen Cannabis. Viele der Anzeigen beziehen sich auf die selbe Person. Die insgesamt 37’000 Anzeigen wegen Verstößen gegen das BetmG im Jahre 1993 beispielsweise beziehen sich auf nur rund 25’000 Personen.86 In dem Erfassungszeitraum von DOSIS bis 1993 wurden also 56’000 Personen aufgenommen, obwohl mit Sicherheit deutlich weniger als 40’000 Personen überhaupt im Handel oder im Gelegenheitshandel als Konsumierende polizeilich in Erscheinung getreten sind. Im gleichen Zeitraum (1987-1993) ergingen 51’000 im Strafregister eingetragene Strafurteile wegen Betäubungsmitteldelikten, davon nur etwas mehr als 8’000 wegen Handels und Schmuggels und weitere 24’000 wegen Handels oder Schmuggels und gleichzeitig wegen Konsums.87 Weniger als 40 % dieser Urteile lauteten auf Freiheitsstrafe ohne Bewährung, sind also vom Richter als einigermaßen bedeutend eingestuft. Jedenfalls sind in den Verurteilungen wegen Drogenhandels auch die eingeschlossen, die sich nur auf kleine Mengen beziehen, die keiner größeren Ermittlung bedurften und jene, die mit Sicherheit nicht einen banden- oder gewerbsmäßigen oder sonst organisierten Handel betreffen.
Betrachtet man diese Datenmengen, kann davon ausgegangen werden, dass die allermeisten der in DOSIS aufgenommenen Personen nichts mit organisierter Kriminalität oder auch nur organisiertem Drogenhandel zu tun haben, für dessen Bekämpfung das Informationssystem aufgebaut wurde. Die Tatsache, dass bei der ersten Gesamtüberprüfung des Datenbestandes 23’000 Stämme (41 %) als nicht mehr erforderlich gelöscht wurden, wirft ein Schlaglicht auf die Qualität der hier erfassten Daten. Es handelt sich um „absolute Rohlinge“.88 Gleichzeitig demonstriert dies die Breite der Verdachtsschöpfung im Rahmen von Vorfeldermittlungen. Ähnlich wie bei der präventiven politischen Polizei, dem Staatsschutz, beginnen Eingriffe und Überwachungen und entsprechend die Erfassung bereits zu einem Zeitpunkt, da ein wirklicher, konkretisierbarer Verdacht einer Straftat noch nicht vorliegt. Häufig wird dieser Verdacht auch nie erreicht. Ein Polizeikader des Bundes versuchte eine feine, wohl aber untaugliche Form der Differenzierung der präventiven Polizei: „Dieser Begriff ist juristisch nicht klar. Ich würde von einer Vorfeldermittlung sprechen, die darauf abzielt zu klären, ob ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt.“89
3.3.2 Entwicklung der Kriminalanalyse und ihrer Instrumente
Mit dem Aufbau der elektronischen Datenverarbeitung bei der Polizei und der Fokussierung der Polizeiarbeit auf proaktive Tätigkeit eröffnet sich für die Kriminalpolizei ein Tätigkeitsfeld, welches früher den Geheimdiensten und der politischen Polizei vorbehalten war. Vorermittlung und aktive „Verdachtsschöpfung“ haben kaum mehr etwas mit der klassischen reaktiven Tätigkeit der Polizei zu tun, die dann handelt, wenn ein Rechtsbruch offensichtlich ist oder angezeigt wurde.
Um Maß und Grundlagen dieser Veränderungen abschätzen zu können, braucht man sich nur das alte Strafregister des Bundesamtes für Polizei vor Augen zu führen, welches mittels einer bloßen elektronischen Namensdatei (ASTERIX) auf gut ein halbes Dutzend Paternoster-Schränke verwies, die Strafregisterauszüge von einigen hunderttausend Personen enthielten, deren Akten von über einem Dutzend Beamten geführt und bewegt wurden. Erst in der zweiten Hälfte der 90er Jahre wurde dieses System durch ein EDV-gestütztes Strafregister (VOSTRA) abgelöst.
3.3.2.1 Die Organisation der Kriminalanalyse
Nicht ohne Grund kommt der Verfolgung des Drogenkonsums und -handels die Vorreiterrolle bei der Modernisierung der Informatikmittel zu, handelt es sich doch dabei um die proaktive Arbeit der Kriminalpolizei par exellence.
Proaktive Tätigkeit und zur Verfügung stehende Datenmengen rufen nach Analysetätigkeit bei der Polizei, ein in der Schweiz, im Gegensatz zu Deutschland, den USA oder den Niederlanden, bis in die frühen 90er Jahre kaum verfolgtes Gebiet.
Die kriminalpolizeilichen Vorfeldermittler erheben zumindest den Anspruch, die von ihnen gesammelten Daten auszuwerten. Erst die Computerisierung der Informationssammlung und verarbeitung machte eine solche Kriminalanalyse möglich. Die Polizeien der Schweiz bemühten sich in den letzten Jahren, bei den dabei angewendeten Methoden zu internationalen Standards aufzuschließen. Im Jahre 1997 organisierten die Zentralstellen gemeinsam mit dem Schweizerischen Polizei Institut Neuenburg (SPIN) einen ersten Kurs für Kriminalanalytiker.90 „Die Instruktionen wurden durch belgische Fachleute erteilt. Es war ein sehr guter Kurs. Im 1998 fand am gleichen Ort wiederum ein Kurs statt. Aus dem 97er [Kurs] bildete sich eine Kerngruppe. Darin sind vertreten Kantonspolizei St.Gallen, Stadtpolizei Bern, Kantonspolizei Tessin, Kantonspolizei Luzern und Kantonspolizei Genf. Diese Kerngruppe hat als Ziel, die Analyse in der ganzen Schweiz aufzubauen. Bern übernimmt die Supporte, welche in den Kantonen auch ab und zu gemacht werden müssen.“91
Anfang 1999 gab es in der Schweiz insgesamt rund 50 nach internationalen Standards ausgebildete Kriminalanalytiker.92 Auch wenn diese Zahl inzwischen durch die Initiativen der Kerngruppe, durch die Unterstützung der ZSD und insbesondere durch weitere Kurse gestiegen sein dürfte, so bleibt doch die Personalstärke der Kriminalanalysestellen bzw. der Auswertungsdienststellen insgesamt beim Bund und bei den Kantonen eher begrenzt und reichte bis vor kurzem nicht an die anderer vergleichbarer westeuropäischer Staaten heran.93 Der Ausbau ist nach Einschätzung von kantonalen Polizeibeamten „relativ schwierig. Die Ressourcen, die durch die Kantone bereitgestellt werden, sind sehr unterschiedlich.“94 Einige sind deshalb gegenüber dem Effekt der neuen Methoden skeptisch. Die Kriminalanalysestellen machten „im Grunde nichts anderes als Fallanalysen“.95 Mit den personellen Ausweitungen in den Jahren 2000 und 2001 stehen nun dem Bund die nötigen Kapazitäten zur Verfügung. Eine Folge zeigt sich in der verbesserten Qualität der publizierten Berichte, für die nun der Dienst für Analyse und Prävention verantwortlich zeichnet.96
Bezüglich der Rollenteilung von Bund und Kantonen herrscht bei den kantonalen Polizeibeamten Skepsis, aber auch Zustimmung zu einer verstärkten Rolle des Bundes: „Wenn man OK ansehen will in der Schweiz und das ernsthaft machen will, dann ist das Sache des Bundes. Es kann nicht sein, dass man da in der Region etwas bastelt, wir dienen dem Bund zu, das ist überhaupt keine Frage. Wenn einer etwas anders sagt, dann versteht er nichts von der Sache. Auf der anderen Seite habe ich dann natürlich eine Chance gesehen. Und zwar die Chance, dass wir kriminalpolizeilich mit Task Forces arbeiten können, dass wir vielleicht gewisse Sachen aufgleisen können, um die Zusammenarbeit zu verbessern, was ja der Sache schlussendlich gedient hätte. Und die Idee war: Wir decken nebst der regionalen Analyse, die jetzt überall gemacht wird, auch noch den Vorermittlungsbereich ab. Das hätten wir an und für sich auch können, in dem Moment, wo wir die anderen, die rechtlichen Voraussetzungen für den Datentransfer erhalten hätten. Der einzige Kanton, der das in der Zentralschweiz im Moment hat, ist der Kanton Luzern. Ich kann an andere Polizeibehörden bei bloßer Verdachtslage übermitteln, das ist kein Problem. Das ist rechtlich abgedeckt, das haben wir ins neue Polizeigesetz aufgenommen. Die anderen Kantone haben das noch nicht, und da ist das heikel. Denn das ist Verdachtswissen, das sind Verdachtslagen, nicht gesicherte Daten, die Fichenaffäre lässt grüßen, oder. Das ist ein großes Problem gewesen. Also die Vorermittlung, so wie wir sie haben machen wollen, hätte schon ein rechtliches Problem aufgeworfen, wo man jetzt im Moment dran gegangen ist, das über das Konkordat zu lösen, aber durch ein schweizerisches, da sind bereits Arbeiten im Gange.“97
„Da könnt Ihr natürlich ins Gesetz schreiben, was Ihr wollt, es sei zu melden nach Bern. Sie haben bestimmt bemerkt, wie die Zusammenarbeit etwa so ist. Wobei, muss ich auch sagen, betreffs unseres Kantons, wir bemühen uns sehr darum mit Bern zusammen zu arbeiten und auch gut zusammen zu arbeiten, also mit den Zentralstellendiensten. Wir hatten in der Vergangenheit auch gute Produkte und guten Nutzen. Dies muss man auch erwähnen. Es ist nicht nur alles negativ, was man hört von dort oben. Das Problem ist, es ist ein Administrativ-Tiger dort oben. Das ist keine Kriminalpolizei. Es ist für mich … und die wollen jetzt da so ein BKA aus dem Boden stampfen. Das einzig Negative, was passieren kann, wenn die dies machen, ist, dass sie uns die guten Leute wegnehmen, da sie diesen andere Löhne zahlen können. Positives gibt es nicht sehr vieles. Wenn sie diese wiederum arbeiten lassen, wie sie bis anhin arbeiten, kommt es nicht sehr gut heraus.“98
„Ich hatte … schon etliche Diskussionen gehabt [mit einem Bundesbeamten]. Er sagt mir, es sei schon verrückt, was hier läuft, was ich für Informationen habe und das machen wir nun. Wenn ich dann sage, ja Gottfried-Stutz, falls unser Kanton betroffen ist, gib mir doch mal Information darüber. Wenn du weißt, wir haben hier Verdachtslage, komm mit dem Zeug, übermittle es. Ich habe noch nie etwas erhalten. Das zeigt, dass ich gar nicht abschätzen kann auf dieser Ebene, wie das Lagebild heute sich konkret zeigt. Ich kann es nicht abschätzen. Ich muss auch sagen als Praktiker, wir die draußen sind an der Front hier im Kanton, bemerken am ehesten, wenn irgendwo ein Feuer ist und es brennt. Wir bemerken das. Dies kann Bundes-Bern nicht bemerken. Was Bundes-Bern machen kann nachher, ist entsprechende Informationen einholen, Querverbindungen, Links herstellen, wenn dies flächendeckend passiert. Heute ist es z.B. so, trotz ISOK und DOSIS, es kann der Waadtländer bezüglich der gleichen Leute ermitteln, wie wir hier, und keiner weiß etwas davon. Das haben wir schon gehabt.“99
Im Idealfall, so schreibt Pütter in seiner Analyse des OK-Komplexes in der deutschen Polizei, sei die Auswertung in allen Phasen eines OK-Falles informatorisch präsent. Er zitiert einen Auswerter eines deutschen Landeskriminalamtes mit den Worten: „Wir sind im Grunde vorgelagert, begleitend und nachgelagert.“100 Die Auswertung von Informationen soll nicht erst dann beginnen, wenn ein Ermittlungsverfahren förmlich eröffnet wird, sondern bereits im Vorfeld einsetzen und auch nach Abschluss eines Verfahrens die dabei zusammengetragenen Erkenntnisse auf Ansatzpunkte für weitere Ermittlungen abklopfen.
Dem Konzept nach folgt man dieser Forderung auch in der Schweiz. Da OK im engeren Sinne, aber auch die von vielen Polizeiführern als Basis-OK verstandene gewerbliche oder bandenmäßige Kriminalität101 nicht sichtbar oder zumindest als solche nicht von vornherein erkennbar ist, soll die Ermittlungstätigkeit vor dem eigentlichen Anfangsverdacht beginnen. Auswertungs- oder Analysestellen und Vorermittlung werden nicht umsonst meist im selben Atemzug genannt. Zur Verdeutlichung des Anfangsverdachts bemühen die Polizei- und Untersuchungsbeamten in der Regel das Bild vom Rauch, der von einem Feuer stammen muss. Dabei ist man zumindest theoretisch gegenüber allen möglichen Informationen offen: sogenannte Gasseninfos, Mitteilung von Informanten, allgemein zugängliche Quellen, bereits geführte Strafverfahren, etc. In der kantonalen Praxis richtet sich die Vorermittlung vor allem darauf, die Fachdienststellen mit Hintergrundinformationen zu versorgen, insbesondere bei Einbruchsserien und Drogenfällen. Über die Hälfte der Tätigkeiten des operativen Dienstes richtet sich auf Vorermittlungen. „Die Analyse muss ein Führungsinstrument sein. Das Papier, das die mir machen: Da will ich nicht lesen, was wir in der letzten Woche gemacht haben. Das ist Vergangenheitsbewältigung. Ich will wissen, was ist passiert an Kriminalitätsphänomenen und welche Maßnahmen kann man treffen, um gezielt dagegen vorzugehen.“102
Die Auswerter im Kanton Luzern bedienen sich einerseits der Vorgangsverwaltung in ABI, einem EDV-System, das ihnen einen Überblick über aktuelle Ermittlungen verschafft, andererseits der kantonalen Vorermittlungsdatenbank, in die entsprechende Informationen ohne zureichenden Verdacht eingegeben werden.
Bei der Kantonspolizei Zürich laufen die Vorermittlungen ebenfalls zu einem großen Teil in den Fachdienststellen und werden zudem gespeist aus den Informationen der Außenfahndung. Die Nachrichtenoffiziere der Fachdienststellen setzen sich regelmäßig zusammen, um ihre Erkenntnisse abzugleichen und gegebenenfalls den Ermittlungsoffizier zu mobilisieren, um eine Sonderkommission zu bilden.
3.3.2.2 Analyse und Vorermittlung
Die Fälle, die von OK-Dienststellen oder eigens zusammengestellten Sonderkommissionen bearbeitet werden, ergeben sich nicht von selbst durch die fachliche oder örtliche Zuständigkeit, sondern sind Ergebnis einer Auswahl. Dies gilt insbesondere für flächenmäßig große Kantone wie Bern: Delikte, die auf eine Region beschränkt sind, werden auch von den regionalen Frontabteilungen aufgenommen. „Auf der anderen Seite gibt es bestimmte Informationsquellen, die sonst irgendwo herkommen. Je nach dem, wie griffig die Information ist, wie viel man daraus bereits ziehen kann, ist das bereits etwas, was durch das Fachdezernat OK wahrgenommen wird. Ob das nun im Bereich OK ist oder im Bereich Betäubungsmittel oder weiß Gott wo. Und dann wird das von dort aus analysiert und unter Umständen wieder an die Region zur selbständigen Bearbeitung herausgegeben, oder es wird gemeinsam mit der Region oder nur im Fachdezernat bearbeitet. Da gibt es eine Reihe von Schattierungen – je nach dem eben, woher die Information kommt.“103 Kriminalanalyse bezieht sich nicht nur auf OK, sondern soll das allgemeine Kriminalitätsgeschehen im Kanton im Blick behalten. „Die Erkenntnisse werden weitergegeben an die Mitarbeiter, damit sie selber zielgerichtet ihre Arbeit darauf ausrichten können. Das ganze wird abgeglichen in der Region Westschweiz oder Nordwestschweiz. Da wird geschaut: Gibt es Schwerpunkte, gibt es Phänomene dementsprechend, zu denen man zielgerichtet Kräfte einsetzen kann? … Natürlich wird darauf abgestellt, möglichst zeitverzugslos die Kriminalitätslage im Kanton zu erfassen. Was dann aber daraus abgeleitet und analysiert wird – wie ist die Vorgehensweise einerseits und was gibt es für Rückschlüsse für die Zusammensetzung der Gruppierungen – das kann dann wieder Hinweise darauf geben, dass es da im Falle um organisierte Basiskriminalität oder gar um organisierte Kriminalität geht. So wird das ausgewertet und das wird laufend gemacht. Also das heißt mit anderen Worten: Jedes Delikt, das sich hier im Kanton ereignet, wird innerhalb weniger Stunden zentral ausgewertet, hier im Mutterhaus, nach diesen Kriterien.“104
Auch der Kanton St.Gallen hat einen Vorermittlungsdienst bei der Kriminalpolizei eingerichtet. Dieser Vorermittlungsdienst könne allerdings nur in bescheidenem Ausmaß Kriminalanalysen betreiben. Die Vorermittlung mache „Vorabklärungen, bevor man gegen einen bestimmten Täter ermittelt, konkret in bezug auf eine bestimmte Straftat ermittelt. Das sind dann auch die Leute, die spezialisiert sind auf verdeckte Ermittlungen, die die entsprechenden technischen Mittel haben, die auch EDV-mäßig entsprechend ausgerüstet sind, Gefährdungsanalysen machen können, also auch relativ früh einsteigen können, bevor etwas passiert. (…) Die arbeiten sehr viel mit Informanten zusammen. (…) Die kriegen einen Input zum Teil von den Polizeibehörden an der Front, wenn man sieht, da entwickelt sich eine neue Kriminalitätsform, und natürlich auch mit uns, von Untersuchungsrichterseite, wenn man das Gefühl hat, da entwickelt sich etwas, das man etwas genauer durchschauen müsste. (…) Wenn die Vorermittlung ans Werk geht, gibt es noch kein Ermittlungsverfahren, ja noch nicht einmal einen Fall, sondern allenfalls eine vage Hypothese: Man stellt fest, im Milieu wird verstärkt mit Kokain gehandelt. Und dann sagt man, jetzt klärt mal ab, was da läuft. Und dann beginnen die relativ unspezifisch, die Lage zu analysieren und das klappt dann relativ gut. Oder Extasy meinetwegen. Da kann man sagen, wir haben ein Problem mit Extasy. Sagt uns mal, wie das strukturiert ist. Und dann beginnen die irgendwo, sich mit der Sache zu beschäftigen und versuchen dann, die Strukturen der Sache zu erkennen.“105
Vorermittlung und Auswertung schaffen erst die Voraussetzungen dafür, dass aus den Rauchsäulen ein Fall wird. Bereits in diesem Stadium, bereits im Vorfeld einer konkreten Verdachtslage, wird personenbezogen ermittelt: „Es ist auch vom operativen Gesichtspunkt aus ein personenbezogener Ansatz in diesem qualifizierten Kriminalitätsfeld, sonst rennen sie nach. Sie müssen Personen erkennen, ihre Bewegungsbilder, die in der Vergangenheit Straftaten begangen haben (oder bei denen) auch ebenso eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie zukünftig Straftaten auf der sehr hohen Ebene des Verbrechens begehen. Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben. Dann führen sie sogenannte Strukturermittlungen durch. (…) Das sind Ermittlungen, wo es darum geht, Personen oder Personengruppen in einem bestimmten kriminellen Milieu … einzuordnen.“106
Dieser personen- oder strukturbezogene Ansatz, im Gegensatz zum klassischen tatbestandsbezogenen Ansatz, kennzeichnet Milieuermittlungen insgesamt. Ermittelt wird vor allem gegen die übliche Klientel des Milieus, aber auch gegen Personen, die neu in der Szene auftauchen und deshalb auffallen. Ein wesentliches Kriterium für die Auswahl der Zielpersonen ist dabei die ethnische Zugehörigkeit. Für manche Drogenspezialisten stehen Albaner oder Kosovo-Albaner grundsätzlich im Geruch des Verdachts. Russen erregen spätestens dann die Aufmerksamkeit, wenn sie einer selbständigen ökonomischen Tätigkeit nachgehen oder besonders reich erscheinen. Die personen- oder strukturbezogene Ermittlung soll zwar noch nicht bekannte oder gar noch nicht begangene Straftaten aufdecken, sie bleibt aber dennoch faktisch in ihren Kriterien rückwärts gewandt und orientiert sich an Erfahrungen, die in vergangenen Ermittlungen gemacht wurden. Die Indikatoren und die Definition für OK sind dabei sekundär. Sie rechtfertigen es im Nachhinein, eine Person oder einen Vorgang in ISOK zu erfassen, aber sie geben nicht den Ausschlag dafür, dass die Betroffenen überhaupt zum Gegenstand von Abklärungen werden.
Dies gilt insbesondere für die Ermittlungen in den Kantonen, die meist als sogenannte Basis-OK-Fälle, d.h. im Drogen- oder im Rotlichtmilieu oder bei organisiertem Diebstahl, ihren Anfang nehmen. Die beiden Fälle im Kanton Luzern, in denen man schließlich Ermittlungen nach Art. 260ter StGB geführt hat, sind jedenfalls aus solchen Zusammenhängen entstanden. In St.Gallen hat man sich 1995/96 zweimal vergeblich an OK-Verfahren im eigentlichen Sinne versucht. Seither beschränke man sich, was OK betrifft, auf „einzelne Feststellungen, eben einen Analysebericht in einem bestimmten Umfeld“, weil sich „OK als Ganze“ nicht im Kanton abspiele. Die Verdichtung und damit die Aufarbeitung der Analyseberichte müsse beim Bund erfolgen.107 Diese Einschätzung und Feststellung entspricht derjenigen im Kanton Luzern und in den allermeisten Kantonen.
Die Zentralstellendienste beziehen die Informationen, die zum Ausgangspunkt von Ermittlungen werden können, zum Teil aus den Kantonen, vorrangig aber aus Nachrichten, die sie aus dem Ausland erhalten. Im Michailow-Fall sei das beispielsweise so gewesen, erklärt der Leiter der Zentralstellendienste beim BAP, Gussmann. Hier sei aus dem Ausland der Hinweis auf eine kriminelle Organisation gekommen. Dann habe es Rückfragen gegeben. Man suche nach einem oder auch mehreren Kantonen – im Falle Michailow waren das Genf und Waadt –, in denen der Fall oder die entsprechende Person eine Rolle spiele. Die Zentralstellendienste seien dabei vor allem im Rahmen der Vorermittlung und der Auswertung tätig: 90 % aller Fälle begännen mit einer Information aus dem Ausland. Die länderbezogenen Analyse-Kommissariate arbeiteten den Ermittlern zu und belieferten sie mit Analyseberichten.
Elf solcher Analyseberichte gab es 1998, 1999 waren es 18, alle erstellt durch das Kommissariat GUS-Staaten, das seine Arbeit im Jahre 1996 begann.108 Das Kommissariat Italien wurde erst 1998 eingerichtet. „Die Sammlung von Informationen erfolgt ausschließlich projektbezogen. Die Analyse der Daten hat zum Ziel, dem Auftraggeber einen Überblick über das OK Phänomen zu geben und ihm Wege aufzuzeigen, wie gegen diese Bedrohung vorgegangen werden kann.“109
Die Fokussierung auf die sogenannte „ROK“ und der Umstand, dass die ZSD schwerpunktmäßig Daten aus den osteuropäischen Staaten bearbeiten, werden durch die systematische Auswertung und Abklärung von Visumsanträgen aus den osteuropäischen Ländern unterstützt. Vor diesem Hintergrund kann es nur erstaunen, dass man sich bei den ZSD die Dominanz ausländischer Täter und Verdächtiger in den eigenen Daten nicht erklären kann. So heißt es im Lagebericht für 1998: „Auffallend ist die Absenz einer ‚schweizerischen’ kriminellen Organisation. Das gleiche Phänomen lässt sich in den Lageberichten anderer westlicher Industriestaaten feststellen. Amerikanische Lageberichte sprechen nicht von eigentlich amerikanischen Organisationen, sondern durchgehend von italo amerikanischen, hispano amerikanischen u. dgl. Ebenso wenig ist in Europa die Rede von französischen oder deutschen kriminellen Organisationen. Ob sich hinter dieser Zurückhaltung eine besondere Realität verbirgt oder ob es sich lediglich um ein sprachliches Tabu handelt, lässt sich anhand des zur Verfügung stehenden Materials nicht sagen.“110 Die Antwort auf diese Frage wäre einfach, wenn man die polizeiliche Tätigkeit mitreflektieren würde. Sie lautet sprichwörtlich: „Wie man in den Wald ruft, so schallt es auch wieder heraus“.
Trotz der angeblich enormen Erkenntnisse der Zentralstellendienste, sind die Kantone mit den gelieferten Informationen eher unzufrieden. In keinem einzigen Interview mit den kantonalen Polizeiorganen fehlte diese Kritik. Sie kam nicht nur von den „Frontarbeitern“, sondern auch und gerade von den höchsten Kadern. Nur der kleinste Teil der Informationen zu einem Fall komme von den Zentralstellen, die Anfragen würden zu langsam bearbeitet, man habe es nicht mit Praktikern zu tun, es herrsche eine Verwaltungs- und Beamtenmentalität und ähnliche Bemerkungen waren zu hören, einschließlich genüsslicher Schilderungen von groben professionellen Fehlern. Die meisten Informationen kämen von den eigenen Diensten, oder von der Zusammenarbeit mit anderen Kantonspolizeien oder sogar von Direktkontakten mit ausländischen Polizeistellen. Ganz missen möchte man das Bundesamt für Polizeiwesen und die Zentralstellendienste jedoch nicht: „Es gibt auch (Sitzungen) – in der nächsten Zeit ist wieder so ein Termin –, wo Informationen, die vom Bund kamen, analysiert werden.“111
Der Bedarf nach Analyse durch die Bundesstelle ist vorhanden: „Das kann zufällig sein, das kann systematisch sein, das kann sich um irgendeine Begebenheit handeln.“ In jedem Falle müsse der Bund die Verdichtung der Daten übernehmen. „Das ist der naheliegendste Weg in dieser ganzen Bekämpfungsstrategie, dass der Bund die Verdichtung (übernimmt und durch) die internationalen Kontakte, aus nachrichtendienstlichen Quellen etc., entsprechende Hinweise den Kantonen zuweist.“112
3.3.2.3 Kriminalistische Fallanalyse
Während es bei der Auswertung im Vorfeld vor allem darum geht, vage Anhaltspunkte zu einer Verdachtslage zu verdichten, um überhaupt einen Fall zu schaffen, der gegebenenfalls in ein konkretes Ermittlungsverfahren münden kann, geht es im Verfahren selbst um das Management großer Datenbestände. Die Auswerter oder Analytiker arbeiten dabei entweder für spezifisch fallbezogen zusammengezogene Sonderkommissionen oder für eine Ermittlungsgruppe eines OK Dezernates oder für eine bei den Zentralstellen gebildeten Koordinationsgruppe, an der mehrere Kantone beteiligt sind und für die im BAP die Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird.
Die Zahl der Fälle, in denen dies geschieht, ist verhältnismäßig gering. Der ZSD-Geschäftsbericht für 1998 bezeichnet 82 der insgesamt 197 Koordinationsfälle als „groß“. Davon bezogen sich 54 auf Drogenhandel. Die Bewertung als „groß“ dürfte dabei eher relativ sein, wenn man bedenkt, dass für alle 197 Koordinationsfälle insgesamt gerade „mehr als 200“ Arbeitssitzungen notwendig waren.113 Die Zahl der Fälle, in denen eine feste, über Wochen oder Monate laufende Koordinationsgruppe eingerichtet wurde, liegt daher erheblich niedriger. Konsequenterweise wählte man für den Lagebericht 1998 insgesamt 140 „große Fälle“ aus den Jahren 1987 97 aus, von denen 36 der organisierten Kriminalität zugeordnet wurden.114 Auch in den Kantonen ist die Zahl der Sonderkommissionen niedrig. In Luzern griff man seit der Einführung des neuen Organisationsmodells gerade in fünf Fällen zu diesem Mittel. Die Kapazitäten reichen auch kaum aus, um mehr als eine dieser Kommissionen parallel zu führen. Größere Kantone mit einer höheren Personaldichte hingegen können sich dies häufiger erlauben. OK-Fälle im engeren Sinne sind eher die Ausnahme, häufiger handelt es sich um Kapitalverbrechen.
In den Fällen, die mit operativer Kriminalanalyse begleitet werden, ist die Menge der zu bearbeitenden Daten erheblich, z.B. in einem Verfahren im Basis-OK-Bereich: „Wir führen momentan eine Aktion mit 1800 Datensätzen verschiedenster Art aus Kontrollen etc. durch. Ich möchte auch irgendwann diesen Support leisten. Aber unsere Sachbearbeiter hier …“115 Es handelt sich um Arbeiten, die einen hohen Grad von analytischer Kenntnis und Erfahrung erfordern, die die zur Verfügung stehenden Kapazitäten schnell ausschöpfen und die äußerst fehleranfällig sind. „Ob ich in einem Basis-OK-Verfahren einen Einbruch bearbeite oder ob das ein Einzeltäter gewesen ist, das ist für die Frontarbeit egal, das ist Hans was Heiri. Ich kann da einen reinstoßen, wen ich will, der kann darin schwimmen, das haben wir jetzt in verschiedenen Verfahren gesehen. Was aber das Problem ist, bei der Datenmenge, bei der Datenflut, wenn es viele involvierte Personen sind und verschiedene Deliktsfelder, wo man arbeitsteilig agiert, wie das bei der OK der Fall ist, bei einer solchen Flut können Sie dann gar nichts mehr sehen. Dafür braucht es dann das Instrument der Analyse, und dafür braucht es – für die Führung vor allem – Leute, die entsprechende Erfahrungen haben, sonst verzettelt man sich. Die Führung einer solchen Soko, das ist das Kerngeschäft der Kripo-Leitung. Da steigen wir also selbst ein und entfalten Aktivitäten. Das hat gut funktioniert.“116
Die Entscheidung darüber, ob ein Fall eingehend analysiert werden soll, wird in Luzern in Absprache zwischen den ermittelnden Sachbearbeitern und der Kripo-Leitung gefällt. Die Entscheidung ist immer eine Prioritätensetzung. Der Analytiker, der sich im Rahmen seiner normalen Arbeit mit strategischer Kriminalanalyse beschäftigt und in die Vorermittlung eingebunden ist, arbeitet dann nur an diesem Fall.
Die Arbeit des Analytikers besteht darin, das Beziehungsgeflecht zwischen den involvierten Personen zu entwirren, darzustellen, wer mit wem in welchem Verhältnis steht, wer was besitzt, wo Berührungspunkte zwischen den Personen, Sachen und Objekten existieren. Ziel ist es, aus dieser Darstellung Hypothesen zu entwickeln, Fragen herauszuarbeiten, der die Ermittler oder der operative Dienst (also die mit verdeckten Methoden arbeitende Stelle) weiter nachgehen sollen. Dabei kommen Expertensysteme oder Informatik-Tools zum Einsatz, die speziell für derartige Netzwerk Analysen entwickelt wurden. Die Schweiz, genauer gesagt die Zentralstellen, haben 1997 Lizenzen für I2 eingekauft, „die weltweit am häufigsten gebrauchte Analyseapplikation. Sie wird von allen wichtigen Polizeidienststellen im Ausland eingesetzt und unterstützt die Analysearbeit durch Visualisierung von großen Datenmengen.“117 Ziel der Anschaffung war es, in den Kantonen un language d’enquête commun einzuführen.118 Der Einkauf stützte sich zwar auf einen Beschluss der Polizeikommandantenkonferenz, stieß aber nicht bei allen Kantonen auf eitle Freude. Seine Fachleute, so der Kripo-Chef des Kantons Zürich „kamen zurück und haben gesagt: völlig veraltet. Für uns kein Interesse.“ Der Bund habe aber dem Drängen der Kantone, die bis dahin nicht über ein derartiges System verfügten, entsprochen. Immerhin, so unser Interviewpartner bei der Kantonspolizei Zürich, seien Verbesserungsvorschläge aufgegriffen worden, so dass „das System heute in einer viel besseren Variante da steht.“119 Jedem Kanton stehen nun zwei Leihlizenzen zur Verfügung.
Wie ein solches System funktioniert, geht aus neben stehender Grafik des deutschen Bundeskriminalamtes hervor: „Die Abbildung ist ein kleiner (erfundener) Ausschnitt, und zwar ein Pfad, der zeigt, was der Otto S. (Startobjekt) mit dem Sylvio S. (Zielobjekt) zu tun hat. Es mag noch andere solche Pfade geben. Diese zusammen bilden das Verbindungsnetz zwischen den zwei Personen. Pfade setzen sich aus direkten Relationen zwischen Objekten zusammen. Objekte sind z.B. Personen, Sachen, Ereignisse, Verfahren, Orte u.a. Relationen sind z.B. ‘Kontakt_mit’, ‘beteiligt_an’, insgesamt ca. 30 Arten von Relationen. Deren Richtung wird mit Prä- oder Suffixen ausgedrückt, z.B. ist ‘Besitz_von’ die Umkehrung von ‘hat_Besitz’. Nur diese Objekte und Relationen sind in der Datenbank gespeichert. Das Auffinden von Pfaden gelingt ohne Rechnerhilfe allenfalls zufällig, unter Zeitaufwand, mit guten Kenntnissen des kriminellen Umfeldes, nur über wenige Stufen und nicht erschöpfend.“120
I2 kam beispielsweise im Michailow-Fall zum Einsatz.121 Das sei ein gutes Instrumentarium, allerdings komme es „immer wieder auf die Menschen an, die das bedienen. Sie können natürlich eine TK (Telefonkontrolle) machen, und nachher lassen sie das ausdrucken, wo jeder mit jedem verbunden ist, und oh, dann haben sie OK (das Beziehungsnetz einer kriminellen Organisation). Dabei haben die nur einmal miteinander telefoniert. Was soll das? So sind aber zum Teil die Leute von den ZSD daher gekommen. Super, das ist OK. Bingo, morgen können sie vor Gericht.“122
Die Datenbestände, die mit Hilfe von I2 visualisiert werden, sind selbst bereits in Datenbanken erfasst. Den Kantonen war bisher nur erlaubt, mit ihren eigenen Datenbeständen solche Analysen vorzunehmen. Aus ISOK oder DOSIS konnten nur die Zentralstellen entsprechende Daten zur Analyse entnehmen. Auch hier wurde mit den zuständigen Analytikern ein „Vertrag“ gemacht, der das Ziel der Arbeit festlegt. Erst mit der Zusammenfassung der ZSD-Datensysteme in JANUS haben auch die Kantone eine Schnittstelle erhalten und dürfen nun mit JANUS-Daten Analysen vornehmen.123 Die Auswertung und Visualisierung mit Hilfe von I2 mag den Polizeien im Einzelfall durchaus die Ermittlungsarbeit erleichtern. Der frühere ZSD-Kriminalanalysechef Michael Lauber sagt in Le Temps: „le programme ne nous apporte aucunes preuves d’un délit, mais nous aide à les chercher.“124 Anders ausgedrückt: Es hilft bei der Konstruktion eines Verdachts. Entscheidend ist dabei nicht nur die Qualität des Analytikers, sondern auch die Tatsache, dass die zugrunde liegenden Daten vielfach unbestätigt oder schlichtweg falsch sind.
3.3.2.4 Lagebilder und -berichte
Das Detailkonzept zur Reorganisation der Zentralstellen verlangt nicht nur die Unterstützung der Kantone mit Einzelinformationen und operativen Analysen, sondern insbesondere die regelmäßige Ausarbeitung von Lageberichten. Im Drogenbereich waren derartige Berichte seit längerem gang und gäbe. Sie umfassten u.a. Daten über sichergestellte Drogenmengen in den einzelnen Kantonen, von den Kantonen selbst verfasste Kurzberichte und Bewertungen einzelner Schwerpunkte. Verglichen mit der jährlichen Betäubungsmittelstatistik des BAP, die Angaben über die sichergestellten Mengen, über die Zahl der Verzeigungen, Art der Delikte, Art der Drogen, Mehrfach- oder Erstverzeigungen und Informationen zu Alter, Geschlecht und Nationalität der erfassten Personen macht, blieben die Lageberichte eher rudimentär. Ab 1997 begann man die drogenbezogenen Berichte um ein weiteres Kapitel über Falschgeld-Kriminalität zu ergänzen. Im zweiten Halbjahr 1998 kamen nicht nur weitere Deliktfelder hinzu, Menschenhandel und Pornographie, sondern erstmals ein „Lagebild Organisierte Kriminalität“.
Bereits im Detailkonzept für die ZSD-Reorganisation von 1996 waren an diese Veröffentlichungen hohe Erwartungen geknüpft. Sie sollten es ermöglichen, die Kriminalitätsentwicklung in der Schweiz in den nächsten zwei bis fünf Jahren zu prognostizieren. Daneben war eine breit abgestützte und aussagekräftige Statistik für alle Bereiche der organisierten Kriminalität geplant, die in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Statistik erstellt werden sollte. Daraus wurde nichts. Als Adressaten hatte man sich die politischen und polizeilichen Führungen auserkoren. Es wäre darum gegangen, aus den vorhandenen Informationen ein politisch und für die polizeiliche Schwerpunktsetzung verwertbares Bild des Umfangs und der Gefährlichkeit der organisierten Kriminalität zu zeichnen.125
Anders als bei den üblichen deliktspezifischen Lagebildern und bei Kriminalstatistiken kann die Polizei bei der Erstellung von OK Lageberichten nicht einfach auf die üblichen Indikatoren wie Art und Zahl der Verzeigungen, Täter bzw. Tatverdächtige und ihre Merkmale (Geschlecht, Alter, Nationalität) zurückgreifen. Organisierte Kriminalität impliziert eine Bewertung von Handlungen und gegebenenfalls sogar von organisatorischen Strukturen. Derartige Be- und Auswertungen haben nicht erst die schweizerische Polizei vor schier unlösbare Schwierigkeiten gestellt.
Ein Blick auf andere Staaten zeigt grundsätzlich zwei Verfahren bei der Erstellung der Berichte.126 In den Niederlanden bemüht sich die Polizei, Organisationen zu zählen. Die Zentralstelle (Centrale Recherche Informatiedienst, CRI), fordert die Intelligence-Dienststellen der regionalen Polizeien jährlich mittels Fragebogens auf, die ihnen bekannten kriminellen Organisationen und Gruppen zu klassifizieren. Die ausgefüllten Fragebogen werden im CRI ausgewertet und zu einer Analyse verarbeitet, deren Ergebnis eine Zahl in den Niederlanden aktiver krimineller Organisationen und die Bewertung ihres Grades an Organisiertheit darstellt. Je nachdem, wie viele der in den Fragebogen und auf der offiziellen Indikatorenliste genannten Merkmale auf die vorgebliche Organisation zutreffen, wird sie als wenig, mittel oder hochgradig organisiert klassifiziert.
In Deutschland zählt man Ermittlungsverfahren, die von der Polizei (und zwar nicht nur von den OK-Dienststellen), anhand eines Fragebogens der organisierten Kriminalität zugeschlagen werden. Dabei werden zusätzlich OK Eigenarten erfasst. Die Ausfüllenden müssen sich zu den in der OK Definition aufgelisteten Alternativen (gewerbliche/geschäftsähnliche Strukturen, Gewalt und Einschüchterung, Einflussnahme auf Politik, Medien, Wirtschaft und Verwaltung) äußern, zur Frage der internationalen Tatbegehung, zur Zahl der einzelnen Delikte und der Tatverdächtigen, zum Ausländeranteil, zur Bewaffnung, zur geschätzten Schadenssumme und zum geschätzten Gewinn. Dieses Verfahren wurde mit einigen Abstrichen und Ergänzungen auch im EU Rahmen übernommen.
Die ZSD haben für ihre OK Lageberichte eine Mischform gewählt. Die Berichte verstehen sich selbst als „erste Annäherung an die kriminalistische Realität“, sie skizzieren „vorläufige Konturen der Aktivitäten krimineller Organisationen in der Schweiz“.127 Den zentralen Teil des ersten OK-Lageberichts der Schweiz (für 1998) bildet eine Analyse von 140 Dossiers zu sogenannt großen Fällen aus den Jahren 1987 97.128 Es handelt sich dabei ausschließlich um Dossiers des BAP. Sie zeigen Bezüge zu den einzelnen Kantonen oder Regionen. Unklar bleibt dabei aber, welche Rolle die Zentralstellen einerseits und die Kantone andererseits spielen. Die fallbezogene Auswahl führt zu einer Analyse, in der anhand der Kriterien aus dem ISOK-Bearbeitungsreglement kriminelle Organisationen oder Gruppierungen herausdestilliert werden. Solche sehen die Analytiker in 36 Fällen am Werk. Die Fragen, die man beantworten will, lauten: Woher kommen die kriminellen Organisationen? Wie sind sie organisiert? Was machen sie in der Schweiz? Wie gehen sie dabei vor?
Alle dargestellten Organisationen stammen aus dem Ausland: „Als eigentliche Herkunftsländer der untersuchten kriminellen Organisationen können bezeichnet werden: Italien, Russland, USA, Kanada, Kolumbien, Mexiko, Kroatien, Brasilien, Libanon, Albanien, Türkei.“129 Die Größe der Organisationen wird an der Anzahl zentralen, peripheren und punktuell auftretenden Akteuren gemessen. Gerade 13 Organisationen weisen weniger als 20 Akteure auf, bei dreien werden mehr als 500 Akteure gezählt. Nach der Aufschlüsselung nach der Zahl der Akteure wären, Doppelnennungen inklusive, zwischen 2’526 und 6’620 Personen in diese Organisationen involviert gewesen.130 Wie viele dieser Akteure sich in der Schweiz aufhielten, gar hier Straftaten begingen, wie viele als eigentliche Mitglieder bzw. zentrale Akteure, als Dienstleister oder als bloße Randfiguren anzusehen sind, bleibt unklar.
Von den kriminellen Tätigkeitsfeldern der Organisationen ist kaum die Rede. Nur bei den kleineren Organisationen vermerkt der Bericht, dass die Beteiligten im Drogen- und Waffenhandel tätig sind. Die mittleren und großen hingegen würden ihr Geld in der Schweiz waschen und die Schweiz als Treffpunkt oder Entscheidungszentrum benutzen. Der Leser erfährt nicht, in wie vielen Fällen der Vorwurf der Geldwäsche erhoben wurde. Auch die im Ausland begangenen Delikte oder illegalen Geschäfte bleiben unerwähnt. In einer Tabelle dargestellt sind die Sektoren der Aktivitäten, die zu über 80 % im Finanzbereich liegen. Bei den Kantonen, in denen die Gruppen aktiv waren, handelte es sich vor allem um Genf, Zürich und Tessin.131 Ob die genannten 36 Gruppen in oder außerhalb der Schweiz noch aktiv sind, bleibt unbekannt, obwohl es sich durchwegs um alte Verfahren handelt.
Der zweite Teil dieses ersten schweizerischen OK Lageberichts geht näher auf die Russische Organisierte Kriminalität (ROK) ein. Er stellt eine Analyse von elf Analyseberichten dar, welche die Zentralstellen zwischen September 1997 und September 1998 erarbeitet hatten.132 Dieser aktuelle Teil ist nach dem gleichen Muster gestrickt, das auch in der historischen Aufarbeitung alter Fälle gebraucht wurde. Obwohl es sich nur um elf Berichte handelt, fasst man die beteiligten Gruppierungen in Tabellen zusammen und kommt dadurch auf imposante Zahlengebilde, die allerdings über die soziale Zusammensetzung, die unternehmerische Struktur, das Zusammenspiel zwischen inländischen und ausländischen Akteuren oder ihre Position in dem betreffenden Netzwerk rein gar nichts mehr aussagen.
Dies blieb auch so im Lagebericht 1999, der sich abgesehen von einigen kurzen Vorbemerkungen ganz auf die ROK bezieht.133 Ausgewählt sind 18 Berichte, die sich auf vier Verfahrenskomplexe bzw. vier vermutete Organisationsstrukturen beziehen. Die Fälle sind kurz skizziert, wobei zumindest in drei Fällen (Mabetex, Geldwäsche über die Bank of New York, Berezowski, Fälle, die auch im Staatsschutzbericht dargestellt werden) die Berichte in der Presse erheblich detaillierter waren und auch die Widersprüche und die Positionen der Beschuldigten präsentierten. Deutlich wird, dass es sich in den genannten Fällen um Verdachtslagen handelt, so dass die als Faktendarstellung daher kommende Präsentation von Tabellen mit äußerster Vorsicht zu genießen ist.134
In dem Lagebericht 2000 (erschienen im Herbst 2001) rückt das BAP von der bisherigen Darstellung der polizeilichen Arbeit ab und liefert eine gründliche Analyse der vorliegenden Urteile. Der entsprechende Abschnitt wurde im wesentlichen von einer einzigen Analytikerin erstellt, die über eine juristische Ausbildung verfügt. Für die eingehende Darstellung und Kritik dieser Ergebnisse siehe Abschnitt 4.2.
Die von uns befragten kantonalen Polizeibeamten und Untersuchungsrichter standen dem damals vorliegenden ersten Bericht (2/1998) zum Teil äußerst kritisch gegenüber. Die positivste Antwort auf die Frage, ob man mit dem Lagebericht etwas anfangen könne, war: „Ja, doch, man sieht schon einige Tendenzen.“135 Die restlichen Antworten bestätigten die Vorläufigkeit des Bildes: Man sei erst bei „ersten Ansätzen“ für das Erkennen von OK, das sei „mal ein Versuch.“136 Andererseits wurde die geringe Bedeutung des Berichts für die polizeiliche Praxis hervorgehoben. Der Bericht sei „historisch interessant“. „Er ist nicht aktuell. Er ist retrospektiv an und für sich.“137 „Der Lagebericht, der vom Bundesamt, von den Zentralstellen-diensten herausgegeben wird. Das ist interessant zum Nachlesen, aber er ist retrospektiv, und er ist damit weniger dienlich. Das muss man einfach so feststellen. Das ist meine Meinung diesbezüglich. Es gibt andere Instrumentarien im Bereich der Kriminalanalyse, die dienlicher sind, als jetzt dieser Lagebericht. Da gibt’s zum Beispiel intern, da haben wir selber Kriminalanalysen, die wir intern betreiben oder die in der Region Westschweiz betrieben wird oder in den Fachbereichen auch und dort zum Teil in Zusammenarbeit mit den Zentralstellendiensten.“138
Für andere handelt es sich nur und ausschließlich um einen „Daseinsberechtigungsbericht“. „Aber ich denke auch, Lagebericht OK: Das, wo man den Leuten den Zugriff geben kann, ist nicht brauchbar. Rein deswegen, weil, wenn man es nicht wüsste, könnte man es nicht sagen, bevor man zugeschlagen hat. Also kann es nicht brauchbar sein. Es dient, und das ist vielleicht das wichtige, es dient den Leuten dazu, zu sagen, ja das gibt’s, aber mehr nicht.“139 Damit ist ein zentrales Kennzeichen des Berichts benannt. Er ist nämlich gar nicht für die Praktiker an der Front geschrieben und reklamiert damit auch nicht, für die Orientierung konkreter Ermittlungen relevant zu sein. Dies tun allenfalls diejenigen Analyseberichte, welche die ZSD in unregelmäßigen Abständen den Kantonspolizeien über einzelne Phänomene oder über von ausländischen Polizeien zugetragene Informationen zukommen lassen. Dem ursprünglichen Anspruch nach sollte sich der Lagebericht vielmehr an die Polizei- und Justizdirektoren und die Kommandanten richten, tatsächlich ist zumindest der erste Bericht seiner ganzen Aufmachung entsprechend (Hochglanzpapier, Vierfarbdruck, farbige Tabellen) für die Öffentlichkeit und für die politische Auseinandersetzung geschrieben. Gegenüber der Öffentlichkeit sollte demonstriert werden, dass es organisierte Kriminalität gäbe, dass diese Bedrohung real und es deshalb sinnvoll sei, in der polizeilichen Bekämpfung der organisierten Kriminalität schlechthin, insbesondere aber im Ausbau der Zentralstellen, nicht nachzulassen. Der Bericht wurde effektiv zum Medienereignis, das sich kaum eine Zeitung entgehen ließ. Damit hat er seinen Zweck als Daseinsberechtigungsbericht erfüllt. Das selbe gilt zum Teil auch für die Staatsschutzberichte.
Der zweite Bericht erlangte erheblich weniger öffentliche Resonanz. Zur Zeit seiner Publikation im September 2000 hatte die Reorganisation des BAP und die chaotische interne Situation einen wesentlich größeren Nachrichtenwert. Die ZSD waren im wahrsten Sinne des Wortes ihrer farbigen Ausstrahlung verlustig gegangen. Der Bericht erschien nur noch schwarzweiß mit zum Teil chaotischem Layout.
Auch wenn die schweizerischen OK-Lageberichte nach eigener Aussagen nur eine erste Annäherung an die OK-Realität darstellen, ein vorläufiges Bild also, erfüllen sie doch dieselbe Funktion wie die etablierten, regelmäßig erstellten Lagebilder in der BRD oder den Niederlanden. Offizielle Zahlen sollen die Glaubwürdigkeit beteuern. Der wissenschaftliche Ton der Darstellung reklamiert Seriosität und grenzt die Lagebilder von den sonstigen, häufig polemischen Beiträgen in der kriminalpolitischen Auseinandersetzung über OK ab. Dennoch bleibt die Frage, welche Aussagekraft Lagebilder über das Phänomen OK haben, welche Realität sie repräsentieren.
Ähnlich wie die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), spiegeln Lagebilder nur das wieder, was von der Polizei wahrgenommen werden kann oder wird. Die PKS ist eine polizeiliche Geschäftsstatistik, welche die bearbeiteten Fälle zählt. Alles, was nicht per Anzeige bei der Polizei landet oder von ihr von Amtes wegen, also durch spezielle Kontroll- oder Ermittlungstätigkeit aufgedeckt wird, bleibt nicht kriminalisiert und taucht dementsprechend auch nicht in der Statistik auf. Gerade die nicht erfassten kriminalisierbaren Vorgänge führen regelmäßig zu einer Debatte über das Dunkelfeld und damit zu Spekulationen, dass die „wirkliche“ Kriminalität deutlich größer sei als der polizeilich erfasste Ausschnitt. Dass auch in OK-Lagebildern auf das Dunkelfeld verwiesen wird, erstaunt angesichts der politischen Besetzung des Themas kaum. In der Tat zeigt sich bei den mit einer gewissen Regelmäßigkeit erstellten Lageberichten der Niederlande, der BRD oder der EU, dass je mehr sich die Polizei und die Politik mit OK befassen, desto stärker die wahrgenommene OK wächst. Bei der ersten niederländischen OK-Inventur 1988 verzeichnete der CRI noch ca. 200 kriminelle Organisationen, 1995/96 war man bei 599 angelangt. Auch die einzelnen statistischen Rubriken der deutschen Lagebilder tendieren zu Steigerungen. Auf EU-Ebene füllen sich die Felder der entsprechenden Tabellen kontinuierlich,140 seit der EU Ministerrat 1993 beschloss, jährliche OK-Lagebilder erstellen zu lassen. Das betrifft nicht nur die kriminellen OK-Aktionsfelder vom Drogenhandel bis zur Entführung, sondern vor allem die Herkunftsstaaten der festgestellten OK-Akteure. Einige EU Staaten führten 1993 noch gar keine Lagebilder, hatten zum Teil auch keine spezialisierten OK-Dienststellen und nahmen dementsprechend die angeblichen Bedrohungen auch nicht oder nur am Rande wahr.
Das schweizerische OK-Lagebild für 1998 war das erste seiner Art und konnte logischerweise auch nicht auf Steigerungsraten gegenüber früheren Daten und Darstellungen verweisen. Dieses Manko machte man durch die Betonung der Vorläufigkeit wett. Man suggerierte, dass eine umfänglichere Erhebung eine noch größere Bedrohung zeigen würde. Im Interview vom November 1999 erklärte ZSD-Chef Gussmann deshalb, dass verglichen mit den Aussagen im Lagebericht 1998 sicherlich kein Rückgang der OK stattgefunden habe. Einerseits ließe sich eine stärkere Vernetzung der bestehenden Gruppen feststellen. Italiener arbeiteten nun auch mit Russen und Albanern zusammen. Insgesamt habe sich dadurch eine Art „qualitative Verbesserung“ dieser Strukturen ergeben. Das Bild, das sich den Zentralstellendiensten von der OK Szene in der Schweiz biete, hänge auch damit zusammen, dass man die Analysetätigkeit verstärkt habe. Vor 1995 habe man keinen blassen Schimmer von den hiesigen Aktivitäten der russischen Mafia gehabt. Danach sei die diesbezügliche Analysegruppe aufgebaut worden und habe systematisch Informationen zusammengetragen. Die festgestellte Verdichtung sei auf die realen Veränderungen und auf die klarere Sicht der Dinge zurückzuführen, die man heute habe.141 Von Gussmanns Einschätzung einer Zunahme oder Verdichtung ist im Lagebericht 1999 nichts zu sehen. Man verweist zwar darauf, dass die Bedrohung durch die ROK nach wie vor anhalte, auf einen Vergleich zum Vorjahr hat man aber verzichtet. Dieser Verzicht mag der offensichtlichen Hektik, mit der der Bericht zusammengeschustert wurde, und der dahinter stehenden angespannten internen Situation bei den Zentralstellen geschuldet sein. In jedem Falle dürften vier mehr oder weniger spektakuläre Fälle kaum ausreichen, um eine begründete Aussage über die ROK und ihr Verhältnis zu anderen kriminellen Gruppierungen oder Unternehmungen zu untermauern.
Das schweizerische OK-Lagebild erfasst in erster Linie, was anhand der Daten der Zentralstellen als OK definiert wurde. Dies betrifft nicht nur die 36 als OK relevant identifizierten „großen“ Fälle aus den Jahren 1987 1997, sondern auch die Erkenntnisse über die ROK in beiden Berichten. Die Verstärkung der Analysetätigkeit zu Fragen der italienischen organisierten Kriminalität, der vollzogene Aufbau einer eigenständigen Analysegruppe und die Bildung eines Kommissariats Italien dürften dazu führen, dass künftig mehr Aktivitäten italienischer Mafiosi wahrgenommen werden und auch der Finanzplatz Tessin stärker in den Blick gerät.
Würde das schweizerische OK-Lagebild wie das deutsche oder das niederländische in Zusammenarbeit mit den Kantonen oder den Polizeiregionen erarbeitet, so wäre anzunehmen, dass zum einen viel mehr kleinere kriminelle Organisationen diagnostiziert würden, und zum anderen die bei den kantonalen Kriminalpolizeien im Vordergrund stehende sogenannte organisierte Basiskriminalität ein größeres Gewicht erhielte. Darüber hinaus stünde zu erwarten, dass nicht in erster Linie Russen (und demnächst vielleicht Italiener) als OK-Akteure realisiert würden, sondern wegen des stärker deliktspezifischen Augenmerks der Kantonspolizeien vermehrt albanische, ex-jugoslawische oder afrikanische Drogenhändler und rumänische Einbrecher. Eine engere OK-Definition und eine stärkere Abgrenzung der OK im Sinne des Art. 260ter StGB von der als Basis-OK klassifizierten, seit jeher bekannten banden- oder gewerbsmäßigen Kriminalität, würde die genannten Gruppen aus einem entsprechenden Lagebild ausschließen. Mit Sicherheit jedoch bliebe der Schwerpunkt der OK Wahrnehmung weiterhin den Ausländern vorbehalten.
Je größer die Gemeinde der polizeilichen OK Spezialisten und Lagebildner, je sensibler und offener das Analyseinstrumentarium, desto umfangreicher ist die polizeilich wahrgenommene organisierte Kriminalität. Der zugrunde liegende Mechanismus besteht darin, dass mit einer verstärkten polizeilichen Tätigkeit in einem bestimmten Bereich das sogenannte Dunkelfeld aufgehellt wird, jedenfalls sofern es sich um Delikte handelt, deren Aufdeckung im wesentlichen von der polizeilichen Initiative und nicht vom Anzeigeverhalten der Bevölkerung abhängt. Das jüngste Beispiel für diesen Mechanismus ist die Explosion der Drogendelikte, insbesondere des polizeilich erfassten Drogenkonsums zwischen 1990 und 1995.142 Eine Verbreiterung der Lagebilderstellung und der OK Wahrnehmung ist in Beziehung zu setzen mit der möglichen Breite des OK-Verdachts und dessen unscharfer Definition, die sich in den Lagebildern, also den Produkten der strategischen Kriminalanalyse und in den operativen Datensystemen wie ISOK niederschlagen.
Das Kriterium der Berichterstattung ist die sogenannte kriminalistische Realität. Selbst bei abgeschlossenen Ermittlungsverfahren wird damit in der Rückschau die Breite des Verdachts neu aufgerollt. Nimmt man dagegen die an die Gerichte überwiesenen Untersuchungsergebnisse oder gar die gerichtlichen Verurteilungen als Grundlage, verliert der OK-Ballon die Luft. Der Lagebericht für 1998 gibt für die 36 alten Fallkomplexe aus der Zeit zwischen 1987 und 1997 keinen Hinweis auf den Verfahrensausgang. Der Bericht für 1999 beschert seinen Leserinnen und Lesern eine gar merkwürdige Erklärung: „Im Berichtsjahr sind uns zehn kantonale Urteile bekannt geworden, welche Verfahren betreffen, in denen die Anklage unter anderem auf Beteiligung an oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung im Sinne von Art. 260ter StGB lautete. In sämtlichen Verfahren kam es bezüglich dieser Bestimmung zu einem Freispruch.“ Grund dafür sei unter anderen, dass „der Tatbestand der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation, die ihre Zusammensetzung geheim hält, der strafrechtlichen Beweisführung Mühe“ bereite.143 Zwar gab es zu diesem Zeitpunkt bereits zwei rechtskräftige Verurteilungen aus dem Jahr 1997, aber die waren dem BAP nicht bekannt, obwohl sie das Bundesamt für Statistik bereits auswies. Erst der Lagebericht 2000, der nach der Verabschiedung des sogenannten dritten Maßnahmepaketes, der Effizienzvorlage, veröffentlicht wurde, stellt sich diesen Anforderungen und lässt den Ballon platzen. Man rettet sich mit folgendem Hinweis: „Die Einführung von Artikel 260ter war schließlich auch ein Teil einer Gesamtstrategie, die zu neuen gesetzlichen Regelungen in verschiedenen Bereichen geführt hat (so im Bereich der Geldwäscherei und der Korruption), zu verbesserter internationaler Justiz- und Polizeizusammenarbeit, zu neuen Möglichkeiten der Rechtshilfe und nicht zuletzt auch zur Effizienzvorlage mit Bundesermittlungskompetenzen in komplexen Fällen von OK und Wirtschaftskriminalität ab Anfang 2002.“144
3.3.3 Operative Methoden
Das Wörtchen „operativ“ („operative Methoden“, „operativer Dienst“ etc.) geht schweizerischen Polizeibeamten heute mindestens genauso leicht über die Lippen wie ihren deutschen Kollegen. Dass sich dieser Begriff gerade Anfang der 90er Jahre im gesamten deutschsprachigen Raum durchsetzen konnte, müsste bei unbefangenen Beobachterinnen zumindest ein Kopfschütteln auslösen. War er bis zu diesem Zeitpunkt doch vor allem bei den „Sicherheitsorganen“ der DDR gebräuchlich, in einem Staat also, der bis zu seinem Ableben nicht nur in der BRD, sondern auch hierzulande als der außenpolitische Feind par excellence und als das beste Beispiel fehlender Rechtsstaatlichkeit galt. Dass über eine Person ein „operativer Vorgang“ existierte, hieß nichts anderes, als dass diese Person unter der Kontrolle der Staatssicherheit stand, dass man ihr mit haupt oder nebenamtlichen Spitzeln auf den Leib rückte, dass man ihre private Kommunikation überwachte etc.
Die Übernahme jenes Wortes aus dem Feindesland hat seine Logik. Geht es doch dabei auch hier um polizeiliche Einsatzformen, die für die Zielperson als solche nicht erkennbar sind, um verdeckte oder, deutlicher gesagt, geheimpolizeiliche Methoden. Observationen, Telefon und Postkontrollen, Lausch- und Spähangriffe mit speziellem technischem Gerät, der Rückgriff auf Informanten, V-Leute, verdeckte Ermittler, all das gehörte auch in den westlichen demokratischen Rechtsstaaten lange Zeit vorrangig zum Repertoire von Geheimdiensten und politischen Polizeien. Das politische high policing schien sich von der kriminalpolizeilichen Arbeit deutlich zu unterscheiden. Kriminalpolizisten hatten zwar auch ihre Informanten im Milieu, von einer systematischen operativen Tätigkeit konnte allerdings nicht die Rede sein.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich hier ein Wandel vollzogen. Der Anwendungsbereich des ursprünglich geheimdienstlichen oder staatsschützerischen Repertoires hat sich auch in der Schweiz mehr und mehr auf die Verfolgung gewöhnlicher Kriminalität ausgedehnt. Begonnen hat diese Ausdehnung typischerweise bei der Bekämpfung des Drogenhandels. Seit Beginn der Debatte um organisierte Kriminalität gehört es zum festen Credo von Polizeiführern und Sicherheitspolitikern, dass angesichts der in diesem Feld herrschenden Konspiration auch ein polizeilicher Gang in den Untergrund unerlässlich sei. Waffengleichheit wird gefordert. An dieser Stelle geht es uns nicht darum, den OK Diskurs und die damit verbundene politische Rechtfertigung geheimpolizeilicher Methoden in der Strafverfolgung zu reproduzieren. Dies ist oft genug getan worden. Die juristische Diskussion wiederum, welche die Diskussion um verdeckte Methoden beherrscht, erweist sich oft genug als luftleer, da sie die Frage, wie, in welchen Bereichen und in welchem Umfang diese Methoden angewandt werden, ob und wie die Polizei dabei kontrolliert wird bzw. kontrollierbar ist, gar nicht stellt. Juristische Aspekte sind relevant, wenn es um die richterliche Kontrolle und ihre Reichweite geht und wenn sich aus der geplanten Verrechtlichung Folgen für die Praxis ergeben.
Zahlenmaterial zu den operativen Methoden ist rar. Statistiken werden nur selten geführt, und da wo sie existieren, werden sie teilweise explizit verweigert: Es handle sich um heikle Bereiche polizeilicher Tätigkeit, über die man keine Auskunft erteile. Ein Manko an Auskunftsbereitschaft haben offenbar selbst jene Institutionen, deren Aufgabe eigentlich in der Kontrolle von Überwachungsmaßnahmen besteht. Bei der Anklagekammer des Berner Obergerichts beschied eine Dame am Telefon, dass man zwar eine Statistik führe, diese aber nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sei. Schließlich könnte dadurch die polizeiliche Handlungsweise auch Kriminellen erkennbar werden. Das Obergericht hingegen publiziert zumindest die Zahl der von ihm genehmigten Anordnungen in seinem jährlichen Verwaltungsbericht. Ein Mitarbeiter des Generalsekretariats des EJPD, der an der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen für den ganzen Bereich der verdeckten Methoden beteiligt war, erwies sich demgegenüber durchaus als gesprächsbereit. Mehr als die trockenen Zahlen der angeordneten Telefonüberwachungen konnte er aber auch nicht anbieten. Bezüglich Observationen und Einsätzen technischer Überwachungsgeräte verwies er auf die Unwilligkeit der Kantone, selbst dem EJPD Auskunft zu geben.
Mit Zugangsproblemen hat aber nicht nur die Forschung zu kämpfen. Die Antworten des Bundesrats auf entsprechende parlamentarische Anfragen zeichnen sich häufig dadurch aus, dass auf den Inhalt der Fragen nicht eingegangen und an dem Fragetext bewusst vorbei geantwortet wird. Auf die parlamentarische Forderung nach einer umfassenden Statistik polizeilicher Maßnahmen in der Stadt Bern begründete der Polizeidirektor Wasserfallen die Ablehnung mit dem eher unglaublichen Argument, dass eine solche Statistik jährlich 24 Stellen binden würde.145
Versuche, neues und genaueres Datenmaterial zur Anwendung operativer Methoden zu erschließen oder über die parlamentarische Ebene erfragen zu lassen, waren nur begrenzt erfolgreich. Quantitative Angaben liegen nur zu den Telefonüberwachungen vor, und auch diese sind eher rudimentär.
3.3.3.1 Eingriffstiefe oder Anordnungskompetenz?
Die Einführung des Begriffs der operativen Methode als Oberbegriff für alle den Betroffenen nicht erkennbaren polizeilichen Ermittlungen signalisiert nicht nur einen Wandel in der Terminologie. Auf die verschiedenen Überwachungsmethoden wird nicht mehr nur im Einzelfall ad hoc zurückgegriffen, sie bilden auch dem Anspruch nach Teile einer Gesamtstrategie. Deren Zusammenhang wird einerseits organisatorisch erkennbar am Aufbau operativer Dienste oder an der Konzentration der verschiedensten Methoden in Drogen- und OK-Dezernaten. Auch praktisch laufen die verschiedenen operativen Methoden in der Regel parallel. Wo verdeckte Ermittler eingesetzt werden, sind die Zielpersonen fast immer auch Objekte einer Telefonüberwachung oder des Einsatzes technischer Überwachungsmittel.
Eine Klassifizierung der verschiedenen Methoden muss diesen Zusammenhang berücksichtigen. Pütter zeigt in seiner Studie über OK-Ermittlungen in Deutschland eine Hierarchie von „informationsverarbeitenden“, „informationserhebenden“ und schließlich „infiltrierenden“ bzw. „penetrierenden“ Methoden. Bloß informationsverarbeitend in diesem Sinne ist der gesamte verdeckte Informationsaustausch zwischen den Behörden oder zwischen einzelnen ermittelnden Stellen. Auch die üblichen Formen der Rasterfahndung erheben keine neuen Daten, sie durchforsten vielmehr die bei verschiedenen Stellen vorhandenen Daten anhand eines vorgegebenen Rasters, etwa der angenommenen Reisebewegungen eines typischen Drogenkuriers. Als informationserhebend versteht Pütter dagegen die Observation sowie die meisten technischen Überwachungsmethoden. Während diese in erster Linie darauf abzielen, durch verschiedene Techniken an Informationen zu kommen, treten bei den infiltrierenden oder penetrierenden Methoden Personen im polizeilichen Auftrag als Akteure in Erscheinung. Es geht bei dieser dritten Kategorie also um die verdeckten Ermittlungsmethoden im engeren Sinne, insbesondere den Einsatz von V Leuten und verdeckten Ermittlern. Diese Einteilung orientiert sich nicht nur an der Tiefe des Eingriffs in die Rechte der Betroffenen, sondern auch an der Abfolge der verschiedenen Techniken im Rahmen von Ermittlungen. „Informationsverarbeitung ist Voraussetzung verdeckter Erhebungen, und ohne beide sind penetrierende Methoden kaum möglich.“146
Neben der Hierarchie der verschiedenen Methoden, die Pütter seiner Darstellung zugrundelegt, gibt es auch das formale Darstellungskriterium der Hierarchie, die durch die Strafprozessordnungen vorgegeben ist. Diese unterscheiden
Methoden, über deren Anwendung die Polizei alleine entscheidet (z.B. Observationen und Führung von Informanten),
- Maßnahmen, die auch einer Verfügung durch die Untersuchungsbehörden bedürfen (z.B. den Einsatz von V Leuten und verdeckten Ermittlern) und schließlich
– Maßnahmen, die zusätzlich eine weitere richterliche Genehmigung durch eine Anklagekammer oder eine vergleichbare gerichtliche Instanz erfordern wie die Überwachung des Fernmeldeverkehrs oder der gegen die persönliche Geheimsphäre gerichtete Einsatz technischer Überwachungsgeräte.
Diese Unterscheidung anhand der Anordnungskompetenz deckt sich nicht notwendigerweise mit der Hierarchie der Eingriffstiefe. Die längerfristige Observation, so schreibt Hans Vest unter Bezug auf ein Bundesgerichtsurteil, „unterscheidet sich je nach Beobachtungsstandort und konzept kaum vom Einsatz technischer Überwachungsgeräte, welcher (…) nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen und unter Vorbehalt richterlicher Genehmigung erfolgen darf.“147 Auch eine Observation oder der nicht anordnungspflichtige Einsatz technischer Geräte außerhalb der persönlichen Geheimsphäre können einen gezielten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte darstellen. Und auch der Einsatz einer V-Person kann, insbesondere wenn er länger anhält und eine persönliche Beziehung aufgebaut wird, in seiner Wirkung erheblich weiter gehen als die an strengere Auflagen gebundene Telefonüberwachung. Die formelle Unterscheidung verschiedener Sphären (öffentlicher, privater und Geheimbereich) unterstellt letztlich die Vorstellung, dass eine Person, sobald sie die Straße betritt, aufhört, höchst schützenswerte private Geheimnisse mit sich herumzutragen.
Allerdings sind die strafprozessualen Abstufungen gebunden an unterschiedliche Grade des Verdachts. Die Darstellung entlang dieser Stufenfolge erlaubt herauszuarbeiten, wie die Ausdehnung des Komplexes der operativen Methoden dazu führt, dass die Verdachtskriterien verschwimmen, dass damit auch der Einfluss der Polizei und ihres Vorfeldes gegenüber der Justiz und ihrem Strafverfahren wächst und dass Maßnahmen wie die Telefonüberwachung, die eigentlich strafprozessuale Zwangsmaßnahmen im engeren Sinne darstellen sollen, immer mehr den Charakter einer quasi präventiven Überwachung annehmen.
3.3.3.2 Observation und technische Mittel
Die Frage, ob es für Observationen einer eigener gesetzlichen Grundlage bedürfe, war lange Zeit umstritten. Die Praktiker, so schreibt Vest noch 1993, hätten eine solche Verrechtlichung für nicht erforderlich gehalten. „In der einschlägigen [juristischen] schweizerischen Literatur finden sich auch zur polizeilichen Observation kaum Stellungnahmen. Es ist jedoch zu vermuten, dass die Doktrin die Frage der Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage für längerfristige und engmaschige Observationen bejahen dürfte.“148 Noch 1993 waren klare gesetzliche Grundlagen nicht vorhanden. Inzwischen hat diese Maßnahme in verschiedene kantonale Strafprozessordnungen und auch in Bundesgesetze Eingang gefunden. Das Berner Strafverfahren fordert immerhin „ernsthafte Anzeichen“ für begangene oder vor der Ausführung stehende Verbrechen und Vergehen, erlaubt dann aber nicht nur die Observation der vermutlich daran beteiligten Personen, sondern auch unbeteiligter Dritter.149 Das Staatsschutz und das Zentralstellengesetz erlauben generell das Beobachten von Vorgängen im öffentlichen und öffentlich zugänglichen Raum, und zwar unabhängig vom Verdacht einer Straftat.150 In einem Vorentwurf für ein Bundesgesetz über verdeckte Ermittlungen vom 27. Juni 1995 plante das EJPD darüber hinaus einen Art. 104bis BStP, der auch der gerichtlichen Polizei solche Beobachtungen erlauben sollte. Schon dieser Regelungsvorschlag sollte den „Einsatz dieses polizeitaktisch sehr bedeutsamen Mittels nicht erschweren“, in der 1998 folgenden Botschaft hat man schließlich ganz darauf verzichtet.151 Sowohl die Anordnung als auch die Durchführung von Observationen verbleiben also alleine bei der Polizei.
Die Rede von der Beobachtung suggeriert eine bloß passive Wahrnehmung, die allenfalls durch Kameras oder Mikrofone dokumentiert wird. Der Eindruck täuscht, weil hinter der Observation regelmäßig eine gezielte Auswahl der Szene oder des Milieus, der beobachteten Orte oder ganz bestimmter Personen stehen. Der Auftrag der Observation impliziert in der Regel bereits, dass ein Verdacht oder mindestens eine Vermutung über eine bestimmte Person existiert. Die Observation dient der Informationssammlung zur Verdachtsverdichtung. Sie soll Beziehungsnetze aufdecken. Die Beobachtung von Randpersonen soll zur vermuteten Hauptperson hinführen. Die Vorgehensweise der Polizei ist in der Tat personenbezogen.
Während die klassische Beschattung darauf abzielte, einen Zugriff der Polizei unmittelbar vorzubereiten oder, sofern es um die Verhinderung von Straftaten ging, ein unmittelbar bevorstehendes Delikt zu verhindern, geht es bei der professionellen Observation, von der hier die Rede ist, nicht darum, eine Ermittlung abzuschließen, sondern diese erst zu beginnen. Von der traditionellen Beschattung unterscheidet sich die neuere Observation auch durch ihre Dauer. Lang anhaltende Observationen sind keine Seltenheit. Nicht umsonst wollte der Vorentwurf des EJPD von 1995 eine Rechtsgrundlage für Observationen schaffen, die sich länger als zehn Tage hinziehen. Darüber hinaus geht es in der Regel nicht um spontane, sondern um vorbereitete Aktivitäten, die bei Absprachen mit den Behörden von Nachbarstaaten auch auf deren Territorium hineinreichen können oder gegebenenfalls von deren Beamten übernommen werden.152
Professionelle Observationen sind derart personalintensiv, dass sie sich in den 80er Jahren nur der Staatsschutz leisten konnte. Die Untersuchungskommission des Gemeinderats der Stadt Zürich über den „Staatsschutz in der Stadt Zürich“ von 1990/91 zitierte in ihrem Bericht den Leiter des Spezialdienstes des KK III, der politischen Abteilung der Stadtpolizei: „Bei einer Überwachung kann ich nicht mit zwei, drei Mann einen Tag lang … diesen Personen nachlaufen … Vielleicht bin ich schon nach einer halben Stunde aufgedeckt … Es braucht also eine gewisse Mannschaft … Bei größeren Überwachungen müssen sämtliche Leute des KK III beigezogen werden.“153 Was für die staatsschützerische Observation galt, gilt erst recht für die kriminalpolizeiliche. Sollen nicht alle sonstigen Ermittlungstätigkeiten zum Stillstand kommen, können längerfristige Observationen nicht von den normalen Sachbearbeitern eines Dezernats übernommen werden.
Gerade die Personalintensität und die für mobile Observationen notwendige Ausstattung mit unauffälligen Fahrzeugen und Gerätschaften zwingen die Polizei zur Professionalisierung der Observationen, zur Schaffung spezieller Observationseinheiten. Nicht umsonst erklärte das Detailkonzept zur Reorganisation der Zentralstellendienste die Schaffung einer eigenen Observationseinheit zu einem „absoluten Muss“. Bei vielen Kantonen ist mittlerweile dieses „Muss“ erfüllt. Nicht nur die Observationsgruppe „Milan“ der Berner Kantonspolizei ist voll ausgelastet.154
Selbst die Polizeien kleinerer Kantone haben sich mittlerweile um eine solche professionelle Einheit bemüht. Allerdings dürfte die Ornithologie im Luzernischen etwas durcheinander geraten sein. Während der Berner „Milan“ in der Tat eine Vollzeittruppe ist, zieht der Luzerner „Albatros“ nach wie vor auf Milizschwingen seine Kreise. Die Luzerner Observationskräfte werden für einen Auftrag jeweils aus der Kriminalabteilung aber auch aus der uniformierten Polizei zusammengezogen. Sie haben zwar eine spezielle Ausbildung genossen, gehen aber in der Regel ihrem normalen Dienst nach. Die Zahl der Observationsaufträge, die auf diese Art absolviert werden können, ist damit notwendigerweise beschränkt, weil ein ständiger Einsatz zu einer untragbaren Anhäufung von Überstunden führen würde. Die Luzerner Kantonspolizei nimmt daher zusätzlich die Hilfe der Berner Milane in Anspruch. Diese Ausleihe, die auch zwischen anderen Kantonen vorkommt, hat den zusätzlichen Effekt, dass die Beamten auf der zu beobachtenden Szene noch nicht bekannt sind.
Die Einrichtung solcher Spezialgruppen bewirkt nicht nur, dass eine Notlage behoben und die notwendigen Observationen durchgeführt werden können. Ihre schiere Existenz lässt auch den Bedarf wachsen.
Eng mit der Observation verbunden ist der Einsatz technischer Mittel, jedenfalls soweit er an öffentlichen und allgemein zugänglichen Orten erfolgt. Gesetzlich begrenzt ist der Einsatz technischer Überwachungsgeräte nur da, wo die persönliche Geheimsphäre betroffen ist. Mit dem Bundesgesetz über den Schutz der persönlichen Geheimsphäre von 1979 wurde das Abhören fremder nichtöffentlicher Gespräche und das sonstige Aufnehmen von Tatsachen aus dem Geheim- und Privatbereich anderer Personen mit Hilfe von technischen Überwachungsgeräten unter Strafe gestellt (Art. 179bis ff. StGB). Art. 179octies StGB hingegen enthält eine Rechtfertigungsklausel, die sowohl die amtliche Telefonüberwachung als auch den amtlichen Einsatz von Überwachungsgeräten in der Privat und Geheimsphäre erlaubt, sofern sie richterlich genehmigt ist. Entsprechende Regelungen wurden zusätzlich in den meisten kantonalen Strafprozessordnungen sowie im Bundesstrafprozess fixiert. Der Einsatz technischer Überwachungsmittel außerhalb von Wohnungen wurde demgegenüber als bloße technisch verlängerte Observation verstanden. Dieser Bereich blieb deshalb, wie die Observation selbst, einzig und allein in der Hand der Polizei. Entsprechende Maßnahmen werden weder von einem Untersuchungsrichter verfügt, noch von einer übergeordneten richterlichen Instanz genehmigt. Sie werden als Maßnahmen im Vorfeld verstanden, auch wenn sie zielgerichtet gegen eine bestimmte Person eingesetzt werden.
„Im öffentlichen Raum darf man observieren. … Sobald das aber in den Privatbereich hineingeht, braucht es den Auftrag der Untersuchungsbehörden.“ Das betreffe nicht nur die Überwachung innerhalb einer Privatwohnung oder in diese hinein. „Der Eingang gehört auch zur Privatsphäre.“155 Dass diese Trennlinie nicht so klar ist, zeigt die Schilderung eines Falles:
„Ich hab jetzt gerade einen Fall auf dem Tisch, gestern das Problem gehabt, dass man wusste, da betreibt irgendeiner in einem Geschäft einen Heroinbunker, der muss größere Mengen von Heroin dort lagern, und das wird dann abgeholt, dann hat man Videokameras installiert und hat geschaut, was sind dort für Bewegungen, man hat dann ein Bild über die Täterschaft, hat dann konkret eröffnet.“156 Auf die Frage des Interviewers: „Aber ist das denn nicht so, dass sie [die Polizei], wenn sie Videoüberwachungen machen lassen oder Wanzen setzen, dass sie das genehmigen lassen müssen?“ folgt die Antwort: „Kommt darauf an. Wenn wir im öffentlichen Raum Videoüberwachungen machen, dann nicht. Und der war an sich in einem Gebiet tätig, wo es reichte, die öffentliche Straße zu beobachten und dann zu sagen, aha, so sieht die Bewegung aus. Da brauchen wir keine Genehmigung, das müssen wir dann auch nicht offen legen. Weil auch nicht seine Liegenschaften Gegenstand der Überwachungen waren – direkt, sondern nur die Zufahrten. Kommt an sich auf das gleiche raus im konkreten Fall, wird aber so differenziert. Von dort her, hätte man das durchaus verstecken können.“157 Dieses Beispiel zeigt, dass es sich um eine gezielte Überwachung handelt, die ebenso gezielt das Erfordernis der richterlichen Genehmigung umgeht. Statt das gebunkerte Heroin sicherzustellen und die betreffende Person zu verhaften, warten Polizei und Untersuchungsrichter, um weiteres aus dem Fall herauszuholen.
Am selben Fall zeigt es sich, wie schwer es Polizei und Untersuchungsrichteramt fällt, selbst die Ergebnisse dieser aus Sicht der Untersuchungsbehörden legalen Überwachung in den Strafprozess einfließen zu lassen: „Und ich habe da jetzt einen Kurier und ich müsste wissen, wann war der jetzt an diesem Bunker. Und zwar kann ich dann sagen, der müsste an einem bestimmten Tag da gewesen sein, habt Ihr das festgestellt. Und da spür ich dann gleich, dass Hemmungen kommen, weil man nicht will, dass die Gegenseite weiß, dass man dort Videoüberwachungen gemacht hat über längere Zeit; weil man nicht will, dass man überhaupt weiß, dass wir das machen. Und da habe ich jetzt schon das Problem, dass man mir sagt, musst Du das denn jetzt wirklich wissen. Wie können wir das so verpacken, dass die Gegenseite nicht sieht, dass das organisiert war. Dass das einfach als Wahrnehmungsbericht dasteht, ohne dass die Gegenseite weiß, dass wir das über längere Zeit gezielt gemacht haben. Das sind die Probleme.“158
Sie bestehen offensichtlich nicht nur in der Frage, wo die Privatsphäre nun wirklich beginnt und wo dementsprechend eine Überwachung ohne das Zutun der Justiz nicht mehr möglich ist, sondern auch darin, dass die Polizei sich bemüht, alle Informationen, die ihre Ermittlungsmethoden betreffen, systematisch aus der gerichtlichen Bewertung herauszuhalten. Damit sind gleichzeitig die einzigen Kontrollinstanzen ausgeschaltet, nämlich Richter und Verteidigung im Hauptverfahren.
3.3.3.3 Informanten und der sehr kleine Unterschied zu V-Leuten
Informanten sind fast immer Personen, die aus dem selben Milieu kommen, über das sie die Polizei informieren. Dass Informanten durchaus Eigeninteresse an der Weitergabe von Informationen haben, dass sie durch den Kontakt mit der Polizei gegebenenfalls sehr einfach einen Konkurrenten ausbooten können, dass sie unter Umständen selbst strafbare Handlungen begehen, ist der Polizei bewusst. Man müsse „ganz klar sehr differenziert die Informationen entgegennehmen, das ist klar. (…) Das ist das klassische Problem bei einem Informanten, weil man ja weiß, dass die zu einem großen Teil selbst nicht ganz sauber sind. Darum kommen sie ja auch an die Informationen heran, in der Regel.“159 Versprechungen der Strafbefreiung dürften nicht gemacht werden. „Wir können nichts versprechen, das ist klar. Wir können nicht einem Informanten Strafbefreiung versprechen, das können wir nicht zusichern, das liegt nicht drin. Das können wir nicht machen, das machen wir auch nicht.“160 Die Aussage ist sehr klar. Dass ausdrückliche Versprechungen gemacht werden, kann man zwar ausschließen. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass die Polizei das kriminelle Verhalten eines Informanten nicht zur Kenntnis nimmt oder auch, eventuell ganz bewusst, nicht prüft. Dass Informanten wegen eines in Aussicht gestellten Honorars zur Polizei kommen, wird von allen Polizeibeamten, die wir befragt haben, verneint. „Ja teilweise bekommen die ein Honorar. Aber das ist ein bescheidenes Honorar, das sie erhalten.“161 Dies wird im Interview mit den Zentralstellendiensten bestätigt. Die Höhe würde von Fall zu Fall bestimmt. Zumindest erstatte man den Informanten die Fahrspesen oder sonstige Auslagen. Über die Bezahlung gäbe es allerdings keine feste Regeln und auch keine Richtlinien.162
Die Vorstellung, welche die Polizei von ihrem Umgang mit Informanten präsentiert, ist die der passiven Entgegennahme der von ihnen gebrachten Informationen. Im Unterschied zur V-Person, die von der Polizei Aufträge zur aktiven Informationsbeschaffung oder zur Herstellung von Kontakten erhält, wird der Informant nur punktuell als Person angesprochen, die zu einer bestimmten Frage Auskunft geben oder die neuesten Gerüchte aus der Szene mitteilen soll: „Das gehört zu jeder polizeilichen Tätigkeit und ohne Informanten auf jeder Stufe, jeder Funktion, kann eine Kriminalpolizei nicht arbeiten.“163 Die Führung von Informanten ist eine Normalität. In der Tat schöpften Polizeibeamte, der politischen Polizei wie auch der Kriminalpolizei, schon immer aus solchen Quellen. Allerdings hat sich die Art des Umgangs erheblich geändert. Während früher Informanten fast ausschließlich einen einzigen Sachbearbeiter der Kriminalpolizei aufgrund persönlicher Bekanntschaft mit Informationen versorgten, ist die Führung von Informanten heute eine professionelle Aufgabe geworden. „Jeder (Kripo Beamte) soll seine Informanten haben, auch über lokale Gegebenheiten, eine gewisse Qualität von Informanten und V-Leuten braucht es dann, die gesteuert und gezielt eingesetzt werden. … Dieser Bereich muss entsprechend bewirtschaftet (werden), und zwar professionell, zentral.“164 Neben dem klassischen Informanten, der einem einzelnen Sachbearbeiter zudient, steht deshalb heute derjenige, der von einer speziellen Dienststelle abgeschöpft wird. Dabei verschwindet die Zufälligkeit und Einmaligkeit des Kontaktes, der das traditionelle persönliche Verhältnis nicht zur Kriminalpolizei als ganzer, sondern zu einem einzelnen Beamten bestimmte. Der Informant hat zwar auch weiterhin zu einer einzelnen Person Kontakt, zu seiner Führungsperson. Allerdings werden erstens die Erkenntnisse aus dem Kontakt mit dem Informanten zentral, also von der für Vorermittlungen zuständigen Stelle ausgewertet und gegebenenfalls in zentralen Datensystemen gespeichert. Zweitens bestimmen nicht mehr nur die Informationsbedürfnisse des einzelnen Sachbearbeiters den Kontakt, sondern die Aufträge, welche die Vorermittlung selbst von einer dritten Stelle erhält, von den Fachdienststellen oder einem OK-Dezernat. Es sei schon das Ziel, dass Informanten vor allem im Rahmen der Vorermittlung und nicht in erster Linie in den Fachdezernaten geführt würden. Diese Leute seien auf sehr hohem Niveau geschult und ihr Vorgehen tatsächlich sehr professionell. Dies betreffe nicht nur die Aktenführung, sondern in erster Linie die Steuerung und gezielte Suche nach Informationen.
Nicht umsonst nennen die Polizeibeamten Informanten und V-Leute in der Regel im selben Atemzug. Von der regelmäßigen Inanspruchnahme von Informanten bis zur Führung von V-Leuten ist es bei einer zentralen Bewirtschaftung nur noch ein kleiner Schritt. Was Informanten von V-Leuten unterscheidet, ist damit vor allem die rechtliche Stellung. Während der Einsatz von V-Leuten, selbst wenn er nicht in der Strafprozessordnung reguliert ist, in der Regel als strafprozessuale Maßnahme konzipiert ist und den Entscheid des Untersuchungsrichters erfordert, wird der Informant, ähnlich wie die Observation, als Quelle im Vorfeld verstanden, als Mittel der Schöpfung und Verdichtung eines Verdachtes, nicht als solches der Aufklärung einer bestehenden Anschuldigung. Also wird er möglichst aus dem Einflussbereich der Justiz herausgehalten. Es könne vorkommen, dass ein Informant einmal vom Untersuchungsrichter einvernommen werde, „aber ich würde sagen, der größte Teil hat nur Kontakt mit der Polizei.“165
Ein Untersuchungsrichter bestätigt, dass die untersuchungsrichterliche oder gar gerichtliche Einvernahme eines Informanten eher selten vorkomme: „Wir haben natürlich häufig ein Vertrauensproblem. Die Polizei hat natürlich immer, bei uns in St.Gallen fast historisch, das Bedürfnis gehabt, die Informanten gegenüber dem Richter abzuschotten. Weil sie Angst haben, dass der dann plötzlich die ganze Sache auf den Tisch will und der will die Protokolle und der will den Namen und der will den Menschen sehen usw. Und das will man natürlich nicht.“166 Aus diesem Misstrauen findet sich ein Ausweg, der letztlich die Anerkennung des polizeilichen Quellenschutzes bedeutet: „Wir haben dann auf dem Betäubungsmittelsektor in St.Gallen [eine Lösung gesucht]. Wir waren die ersten Untersuchungsrichter, die gesagt haben, wir können einen Informanten nicht wie einen Zeugen behandeln, der braucht eben die Anonymität unter Umständen. Wir können auch nicht alle Informationen, die der bringt, auf den Tisch legen und verwerten. Wir müssen mit dem gesondert umgehen. Und seitdem wir das Verständnis für die polizeiliche Seite haben, hat die polizeiliche Seite auch eher Vertrauen zu uns und gibt uns unter Umständen mehr Informationen, als wir vorher gekriegt hätten. Aber es ist natürlich nach wie vor so, dass wir uns häufig wirklich darum kümmern müssen, dass wir die Information kriegen. Und man sieht’s wirklich so als Vorermittlungen, die Arbeit, die diese Gruppe macht, die eben nicht konkret ins Verfahren fließen sollen. Man befürchtet auch immer, die Strategie wird durchschaut.“167
3.3.3.4 V-Leute und verdeckte Ermittler (VE)
Wenn Polizeioffiziere aus der deutschsprachigen Schweiz über verdeckte Ermittlungen reden, so fällt ihr Blick fast bewundernd auf Deutschland. Schweizerische verdeckte Ermittler werden zu einem großen Teil in der BRD ausgebildet und die Konzepte, denen man hierzulande folgt, sind stark von deutschen Vorbildern inspiriert. Die rechtspolitische Debatte um organisierte Kriminalität war in Deutschland zu einem großen Teil eine Debatte um verdeckte Ermittlungsmethoden. Der Einsatz von neben- und hauptamtlichen Spitzeln im Rahmen der politischen Polizeien, sowohl der Geheimdienste (Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, militärischer Abschirmdienst) als auch der davon getrennten Staatsschutzabteilungen der Polizei im engeren Sinne, hat zwar immer wieder zu Diskussionen geführt. Es ging um Skandale: Um die Auswahl der Objekte aus dem legalen politischen Bereich oder um die Ergebnisse insbesondere längerfristiger Einsätze, etwa der Unterwanderung der Tübinger linken Polit Szene anfangs der 90er Jahre durch Beamte des baden württembergischen Landeskriminalamtes, die sich ihren Zielpersonen so weit näherten, dass aus dem Kontakt eine Schwangerschaft resultierte. Eine konzeptionelle Debatte erfolgte in diesem politischen Bereich aber nicht. Die Unterwanderung politischer Gruppen schien bei aller Problematik eine erwartbare Angelegenheit.
Eine solche Debatte begann erst mit der breiteren Anwendung dieser Methoden gegen die „gewöhnliche“ Kriminalität. Besondere Ermittlungsmethoden spielten hier vorab im Drogenmilieu eine bedeutendere Rolle. Schon in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde hier nicht nur observiert, sondern vor allem mit V-Leuten gearbeitet. Die Praxis des Scheinkaufs von Drogen, die man vor allem von den US-amerikanischen Partnern, vor allem den Kriminalabteilungen der US-Stationierungsstreitkräfte gelernt hatte, entwickelte sich schnell zu einer regelrechten Standardmaßnahme. Anfang der 80er Jahre setzte sich in den Polizeiführungen die Einsicht durch, dass dieses buy and bust nicht besonders weit führte und in der Regel nur die kleine und mittlere Handelsebene betraf. Die Parole hieß nun „weg vom Kilodenken“. Das Kriterium für den Erfolg sollte nicht mehr in der Menge der durch Scheinkauf sichergestellten Drogen und in einer schnell erreichten Verhaftung liegen. Statt dessen wollte man Hintermänner und Financiers aufs Korn nehmen. „Nicht der repressive Erfolg“, so der Baden-Württembergische Landespolizeidirektor Alfred Stümper, ein Protagonist der deutschen OK-Debatte, stehe im Vordergrund, „sondern die möglichst umfassende Erfüllung des operativen Auftrags der Beseitigung der kriminellen Ausgangs- und Operationsbasen“ der OK.168
Vor dem Hintergrund dieses Wandels in der Zielbestimmung fand eine Verbreiterung des Repertoires an verdeckten Methoden und eine systematischere Organisation dieser Methoden statt.169 Dazu gehörte vor allem die Einrichtung von eigenständigen Dienststellen für verdeckte Ermittlungen (VE-Dienststellen), die sich ausschließlich mit verdeckten Maßnahmen befassen und in der Regel innerhalb von OK-Abteilungen angesiedelt sind oder mit ihnen permanent zusammenarbeiten. V-Leute werden nicht mehr ad hoc angegangen, sondern gezielt rekrutiert und geführt. Auch der Einsatz verdeckter Ermittler findet geplanter statt. Die VE-Dienststellen beschaffen dabei nicht nur die für die Legende notwendigen Papiere, sondern stellen auch die gesamte Logistik für den Einsatz, von Fahrzeugen und technischer Ausstattung bis hin zu konspirativen Wohnungen und Scheinfirmen.
Der schnelle Einsatz für den Scheinkauf von Drogen gehört zwar nach wie vor zum täglichen Brot der verdeckten Methoden bei Polizei und Zoll. Er wird allerdings häufig nicht von Mitarbeitern der VE-Dienststellen, sondern von Ermittlungssachbearbeitern durchgeführt. Nach der umfassenden Verrechtlichung des Einsatzes von verdeckten Ermittlern in den Polizeigesetzen (ab 1985) und in der Strafprozessordnung (1992) wurden verdeckt tätige Beamte, die nicht wie eigentliche verdeckte Ermittler mit einer umfassenden Legende ausgestattet werden, in der Terminologie heruntergestuft zu „nicht offen ermittelnden Polizeibeamten“ (NoeP) oder „qualifizierten Scheinaufkäufern“. Der eigentliche verdeckte Einsatz ist langfristig, er ist professionalisiert und kann dabei auf die gesamten Segnungen eines Apparates zurückgreifen. Dazu gehören mittlerweile auch breite Beziehungen zu vergleichbaren Dienststellen im In und Ausland und die Ausleihe von verdeckten Ermittlern bei diesen Partner-Dienststellen, die über das für die gewünschte Legende notwendige Profil und die entsprechenden Qualifikationen verfügen.
Eine solche Ausdifferenzierung der verdeckten Methoden hat in der Schweiz bisher nicht stattgefunden, weder in rechtlicher noch in praktischer Hinsicht. Die wenigen kantonalen Strafprozessordnungen (etwa Wallis, Tessin, Bern, Basel Land), in denen bisher die Anwendung verdeckter Methoden im engeren Sinne verrechtlicht wurde, machen zum Teil nicht einmal den Unterschied zwischen V Leuten und verdeckten Ermittlern oder binden diese an dieselben Bedingungen. „Die Polizei kann den Einsatz von eigenen Beamtinnen und Beamten und sonstigen vertrauenswürdigen Personen, deren Zusammenarbeit mit der Polizei Dritten nicht bekannt ist, als verdeckte Ermittlung veranlassen (V Leute)“, heißt es in Art. 214 des Berner Gesetzes über das Strafverfahren. Auf Bundesebene gibt es bisher keine spezifische rechtliche Regelung von verdeckten Ermittlungen. Art. 23 Abs. 2 BetmG stellt nur einen strafrechtlichen Rechtfertigungsgrund dar, der Beamte, die im Zuge von Ermittlungen illegale Drogen annehmen, von der Strafverfolgung freistellt.
Der im Juni 1995 vom EJPD präsentierte Vorentwurf eines Bundesgesetzes über die verdeckte Ermittlung sah nur den Einsatz von verdeckten Ermittlern vor und zwar für die Drogenbekämpfung durch Bund und Kantone und für Delikte, die der Bundesgerichtsbarkeit unterstehen, sofern sie banden-, gewerbsmäßig oder von einer kriminellen Organisation begangen werden. Eine Regelung für V-Leute ist nicht vorgesehen. Ausnahmsweise sollten Private als „verdeckte Ermittler“ eingesetzt werden, d.h. von der Polizei angestellt werden können. Diese Ausnahmeregelung ist keine Verrechtlichung der V-Person durch die Hintertüre, sondern bezog sich auf den von der Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz (KSBS) vorgebrachten Einwand, in bestimmten Bereichen könnten keine Polizeibeamten als verdeckte Ermittler auftreten, weil sie das für die Legende notwendige Fachwissen nicht hätten.
Die Rechtsprechung bezieht sich im wesentlichen auf zwei Punkte, erstens auf die mögliche Tatprovokation durch V-Personen oder verdeckte Ermittler: Bis zu welchem Punkt kann diese geduldet werden, wann ist eine Verwertung der Beweise unzulässig und dementsprechend eine Strafmilderung oder gar ein Freispruch des Angeschuldigten notwendig? Zweitens stellt sich die Frage, ob, wann und wie V-Personen oder verdeckte Ermittler als Zeugen vor Gericht zu präsentieren sind.
Konträr zu der Bedeutung, die dem verdeckten Einsatz in der politischen Diskussion um organisierte Kriminalität zugemessen wird, ist dessen praktische Relevanz, besonders in Gerichtsverfahren, derzeit sehr gering. Genaue Informationen über die Häufigkeit solcher Einsätze gibt es nicht. In seiner Antwort auf eine entsprechende Interpellation von Margrith von Felten weist der Bundesrat nur auf die anstehende Verrechtlichung hin. Die Frage der Nationalrätin, die gerade wegen der zu erwartenden Diskussion über die Botschaft Informationen über das Ausmaß der verdeckten Ermittlungen wollte, wurde nicht beantwortet. Glaubt man den befragten Polizeiführern und -führerinnen und Untersuchungsrichtern, sind diese Einsätze äußerst selten und haben gegenüber den frühen 90er Jahren abgenommen.
Bei einer Umfrage der Wochen Zeitung 1995170 erklärte ZSD Chef Stefan Gussmann, dass man bei der Betäubungsmittelzentralstelle noch 1994 ein bis zweimal monatlich einen Scheinkauf abwickelte. Seit seinem Amtsantritt im Juli 1995 bis zu der Umfrage im Oktober desselben Jahres hatte er aber keinen einzigen Fall gehabt. Bei einer erneuten Anfrage im November 1999 verwies Gussmann auf die angespannte Personallage im Bereich der Ermittlungen insgesamt, die verdeckte Einsätze praktisch unmöglich mache. In den kleineren Kantonen wurden und werden Einsätze von V-Personen und verdeckten Ermittlern nicht oder allenfalls ausnahmsweise praktiziert. Für den Thurgau erklärte Polizeikommandant Jürg Rüsch 1995, diese Methoden hätten für den Kanton keine Bedeutung „und werden hier nicht praktiziert. Ende der Durchsage.“ In Luzern ließ man sich 1995 zunächst schriftliche Fragen faxen. „Nach eingehender Beurteilung“ wollte man danach nur mitteilen, dass „wir über das taktische Einsatzmittel der verdeckten Ermittlung aus grundsätzlichen Erwägungen keine Auskunft erteilen möchten. Mit freundlichen Grüssen, Oblt. Rolf Koch, Chef Information/PR.“ Bei unserem Interview im Februar 2000 war die Antwort klipp und klar: „Also wir können uns da keinen verdeckten Ermittler leisten im Kanton Luzern. Das ist gar nicht möglich, das ist auch praktisch ein Blödsinn. Sie können nicht einen aufbauen und mit Legende leben lassen und dann meinen, Sie können den da als verdeckten Ermittler laufen lassen. Das geht nicht, das ist Theorie.“171 Verdeckte Ermittlern müssten vom Bund organisiert werden.
Bei der Kantonspolizei Bern verwies man auf die unsichere rechtliche Lage. Vor 1990 seien jährlich etwa drei bis vier Fälle mit verdeckten Ermittlern bearbeitet worden. Im Zusammenhang mit dem Fall Lüdi, der 1992 zu einer Verurteilung der Schweiz vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof führte, verzichteten die Behörden zunächst ganz auf verdeckte Einsätze und warteten auf eine gesetzliche Grundlage. Diese erhielt man im Kanton Bern mit dem Strafverfahrensgesetz, das 1996 in Kraft trat. Trotzdem sind Einsätze von verdeckten Ermittlern nach wie vor „selten … Der häufigste Fall ist einfach der Scheinkauf im Betäubungsmittel-Bereich.“ Eine eigenständige VE-Dienststelle gibt es nicht. „Wenn das vorkommt (verdeckte Ermittlung), ist das punktuell bestimmt, dann wird ein VE-Führer und ein VE bestimmt, punktuell.“172
Die Einsätze werden von Ermittlungssachbearbeitern aus dem Betäubungsmittel- oder dem OK-Dezernat durchgeführt. Nach dem Strafverfahrensgesetz stellen die Ermittler einen Antrag an den Kommandanten. Der Einsatz muss vom Untersuchungsrichter innerhalb von 24 Stunden genehmigt werden. Er ist maximal für zwölf Monate möglich. Diese zeitliche Begrenzung wird für den Einsatz verdeckter Ermittler im OK-Bereich als Hindernis empfunden. Nach zwölf Monaten „ist fertig. Es gibt keine Möglichkeit den Einsatz des verdeckten Ermittlers zu verlängern.“ Bei OK-Fällen, die Monate dauern, sei diese Frist zu kurz, um „den V Mann in eine sehr gut strukturierte Organisation hinein(zu)bringen … Bis man da das Vertrauen gewonnen hat, bis man da drin ist, einen Platz gefunden hat, sich vorgearbeitet hat in eine bestimmte Hierarchiestufe, das ist meines Erachtens, und da rede ich jetzt wirklich aus rein theoretischen Überlegungen heraus, nicht möglich.“ Hinzu kämen weitere Schwierigkeiten: „Ich denke da einerseits an die finanziellen Aufwendungen für eine totale Legendierung. Und auch an ethnische Gruppierungen, wo man schwieriger hineinkommt. Unser Gesetz lässt zwar zu, würde theoretisch zulassen, polizeifremde VE’s einzusetzen, (…) V Leute aus dem Milieu“, aber auch dies sei eher selten.173
Auch in St.Gallen wartet man auf das angekündigte Bundesgesetz über verdeckte Ermittlungen. Die VE-Tätigkeit wurde „sehr eingeschränkt durch den laufenden Gesetzgebungsprozess, der ja jetzt schon drei oder vier Jahre dauert. Und damit sind natürlich nicht nur die physischen Unsicherheiten, sondern auch die rechtlichen Unsicherheiten im Spiel. Das ist eine Grauzone, die für den verdeckten Ermittler wie für die Polizeiführung enorme Risiken und Gefahren birgt.“
Noch 1995 wurde die Zahl der Einsätze verdeckter Ermittler in St. Gallen mit „vielleicht sechs bis sieben“ pro Jahr angegeben. Früher sei der Scheinkauf relativ häufig gewesen. Allerdings sei die Verwertung vor Gericht sehr schwierig gewesen, „so dass eben die Scheinkäufe praktisch nicht mehr vollzogen werden“.174 Über die Häufigkeit des Einsatzes und die Schwierigkeit bei der Verwendung des verdeckten Ermittlers vor Gericht berichtet uns ein Untersuchungsrichter: „Anfang der 90er bis 1996 war das noch, da stellte sich die Frage relativ häufig, aber im Moment ist da generell ein Abwarten da auf dieses Bundesgesetz, weil einfach die Risiken zu groß sind. Das sind so aufwändige Verfahren, dass sie vielleicht von vier Verfahren zwei ohne Komplikationen rüberbringen und die andern zwei mit -zig Instanzen, Erscheinen vor Gericht, mit Kritik und versuchter Offenlegung und und und. Da stimmt dann einfach Aufwand und Ertrag nicht, wenn dann am Schluss das Gericht, weil man den V Mann nicht offen legen kann, unbedingte Gefängnisstrafen von zwölf Monaten verhängt, ein Fall ist so geschehen. Aber auch das zu einer Zeit noch, wo wir damals auch noch gewisse Probleme hatten mit dem ganzen. Darum sage ich, ist das in den Kantonen relativ selten mehr, darum hört man auch nicht mehr die Schlagzeilen vom V-Mann, der aufgedeckt wird.“175
Einsätze finden heute wenn überhaupt vor allem zur Informationssammlung oder zur direkten Abklärung strafbarer Handlungen statt. Sowohl der Einsatz als auch die Führung der V-Leute und verdeckten Ermittler wird von der Vorermittlungsdienststelle übernommen, die gegenüber dem Rest der Kriminalpolizei abgeschottet ist. Entscheidung und rechtliche Verantwortung liegen beim Chef der Kriminalpolizei.
Solange sich der Einsatz im Vorfeld abspielt, sind die Untersuchungsrichter nicht einbezogen. Sie werden dann wichtig, wenn es um die Eröffnung eines Strafverfahrens geht. „Das Problem ist immer, zu welchem Zeitpunkt kommen die, und ich glaube, es hat sich relativ gut entwickelt bei uns, weil die Leute mittlerweile wissen, dass sie relativ früh kommen müssen; wenn sie eine konkrete Verdachtslage haben gegenüber einem konkreten Täter, und das reicht für die Eröffnung, dann kommen sie. Und die kommen spätestens dann, wenn sie technische Maßnahmen brauchen, weil sie diese alleine gar nicht kriegen. Und dann ist klar, von dem Moment an, weiß man, das wird man irgendwann offen legen müssen, und dann arbeitet man natürlich auch anders, weil man weiß, die Informationen werden auch offen gelegt.“176
Sobald der Einsatz gezielt gegen eine Person gerichtet ist, muss er in St.Gallen – ähnlich wie eine Telefonüberwachung – vom Untersuchungsrichter verfügt und von der Anklagekammer genehmigt werden. Aus der Phase der Vor(feld)ermittlung bleiben alle Informationen bei der Polizei. Wenn es nicht zwingend ist, bringt man die Informationen nicht ins Verfahren ein. „Sie sind Stützen, also sozusagen Leitplanken für den Ermittler, aber der Schutz gegenüber dem Rückschluss auf entsprechende operative Maßnahmen erfordert, dass man es (…) nur in zwingenden Fällen einbringt. Eine Ausnahme ist dann, wenn eine richterliche Anordnung vorliegt. Dann ist klar, dass dem Richter grundsätzlich diese Erkenntnisse offengelegt werden müssen und er dann unter bezug auf Anonymitätsgewährung oder Quellenschutz abwägen muss, wieweit der Grundsatz gilt, dass alles was beweisrelevant ist, an und für sich zu den Untersuchungsakten gehört. Dem leben wir nach, aber dort wo es nicht zwingend ist … Es ist aber jederzeit präsent.“177
Nach Möglichkeit bleibt also der Einsatz der verdeckten Ermittler unter der polizeilichen und untersuchungsrichterlichen Decke. Falls es nicht möglich ist, den Beweis auf andere Art und Weise zu erbringen, werden die Erkenntnisse aus dem verdeckten Einsatz entweder als Amtsbericht oder als Zeugenaussage der verdeckten Ermittler oder der V-Leute in das Hauptverfahren eingebracht.
Anders als in St.Gallen lässt das Berner Strafprozessrecht keine verdeckten Einsätze ohne Kenntnis des Untersuchungsrichters zu. Im Vorfeld habe die Polizei gewisse Möglichkeiten, wie beispielsweise Observation, der verdeckte Einsatz müsse aber genehmigt werden, nicht von der Anklagekammer, sondern durch den Untersuchungsrichter. Damit ist der Untersuchungsrichter, „mit einem Bein in den Ermittlungen drin.“ Man habe auch gewisse Druckmittel gegenüber der Polizei. Man könne den Einsatz zum Beispiel nur genehmigen unter der Auflage, dass man regelmäßig informiert würde. Das Kontrollinteresse des Untersuchungsrichters beruht aber nicht unbedingt auf einem besonderen Interesse an einem sauberen Verfahren, sondern vor allem auf dem Wunsch, nicht ausgeschlossen zu sein. „Es gibt grundsätzlich als UR nichts Gröberes, als wenn man als UR am Pult sitzt, und dann kommen sie und sagen, jetzt haben wir zugeschlagen. Und man hat von Tuten und Blasen, von der ganzen Vorgeschichte und all dem was da herum ist, keine Ahnung und soll sich in zwei Stunden in das ganze einarbeiten. Unmöglich, unmöglich. Aber wir sollen Zwangsmaßnahmen verfügen, verhaften, Haussuchungen machen, Untersuchungen anordnen, etc. Und man hat dann das Gefühl, man weiß nicht so genau warum. Das ist nicht so gut, oder.“178Von daher müsse bei einer längeren verdeckten Ermittlung grundsätzlich eine Voruntersuchung eröffnet werden, „damit der Untersuchungsrichter drinnen ist und damit er auch das Verfahren leiten kann. Und dann ist es auch noch eine Frage, wie lebt der ganze Pulk, der in einer Untersuchung drin ist, zusammen.“ Ideal sei deshalb eine Ermittlungsgruppe aus Kriminalpolizeibeamten, die der Staatsanwaltschaft ständig zur Verfügung stehen, wie dies in Basel-Stadt der Fall ist. Die Berner Situation unterscheidet sich damit von der St.Galler vor allem dadurch, dass der Untersuchungsrichter immer in die verdeckten Ermittlungen der Polizei eingebunden ist. Das Vorfeld vor einem wirklich konkreten Verdacht verschwindet damit nicht, die Untersuchungsbehörden werden vielmehr in diesen Bereich kooptiert. In Luzern hat der Untersuchungsrichter, der hier Amtsstatthalter heißt, ähnlich wie in Bern, keinen allzu großen Einfluss auf die polizeilichen Ermittlungen im Vorfeld. Von verdeckten Ermittlern, jedenfalls im Kriminalbereich, hält man nicht viel.179
Der Entwurf für ein Bundesgesetz über verdeckte Ermittlungen sieht eine Mischform vor. Vor Eröffnung des Verfahrens soll der verdeckte Einsatz im wesentlichen eine Angelegenheit der Polizei bleiben. Nur wenn „zum Aufbau oder zur Aufrechterhaltung einer Legende Urkunden hergestellt oder verändert werden“ oder nur kurzzeitig von der Polizei angestellte verdeckte Ermittler eingesetzt werden, soll der Einsatz genehmigt werden, allerdings nicht von der Untersuchungsbehörde, sondern von der Anklagekammer. Erst bei einem Einsatz im Rahmen des Verfahrens würden die Untersuchungsrichter konkret beteiligt. Auch in diesem Falle müsste die Anklagekammer den Einsatz und gegebenenfalls den Scheinkauf genehmigen.
Mit der Verabschiedung des Gesetzes würde eine wesentliche Voraussetzung für einen Ausbau verdeckter Ermittlungen gelegt, allerdings nur eine. Denn nur wenige Kantone sind bereits gerüstet. Auf den Hinweis des Interviewers: „Was wir bisher gehört haben, war immer, dass es nur eine passive Entgegennahme von Informationen durch Informanten gibt, nicht aber die zielgerichtete Aufnahme von Informationen durch verdeckte Ermittler“ die Antwort des Untersuchungsrichters: „Nein, da muss ich sagen, da sind wir wahrscheinlich in St.Gallen etwas weiter als andere Kantone, vor allem als andere kleinere Kantone, mit dieser Gruppe Vorermittlung, die sich darum kümmert, gezielt.“180 Ob die Vorermittlungsgruppe permanente verdeckte Ermittler habe: „Ich kann Ihnen das für den Kanton St.Gallen gar nicht sagen. Ich weiß das nicht. Das war beim Aufbau dieser Gruppe vor zwei oder drei Jahren jedenfalls das Ziel, dass man feste verdeckte Ermittler hat. Ich weiß nicht, ob die mittlerweile so weit sind. Aber das Ziel war schon damals, dass die verdeckten Ermittler von St.Gallen jedenfalls nicht in St.Gallen tätig sind, primär, sondern außerkantonal. Und wenn man in St.Gallen einen verdeckten Ermittler braucht, dann holt man einen außerkantonal.“181
St.Gallen folgt in seiner praktischen Gestaltung verdeckter Ermittlungen sehr stark dem deutschen Modell und orientiert sich auf die Professionalisierung dieses Bereiches. Dies gilt nicht nur für den Einsatz von verdeckt tätigen Polizeibeamten, sondern auch für V-Leute, die vor allem wegen der starken Präsenz von ausländischen Gruppen im Drogenhandel und der organisierten Kriminalität für besonders wichtig erachtet werden. Zu diesen Gruppen hätten schweizerische verdeckte Ermittler kaum einen Zugang. Interne Informationen könnten also nur durch angeworbene V-Leute derselben Volksgruppe beschafft werden, weshalb eine besondere zentrale Bewirtschaftung dieses Bereichs notwendig sei.
Zürich habe die verdeckten Ermittlungen zur Zeit eingestellt, meldet aber Bedarf an: „Wie kann der Staat – soweit es um repressive Aspekte geht – diese Flut [der sogenannten organisierten Drogenkriminalität] eindämmen, oder besser gesagt, einzudämmen versuchen? Es ist naheliegend, dass die internationale Drogenmafia weder Fernsehspots noch andere Werbung betreibt. Es ist Sache der Strafverfolgungsbehörden, ihren Geschäften auf die Spur zu kommen. Der Strafverfolger macht sich auf die Suche nach einem sogenannten Anfangsverdacht. Dieser kann auf Hinweisen aus der Bevölkerung, auf Ergebnissen aus anderen Verfahren, auf Informationen aus dem Milieu etc. beruhen. Liegen ausreichende Informationen vor, wird sich die Polizei zur Einleitung einer formellen Strafuntersuchung an die zuständige Bezirksanwaltschaft wenden. An dieser Stelle führt kein Weg an den verdeckten Ermittlungen vorbei. Das Wort ‚verdeckt’ besagt es: Es handelt sich um Ermittlungen, welche vorerst – wir hoffen es zumindest – ohne Wissen der Betroffenen durchgeführt werden. Es sei vorweggenommen, dass der Einsatz verdeckter Ermittler in der Praxis mangels gesetzlicher Grundlagen derzeit kein Thema ist. Wie viel sich nach der Schaffung der gesetzlichen Grundlagen ändern wird, ist eine offene Frage, praktische Hürden stehen zuhauf bereit.“182 Anders als in St.Gallen, das nach deutschem Vorbild seine Vorermittlungsstelle nach außen abgeschottet hat, sind die verdeckten Ermittler der Zürcher Kantonspolizei im normalen Kriminalpolizeigebäude präsent und den Ermittlungssachbearbeitern bekannt. Ob die Zürcher Praxis über Scheinkäufe und andere kurze Einsätze hinausgeht, kann deshalb bezweifelt werden.183
Neben der rechtlichen Unklarheit gibt es zwei praktische Probleme, die eine Ausdehnung des Komplexes der verdeckten Ermittlungen in der schweizerischen Polizei behindert. Das eine ist die Tatsache, dass die Schweiz einen kleinen geographischen Raum darstellt, in dem die soziale Kontrolle groß ist. Verdeckt ermittelnde Polizeibeamte können trotz Legende schnell enttarnt werden. Vor allem in kleineren ländlichen Kantonen ist der Einsatz eigener Beamter nahezu unmöglich. In St.Gallen verfolgte man deshalb schon zu Beginn das Ziel, dass die verdeckten Ermittler von St.Gallen jedenfalls nicht in St.Gallen tätig sein sollen, sondern außerkantonal.
Vor allem der Kanton Zürich, der bereits seit den 70er Jahren verdeckte Ermittlungen betreibt, leiht seine Verdeckten an andere Kantone aus. Er bedient sich auch solcher aus dem Ausland. Die im deutschschweizerischen Polizeivertrag vom April 1999 vorgesehene Möglichkeit der gegenseitigen grenzüberschreitenden Ausleihe ist für Zürich schon normal. Der Vertrag schreibt nur eine bestehende Praxis fest.
Ein Problem bei dem Einsatz von V-Leuten ist die vergleichsweise geringe Größe der entsprechenden Organisationsgliederungen und der Kriminalpolizeien der Kantone schlechthin. Es ist deshalb kein Zufall, dass gerade die kleinen Kantone auf eine Unterstützung durch den Bund warten. Wegen der sich nun im Aufbau befindenden, personell starken Bundeskriminalpolizei besteht die Möglichkeit, dass wieder mehr V Leute zirkulieren.
3.3.3.5 Telefonüberwachung – die strafprozessuale unter den operativen Methoden
Autoren des deutschen Bundeskriminalamts bezeichneten schon 1988 die Telefonüberwachung als konventionelle Methode. Wegen der für die organisierte Kriminalität typischen Abschottung und weil die OK-Täter wüssten, dass die Polizei dieses Mittel einsetze, habe die Überwachung des Fernmeldeverkehrs an Bedeutung verloren.184 Das Argument dürfte durch das Interesse an einer weiteren Verrechtlichung der verdeckten Methoden im engeren Sinne motiviert sein. In der Praxis jedenfalls wächst das Interesse der Polizei an dieser konventionellen Methode permanent.
Dies trifft auch für die Schweiz zu. Die geltenden rechtlichen Bestimmungen über die Telefonüberwachung, die als strafprozessuale unter den operativen Maßnahmen zu bezeichnen ist, stammen aus dem Jahre 1979. Überwachungen sind danach nur erlaubt, wenn sie amtlich erfolgen, zur Verfolgung oder Verhinderung eines Verbrechens oder eines Vergehens dienen und zusätzlich zur Verfügung bzw. Anordnung durch einen Untersuchungsrichter (bzw. die Bundesanwaltschaft) durch eine übergeordnete Instanz, in der Regel die Anklagekammer, genehmigt werden. Erforderlich ist nicht nur ein konkreter Verdacht, sondern auch, dass sonstige Ermittlungen erfolglos blieben oder von vorneherein aussichtslos erscheinen. Anschlüsse von nicht unmittelbar Verdächtigen dürfen nur dann überwacht werden, wenn die eigentliche Zielperson diesen Anschluss benutzt oder auf diesem Anschluss eingehende Anrufe für sie bestimmt sind. Nach Bundesstrafprozess kann eine Überwachung zunächst für ein halbes Jahr genehmigt und dann wiederum für dieselbe Dauer verlängert werden. Kantonale Strafprozessordnungen legen zum Teil eine Frist von nur drei Monaten zugrunde, bevor eine Verlängerung erforderlich wird.
Die Genehmigungspflicht wurde in den 70er Jahren hart erkämpft. Obwohl diese Regelung bei der Verabschiedung als besonders restriktiv galt, haben die Telefonüberwachungen in den 80er und verstärkt in den 90er Jahren eine enorme Steigerung erfahren. Dies lässt sich sicher belegen, obwohl die wenigen vorliegenden Zahlen nur die Anordnungen betreffen und obwohl in den Kantonen und beim Bund mit unterschiedlichen Ellen gemessen wurde und wird. Solche Unschärfen können nicht nur für die Zeit vor 1979 angenommen werden, wo man es insbesondere im Staatsschutzbereich mit dem Zählen nicht so genau nahm. Auch danach bleibt fraglich, ob in allen Kantonen gleich gezählt wurde, d.h. ob pro überwachter Person eine Anordnung erforderlich war oder ob die Überwachung des Anschlusses einer Dritt oder Kontaktperson von derselben Anordnung abgedeckt wurde, die auch die Überwachung der eigentlichen Zielperson rechtfertigte. Wie viel Anschlüsse abgehört wurden, welcher Art diese Anschlüsse waren, wie häufig öffentliche Fernsprechzellen belauscht wurden, um wie viele Ermittlungsverfahren es sich dabei handelte, geht aus den nackten Zahlen nicht hervor. Erst ab 1991 weist die Bundesanwaltschaft in ihren Daten die rückwirkenden Teilnehmeridentifikationen aus, wobei aber auch hier nicht klar ist, ob es sich um zusätzliche Anordnungen handelte oder ob diese Maßnahmen zumindest teilweise in den allgemeinen Überwachungsanordnungen inbegriffen waren. Auch der seit 1998 arbeitende Dienst für Besondere Aufgaben (DBA) im Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, der angesichts der Privatisierung der Telefondienste in der Schweiz und im Vorgriff auf das zu erwartende neue Bundesgesetz eingerichtet wurde, brachte keine Klarheit. Auf eine Interpellation antwortete der Bundesrat, der DBA hätte 1998 insgesamt 2138 Anordnungen für die Überwachung von Gesprächen verzeichnet.185 Es bleibt unklar, bei wie vielen der 1951 Teilnehmeridentifikationen zusätzlich auch Gespräche erfasst wurden. Im Januar 2002 wird in einer Pressemitteilung von ca. 2000 im Jahre 2000 und ca. 2400 im Jahre 2001 gesprochen.
Unterstellt man also, dass es sich bei diesen Zahlen tatsächlich um Anordnungen und nicht um Schaltungen handelt, so würde dies bedeuten, dass sich die Zahl der Anordnungen für diesen heiklen Eingriff in die persönliche Freiheit innerhalb eines Jahrzehnts vervierfacht hat.
An dieser Aufstellung ist auch zu erkennen, dass sich das Interesse an diesem Mittel von der Bundesanwaltschaft auf die Kantone verlagert hat: Bis in die 80er Jahre war die Telefonüberwachung vor allem eine Domäne der Bundesanwaltschaft gewesen. Im Vordergrund stand dabei der Staatsschutz, sowohl in eindeutig präventiver Absicht, als auch zu Zwecken der Strafverfolgung von politischen und Spionagedelikten. Von den 376 Anordnungen von Januar 1971 bis März 1974 entfielen gerade 22 auf gewöhnliche Delikte, vor allem auf den Verdacht der Geldfälschung. Auch der Anstieg in der zweiten Hälfte der 70er Jahre wurde mit einer angeblich verstärkten Spionageaktivität der Staaten des Warschauer Paktes gerechtfertigt. In derselben Zeit erfolgte auch die Aufstockung des Personals der Bundespolizei.
Seit den Höhepunkten der 70er Jahre sind die Überwachungsaktivitäten der Bundesanwaltschaft zurückgegangen. Hier macht sich zunächst die beginnende außenpolitische Entspannung in den 80er Jahren und dann der Wegfall des traditionellen Feindbildes seit dem Beginn der 90er bemerkbar, ein Ergebnis des Zusammenbruchs der staatssozialistischen Systeme in Osteuropa und des Fichenskandals, der vorübergehend zu einer Beschränkung der staatsschützerischen Tätigkeit führte.
Zumindest für die 80er Jahre ist festzuhalten, dass die Überwachungsaktivitäten der Bundesanwaltschaft teilweise beträchtlich verlängert wurden – ein Umstand, der sich aus der Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft für politische Verfahren sowie für „komplexe“ Drogenermittlungen ergibt.
Soweit erkennbar nahm das Interesse der Kantone an diesem Instrument erst seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre langsam zu. Ein deutlicher Anstieg der von kantonalen Untersuchungsrichtern angeordneten Überwachungen erfolgte seit Ende der 80er Jahre. Dieser Anstieg dürfte vor allem auf die von den Kantonen geführten Drogenverfahren zurückzuführen sein. Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz sind 1998 nach wie vor in einem Drittel (33 %) der Fälle die Rechtfertigung der Überwachungsmaßnahmen gewesen, 17 % entfielen auf Vermögensdelikte, 9 % auf Delikte gegen Leib und Leben und 41 % auf sonstige, worunter ein Sammelsurium von Falschgeld, Sprengstoff, Menschenhandel, Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation, Brandstiftung, Nötigung und Erpressung zusammengefasst ist.
Tabelle: Anzahl der Anordnungen von Telefonüberwachungen186
Jahr | Bundesanwaltschaft | Militärjustiz | Kantone |
1965 | 97 | 0 | 68 |
1966 | 102 | 0 | 37 |
1967 | 133 | 0 | 22 |
Jan. 1971-März 1974 | insgesamt 376 | keine Ang. | keine Ang. |
1976 | 59 | 3 | 154 |
1977 | 87 | 0 | 190 |
1978 | 104 | 2 | 174 |
1980-85 | durchschn. 65 | keine Ang. | keine Ang. |
1988 | 41 | 5 | 403 |
1989 | 45 | 0 | 462 |
1990 | 41 | 0 | 533 |
1991 | 32 (+ 20)187 | 0 | 574 |
1992 | 19 (+ 16) | 0 | 695 |
1993 | 24 (+ 29) | 0 | 802 |
1994 | 19 (+ 15) | 0 | 800 |
1995 | 32 (+ 34) | 5 | 840 |
1996 | 20 (+ 31) | 5 | 1020 |
1998 | insgesamt Bund und Kantone: 2138 (+ 1951)188 | ||
2000 | 2000 | ||
2001 | 2400 |
Dass Telefonüberwachungen auch in absurden Fällen betrieben werden, zeigen nicht nur die Überwachungsmaßnahmen der Bundesanwaltschaft gegen Journalisten zur Ermittlung von Amtsgeheimnisverletzungen, sondern auch die Anordnung einer Berner Untersuchungsrichterin, die 1995 auf diese Art und Weise gegen Sprayer vorging, also wegen Sachbeschädigung ermitteln ließ.189 Dennoch liegt der Löwenanteil der Überwachungsfälle bei dem, was die von uns befragten Polizeibeamten als Basis-OK bezeichnet haben. „Von mir aus gesehen ist es fast unmöglich, ein OK-Verfahren zu führen ohne Telefonüberwachung.“190 Die Telefonüberwachung sei ein wesentliches Ermittlungsinstrument, „… vor allem im größeren BM-Bereich. Da sind TKs [Telefonkontrollen] etwas Zentrales. … Das ist schon ein gutes Mittel.“191 Sie seien ganz klar die wesentliche Informationsquelle bei Drogenermittlungen. „Es lässt sich auch nicht ersetzen. Also im Drogenhandel – man kann nicht Drogen handeln ohne Telefon. Jetzt via Internet vielleicht, aber sonst.“192 Allein im Kanton Zürich sind in vier Jahren 41’000 Telefongespräche übersetzt worden.193
Weder Polizeibeamte noch Untersuchungsrichter sehen eine massive Steigerung innerhalb eines Jahrzehnts. Entweder sind die veröffentlichten Zahlen den Beamten nicht bekannt oder sie halten sie für Ausgeburten der Phantasie von Boulevard Reportern. „Na, man muss ja nicht immer dem ‘Blick’ alles glauben. Von der ganzen Zahl der Überwachungen sind dann vielleicht ein Drittel bis die Hälfte rückwirkende Teilnehmer-ID. Sogenannte rückwirkende Teilnehmeridentifikation, wo man rückwirkend von einem Anschluss hat sehen wollen, wer hat mit wem telefoniert, bzw. welche Nummer ist mit welcher Nummer verbunden worden.“194 Dies war eine Anspielung auf den Sonntags-Blick, der die Daten für 1998 kurz vor der Antwort des Bundesrates auf Margrith von Feltens Interpellation veröffentlicht hatte.195 In St.Gallen ist man gleicher Ansicht: „Nein, was sich erhöht hat, ist die Zahl der Randdatenerfassungen.“196 Die Hälfte der Verfügungen seien Teilnehmeridentifikationen. Dabei erfährt die Polizei oder der Untersuchungsrichter nicht den Inhalt der Gespräche. Mitgeteilt werden die Nummern der Anrufer und Angerufenen eines überwachten Anschlusses. Bei Mobiltelefonen kann bis zu einem gewissen Grad auch der Standort des Telefonierenden ermittelt werden.197 Diese Daten müssen von den Firmen, die Telekommunikationsdienste anbieten, angeblich aus Gründen der Rechnungslegung, für sechs Monate aufbewahrt werden. Überwachungsanordnungen beziehen diese Daten fast automatisch mit ein, sie können auch eigens angefordert werden. Auch dazu ist eine richterliche Anordnung erforderlich.
Ein Drittel bis die Hälfte aller Anordnungen bezögen sich auf Teilnehmeridentifikationen. Diese seien explosionsartig angestiegen. Ein von uns befragter, für Drogenfälle zuständiger Untersuchungsrichter ordnet alleine jährlich ca. 40 Telefonüberwachungen im engeren Sinne an. Diese Zahl entspricht derjenigen, die Anfang der 90er Jahre pro Jahr von einem ganzen größeren städtischen Kanton angegeben wurde.198 Die Telefonüberwachung ist für Untersuchungsbehörden und Polizei längst nicht mehr eine außergewöhnliche Ermittlungsmethode, sondern eine Normalität.
Die Berner Polizisten und Untersuchungsrichter betonen, dass es für die Anordnung einer Überwachung eines sehr konkreten Verdachtes bedürfe. Bei Telefonüberwachungen handle es sich um Beweissicherungsmaßnahmen: „Also ich weiß quasi, dass sie etwas Kriminelles machen, was die Anforderungen des Strafverfahrens an eine solche Anordnung erfüllt. Mit der Anordnung, mit der Durchführung der Maßnahme, beweise ich, was ich an und für sich schon weiß. Also nicht: Ich vermute, ich nehme an, der macht das, hören wir ihn einmal ab, ah ja, er macht’s tatsächlich. Das ist nicht die Idee. Das ist Beweissicherung.“199 Man müsse den Tatverdacht darlegen: „Der Polizist kommt ja mit einem Antrag zu mir und begründet den Verdacht, weshalb er bei mir einen solchen Antrag stellt.(…) Ich sehe mir das an, prüfe das und stelle nachher fest, ja ich bin dieser Meinung, das überzeugt mich, der Tatverdacht ist gegeben. Ich kann das nachvollziehen. Subjektiv durch die Informationen, die er über die Leute bekommen hat, die er nicht nennen darf oder nicht nennen will, objektiv durch die Sachen, die er zusätzlich zur Untermauerung der ganzen Sache abgeklärt hat.“ 200 Es sei eine Ehrensache, eine Telefonüberwachung nur zu verfügen, wenn er sicher sei, dass die Anklagekammer diese auch genehmigen werde.
Entsprechende Anordnungen zu erlassen ist gerade für die spezialisierten kantonalen Untersuchungsrichter „Routine. Es ist verfahrensmäßig relativ kompliziert, aber wenn man’s einmal weiß, wie’s funktioniert (…) Ich verlange von meinen Polizeibeamten, dass sie mir einen Bericht machen, wie die Verdachtslage ist, allenfalls Beweismittel beilegen. Und ich mache dann die Verfügung und lege den Bericht der Kapo mit Beilagen bei, und das wird dann in der Regel problemlos bewilligt.“ Die Anklagekammer erhält keineswegs ein dickes Aktenpaket, auf das sie ihre Genehmigung stützt, „nein, zwei, drei Seiten, mit allenfalls Belastungen noch.“201 „Seitdem ich diese Funktion (OK-Untersuchungsrichter) übernommen habe, ist es fast zur Tagesordnung geworden. Früher, in meinem normalen officio, ist das ganz selten der Fall gewesen.“202 Entsprechende Verfügungen und die dazugehörigen Begründungen, „das sind nur ein paar Sätze. Um was es geht. Warum man gerade den Teilnehmer überwachen muss. Drogenhändler zum Beispiel: Da schreibe ich, dass wir wissen, der handelt mit Drogen, dass er das übers Telefon abwickelt und dass wir versuchen, möglichst seine Lieferanten auf höherer Ebene ausfindig zu machen. Und das langt dann schon. Und dann ist das genehmigt.“ Die Kriminal- und Anklagekommission genehmige die Verfügung in einem Zirkularbeschluss, „und dann macht der Gerichtsschreiber den Kurzentscheid, die sehen dann immer gleich aus. Das und das ist beantragt, nach Prüfung der Akten sei es gerechtfertigt, dass man den und den überwacht, und es werde bewilligt für das und das. Also die prüfen schon die Formalitäten.“203
Ob der Untersuchungsrichter die von der Polizei vorgetragenen Verdachtsgründe tatsächlich überprüfen kann, dürfte trotz der oben zitierten Äußerungen fraglich sein, weil die Untersuchungsbehörden erst eingeschaltet werden, wenn technische Maßnahmen nötig sind. Der Entscheid erfolgt aufgrund der Vor(feld)ermittlungen der Polizei, aufgrund der Aussagen ihrer Informanten, die er aber im Regelfalle nicht zu Gesicht bekommt. Mehr als zu einer formalen Prüfung ist er faktisch nicht imstande. Für die Genehmigungsbehörde gilt dies umso mehr.
Die Telefonüberwachung hat aber nicht nur durch die Häufigkeit der Überwachung und die Einfachheit des Genehmigungsverfahrens ihre Bedeutung verändert. Auch die Überwachung selbst hat mehr und mehr einen quasi-präventiven Charakter. Dies stellte die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Nationalrates bereits in ihrem Bericht von 1992 über die „Telefonüberwachungen im Bund“ fest. Gerade weil die meisten Delikte, wegen derer eine Abhörmaßnahme angeordnet wird, offen formuliert seien und bereits das Vorfeld eigentlicher Taten mit einbezögen, werde „bereits unter dem Titel Strafverfolgung gehandelt, bevor eine schwerwiegende Verletzung der inneren Sicherheit eingetreten ist.“204 Die GPK bezog dies in erster Linie auf die Staatsschutzdelikte. Ähnliches ist dort zu konstatieren, wo es um Formen illegalen Handels und um die organisierte Kriminalität, um Dauerdelikte geht. Art. 260ter StGB spielt dabei keine zentrale Rolle. Wie auch bei der Erfassung in ISOK haben die Polizeibehörden hier Schwierigkeiten, den Verdacht der kriminellen Organisation in einem frühen Verfahrensstadium zu begründen. „Ich würde sagen, wenn man wortreich einen guten Antrag schreibt für eine allfällige Telefonüberwachung oder fürs Wanzensetzen über den 260ter, dass man dann nachher … Überspitzt gesagt – das ist der Zugang zu Abhörmaßnahmen. … Es würde mir nicht im Traum einfallen, eine solche Verfügung über den 260ter zu erlassen, wenn ich BM (Betäubungsmittel) habe und einen Verdacht habe. Das hat ja keinen Sinn, das ist ja nicht irgendein Modeartikel, den man unbedingt brauchen muss. Ich kann’s auch deutlicher sagen: Man könnte auf die Idee kommen, auf den 260ter auszuweichen, wenn man nicht mehr hat, aber findet, das ist ein großer Bösewicht.“205 Allerdings sind auch Fälle bekannt, wo die Zentralstellendienste gestützt auf den Verdacht der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation über anderthalb Jahre hinweg eine Telefonüberwachung laufen ließen. Auf einen solchen Verdacht gegründete Anordnungen dürften vorwiegend vom Bund ausgehen, da die Zentralstellen in erster Linie aufgrund von Meldungen aus dem Ausland tätig werden und sich diese häufig nicht auf ein konkretes Delikt, sondern auf die angebliche Organisationszugehörigkeit beziehen. Der genaue Anteil solcher Fälle am Total der Anordnungen lässt sich aufgrund der dürren Angaben des DBA nicht beziffern.
Für die Beweisführung bei der Verfolgung begangener Straftaten, so die GPK, hätten die Überwachungsmaßnahmen kaum Bedeutung und seien weitgehend ineffizient. Sie seien vielmehr „zum Instrument der polizeilichen Beobachtung künftiger Straftaten“ geworden. „Der Verdacht, der sich aus der Begehung eines ersten Deliktes oder einer Vorbereitungshandlung ergibt, wird dazu benutzt, den mutmaßlichen Täter bei der Begehung eines zweiten Deliktes zu ertappen.“206 Sein Beziehungsgeflecht wird ausgeforscht. Die GPK spricht hier von „begleitender Beobachtung“.
Die Teilnehmeridentifikation dient dazu, das Umfeld des Überwachten auszuleuchten und ein Kontaktprofil zu erstellen. Gerade in Bereichen, wo die Betroffenen mit einer Überwachung rechnen, werden die Überwachungen schneeballartig ausgeweitet. Da die „raffinierten Sieche“207 ständig ihre Anschlüsse wechselten und ständig mit anderen Leuten zusammenarbeiteten, müsse man ständig hinterher sein. Strafverteidiger konnten nachvollziehen, dass in einer Reihe von Fällen alle von ihrem Mandanten angerufenen Anschlüsse neu in die Überwachung einbezogen wurden.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Telefonüberwachung tatsächlich als die strafprozessuale unter den operativen Maßnahmen. Die beschriebene Ausweitung der Überwachung erklärt denn auch die extreme Steigerung der Untersuchungskosten, die den Verurteilten in Rechnung gestellt, selten jedoch realisiert werden. „Das ist teuer das Zeug. Das kostet am Tag etwa vierzig bis achtzig Franken, plus Umschalten zu uns. Und die Polizei nimmt es auf und wertet es aus. Und das Aufschalten kostet, je nachdem ob Hausanschluss oder Natel Anschluss, etwa 250 Franken. Und je nach dem was man dann noch will, etwa Auswertung oder so, das kostet schnell ein paar tausend Franken.“ „Es ist eine Kostenfrage natürlich, es ist irrsinnig teuer. Da in dem Drogenfall da – nicht den mit dem Haufen Kokain – in dem anderen Fall, den wir da international überwacht haben, da haben wir jetzt schon achtzigtausend Stutz ausgegeben. Das ist die technische Überwachung und die Übersetzung nur. Und das Gemeine ist, in der gleichen Aktion ermitteln auch die Zürcher, und die haben letzte Woche 200’000 Franken sichergestellt. Die hätte ich auch gerne gehabt. Das ist klar, Drogengeld, aber die sind halt schneller gewesen.“208 Da vor der Liberalisierung des Telefonmarktes die PTT als Bundesbetrieb diese Arbeit kostenlos oder beinahe kostenlos besorgte, die privaten Telefonanbieter nun aber mindestens ihre realen Kosten verrechnen, ist die Anzahl der angeforderten Telefonüberwachungen in den letzten Jahren auch kaum mehr substanziell gewachsen.
In Zürich ist zur Zeit die Telefonüberwachung jedenfalls das wichtigste Ermittlungsinstrument. Aber auch dort stellen sich Probleme: „So führte die Bearbeitung von Telefonkontrollen die personell gut dotierte Ermittlungsgruppe an die Kapazitätsgrenze. Während der vierjährigen Ermittlungsarbeit mussten ca. 41’000 Telefongespräche von Dolmetschern übersetzt und von den Ermittlern in Form von Wortprotokollen, Gesprächszusammenfassungen oder Hinweisen auf einem recherchierbaren EDV-Programm bearbeitet werden. Durchschnittlich waren dauernd sieben Telefonlinien unter Kontrolle und im Ermittlungsbüro direkt aufgeschaltet. Polizeilicherseits besteht meines Erachtens latent die Gefahr, relativ schnell eine Telefonkontrolle mit Direktschaltung zu beantragen, dabei aber den Aufwand für eine seriöse Gesprächsauswertung zu unterschätzen.“209
Der Nationalrat verwarf den Entwurf des Bundesrates für ein „Bundesgesetz über die Überwachung des Post und Fernmeldeverkehrs“ und legte einen eigenen, restriktiveren Entwurf vor, der einen Katalog von Anlassdelikten vorsieht. Ob dieser Deliktkatalog aber wirklich zu einer Begrenzung führt, kann bezweifelt werden. Schließlich befindet sich nicht nur der Art. 260ter StGB im Katalog, sondern auch all jene Strafnormen, bei denen die Polizei üblicherweise sogenannte Basis-OK wittert. Die eigentliche Grenze dürfte weiterhin in der personellen und finanziellen Beschränkung liegen. Nicht umsonst fordern Staatsanwälte, insbesondere aus der französischen Schweiz, die Überwachung kostenfrei zu gestalten, also den Betreibergesellschaften aufzuerlegen.210
1Art. 260ter (Kriminelle Organisation)
1. Wer sich an einer Organisation beteiligt, die ihren Aufbau und ihre personelle Zusammensetzung geheimhält und die den Zweck verfolgt, Gewaltverbrechen zu begehen oder sich mit verbrecherischen Mitteln zu bereichern,
wer eine solche Organisation in ihrer verbrecherischen Tätigkeit unterstützt,
wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft.
2. Der Richter kann die Strafe nach freiem Ermessen mildern (Art. 66), wenn der Täter sich bemüht, die weitere verbrecherische Tätigkeit der Organisation zu verhindern.
3. Strafbar ist auch, wer die Tat im Ausland begeht, wenn die Organisation ihre verbrecherische Tätigkeit ganz oder teilweise in der Schweiz ausübt oder auszuüben beabsichtigt. Artikel 3 Ziffer 1 Absatz 2 ist anwendbar.
Eingefügt durch Ziff. I des BG vom 18. März 1994, in Kraft seit 1. Aug. 1994 (AS 1994 1614 1618; BBl 1993 III 277).
2Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Revision des Einziehungsrechts, Strafbarkeit der kriminellen Organisation, Melderecht des Financiers) vom 30. Juni 1993, BBl III 277ff.
3Botschaft, BBl 1993 III 281.
4Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Gewaltverbrechen) vom 10. Dezember 1979, BBl 1980 I 1241-1272. Ausführlich zur Kritik der vorgeschlagenen Norm Art. 260bis StGB-E, „Kriminelle Gruppe“ S. 1252ff. Der Artikel über die strafbaren Vorbereitungshandlungen (Art. 260ter StGB-E) trat allerdings im Zuge der Revision als Art. 260bis StGB in Kraft.
5Botschaft vom 10. Dezember 1979, a.a.O., S. 1252, 1253, 1255.
6Der Wegfall des Tatbeweises, ein eigentlicher Systembruch im Strafrecht, wird mit der Abschottung der kriminellen Organisation begründet, ein Tatbestandsmerkmal, das nun bei der richterlichen Anwendung des Art. 260ter StGB große Schwierigkeiten bereitet: „… wo … ein Schutzwall den Zugriff auf den eigentlichen Urheber verunmöglicht, weil ihnen die Tatbeteiligung am einzelnen Delikt nicht nachgewiesen werden kann. Wo der Einzelne als leicht austauschbares Element in einer hochgradig arbeitsteilig, straff organisierten und bis zur Undurchdringlichkeit abgeschotteten Verbrechensorganisation seinen Tatbeitrag leistet, müssen die traditionellen Zurechnungskriterien des Einzeltäterstrafrechts versagen.“ Botschaft, BBl 1993 III, S. 295.
7Tagungsauswertung, Adi Achermann, Untersuchungsrichter für OK, 3B390.
8Botschaft, BBl 1993 III S. 296.
9Die meisten Übereinkommen knüpfen die Leistung von Rechtshilfe an die Bedingung der gegenseitigen Strafbarkeit (nicht dasjenige mit den USA). Laut Botschaft habe sich das Fehlen eines solchen Tatbestandes im schweizerischen Strafrecht als „gravierend“ erwiesen.
10Stratenwerth kritisiert den Verzicht auf wesentliche Regeln der strafrechtlichen Zurechnung und die Loslösung des inkriminierten Verhaltens von der eigentlichen Unrechtstat (Kommentar Strafrecht, Besonderer Teil, II § 40 N 17, N. 35, 4.A., Bern 1995). Vest befürchtet die Einführung einer bloßen Verdachtsstrafe und den Missbrauch zur Durchleuchtung oppositioneller politischer Gruppen (S. 145ff). Die Bekämpfung des organisierten Verbrechens „verläuft auf einem schmalen Grat zwischen Effizienzbemühungen und rechtsstaatlichen Skrupeln“ (Kunz, S. 37). Wesentliche Kritik findet sich auch bei Arzt, Schmid, Schultz und Roulet.
Hans Vest: „Organisierte Kriminalität“ Überlegungen zur kriminalpolitischen Instrumentalisierung eines Begriffs, ZStrR 112 (1994), 121.
Karl-Ludwig Kunz: Maßnahmen gegen die organisierte Kriminalität, plädoyer 1/1996, 32.
Günther Arzt: Organisierte Kriminalität. Bemerkungen zum Maßnahmenpaket des Bundesrates vom 30. Juni 1993, AJP 2 (1993), 1187.
Nicolas Roulet: Organisiertes Verbrechen: Tatbestand ohne Konturen, plädoyer 5/1994, 24.
Hans Schultz: Die Kriminelle Vereinigung, in: ZStR 106 (1989), S. 27.
11Stefan Trechsel: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2.A., 1997, S. 852.
12Tagungstranskript, Jean-Pierre Garbade, 5A152-5A184.
13Vgl. dazu Stefan Trechsel, a.a.O., N4 zu Art. 260ter StGB.
14Vgl. dazu Schmid, Ackermann, Arzt, Bernasconi, de Capitani, a.a.O.
Niklaus Schmid: Zu den neuen Bestimmungen des Strafgesetzbuches in Art. 58f., 260ter und 305ter Abs. 2, ZGRG 1995, 2.
Jürg-Beat Ackermann: Geldwäscherei – Money Laundering, Diss. Zürich 1992.
Paolo Bernasconi: Organisierte Kriminalität in der Schweiz, Reihe Kriminologie, Bd. 11, Chur/Zürich 1993, 265.
Werner de Capitani: Geldwäscherei, RSJ 1998, 104-105.
15Vgl. BBl 1993 III 298; Trechsel, a.a.O., N5 zu Art. 260ter StGB.
16Mark Pieth: Das zweite Paket gegen das Organisierte Verbrechen, die Überlegungen des Gesetzgebers, in: ZStrR 113 (1995) 235.
Mark Pieth: Die Bekämpfung des organisierten Verbrechens in der Schweiz, in: ZStR 109 (1992) 270.
17Vgl. Trechsel: a.a.O., N5 zu Art. 260ter StGB.
18Hans Vest: „Organisierte Kriminalität“ – Überlegungen zur kriminalpolitischen Instrumentalisierung eines Begriffs, ZStrR 112 (1994) 147.
19Schmid, Ackermann, Arzt, Bernasconi, de Capitani, a.a.O., N137 zu Art. 260ter.
20Trechsel, a.a.O., N6.
21Schmid, Ackermann, Arzt, Bernasconi, de Capitani, a.a.O., N1148 zu Art. 260ter und Trechsel, a.a.O., N7 zu Art. 260ter.
22Trechsel, a.a.O., N9f.
23BBl 1993 III 304; Jörg Rehberg: Strafrecht IV, Delikte gegen die Allgemeinheit, 2. Aufl. 1996, §44, S. 174; Günther Stratenwerth: Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, Straftaten gegen Gemeininteressen, 4. Aufl. 1995, §40, N35.
24Trechsel, a.a.O., N9f.
25Neben die Verwendung geheimdienstlicher Mittel durch die Kriminalpolizei tritt die Einbindung der Geheimdienste nach den Vorschriften des Bundesgesetzes über Maßnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) vom 21. März 1997, Stand am 30. Juni 1998, AS 1998 1546, SR 120, Botschaft vom 7. März 1994, BBl 1994 1127; dazu auch die Verordnung über die Personensicherheitsprüfungen (PSPV) vom 20. Januar 1999, Stand am 16. Februar 1999, AS 1999 655, SR 120.4 und die Verordnung über die Militärische Sicherheit (VMS) vom 14. Dezember 1998, Stand am 2. März 1999, AS 1999 887, SR 513.61. Die entsprechenden Geheimdienststellen sind über JANUS eingebunden. Damit ist auch eine Verbindung zu der Datensammlung ISIS gegeben, die in erster Linie von der politischen Polizei und den Geheimdiensten benützt wird. Verordnung über das provisorische Staatsschutz-Informations-System (ISIS-Verordnung) vom 31. August 1992 (Stand am 16. Februar 1999), SR 172.213.60
26Verordnung über die Wahrnehmung kriminalpolizeilicher Aufgaben im Bundesamt für Polizei vom 30. November 2001, AS 2002 163-172, SR 360.1.
Verordnung über das Informationssystem der Bundeskriminalpolizei (JANUS-Verordnung) vom 30. November 2001, AS 2002 96-110, SR 360.2.
Verordnung über die Bearbeitung erkennungsdienstlicher Daten vom 21. November 2001, AS 2002 171-178, SR 361.3.
Verordnung über das informatisierte Personennachweis-, Aktennachweis- und Verwaltungssystem im Bundesamt für Polizei (IPAS-Verordnung) vom 21. November 2001, AS 2002 111-127, SR 361.2.
Frühere Änderungen im Rahmen des dritten Maßnahmenpaketes (Effizienzvorlage) siehe:
Schweizerisches Strafgesetzbuch (Schaffung neuer Verfahrenskompetenzen des Bundes in den Bereichen organisiertes Verbrechen und Wirtschaftskriminalität). Änderung vom 22. Dezember 1999, BBl 2000 70-82, Botschaft BBl 1998 1529.
Revision des Korruptionsstrafrechts (Änderung des Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes) vom 22. Dezember 1999, BBl 2000 65-69, Botschaft BBl 1999 5497.
27Einige Normen, die diese Entwicklung verrechtlichen:
Verordnung über die Eingliederung des Zentralpolizeibüros in das Bundesamt für Polizeiwesen vom 19. August 1992, AS 1992 1616.
Verordnung betreffend die Überführung von Diensten der Bundesanwaltschaft in das Bundesamt für Polizeiwesen vom 18. August 1999, AS 1999 2446, SR 172.213.57.
Verordnung über kriminalpolizeiliche Zentralstellen im Bundesamt für Polizeiwesen vom 17. November 1975, AS 1998 34, AS 2000 766, aufgehoben am 1.1.2002 durch die Verordnung über die Wahrnehmung kriminalpolizeilicher Aufgaben im Bundesamt für Polizei vom 30. November 2001, AS 2002 163-170, SR 360.1.
Verordnung über den Erkennungsdienst vom 1. Dezember 1986, Revisionen AS 1992 1618, AS 1996 3099, AS 1998 1562, AS 1998 2337, AS 2000 2949, SR 172.213.57, aufgehoben am 1.1.2002 durch die Verordnung über die Bearbeitung erkennungsdienstlicher Daten vom 21. November 2001, AS 2002 171-178, SR 361.3.
RIPOL-Verordnung, DOSIS-Verordnung, ISOK-Verordnung, FAMP-Verordnung, JANUS-Verordnung, alle a.a.O.
28Kanton Luzern, Botschaft des Regierungsrates an den Grossen Rat (B113) zu den Entwürfen von Grossratsbeschlüssen über die Errichtung eines kantonalen Untersuchungsrichteramtes sowie die Zahl der kantonalen Untersuchungsrichterinnen und -richter vom 3. März 1998; Grossratsbeschluss vom 23. Juni 1998.
Kanton Luzern, Staatsanwaltschaft, Weisung an die Amtsstatthalterämter und das kantonale Untersuchungsrichteramt vom 19. Februar 1999.
Kanton Luzern, Obergericht, Reglement über die interne Organisation des kantonalen Untersuchungsrichteramtes vom 15. Februar 1999, GO 99 3, SRL Nr. 310c.
29Tagungstranskript, Paul Huber, 3A70-3A110.
30Tagungstranskript, Adi Achermann, 3B225-3B280.
31Tagungstranskript, Paul Huber, 3A145-3A158.
32Tagungstranskript, Paul Huber, 3A187-3A210.
33Tagungstranskript, Paul Huber, 3A215-3A239.
34Tagungstranskript, Paul Huber, 3A380-3A385
35Tagungstranskript, Paul Huber, 3A255-3A272.
36Tagungstranskript, Paul Huber, 3A410-3A430.
37Tagungstranskript, Paul Huber, 4A340-4A365
38Tagungstranskript, Hans Wipächtiger, 4B410-4B450.
39 Tagungstranskript, Niklaus Oberholzer, 3A550-3A590.
40 Tagungstranskript, Publikum, 4A300-4A307.
41Alle Zitate aus dem Entscheid des Kreisgerichts Bern-Laupen vom 15.-17. Januar 1999 in Sachen B.
42Bei diesem Abschnitt (3.3) handelt es sich in großen Teilen um eine Überarbeitung und Ergänzung eines Berichts, den Heiner Busch im Auftrag des Forschungsprojekts erstellte.
43Art. 29 BetmGin der Fassung gemäß Ziff. I des BG vom 18. Dez. 1968, in Kraft seit 1. Jan. 1970 (AS 1970 9 13; BBl 1968 I 737).
1 Das Bundesamt für Polizeiwesen ist die schweizerische Zentralstelle für die Bekämpfung des unerlaubten Betäubungsmittelverkehrs. Es hat bei der Bekämpfung des unerlaubten Betäubungsmittelverkehrs durch Behörden anderer Staaten im Rahmen der bestehenden Rechtshilfevorschriften und der Rechtsübung mitzuwirken. Es sammelt die Unterlagen, die geeignet sind, Widerhandlungen gegen dieses Gesetz zu verhindern und die Verfolgung Fehlbarer zu erleichtern. In Erfüllung dieser Aufgaben steht es in Verbindung mit den entsprechenden Dienstzweigen der Bundesverwaltung (Bundesamt für Gesundheit, Polizeiabteilung, Oberzolldirektion), der Generaldirektion der Schweizerischen Post, der Telekommunikationsunternehmung des Bundes, mit den Polizeibehörden der Kantone, mit den Zentralstellen der andern Länder und der Internationalen kriminalpolizeilichen Organisation INTERPOL. (Abs. 1 in der Fassung gemäß Anhang Ziff. 19 des Postorganisationsgesetzes vom 30. April 1997, in Kraft seit 1. Jan. 1998 (SR 783.1).
2 Für die Vornahme von Beweiserhebungen bei der Leistung von internationaler Rechtshilfe in Betäubungsmittelstrafsachen sind die entsprechenden Bestimmungen des Bundesstrafrechtspflegegesetzes (SR 312.0) anwendbar.
3 Die Kantone haben der Zentralstelle über jede wegen Widerhandlung gegen dieses Gesetz eingeleitete Strafverfolgung rechtzeitig Mitteilung zu machen.
4 Die Anordnung von Ermittlungen durch den Bundesanwalt gemäß Artikel 259 des Bundesstrafrechtspflegegesetzes bleibt vorbehalten. Sie ist auch zulässig zur Durchführung von Rechtshilfeersuchen des Auslands.
44Auch sämtliche Urteile, Strafbescheide und Einstellungsbeschlüsse müssen mitgeteilt werden: Verordnung über die Mitteilung kantonaler Strafurteile (Mitteilungsverordnung) vom 1. Dezember 1999 (Stand am 29. August 2000), AS 2000 2.
45Zu der statistischen Auswertung dieses Datenbestandes vgl. Josef Estermann und Simone Rônez: Drogen und Strafrecht in der Schweiz. Zeitreihen zu Verzeigungen, Strafurteilen und Strafvollzug, 1974-1994, hg. vom Bundesamt für Statistik, Bern, 1995 und ders. et al.: Sozialepidemiologie des Drogenkonsums. Zu Prävalenz und Inzidenz des Heroin- und Kokaingebrauchs und dessen polizeiliche Verfolgung, Berlin, 1996.
46Verordnung über das provisorische Datenverarbeitungssystem zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels (DOSIS-Vo) vom 23. März 1994, AS 1994 1028-1034, SR 812.121.7.
47Bundesgesetz über die kriminalpolizeilichen Zentralstellen des Bundes (ZentG) vom 7. Oktober 1994, SR 172.213.71, SR 360.
Verordnung über kriminalpolizeiliche Zentralstellen im Bundesamt für Polizeiwesen (ZentV) vom 19. November 1997 (Stand am 20. Januar 1998), SR 172.213.711, SR 360.1, aufgehoben am 1.1.2002 durch die Verordnung über die Wahrnehmung kriminalpolizeilicher Aufgaben im Bundesamt für Polizei vom 30. November 2001, AS 2002 163-170, SR 360.1.
48Bundesgesetz über den Datenschutz (DSG) vom 19. Juni 1992 (Stand am 21. September 1999) SR 235.1.
49Verordnung über das Datenverarbeitungssystem zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels (DOSIS-Verordnung) vom 26. Juni 1996 (Stand am 16. Mai 2000) SR 812.121.7.
50 Verordnung über das provisorische Staatsschutz-Informations-System (ISIS-Verordnung) vom 31. August 1992 (Stand am 16. Februar 1999), SR 172.213.60.
51 DOSIS-Verordnung, Art. 3 (Anwendungsbereich)
1 Die im DOSIS gespeicherten Daten betreffen ausschließlich den illegalen Drogenhandel.
Nur Personen, die einen derartigen Handel ausführen, darin verwickelt oder daran mitbeteiligt sind oder daraus Nutzen ziehen, dürfen im DOSIS registriert werden.
2 Drittpersonen oder sie betreffende Angaben werden nur so weit registriert, als diese für die Ermittlungen von Nutzen sind.
3 Daten, die reine Drogenkonsumenten betreffen, werden nicht im DOSIS registriert.
52Art. 7 Abs. 7 DOSIS-Verordnung lautet:
Die Stammdaten von DOSIS werden in einem gemeinsamen Index mit den Stammdaten von ISOK (ISOK-Verordnung vom 19. November 1997) und FAMP (FAMP-Verordnung vom 28. September 1998) geführt.
53Verordnung über das Informationssystem der kriminalpolizeilichen Zentralstellen des Bundes (JANUS Verordnung) vom 30. November 2001, AS 2002, 96-110, in Kraft seit 1. Januar 2002, erste Fassung vom 17. Mai 2000, AS 2000, 1369-1381.
54Vgl. Dringliche einfache Anfrage von Felten: Bundesamt für Polizeiwesen. Neue Datenbankprojekte 99 1003, Antwort des Bundesrates vom 24.3.1999.
55Interview K 1, S. 10f.
56Vgl. dazu Heinz Wagner: Kommentar zum Polizeigesetz Nordrhein-Westfalens, Berlin/Neuwied (Luchterhand, Reihe Alternativkommentare), 1987; Edda Wesslau: Vorfeldermittlungen. Probleme der Legalisierung „vorbeugender Verbrechensbekämpfung“ aus strafprozessrechtlicher Sicht, Berlin (Duncker und Humblot) 1989; Heiner Busch: Polizeiliche Drogenbekämpfung – eine internationale Verstrickung, Münster (Westfälische Dampfboot), 1999.
57Art. 5 Ziff. 1 der DOSIS-Verordnung, Subsysteme und Versuche, lautet:
DOSIS besteht aus folgenden Subsystemen:
a. «Personen und Vorgänge» (PV); darin werden Daten und Informationen über Personen und deren Vorgänge registriert, die im Rahmen von Vorermittlungen oder gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren wegen illegalen Drogenhandels gewonnen wurden;
b. «Journal» (JO); darin werden Informationen (Observationen, Telefonkontrollen usw.) entweder aus Vorermittlungen oder aus gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren fallbezogen registriert;
c. «Geschäfts- und Terminkontrolle» (GT); darin wird der Verlauf aller hängigen Ermittlungsverfahren (Eröffnungsdatum, angeordnete Maßnahmen usw.) der Zentralstelle registriert;
d. «Allgemeine Erkenntnisse» (ER), darin werden nützliche Informationen zur Bekämpfung des Drogenhandels (Telefonverzeichnisse, Zeitungsausschnitte, Beschrieb der Kompetenzen verschiedener Ämter etc.) registriert.
e. «Drogenlexikon und Modi Operandi» (DL);
f. «Lagebericht» (LA); darin werden Berichte über die nationale und internationale Lage in bezug auf Betäubungsmittel registriert;
g. «Visualisierung» (VI); darin werden die graphischen Darstellungen bezüglich der Verbindungen von Strukturen der Täterorganisationen des illegalen Drogenhandels registriert.
58Art. 7 DOSIS-Verordnung, Bearbeitete Daten, lautet:
1 Nur die im Anhang 1 aufgeführten Daten dürfen im DOSIS bearbeitet werden.
2 Das Subsystem «Personen und Vorgänge» (PV) umfasst:
a. Stammdaten über die Identität von Personen;
b. Vorgänge, d.h. Daten über Sachverhalte;
c. Subfelder, deren Benutzung es unter anderem erlaubt, im Text eines Vorgangs Vergleichselemente, insbesondere im Zusammenhang mit Drittpersonen, zu markieren und Abfragen nach diesen Vergleichselementen durchzuführen.
Die vollständige Liste der Subfelder ist in Anhang 1 aufgeführt.
59Interview K 1, S. 24.
60Interview K 3, S. 7.
61Verordnung über das automatisierte Fahndungssystem (RIPOL-Verordnung) vom 19. Juni 1995 (Stand 28. Dezember 2000), AS 1995 3631, SR 172.213.61.
62Interview K 1, S. 24.
63Interview K 3, S. 7.
64Interview K 3, S. 7.
65Art. 5 Abs. 2 der DOSIS-Verordnung lautet:
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (Departement) kann der Zentralstelle erlauben, Versuche zur Evaluation von neuen Informatikwerkzeugen und zur speziellen Auswertung und Erstellung von Grafiken durchzuführen, welche die Verbindungen zwischen den einzelnen Elementen der verschiedenen Händlernetze auf der Basis von Informationen aus den Subsystemen «Personen und Vorgänge» und «Journal» aufzeigen. Die Versuche dürfen nur von dafür speziell ermächtigten Spezialisten der Zentralstelle ausgeführt werden. Die im Subsystem «Visualisierung» eingetragenen Resultate sind nur ausgewählten Benützern zugänglich. Die Versuche dürfen höchstens drei Jahre dauern.
66Art. 11 DOSIS-Verordnung, Weitergabe von Daten an auskunftspflichtige Behörden, lautet:
1 Die Zentralstelle kann, soweit dies zur Erlangung der von ihr benötigten Auskünfte und zur Begründung ihrer Amtshilfeersuchen nötig ist, im DOSIS gespeicherte Personendaten an die folgenden, nach Artikel 4 ZentG zur Zusammenarbeit verpflichteten Behörden weitergeben:
a. den Strafverfolgungsbehörden; insbesondere den Staatsanwaltschaften, Untersuchungsrichtern, Rechtshilfebehörden und den Organen der gerichtlichen Polizei des Bundes und der Kantone;
b. den Polizeistellen; insbesondere den Organen der Sicherheits- und Verwaltungspolizei des Bundes und der Kantone sowie den mit dem Vollzug des Bundesgesetzes vom 21. März 1997 über Maßnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit betrauten Behörden des Bundes;
c. den Grenzwacht- und Zollorganen;
d. den Behörden des Bundes und der Kantone, die fremdenpolizeiliche Aufgaben wahrnehmen, für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern und Ausländerinnen, für die Gewährung von Asyl oder für die Anordnung der vorläufigen Aufnahme zuständig sind;
e. den Einwohnerkontrollen und den insbesondere für die Führung des Handels-, Zivilstands-, Steuer-, Straßenverkehrs- und Zivilluftfahrtsregisters sowie des Grundbuches zuständigen Behörden;
f. Behörden, die für den diplomatischen und konsularischen Verkehr zuständig sind;
g. Behörden, die für Bewilligungen im Zusammenhang mit dem Verkehr mit bestimmten Gütern zuständig sind.
2 Darüber hinaus kann die Zentralstelle im DOSIS gespeicherte Personendaten folgenden Behörden zur Unterstützung deren gesetzlicher Aufgaben unaufgefordert weitergeben:
a. Behörden nach Absatz 1 Buchstabe a für deren Strafverfahren, gerichtspolizeiliche Ermittlungs- und Rechtshilfeverfahren;
b. Behörden nach Absatz 1 Buchstaben b und c für deren gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren, für die Aufgabenerfüllung nach dem Bundesgesetz vom 21. März 1997 über Maßnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit sowie zur Erfüllung deren grenzpolizeilicher Aufgaben und zollamtlicher Kontrollen;
c. Behörden nach Absatz 1 Buchstabe d für die Wahrnehmung fremdenpolizeilicher Aufgaben sowie zur Verhinderung oder Verfolgung von Missbräuchen der Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen und der Asylgesetzgebung.
3 Der Umfang und die Voraussetzungen der Auskunftspflichten ergeben sich aus Artikel 6 Absätze 2-4 der Verordnung vom 19. November 1997 über die kriminalpolizeilichen Zentralstellen im Bundesamt für Polizeiwesen (ZentV). [neu Art. 6 der Verordnung über die Wahrnehmung kriminalpolizeilicher Aufgaben im Bundesamt für Polizei vom 30. November 2001)
67Verordnung über das Datenverarbeitungssystem zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens (ISOK-Verordnung) vom 19. November 1997, AS 1998, 43-53, Stand am 3. November 1998, SR 172.213.712.
68Verordnung über das Datenverarbeitungssystem zur Bekämpfung der Falschmünzerei, des Menschenhandels und der Pornografie (FAMP-Verordnung) vom 28. September 1998, AS 1998, 2337-2350, Stand am 3. November 1998, SR 172.213.713.
69BAP, Kriminalpolizeiliche Zentralstellen: Szene Schweiz, Lagebericht 2/98, a.a.O., S. 50.
70Tages-Anzeiger 16. November 1998 (Interview mit Herrn Lauber).
71BAP, Kriminalpolizeiliche Zentralstellen: Szene Schweiz, Lagebericht 2/98, a.a.O., S. 48ff.
72Interview K 1, S. 20.
73Interview K 1, S. 20f.
74Interview K 1, S. 21ff.
75Art. 15 Abs. 1 Buchstabe b der Verordnung über das Informationssystem der kriminalpolizeilichen Zentralstellen des Bundes (JANUS Verordnung) vom 17. Mai 2000, AS 2000, S. 1369-1381, SR 360.2, gleichlautend vom 30. November 2001, AS 2002 104.
76Art. 20 JANUS-Verordnung.
77Art. 22 JANUS-Verordnung.
78Art. 14 JANUS-Verordnung.
79Art. 4 JANUS-Verordnung, Struktur des JANUS.
Das JANUS setzt sich aus folgenden Subsystemen zusammen:
a. „Personen und Vorgänge“ (PV); darin werden Daten und Informationen über Personen und die sie betreffenden Vorgänge registriert, die aus den Vorermittlungen, gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren oder allgemein zugänglichen Quellen gewonnen wurden;
b. „Journal“ (JO); darin werden Informationen aus Vorermittlungen, aus gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren oder aus allgemein zugänglichen Quellen fallbezogen registriert (insbesondere Überwachungen des Fernmeldeverkehrs, Observationen, Ermittlungsjournale);
c. „Polizeirapportsystem“ (PR); darin werden zur Aufgabenerfüllung notwendige Berichte und Anzeigen verfasst und verwaltet;
d. „Geschäfts- und Terminkontrolle“ (GT) …
e. „Allgemeine Erkenntnisse“; darin werden weitere nützliche und zur Aufgabenerfüllung notwendige Informationen registriert wie Angaben aus Telefonverzeichnissen, Zeitungsausschnitte, Beschriebe der Kompetenzen von Ämtern oder Angaben aus allgemein zugänglichen Quellen:
f. „Technische Lexika, Fachverzeichnisse und Verbrechensbegehungsmethoden“ (TL);
g. „Lagebericht“ (LA); darin werden Berichte über die nationale und internationale Lage registriert;
h. „Analysen“ (AN); darin werden die Ergebnisse von Analyseaufträgen registriert;
i. „Blüte“ (BL); darin werden sämtliche Falschgeldtypen und Fälschungstechniken registriert.
80Einfache Anfrage Rechsteiner, St.Gallen, Drogendatenbank DOSIS, Antwort des Bundesrates vom 6. Dezember 1993, 93.1032; Einfache Anfrage Rechsteiner, St.Gallen, Drogendatenbank DOSIS, Antwort des Bundesrates vom 20. November 1996, 96.1076; Dringliche Einfache Anfrage von Felten: Bundesamt für Polizeiwesen. Neue Datenbankprojekte, Antwort des Bundesrates vom 24. März 1999, 99.1003.
81Diese Vermutung ergibt sich vor allem aus der von Lauber in dem zitierten Tages-Anzeiger-Interview geschilderten Praxis, bereits den Kontakt mit einer in einem ISOK Stamm erfassten Person als verdächtig zu bewerten.
82Dringliche Einfache Anfrage von Felten, Antwort des Bundesrates, a.a.O.
83Schätzungen der Population der Konsumierenden harter Drogen bei Josef Estermann: Sozialepidemiologie des Drogenkonsums, Berlin 1996, S. 64-154. Dort sind auch die verschiedenen Schätzmodelle sowie das Verhältnis von polizeilich erfassten und medizinalisierten Konsumierenden einerseits und den sozial unauffälligen und den zuständigen Institutionen nicht aufgefallenen Konsumierenden andererseits diskutiert.
84Vgl. dazu Heiner Busch: Organisierter Drogenhandel oder Massenphänomen, in: Josef Estermann (Hg.): Auswirkungen der Drogenrepression, Berlin und Luzern 1997, S. 119-128. Den damaligen Berechnungen liegt ein Missverständnis zu Grunde: Die Zahl der gespeicherten Kontaktpersonen (20’000) wurde von der Zahl der als Verdächtige gespeicherten Hauptpersonen abgezogen. Tatsächlich wären sie hinzuzuzählen, da die Kontaktpersonen nicht in den Stämmen, sondern in den Subfeldern registriert werden.
85Art. 28 Abs. 2 BetmG:
Sämtliche Urteile, Strafbescheide und Einstellungsbeschlüsse sind sofort nach ihrem Erlass in vollständiger Ausfertigung der Bundesanwaltschaft zuhanden des Bundesrates mitzuteilen.
Art. 29 Abs. 3 BetmG:
Die Kantone haben der Zentralstelle über jede wegen Widerhandlung gegen dieses Gesetz eingeleitete Strafverfolgung rechtzeitig Mitteilung zu machen.
86Josef Estermann: Sozialepidemiologie des Drogenkonsums, Berlin 1996, S. 105-109.
87Josef Estermann, Simone Rônez: Drogen und Strafrecht in der Schweiz. Zeitreihen zu Verzeigungen, Strafurteilen und Strafvollzug 1974-1994, hgg. vom Bundesamt für Statistik, Bern, 1995. Nachträge siehe unten Abschnitt 5.1.4.
88Interview K 1, S. 24.
89Tages-Anzeiger, 16. November 1998, Interview mit Herrn Lauber.
90International wird nicht von Kriminalanalytikern gesprochen, sondern wie in der Börsensprache von Analysten.
91Interview K 1, S. 22.
92Bundesamt für Polizeiwesen, Kriminalpolizeiliche Zentralstellen, Geschäftsbericht 1998, Bern 1999, S. 24.
93Zum Vergleich: Anfang 1995 arbeiteten alleine bei den 25 regionalen Polizeien der Niederlande rund 130 Kriminalanalysten. Eine weitere nicht bekannte Zahl war beim Centrale Recherche Informatiedienst (CRI, der Zentralstelle der niederländischen Kripo), beim Zoll (FIOD) und weiteren Sonderpolizeien beschäftigt; Mitteilung eines zum Interpol-Generalsekretariat in Lyon detachierten Analysten, 17.5.1995.
94Interview K 1, S. 22.
95Interview K 4.
96Vgl. dazu etwa den Lagebericht 2000 des BAP mit seinen Vorgängern.
97Interview K 1, S. 3.
98Interview K 1, S. 10.
99Interview K 1, S. 15.
100Norbert Pütter: Der OK Komplex. Organisierte Kriminalität und ihre Folgen für die Polizei in Deutschland, Münster (Westfälisches Dampfboot) 1998, S. 36.
101„Für mich ist Basis-OK banden- und gewerbsmäßige Delinquenz, die es immer schon gegeben hat. Und es gibt ja auch die Meinung hier, die ein Vertreter von Zürich (…) ganz klar und dezidiert vertreten hat, OK existiert nicht. Das ist ein Gebilde, das existiert nicht. Ob diese Sicht der Dinge richtig ist, wage ich zu bezweifeln. Das ist eine andere Frage. Was ich aber wahrnehme, als Polizeipraktiker, ist das, dass tatsächlich in unserem Alltag die Basis-OK die entscheidende Rolle spielt und nicht die OK schlechthin.“ Interview K1, S. 8.
102Interview K 1, S. 4.
103Interview K 2, S. 5.
104Interview K 2, S. 7f.
105Interview UR 3, S. 5ff.
106Interview K 3.
107Interview K 3, S. 5.
108BAP, Kriminalpolizeiliche Zentralstellen: Geschäftsbericht 1998, a.a.O., S. 22; BAP: Szene Schweiz Lagebericht 1999, Bern 2000, S. 63, Interview BAP ZSD, S. 8.
109BAP, Kriminalpolizeiliche Zentralstellen: Geschäftsbericht 1998, a.a.O., S. 22.
110BAP: Szene Schweiz, Lagebericht 2/98, a.a.O., S. 39.
111Interview K 2, S. 5f.
112Interview K 3, S. 8.
113BAP, Kriminalpolizeiliche Zentralstellen: Geschäftsbericht 1998, a.a.O., S. 11.
114BAP, Kriminalpolizeiliche Zentralstellen: Szene Schweiz, Lagebericht 2/98, a.a.O., S. 37.
115Interview K 1, S. 24.
116Interview K 1, S. 5.
117BAP-Kriminalpolizeiliche Zentralstellen: Geschäftsbericht, a.a.O., S. 29.
118Le Temps, 9. Juli 1998.
119Interview K 4.
120Wolfgang Heyne: Mustererkennung und künstliche Intelligenz, in: Bundeskriminalamt (Hg.): Aktuelle Methoden der Kriminaltechnik und Kriminalistik, BKA-Arbeitstagung 1994, BKA-Forschungsreihe Bd. 32, Wiesbaden 1995, S. 245 255 (250f).
121Le Temps, 9. Juli 1998.
122Interview K 2, S. 21.
123Art. 19 der JANUS Verordnung bestimmt, dass die Daten in einem externen Analysesystem durch die Kantone nur nach Auftrag der zuständigen gerichtspolizeilichen Behörde und nach Information der für den Datenschutz zuständigen kantonalen Behörden durch ermächtigte kriminalpolizeiliche Spezialisten bearbeitet werden können. Damit fehlt eine wirkungsvolle datenschutzrechtliche Kontrolle. Im Unterschied zum Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten sind seine kantonalen Kollegen in Polizeifragen eher wenig informiert. Auf Bundesebene bedarf es bei der Überführung in ein externes Analysesystem nur, aber immerhin, der Zustimmung des „Datenschutzberaters des Amtes“.
124Le Temps, 9. Juli 1998.
125Detailkonzept, S. 2.
126Siehe auch mit weiteren Nachweisen Heiner Busch: Polizeiliche Drogenbekämpfung – eine internationale Verstrickung, Münster (Westfälische Dampfboot), 1999, S. 206-210; Norbert Pütter: Der OK-Komplex, a.a.O., S. 289-296; ders.: Organisierte Kriminalität in amtlichen Zahlen, in: Bürgerrechte & Polizei / CILIP 56, 1997, Heft 1, S. 15-25.
127BAP, Kriminalpolizeiliche Zentralstellen: Szene Schweiz, Lagebericht 2/98, S. 35.
128ebd., S. 37.
129 ebd., S. 37.
130ebd., S. 38, Tabelle 2; die Tabelle zeigt die Zahl der Organisationen mit einer Größe von 1-10, 11-20, 21-30, 31-50, 51-100, 101-500 und mehr als 500 Akteuren. Dementsprechend lässt sich eine Minimal- und eine Maximalzahl der beteiligten Personen benennen.
131ebd., S. 38 40.
132ebd., S. 47 53.
133Der vorhergehende Lagebericht (BAP: Szene Schweiz, Halbjahresbericht I/1999) geht nur auf Drogen und Falschgeld ein, kriminelle Organisationen werden mit keinem Wort erwähnt.
134Siehe auch die weitere Darstellung des Datenmaterials unten in Abschnitt 4.1.1.
135Interview UR 3, S. 13.
136Interview K 3, S. 5.
137Interview K 2, S. 6.
138Interview K 2, S. 6.
139Interview UR 2, S. 20f.
140Diese systematische Steigerung durch kumulative Darstellung ist ein Artefakt, welches auch in epidemiologischen Diskussionen zur Dramatisierung eines Sachverhalts verwendet wird: Je länger die Beobachtungszeit, desto größer die Fallzahl. Nach 80 Jahren Kumulation spätestens übertrifft die Zahl der Todesfälle die Zahl der Lebenden.
141Protokoll des Interviews mit Strefan Gussmann, Leiter ZSD, S. 5.
142Josef Estermann: Sozialepidemiologie des Drogenkonsums. Zu Prävalenz und Inzidenz des Heroin- und Kokaingebrauchs und dessen polizeiliche Verfolgung, Berlin, 1996, S. 105-109.
143Bundesamt für Polizei, Kriminalpolizeiliche Zentralstellen: Szene Schweiz, Lagebericht 1999, S. 63.
144BAP: Szene Schweiz, Lagebericht 2000, S. 87.
145Wochen Zeitung (WoZ), Nr. 24, 17.6.1999.
146Norbert Pütter: Der OK Komplex, a.a.O., S. 72f.
147Hans Vest: Schweiz, in: Gropp, Walter: Besondere Ermittlungsmethoden zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Ein rechtsvergleichendes Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz und des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz, Beiträge und Materialien aus dem Max Planck Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Band 36, Freiburg i. Br. 1993, S. 635 693 (669).
148Vest, a.a.O., S. 668f.
149Gesetz über das Strafverfahren des Kantons Bern, Art. 213.
150Art. 3 ZentG, Art. 14 Abs. 2 BWIS.
151VE vom 27.6.1995 für ein Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung, erläuternder Bericht, S. 32; der VE schlug für Observationen durch die Polizeibehörden des Bundes eine Anordnungskompetenz der Bundesanwaltschaft vor, sofern diese Observationen sich über eine längere Frist (10 Tage und mehr) erstrecken oder die Betroffenen an nicht öffentlichen Orten beobachtet werden. Damit wäre das Eindringen einer nicht als Polizeibeamter erkennbaren Person, faktisch eines verdeckten Ermittlers, in eine Wohnung nur an eine pure Anordnung gebunden. Vgl. Botschaft über die Änderung des Strafgesetzbuches, der Bundesrechtspflege und des Verwaltungsstrafgesetzes (Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz und der Rechtsstaatlichkeit in der Strafverfolgung) vom 28. Januar 1998, BBl 1998 1529ff.
152Entsprechende Regelungen sind in den Verträgen über die polizeiliche Zusammenarbeit mit den Schengener Nachbarstaaten enthalten, siehe eine detaillierte Übersicht in: Archiv Schnüffelstaat Schweiz: Über die Hintertür ins europäische Polizeihaus – Die Verträge zwischen der Schweiz und ihren Schengener Nachbarstaaten, Bern, Juni 1999.
153Bericht der Untersuchungskommission an den Gemeinderat von Zürich: Staatsschutz in der Stadt Zürich, Zürich 1991, S. 158.
154I1: Wie lange dauert denn eine Telefonüberwachung? JV: Alle drei Monate muss sie verlängert werden. Und bei jeder Verlängerung muss man natürlich noch bessere Gründe bringen. I1: Solche Verlängerungen sind schon üblich? JV: In OK-Verfahren ja. I1: Wie lange kann das denn gehen – theoretisch unbegrenzt? JV: Theoretisch ja. I1: Praktisch? JV: Das ist dann auch eine Kostenfrage. Telefonüberwachungen sind sehr teuer und der Untersuchungsrichter muss dann auch das im Griff haben. Natürlich darf man nicht die Kriminalitätsbekämpfung an Kostenfragen scheitern lassen. Das darf man nicht. Das wird auch nicht gemacht. Aber – es braucht natürlich wirklich triftige Gründe, weswegen man die TK jetzt noch einmal verlängern soll. I1: Ist das bei ihnen auch so, dass ein großes Interesse besteht an der rückwirkenden Teilnehmeridentifizierung, oder geht es tatsächlich um das, was gesagt wird? JV: Das kommt auf das Ermittlungsverfahren an. Möglichst eine breite Information ist natürlich wichtig. I1: Ich frage deswegen, weil sie eben auf die Kosten angespielt haben. Und bei ausländischen Verdächtigen JV: Kommen die Übersetzungskosten hinzu, ja. I1: Andere Beamte sagten mir, unser Hauptinteresse ist dann, wer hat mit wem Kontakt? JV: Ich denke beides ist sehr wichtig. FR: Kontakt haben ist ja nicht strafbar. JV: Nein, das ist nicht strafbar. Das zeigt höchstens etwas von der Struktur, könnte sein. Aber wie gesagt, es muss möglichst eine umfassende Information sein. Und wie FR richtig sagt, ich darf anrufen, wen ich will, deswegen bin ich nicht strafbar. I1: Aber es gibt zumindest mal eine Idee, wer mit wem? JV: Aber deswegen dürfen wir ja die TK nicht anhängen, es geht um anderes. I1: Ja ja, das ist schon klar. ….Bei den Telefonüberwachungen heute – sind das vorwiegend Direktschaltungen oder läuft das wie früher über die PTT bzw. heute die anderen Anbieter? FR: Beides, es kann beides sein, je nach dem, wie aktuell es sein muss, ist Direktschaltung, wenn es um eine Intervention geht, notwendig, damit man verzugsfrei reagieren kann. Aber es ist aber nicht die Regel, dass es immer eine Direktschaltung ist. I1: Intervention heißt ja dann unter anderem eine sofortige Observation und das heißt ja auch, viele Leute ständig präsent. JV: Ja, je nach Verfahrensstadium ist der Arbeitsaufwand enorm. I1: Gibt es da eine eigene Observationseinheit, die sie einsetzen können oder müssen sie das auch selber machen? PB: Wir haben eine eigene Observationseinheit bei der Kantonspolizei. I1: Also es gibt keine Observation, die die Sachbearbeiter dann selber machen müssen, das geht alles an die? PB: Das wird von der Observationsgruppe gemacht, ja. I1: Und ist das häufig, dass man denen Aufträge gibt? PB: Ja, dauernd. I1: Also ständig rund um die Uhr? PB: Also nicht gerade rund um die Uhr, aber für sie ist es ein full-time-job. I1: Gibt es denn auch eine Begrenzung der Zeitdauer, wie lange jemand in einer Observationseinheit drin sein darf? Oder ist das so, dass wenn man da drin ist, auf die Dauer dabei ist? PB: Bei uns? I1: Ja. PB: Rechtlich gesehen gibt es keine Grenze, aber es gibt organisatorische Grenzen. Es gibt vom Fall selber her unter Umständen Grenzen. Indem die selben Personen in einem Fall vielleicht nicht mehr dran bleiben. Das ist denkbar. Und organisatorisch ist es so, dass man die Funktion nicht ein Leben lang ausüben kann, sondern dass man das während einer gewissen Zeit machen kann, dass man sich nachher auch weiterentwickelt in seiner beruflichen Laufbahn. I1: Aber so eine formelle Grenze, nach dem Motto: Fünf Jahre und keinen Monat länger? PB: Nein, es ist eine fließende Grenze, es sind mehrere Jahre, aber nicht zehn Jahre.
Interview K 2, S. 10ff.
155Interview K 2, S. 11.
156Interview UR 3, S. 5.
157Interview UR 3, S. 5.
158Interview UR 3, S. 5.
159Interview K 2, S. 8.
160Interview K 2, S. 8.
161Interview K 2, S. 8.
162Protokoll des Gesprächs mit Stefan Gussmann, S. 10.
163Interview K 3, S. 13.
164Interview K 3, S. 13.
165Interview K 2, S. 8.
166Interview UR 3, S. 5.
167Interview UR 3, S. 5.
168Alfred Stümper: Systematisierung der Verbrechensbekämpfung, Stuttgart (Boorberg) 1981, S. 83.
169Siehe u.a. Pütter, OK-Komplex a.a.O., S. 78-112; ders. und Otto Diederichs: V-Personen, Verdeckte Ermittler, NoePs, qualifizierte Scheinaufkäufer und andere – Die Polizei im kriminellen Untergrund, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 49, 1994, H. 3, S. 24-37; Busch, Polizeiliche Drogenbekämpfung a.a.O., S. 252-284.
170WoZ, 20.10.1995.
171Interview K 1, S. 2.
172Interview K 2, S. 7.
173Alle Zitate Interview K 2, S. 7ff.
174Interview K 3, S. 12.
175Interview UR 3, S. 12.
176Interview UR 3, S. 8.
177Interview K 3, S. 14.
178Interview UR 2, S. 13.
179AA: Observationen sind ein Mittel, das uns eigentlich nichts angeht. Das ist etwas, was die Kripo-Leitung mit der Polizei selbst bestimmt. Das ist auch gar nicht möglich, dass wir irgendwelche Verfügungen machen, dass irgendjemand observiert werden muss. Das ist etwas, das meistens im Vorermittlungsstadium auf Polizeiebene selbst passiert. I1: Und beim Einsatz von V-Leuten – oder kommt das nicht vor? AA: Da ist mir nicht ein Fall bekannt, dass das vorgekommen sei. Was vorkommt sind die Informanten. I1: Und die führt die Polizei alleine? AA Ja das erfahren wir auch nie so genau. Polizei in der Außenfahndung, das sind spezielle Kriminalisten, die in der Stadt herumlaufen, gute Kontakte haben, die bringen immer die Informationen rüber. Aber die sagen nicht woher, aber das sind sehr zuverlässige Sachen und das ist ganz erstaunlich. Das ist ganz verrückt, da staunt man immer wieder. Da habe ich bei diesen Jugo-Banden zum Beispiel immer wieder gehört, ein Informant habe der Außenfahndung gesagt, der und der sei bei der Tat auch noch dabei gewesen. Irgendwie so, es ist immer erstaunlich, was da so rauskommt. I2: Und das ist in der Regel auch zuverlässig. Also nicht, dass da irgend … Wenn man da proaktiv tätig ist, da ist man dann ja immer wieder abhängig von gesteuerten oder gezielt gestreuten Informationen. AA: Nein, das funktioniert erstaunlich gut, das Problem ist nur, dass man das nie als Beweis werten kann. Das ist einfach ein Indiz mehr. Es zeigt einem die Zusammenhänge, aber vor Gericht kann man das praktisch nie brauchen. Wir leiten das auch gar nicht weiter.
Interview UR 1, S. 9.
180Interview UR 3, S. 8.
181Interview UR 3, S. 7.
182Tagungsbeitrag R. Walty, S. 2f.
183Hans Baumgartner: Zum V-Mann-Einsatz unter besonderer Berücksichtigung des Scheinkaufs im Betäubungsmittelverfahren und des Zürcher Strafprozesses, Diss. iur. Zürich (Schulthess Polygraphischer Verlag) 1990.
184Erich Rebscher und Werner Vahlenkamp: Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden (Sonderband der BKA Forschungsreihe) 1988, S. 72.
185Interpellation von Felten: Auskunft zu Telefonüberwachungen, 99.3427 – Antwort des Bundesrates vom 20. Dezember 1999; gegenüber dem Tages-Anzeiger erklärte UVEK-Sprecherin Godat Saladin, es handle sich um 2138 Schaltungen, m.a.W. um ebenso viele abgehörte Anschlüsse. Dies würde bedeuten, dass die Zahl der Anordnungen etwa um die Hälfte tiefer läge; Tages-Anzeiger 22.12.1999. Die Vermutung liegt nahe, dass selbst die Verantwortlichen nicht genau Beschied wissen.
186Daten vor 1988 nach Georg Kreis u.a.: Staatsschutz in der Schweiz, Bern (Haupt) 1993, S. 584-562. Der Bericht stützt sich auf interne Quellen der Bundesanwaltschaft und Anfragen im Nationalrat. Daten von 1988-1991 nach dem Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates: Telefonüberwachung im Bund, November 1992. Daten für die Jahre 1992-1996 nach der Antwort des Bundesrates auf eine Interpellation von Jean Ziegler: Telefonüberwachung, 97.3074, Antwort des Bundesrates v. 10.9.1997. Für die Jahre 1968-1970, 1979, 1986, 1987, 1997 und 1999 liegen uns keine Informationen vor.
187Teilnehmeridentifikationen wurden von 1991-1996 nur für die Bundesanwaltschaft ausgewiesen. Es bleibt unklar, bei wie vielen dieser Maßnahmen zusätzlich Fernmeldeüberwachungen im engeren Sinne erfolgten oder ob es sich bei den angegebenen Zahlen nur um die Fälle handelt, bei denen ausschließlich Teilnehmeridentifikationen angeordnet wurden.
188Für 1998, 2000 und 2001 liegen nur Gesamtdaten für Bund und Kantone vor. Laut Antwort des Bundesrates auf die Interpellation von Felten handelt es sich um die Zahl der Anordnungen. In Klammern sind hier die Zahl der Teilnehmeridentifikationen für Bund und Kantone enthalten. Auch hier ist das Verhältnis zu den angeordneten Telefonüberwachungen unklar.
189Der Bund, 7.2.1996.
190Interview K 2, S. 9.
191Interview UR 1, S. 7.
192Interview UR 3, S. 11.
193Tagungsbeitrag M. Bebié, S. 7.
194Interview UR 2, S. 22.
195Sonntags Blick vom 12. Dezember 1999.
196Interview UR 3, S. 10.
197Die Erfassung des Standortes erfolgt nur ungefähr, sie betrifft die Funkzelle, von der aus der Anruf erfolgte. Da im städtischen Raum die Dichte der Sende bzw. Empfangsstationen erheblich größer als im ländlichen ist, kann der Standort des Anrufenden auf bis zu 300 400 Quadratmeter angegeben werden. Detailliert zu Recht und Technik, siehe Häsler, Philipp: Die Überwachung des Mobilfunkverkehrs aus staats- und verwaltungsrechtlicher Sicht, Lizenziatsarbeit im öffentlichen Recht, eingereicht an der Universität Bern bei Prof. U. Zimmerli, Bern September 2000.
198siehe Vest, a.a.O., S. 669, Fußnote 113.
199Interview UR 2, S. 4.
200Interview UR 2, S. 4.
201Interview UR 3, S. 11.
202Interview UR 1, S. 7.
203Interview UR 1, S. 12.
204Nationalrat, Geschäftsprüfungskommission: Telefonüberwachung im Bund, November 1992, S. 14.
205Interview UR 2, S. 3.
206Nationalrat, GPK, a.a.O., S. 20.
207UR 1, S. 13.
208Interview X, S. 7f, 13.
209Tagungsbeitrag M. Bebié, S. 7.
210Interview UR 3, S. 13.